Urteil des BGH 6a. Zivilsenat vom 18.12.2024, AZ VIa ZR 106/23

BGH 6a. Zivilsenat, Urteil vom 18.12.2024, AZ VIa ZR 106/23, ECLI:DE:BGH:2024:181224UVIAZR106.23.0

Verfahrensgang

vorgehend OLG Stuttgart, 20. Dezember 2022, Az: 16a U 11/19
vorgehend LG Stuttgart, 28. Juni 2019, Az: 12 O 12/19

Tenor

Auf die Revision des Klägers wird unter Zurückweisung des Rechtsmittels im Übrigen das Urteil des 16a. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 20. Dezember 2022 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als das Berufungsgericht – mit Ausnahme erstinstanzlich auf den Klageantrag zu 1 zuerkannter Zinsen vom 11. Juni 2015 bis zum 7. März 2018 und auf den Klageantrag zu 2 zuerkannter Zinsen für den 7. März 2018 – zum Nachteil des Klägers erkannt hat.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Der Streitwert für das Revisionsverfahren wird auf bis 30.000 € festgesetzt.

Von Rechts wegen

Tatbestand

1

Der Kläger nimmt die Beklagte wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in einem Kraftfahrzeug auf Schadensersatz in Anspruch. Er erwarb am 11. Juni 2015 von einem Händler einen von der Beklagten hergestellten gebrauchten Mercedes-Benz GLK 220 CDI, der mit einem Dieselmotor der Baureihe OM 651 (Schadstoffklasse Euro 5) ausgerüstet ist. In dem Fahrzeug wird die Abgasrückführung temperaturabhängig gesteuert und unter Einsatz eines sogenannten „Thermofensters“ bei bestimmten Außentemperaturen reduziert. Das Fahrzeug verfügt über eine Kühlmittel-Solltemperatur-Regelung (KSR), deren Aktivierung die Erwärmung des Motors verzögert.

2

Der Kläger hat in erster Linie die Zahlung von 31.122,80 € (Ersatz des Kaufpreises abzüglich einer Nutzungsentschädigung von 3.677,20 €) nebst Zinsen Zug um Zug gegen Übereignung des Fahrzeugs (Klageantrag zu 1) sowie die Erstattung von außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 1.474,89 € nebst Zinsen (Klageantrag zu 2) begehrt. Hilfsweise hat er den Ersatz eines merkantilen Minderwerts von mindestens 30 % des Kaufpreises verlangt.

3

Das Landgericht hat unter Abweisung der weitergehenden Klage die Beklagte auf den Klageantrag zu 1 zur Zahlung von 29.623,34 € nebst Deliktszinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 11. Juni 2015 Zug um Zug gegen Übereignung des Fahrzeugs sowie auf den Klageantrag zu 2 zur Zahlung von 1.358,86 € nebst Verzugszinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 7. März 2018 verurteilt. Auf die Berufung der Beklagten hat das Berufungsgericht das landgerichtliche Urteil teilweise abgeändert und die Klage insgesamt abgewiesen. Mit seiner vom Berufungsgericht zugelassenen Revision begehrt der Kläger die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils.

Entscheidungsgründe

4

Die Revision ist uneingeschränkt zulässig (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 – VIa ZR 1031/22, NJOZ 2023, 1133 Rn. 10 f.). Die vom Kläger vorsorglich eingelegte Nichtzulassungsbeschwerde ist gegenstandslos (vgl. BGH, Urteil vom 21. Februar 2022 – VIa ZR 57/21, WM 2022, 742 Rn. 5 mwN). In der Sache hat die Revision weitgehend Erfolg.

I.

5

Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet:

6

Dem Kläger stehe ein Anspruch aus § 826 BGB mangels eines sittenwidrigen Verhaltens der Beklagten nicht zu. Dabei könne dahinstehen, ob in tatsächlicher Hinsicht die von ihm behauptete Bedatung des Thermofensters zutreffe und es sich bei einer solchen Steuerung in rechtlicher Hinsicht um eine unzulässige Abschalteinrichtung handele. Auch könne die KSR als unzulässige Abschalteinrichtung anzusehen sein. Der Kläger habe jedoch weder tatsächliche Anhaltspunkte für eine prüfstandsbezogene Funktionsweise der Einrichtungen noch sonstige Umstände vorgetragen, die das Vorgehen der Beklagten als besonders verwerflich erscheinen ließen. Die Beklagte hafte auch nicht gemäß § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit §§ 6, 27 EG-FGV. Die Vorschriften der EG-FGV bezweckten nicht den Schutz eines Fahrzeugerwerbers vor dem Abschluss eines ungewollten Vertrags und seien nicht als Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB einzuordnen.

II.

7

Diese Erwägungen halten der Überprüfung im Revisionsverfahren nicht in allen Punkten stand.

8

1. Allerdings begegnet es keinen revisionsrechtlichen Bedenken, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten aus §§ 826, 31 BGB verneint hat. Die Revision erhebt insoweit auch keine Einwände.

