Urteil des BGH 6a. Zivilsenat vom 07.10.2025, AZ VIa ZR 335/22

BGH 6a. Zivilsenat, Urteil vom 07.10.2025, AZ VIa ZR 335/22, ECLI:DE:BGH:2025:071025UVIAZR335.22.0

Verfahrensgang

vorgehend OLG München, 7. Februar 2022, Az: 9 U 6363/21
vorgehend LG München I, 13. August 2021, Az: 18 O 5465/21

Tenor

Auf die Revision des Klägers wird der Beschluss des 9. Zivilsenats des Oberlandesgerichts München vom 7. Februar 2022 mit Ausnahme der Zurückweisung der Berufung wegen der mit dem Antrag zu 2 begehrten Deliktszinsen aufgehoben.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Der Streitwert für das Revisionsverfahren wird auf bis 30.000 € festgesetzt.

Von Rechts wegen

Tatbestand

1

Der Kläger nimmt die Beklagte wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in einem Kraftfahrzeug auf Schadensersatz in Anspruch.

2

Er erwarb im November 2011 einen von der Beklagten hergestellten, gebrauchten BMW X3 xDrive20d, der mit einem Dieselmotor der Baureihe N47 (Schadstoffklasse Euro 5) ausgerüstet ist. Der Kläger veräußerte das Fahrzeug im Jahr 2018 weiter.

3

Die auf Erstattung des Kaufpreises abzüglich einer Nutzungsentschädigung nebst Zinsen sowie die Freistellung von außergerichtlichen Rechtsverfolgungskosten gerichtete Klage hatte in den Vorinstanzen keinen Erfolg. Mit seiner vom Senat insoweit zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seine Berufungsanträge im tenorierten Umfang weiter.

Entscheidungsgründe

4

Die Revision hat Erfolg.

I.

5

Das
Berufungsgericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet:

6

Eine Haftung der Beklagten nach § 826 BGB oder § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 263 StGB komme nicht in Betracht, da ein hierfür erforderliches sittenwidriges Handeln mit dem Ziel einer sittenwidrigen Schädigung nicht hinreichend dargetan und auch sonst nicht ersichtlich sei. Das Kraftfahrt-Bundesamt habe den von der Beklagten verwendeten Motor des Typs N47 bereits überprüft und sei zu dem Ergebnis gekommen, dass in dem Fahrzeug keine unzulässigen Abschalteinrichtungen verbaut worden seien. Der Schadensersatzanspruch könne auch nicht auf § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit §§ 6, 27 EG-FGV gestützt werden, weil diese Vorschriften keinen drittschützenden Charakter hätten.

II.

7

Diese Beurteilung hält der Überprüfung im Revisionsverfahren nicht in allen Punkten stand.

8

1. Allerdings begegnet es keinen revisionsrechtlichen Bedenken, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten aus §§ 826, 31 BGB verneint hat. Die Revision erhebt auch keine konkreten Einwände.

9

2. Die Revision wendet sich jedoch mit Erfolg dagegen, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV abgelehnt hat. Wie der Senat nach Erlass des angefochtenen Beschlusses entschieden hat, sind die Bestimmungen der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB, die das Interesse des Fahrzeugkäufers gegenüber dem Fahrzeughersteller wahren, nicht durch den Kaufvertragsabschluss eine Vermögenseinbuße im Sinne der Differenzhypothese zu erleiden, weil das Fahrzeug entgegen der Übereinstimmungsbescheinigung eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 aufweist (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 – VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 29 bis 32).

10

Das Berufungsgericht hat daher zwar zu Recht einen Anspruch des Klägers auf die Gewährung sogenannten „großen“ Schadensersatzes verneint (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 – VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 22 bis 27). Es hat jedoch nicht berücksichtigt, dass dem Kläger nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV ein Anspruch auf Ersatz eines erlittenen Differenzschadens zustehen kann (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023, aaO, Rn. 28 bis 32; ebenso BGH, Urteile vom 20. Juli 2023 – III ZR 267/20, WM 2023, 1839 Rn. 21 ff.; – III ZR 303/20, juris Rn. 16 f.; Urteil vom 12. Oktober 2023 – VII ZR 412/21, juris Rn. 20). Demzufolge hat das Berufungsgericht – von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig – weder dem Kläger Gelegenheit zur Darlegung eines solchen Schadens gegeben, noch hat es Feststellungen zu einer deliktischen Haftung der Beklagten wegen des zumindest fahrlässigen Einbaus einer unzulässigen Abschalteinrichtung getroffen.

III.

11

Der angefochtene
Zurückweisungsbeschluss ist demnach im tenorierten Umfang aufzuheben, § 562 Abs. 1 ZPO, weil er sich insoweit nicht aus anderen Gründen als richtig darstellt, § 561 ZPO. Der Senat kann nicht in der Sache selbst entscheiden, weil diese nicht zur Endentscheidung reif ist, § 563 Abs. 3 ZPO. Sie ist daher im tenorierten Umfang zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO. Das Berufungsgericht wird auf der Grundlage der mit Urteil des Senats vom 26. Juni 2023 in der Sache VIa ZR 335/21 aufgestellten Grundsätze die erforderlichen Feststellungen zu einer Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV zu treffen haben, nachdem es dem Kläger Gelegenheit gegeben hat, den Differenzschaden zu berechnen und dazu vorzutragen.

C. Fischer                           
Möhring                           
Messing

                     
F. Schmidt                          
Pastohr

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