Beschluss des BVerwG 8. Senat vom 25.06.2025, AZ 8 B 33.24

BVerwG 8. Senat, Beschluss vom 25.06.2025, AZ 8 B 33.24, ECLI:DE:BVerwG:2025:250625B8B33.24.0

Verfahrensgang

vorgehend VG Berlin, 9. Juli 2024, Az: 29 K 212.18, Urteil

Tenor

Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 9. Juli 2024 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Wert des Streitgegenstands wird für das Beschwerdeverfahren auf 5 000 € festgesetzt.

Gründe

1

Die Beteiligten streiten um die Rechtmäßigkeit eines einen Ausschlussgrund gemäß § 1 Abs. 2 Satz 2 NS-VEntschG feststellenden Bescheids.

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Die Jüdische Gemeinde zu A. war Eigentümerin einer umfangreichen Kunstsammlung, die sie in einem von ihr eröffneten Jüdischen Museum ausstellte. Das Museum wurde in der Reichspogromnacht 1938 geschlossen; die Exponate wurden beschlagnahmt. Der Trägerverein des Museums wurde aufgelöst und der Jüdischen Gemeinde der Status als Körperschaft des öffentlichen Rechts aberkannt. Die Jüdische Gemeinde wurde in die sogenannte „Reichsvereinigung der Juden in Deutschland“ eingegliedert und dieser das Vermögen übertragen. Die Reichsvereinigung wurde 1943 aufgelöst und ihr Vermögen zu Gunsten des Deutschen Reiches eingezogen. Nach Kriegsende wieder aufgefundene Kunstgegenstände der Sammlung wurden an die B. Organization zurückerstattet. Der überwiegende Teil der Kunstsammlung blieb verschollen.

3

Im Jahr 1970 gewährte die Oberfinanzdirektion C. der Jüdischen Gemeinde zu A. die Zahlung eines Härteausgleichs nach § 44 Abs. 2 Bundesrückerstattungsgesetz – BRüG – in Höhe von 3 000 000 DM. Mit bestandskräftigem Bescheid vom 7. Mai 2012 stellte das Bundesamt für zentrale Dienste und offene Vermögensfragen – im Folgenden: Bundesamt – fest, dass der Klägerin ein Entschädigungsanspruch wegen des verfolgungsbedingten Eigentumsverlusts der Jüdischen Gemeinde zu A. an deren Kunstgegenständen zustehe. Mit weiterem Bescheid vom 25. Juni 2018 stellte das Bundesamt fest, dass ein Anspruch der Klägerin auf Zahlung einer Entschädigung für Kunstgegenstände der Jüdischen Gemeinde zu A. gemäß § 1 Abs. 2 Satz 2 NS-VEntschG wegen des im Jahr 1970 gewährten Härteausgleichs ausgeschlossen sei.

4

Auf die hiergegen gerichtete Klage hat das Verwaltungsgericht den Bescheid aufgehoben. Der Ausschlussgrund des § 1 Abs. 2 Satz 2 NS-VEntschG liege nicht vor, da die gewährte Härteausgleichszahlung keine rückerstattungsrechtliche Leistung im Sinne der Norm sei. Jedenfalls bestehe schon keine Identität des Vermögensverlustes. Das Verwaltungsgericht hat die Revision gegen sein Urteil nicht zugelassen.

5

Die hiergegen gerichtete Beschwerde der Beklagten bleibt ohne Erfolg. Der allein geltend gemachte Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO liegt nicht vor.

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Die Grundsatzrüge setzt die Formulierung einer bestimmten, höchstrichterlich noch ungeklärten und für die Revisionsentscheidung erheblichen Rechtsfrage des revisiblen Rechts voraus, der eine allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zukommt (stRspr, vgl. nur BVerwG, Beschluss vom 17. April 2025 – 8 B 39.24 – juris Rn. 4). Diese Voraussetzungen liegen nicht vor.

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Die von der Beklagten aufgeworfene Frage,

ob der Anwendungsbereich von § 1 Abs. 2 Satz 2 NS-VEntschG nur eröffnet ist, wenn die gewährte Leistung nach dem Bundesrückerstattungsgesetz ausschließlich nach dem Wert des entzogenen Vermögenswertes berechnet wurde oder ob alle im Zusammenhang mit dem Entzug des Vermögenswertes geflossenen Leistungen nach dem Bundesrückerstattungsgesetz in den Anwendungsbereich der Norm fallen,

rechtfertigt nicht die Zulassung der Revision.

