Urteil des BGH 6a. Zivilsenat vom 03.12.2025, AZ VIa ZR 1449/22

BGH 6a. Zivilsenat, Urteil vom 03.12.2025, AZ VIa ZR 1449/22, ECLI:DE:BGH:2025:031225UVIAZR1449.22.0

Verfahrensgang

vorgehend Oberlandesgericht des Landes Sachsen-Anhalt, 2. September 2022, Az: 7 U 14/22
vorgehend LG Stendal, 22. Februar 2022, Az: 23 O 135/21

Tenor

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 7. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Naumburg vom 2. September 2022 mit Ausnahme der Zurückweisung der Berufung wegen der mit dem Berufungsantrag zu 2 geltend gemachten Deliktszinsen aufgehoben.

Die Sache wird im Umfang der Aufhebung zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Der Streitwert für das Revisionsverfahren wird auf bis 22.000 € festgesetzt.

Von Rechts wegen

Tatbestand

1

Die Klägerin nimmt die Beklagte wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in einem Kraftfahrzeug auf Schadensersatz in Anspruch. Sie erwarb im September 2015 von einer dritten Person einen von der Beklagten hergestellten, gebrauchten BMW X3, der mit einem Dieselmotor des Typs N 47 (Schadstoffklasse Euro 5) ausgestattet ist.

2

Ihre auf Rückzahlung des Kaufpreises abzüglich einer Nutzungsentschädigung nebst Verzugszinsen, Zahlung von Deliktszinsen (Berufungsantrag zu 2), jeweils Zug um Zug gegen die Übereignung und Herausgabe des Fahrzeugs, Feststellung des Annahmeverzugs der Beklagten und Freistellung von außergerichtlichen Rechtsverfolgungskosten gerichtete Klage hatte in den Vorinstanzen keinen Erfolg. Mit der vom Senat im tenorierten Umfang zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihr Klagebegehren insoweit weiter.

Entscheidungsgründe

3

Die Revision hat Erfolg.

I.

4

Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung – soweit für das Revisionsverfahren von Interesse – im Wesentlichen wie folgt begründet:

5

Die Beklagte als Herstellerin des Fahrzeugs hafte der Klägerin nicht aus einer vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung nach §§ 826, 31 BGB. Es sei bereits nicht zu erkennen, dass der objektive Tatbestand der Sittenwidrigkeit erfüllt sei. Dafür genüge es nicht, dass in dem Fahrzeug der Klägerin eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 implementiert sei. Anders als eine Software mit einer „Umschaltlogik“ zur Prüfstandserkennung arbeite das unstreitig im Fahrzeug verbaute „Thermofenster“ im normalen Fahrbetrieb vielmehr grundsätzlich in gleicher Weise wie auf dem Prüfstand.

6

Die Beklagte habe sich schließlich auch nicht wegen einer Schutzgesetzverletzung nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit der vorgenannten Verordnung beziehungsweise §§ 6, 27 EG-FGV und Art. 18, 25 Abs. 1, Art. 46 der Richtlinie 2007/46/EG schadensersatzpflichtig gemacht. Denn diesen Normen könne kein Schutzgesetzcharakter beigemessen werden.

II.

7

Diese Erwägungen halten der Überprüfung im Revisionsverfahren nicht in allen Punkten stand.

8

1. Allerdings begegnet es keinen revisionsrechtlichen Bedenken, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten aus §§ 826, 31 BGB wegen des Fehlens einer Sittenwidrigkeit verneint hat. Die von der Revision erhobenen Verfahrensrügen hat der Senat geprüft und nicht für durchgreifend erachtet. Von einer Begründung wird gemäß § 564 Satz 1 ZPO abgesehen.

9

2. Die Revision beanstandet jedoch zu Recht, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV aus Rechtsgründen abgelehnt hat. Wie der Senat nach Erlass des angefochtenen Urteils entschieden hat, sind die Bestimmungen der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB, die das Interesse des Fahrzeugkäufers gegenüber dem Fahrzeughersteller wahren, nicht durch den Kaufvertragsabschluss eine Vermögenseinbuße im Sinne der Differenzhypothese zu erleiden, weil das Fahrzeug entgegen der Übereinstimmungsbescheinigung eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 aufweist (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 – VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 29 bis 32).

10

Das Berufungsgericht hat daher zwar im Ergebnis zu Recht einen Anspruch der Klägerin auf die Gewährung des sogenannten „großen“ Schadenersatzes verneint (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 – VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 22 bis 27). Es hat jedoch nicht berücksichtigt, dass der Klägerin nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV ein Anspruch auf Ersatz eines erlittenen Differenzschadens zustehen kann (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023, aaO Rn. 28 bis 32; ebenso BGH, Urteile vom 20. Juli 2023 – III ZR 267/20, WM 2023, 1839 Rn. 21 ff.; – III ZR 303/20, juris Rn. 16 f.; Urteil vom 12. Oktober 2023 – VII ZR 412/21, juris Rn. 20). Demzufolge hat das Berufungsgericht – von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig – weder der Klägerin Gelegenheit zur Darlegung eines solchen Schadens gegeben, noch hat es Feststellungen zu einer deliktischen Haftung der Beklagten wegen des zumindest fahrlässigen Einbaus einer unzulässigen Abschalteinrichtung getroffen.

III.

11

Das angefochtene Urteil ist im tenorierten Umfang aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO), weil es sich insoweit auch nicht aus anderen Gründen als richtig darstellt (§ 561 ZPO). Der Senat kann nicht in der Sache selbst entscheiden, weil diese nicht zur Endentscheidung reif ist (§ 563 Abs. 3 ZPO). Die Sache ist insoweit zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO).

12

Das Berufungsgericht wird auf der Grundlage der mit Urteil des Senats vom 26. Juni 2023 in der Sache VIa ZR 335/21 aufgestellten Grundsätze die erforderlichen Feststellungen zu einer Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV zu treffen haben, nachdem es der Klägerin Gelegenheit gegeben hat, den Differenzschaden zu berechnen und dazu vorzutragen.

C. Fischer                             
Messing                             
Katzenstein

                      
F. Schmidt                             
Pastohr

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