BGH 6a. Zivilsenat, Urteil vom 22.10.2025, AZ VIa ZR 1662/22, ECLI:DE:BGH:2025:221025UVIAZR1662.22.0
Verfahrensgang
vorgehend OLG Bamberg, 17. November 2022, Az: 3 U 162/22
vorgehend LG Coburg, 9. Juni 2022, Az: 53 O 67/22
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird der Beschluss des 3. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Bamberg vom 17. November 2022 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Der Streitwert für das Revisionsverfahren wird auf bis 40.000 € festgesetzt.
Von Rechts wegen
Tatbestand
1
Der Kläger nimmt die Beklagte wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in einem Kraftfahrzeug auf Schadensersatz in Anspruch. Er erwarb im November 2018 von einem Autohaus einen VW Tiguan, der mit einem Dieselmotor des Typs EA 288 (Schadstoffklasse Euro 6) ausgestattet ist.
2
Der Kläger hat die Erstattung des Kaufpreises nebst Zinsen und die Freistellung von zukünftigen Zahlungsansprüchen aus der Finanzierung des Fahrzeugs Zug um Zug gegen Übergabe und Abtretung sämtlicher Rechte aus dem Darlehensvertrag des Fahrzeugs, die Zahlung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten nebst Zinsen sowie die Feststellung des Annahmeverzugs verlangt. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers ist erfolglos geblieben. Mit der vom Senat zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seine Berufungsanträge weiter.
Entscheidungsgründe
3
Die Revision
hat Erfolg.
I.
4
Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung – soweit für das Revisionsverfahren von Interesse – im Wesentlichen wie folgt begründet:
5
Dem Kläger stünden keine Schadensersatzansprüche gemäß §§ 826, 31 BGB wegen einer vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung zu. Wegen des im Fahrzeug des Klägers unstreitig zum Einsatz kommenden „Thermofensters“ bestehe kein Anspruch aus § 826 BGB. Es fehle sowohl an der objektiven Sittenwidrigkeit als auch am Schädigungsvorsatz. Ein Schadensersatzanspruch des Klägers wegen der Verwendung einer Zyklus- bzw. Fahrkurvenerkennung bestehe ebenfalls nicht, weil sie in dem Fahrzeugtyp des Klägers nicht eingebaut sei. Der Klageanspruch ergebe sich auch nicht aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 Satz 1 EG-FGV, weil es sich bei den Vorschriften der EG-FGV nicht um Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB handele.
II.
6
Diese Erwägungen halten der Überprüfung im Revisionsverfahren nicht in allen Punkten stand.
7
1. Allerdings begegnet es keinen revisionsrechtlichen Bedenken, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten aus §§ 826, 31 BGB wegen des Fehlens einer Sittenwidrigkeit verneint hat. Die Revision erhebt insoweit auch keine konkreten Einwände.
8
2. Die Revision wendet sich jedoch mit Erfolg dagegen, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV aus Rechtsgründen abgelehnt hat. Wie der Senat nach Erlass des angefochtenen Beschlusses entschieden hat, sind die Bestimmungen der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB, die das Interesse des Fahrzeugkäufers gegenüber dem Fahrzeughersteller wahren, nicht durch den Kaufvertragsabschluss eine Vermögenseinbuße im Sinne der Differenzhypothese zu erleiden, weil das Fahrzeug entgegen der Übereinstimmungsbescheinigung eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 aufweist (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 – Via ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 29 bis 32).
9
Das Berufungsgericht hat daher zwar im Ergebnis zu Recht einen Anspruch des Klägers auf die Gewährung des sogenannten „großen“ Schadenersatzes verneint (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 – Via ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 22 bis 27). Es hat jedoch nicht berücksichtigt, dass dem Kläger nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV ein Anspruch auf Ersatz eines erlittenen Differenzschadens zustehen kann (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023, aaO, Rn. 28 bis 32; ebenso BGH, Urteile vom 20. Juli 2023 – III ZR 267/20, WM 2023, 1839 Rn. 21 ff.; – III ZR 303/20, juris Rn. 16 f.; Urteil vom 12. Oktober 2023 – VII ZR 412/21, juris Rn. 20). Demzufolge hat das Berufungsgericht – von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig – weder dem Kläger Gelegenheit zur Darlegung eines solchen Schadens gegeben, noch hat es Feststellungen zu einer deliktischen Haftung der Beklagten wegen des zumindest fahrlässigen Einbaus einer unzulässigen Abschalteinrichtung getroffen.
III.
10
Die Berufungsentscheidung ist aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO), weil sie sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig darstellt (§ 561 ZPO). Der Senat kann nicht in der Sache selbst entscheiden, weil diese nicht zur Endentscheidung reif ist (§ 563 Abs. 3 ZPO). Die Sache ist daher zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO).
11
Das Berufungsgericht wird auf der Grundlage der mit Urteil des Senats vom 26. Juni 2023 in der Sache VIa ZR 335/21 aufgestellten Grundsätze die erforderlichen Feststellungen zu einer Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV zu treffen haben, nachdem es dem Kläger Gelegenheit gegeben hat, den Differenzschaden zu berechnen und dazu vorzutragen.
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