8

Die Beklagte hat die einzelfallübergreifende Bedeutung der Rechtsfrage entgegen den Anforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO nicht dargelegt. Allerdings war die Beklagte nicht gehalten, eine Substantiierung nach den strengen Anforderungen vorzunehmen, die nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts für Rechtsfragen zu auslaufendem, ausgelaufenem oder nur übergangsweise geltendem Recht gelten. Das Vermögensgesetz und das NS-Verfolgtenentschädigungsgesetz sind kein auslaufendes Recht in diesem Sinne, weil ihre Fortgeltung nicht zeitlich begrenzt ist. Wohl aber verlieren sie durch die Zeitgebundenheit der geregelten Sachverhalte und die in ihren normierten, weit in der Vergangenheit liegenden Antrags- und Ausschlussfristen (vgl. § 30a VermG und § 1 Abs. 1a Satz 1 und 2 NS-VEntschG) nach und nach ihren Anwendungsbereich. Deshalb abnehmende Fallzahlen schließen nicht aus, dass revisible Rechtsfragen zur Anwendung solcher Vorschriften einzelfallübergreifende Bedeutung haben können, weil ihre Klärung noch für einen nicht überschaubaren Personenkreis in nicht absehbarer Zukunft von Bedeutung ist. § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO erfordert jedoch eine substantiierte Darlegung dieser Voraussetzungen. Wenn der Rechtsmittelführer einen umfassenden Überblick über die anhängigen Verfahren hat und der Rechtsmittelgegner die einzelfallübergreifende Bedeutung der Rechtssache substantiiert bestreitet, erfordert dies die Nennung konkreter Anhaltspunkte dafür, dass die aufgeworfene Rechtsfrage auch zukünftig in einer erheblichen Zahl von Fällen entscheidungsrelevant sein wird (BVerwG, Beschluss vom 29. Juni 2023 – 8 B 56.22 – juris Rn. 8 m. w. N.). Daran fehlt es hier. Der Sache nach geht es der Beklagten um die Klärung der – vom Verwaltungsgericht verneinten – Frage, ob ein nach § 44 BRüG gewährter Härteausgleich eine Leistung nach dem Bundesrückerstattungsgesetz ist, die zum Ausschluss der Entschädigung nach § 1 Abs. 2 Satz 2 NS-VEntschG führt. Die Klägerin hat substantiiert dargelegt, dass überhaupt nur in insgesamt sieben Fällen ein Härteausgleich nach § 44 BRüG gewährt worden ist. Sie hat überdies hinreichende Anhaltspunkte dafür vorgetragen, dass der vorliegende Fall mit hoher Wahrscheinlichkeit der einzige, jedenfalls aber der vorletzte ist, in welchem sich die aufgeworfene Frage noch stellen dürfte. Die Beklagte, die über einen umfassenden Überblick über die noch anhängigen Verfahren verfügt, hat nichts Gegenteiliges geltend gemacht und nicht dargelegt, in wie vielen sonstigen Fällen sich die von ihr für grundsätzlich bedeutsam gehaltene Frage noch stellen würde.

9

Auch die weitere Frage,

ob es zur Feststellung der Identität zwischen ge- und bereits entschädigten Vermögenswerten im Sinne von § 1 Abs. 2 Satz 2 NS-VEntschG ausreichend ist, wenn ein Zusammenhang zwischen dem entzogenen Vermögenswert, dessen Entschädigung nunmehr begehrt wird und der dafür insgesamt erbrachten Wiedergutmachungsleistung nach dem Bundesrückerstattungsgesetz oder anderen wiedergutmachungsrechtlichen Vorschriften bestand,

führt nicht zur Zulassung der Revision.

10

Ist die vorinstanzliche Entscheidung auf mehrere jeweils selbständig tragende Begründungen gestützt, kann die Revision nur zugelassen werden, wenn hinsichtlich jeder dieser Begründungen ein Revisionszulassungsgrund aufgezeigt wird und vorliegt (stRspr, vgl. etwa BVerwG, Beschluss vom 13. Dezember 2024 – 8 B 22.24 – juris Rn. 5 m. w. N.). An dieser Voraussetzung fehlt es hier.

11

Die zweite von der Beklagten aufgeworfene Frage bezieht sich auf die weitere, selbständig tragende Begründung des Verwaltungsgerichts, wonach jedenfalls keine Identität des Vermögensverlustes bestehe. Mangels Konkretisierung eines bereits entschädigten Vermögensverlustes sei diese Voraussetzung des Entschädigungsausschlusses nicht erfüllt. Diese Ausführungen stehen neben der selbständig tragenden Erwägung, wonach der der Jüdischen Gemeinde zu A. gewährte Härteausgleich keine zum Ausschluss des Entschädigungsanspruchs führende Wiedergutmachungsleistung nach dem Bundesrückerstattungsgesetz ist. In Bezug auf diese Begründung ist – wie ausgeführt – ein Revisionszulassungsgrund nicht erfolgreich dargelegt.

12

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 i. V. m. § 52 Abs. 2 GKG.

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