9

2. Die Revision wendet sich jedoch mit Erfolg dagegen, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV aus Rechtsgründen abgelehnt hat. Wie der Senat nach Erlass des Berufungsurteils entschieden hat, sind die Bestimmungen der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB, die das Interesse des Fahrzeugkäufers gegenüber dem Fahrzeughersteller wahren, nicht durch den Kaufvertragsabschluss eine Vermögenseinbuße im Sinne der Differenzhypothese zu erleiden, weil das Fahrzeug entgegen der Übereinstimmungsbescheinigung eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 aufweist (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 – VIa ZR 335/21,
BGHZ 237, 245 Rn. 29 bis 32).

10

Das Berufungsgericht hat daher zwar zu Recht einen Anspruch des Klägers auf die Gewährung sogenannten „großen“ Schadensersatzes verneint (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 – VIa ZR 335/21,
BGHZ 237, 245 Rn. 22 bis 27). Es hat jedoch nicht berücksichtigt, dass dem Kläger nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV ein Anspruch auf Ersatz eines erlittenen Differenzschadens zustehen kann (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023, aaO, Rn. 28 bis 32; ebenso BGH, Urteile vom 20. Juli 2023 – III ZR 267/20, NJW 2024, 361 Rn. 21 ff.; – III ZR 303/20, juris Rn. 16 f.; Urteil vom 12. Oktober 2023 – VII ZR 412/21, juris Rn. 20). Demzufolge hat das Berufungsgericht – von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig – weder dem Kläger Gelegenheit zur Darlegung eines solchen Schadens gegeben, noch hat es Feststellungen zu einer deliktischen Haftung der Beklagten wegen des zumindest fahrlässigen Einbaus einer unzulässigen Abschalteinrichtung getroffen.

III.

11

Das klageabweisende Berufungsurteil hat gleichwohl Bestand, soweit das Landgericht dem Kläger auf den Klageantrag zu 1 Zinsen vom 11. Juni 2015 bis zum 7. März 2018 und auf den Klageantrag zu 2 Zinsen für den 7. März 2018 zugesprochen hat. Insoweit stellt sich die angefochtene Entscheidung aus anderen Gründen als richtig dar (§ 561 ZPO). Dem Kläger stehen – nach § 246 BGB ohnehin nur 4 % betragende –
Deliktszinsen nicht zu (vgl. BGH, Urteil vom 30. Juli 2020 – VI ZR 354/19, BGHZ 226, 322 Rn. 17 ff.; Urteil vom 29. November 2022 – VI ZR 376/20, VersR 2023, 386 Rn. 8). Er kann allenfalls Verzugszinsen beanspruchen. Nach den vom Berufungsgericht in Bezug genommenen Feststellungen des Landgerichts hat der Kläger der Beklagten vorgerichtlich eine Zahlungsfrist bis zum 7. März 2018 gesetzt. Die Beklagte ist daher frühestens am 8. März 2018 in Verzug geraten.

IV.

12

Im Übrigen ist das angefochtene Urteil aufzuheben, § 562 Abs. 1 ZPO, weil es sich insoweit nicht aus anderen Gründen als richtig darstellt, § 561 ZPO. Der Senat kann im Umfang der Aufhebung nicht in der Sache selbst entscheiden, weil diese nicht zur Endentscheidung reif ist, § 563 Abs. 3 ZPO. Sie ist daher insoweit zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO.

13

Im wiedereröffneten Berufungsverfahren wird der Kläger Gelegenheit haben, einen Differenzschaden darzulegen und einen entsprechenden Zahlungsantrag zu stellen. Dabei wird er zu beachten haben, dass ein ersatzfähiger Differenzschaden nicht ohne Weiteres mit dem Minderwert des Fahrzeugs gleichzusetzen ist, den der Kläger mit dem Hilfsantrag ersetzt verlangt (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 – VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 73 bis 76; Urteil vom 16. Januar 2024 – VIa ZR 1136/22, juris Rn. 13), und nicht höher als 15 % des gezahlten Kaufpreises sein kann (BGH, Urteil vom 26. Juni 2023, aaO, Rn. 74 f.). Die dagegen gerichteten Einwände der Revision (vgl. auch LG Ravensburg, Beschluss vom 27. Oktober 2023 – 2 O 331/19, juris Rn. 102 ff.; LG Duisburg, Beschluss vom 19. Dezember 2023 – 1 O 318/22, juris Rn. 300 f. und 314 ff.) geben dem Senat keinen Anlass zur Änderung der höchstrichterlichen Rechtsprechung.

14

Das Berufungsgericht wird sodann nach den näheren Maßgaben des Urteils des Senats vom 26. Juni 2023 (VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245) die erforderlichen
Feststellungen zu der Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung sowie gegebenenfalls zu den weiteren Voraussetzungen und zum Umfang einer Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV zu treffen haben.

C. Fischer                    
Möhring                    
Krüger

                       
Wille                        
Liepin

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