Urteil des BGH 6a. Zivilsenat vom 25.06.2025, AZ VIa ZR 766/21

BGH 6a. Zivilsenat, Urteil vom 25.06.2025, AZ VIa ZR 766/21, ECLI:DE:BGH:2025:250625UVIAZR766.21.0

Verfahrensgang

vorgehend OLG Frankfurt, 5. August 2021, Az: 16 U 177/20, Urteil
vorgehend LG Frankfurt, 30. Juni 2020, Az: 2-23 O 90/19, Urteil

Tenor

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 16. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 5. August 2021 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als das Berufungsgericht die Klage hinsichtlich der Berufungsanträge zu 3a und 5 zurückgewiesen hat.

Die Sache wird im Umfang der Aufhebung zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Der Streitwert für das Revisionsverfahren wird auf bis 80.000 € festgesetzt.

Von Rechts wegen

Tatbestand

1

Die Klägerin nimmt die Beklagte wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in einem Kraftfahrzeug auf Schadensersatz in Anspruch. Sie erwarb im Jahr 2014 von einem vormals ebenfalls in Anspruch genommenen Autohaus einen von der Beklagten hergestellten Porsche Panamera Diesel, der mit einem von der AUDI AG hergestellten 3.0 l V6-Dieselmotor EA 897 (Schadstoffklasse Euro 5) ausgestattet ist.

2

Das Landgericht hat die auf Feststellung der Schadenersatzpflicht wegen der Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung, hilfsweise auf Zahlung von Schadensersatz nebst Zinsen Zug um Zug gegen Herausgabe und Übereignung des Fahrzeugs sowie abzüglich einer von der Beklagten darzulegenden Nutzungsentschädigung (Berufungsantrag zu 3a) und Feststellung der Pflicht der Beklagten zum Ersatz weiterer Schäden gerichtete Klage als unzulässig verworfen. Die Berufung der Klägerin, mit der sie zudem die Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten begehrt hat (Berufungsantrag zu 5), ist erfolglos geblieben. Mit ihrer vom Senat im tenorierten Umfang zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihre Anträge insoweit weiter.

Entscheidungsgründe

3

Die Revision der Klägerin hat Erfolg.

I.

4

Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung – soweit für das Revisionsverfahren von Interesse – im Wesentlichen wie folgt begründet:

5

Ein Anspruch aus §§ 826, 31 BGB scheide aus, da es bereits an einer sittenwidrigen Handlung der Beklagten fehle. Die bloße Verwendung eines „Thermofensters“ sei nicht geeignet, den Vorwurf der vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung zu begründen. Dies gelte selbst dann, wenn man mit der Klägerin davon ausginge, dass die Beklagte von dem Einsatz eines Thermofensters in den von der AUDI AG bezogenen Motoren gewusst und diesen gebilligt hätte. Entgegen der Auffassung der Klägerin stelle das Thermofenster nicht eindeutig eine unzulässige Abschalteinrichtung dar; bei einer solchen Sachlage könne nicht angenommen werden, dass die für die Beklagte handelnden Personen bei dem Einsatz des Thermofensters in dem Bewusstsein gehandelt hätten, eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden. Eine sittenwidrige Schädigung lasse sich auch nicht mit dem klägerischen Vortrag zu einer angeblichen Manipulation der Getriebesteuerung begründen, der dahin zu verstehen sei, dass eine Prüfstandserkennung zur Aktivierung eines emissionsarmen Getriebeschaltprogramms behauptet werde. Der diesbezügliche Vortrag der Klägerin erfolge ins Blaue hinein. Unabhängig davon fehle es an weiterem konkreten Vortrag zur Sittenwidrigkeit und einer Verantwortlichkeit der Beklagten. Die Klägerin habe nicht dargelegt, ob die AUDI AG als Motorherstellerin oder die Beklagte als Fahrzeugherstellerin die behauptete Manipulation zu verantworten habe. Der Klageanspruch ergebe sich auch nicht aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 27 Abs. 1 EG-FGV, da es sich bei dieser Vorschrift nicht um ein Schutzgesetz im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB handele.

II.

6

Diese Erwägungen halten der Überprüfung im Revisionsverfahren nicht in allen Punkten stand.

7

1. Es begegnet allerdings keinen revisionsrechtlichen Bedenken, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten aus §§ 826, 31 BGB verneint hat. Die von der Revision erhobenen Verfahrensrügen hat der Senat geprüft und nicht für durchgreifend erachtet. Von einer Begründung wird gemäß § 564 Satz 1 ZPO abgesehen.

8

2. Die Revision wendet sich jedoch mit Erfolg dagegen, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV abgelehnt hat. Wie der Senat nach Erlass des Berufungsurteils entschieden hat, sind die Bestimmungen der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB, die das Interesse des Fahrzeugkäufers gegenüber dem Fahrzeughersteller wahren, nicht durch den Kaufvertragsabschluss eine Vermögenseinbuße im Sinne der Differenzhypothese zu erleiden, weil das Fahrzeug entgegen der Übereinstimmungsbescheinigung eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 aufweist (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 – VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 29 bis 32).

9

Das Berufungsgericht hat daher zwar zu Recht einen Anspruch der Klägerin auf die Gewährung sogenannten „großen“ Schadensersatzes verneint (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 – VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 22 bis 27). Es hat jedoch unberücksichtigt gelassen, dass der Klägerin nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV ein Anspruch auf Ersatz eines erlittenen Differenzschadens zustehen kann (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023, aaO, Rn. 28 bis 32; ebenso BGH, Urteile vom 20. Juli 2023 – III ZR 267/20, WM 2023, 1839 Rn. 21 ff.; – III ZR 303/20, juris Rn. 16 f.; Urteil vom 12. Oktober 2023 – VII ZR 412/21, juris Rn. 20). Demzufolge hat das Berufungsgericht – von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig – weder der Klägerin Gelegenheit zur Darlegung eines solchen Schadens gegeben, noch hat es Feststellungen zu einer deliktischen Haftung der Beklagten wegen des zumindest fahrlässigen Einbaus einer unzulässigen Abschalteinrichtung getroffen.

III.

10

Die Berufungsentscheidung ist demnach im tenorierten Umfang aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO), weil sie sich insoweit auch nicht aus anderen Gründen als richtig darstellt (§ 561 ZPO). Die Sache ist insoweit zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Das Berufungsgericht wird auf der Grundlage der mit Urteil des Senats vom 26. Juni 2023 in der Sache VIa ZR 335/21 aufgestellten Grundsätze die erforderlichen Feststellungen zu einer Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV zu treffen haben, nachdem es der Klägerin Gelegenheit gegeben hat, den Differenzschaden zu berechnen und dazu vorzutragen.

C. Fischer                         Möhring                         Messing

                 Tausch                              Pastohr

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