BGH 6a. Zivilsenat, Urteil vom 06.11.2024, AZ VIa ZR 55/21, ECLI:DE:BGH:2024:061124UVIAZR55.21.0
Verfahrensgang
vorgehend BGH, 28. Mai 2024, Az: VIa ZR 55/21, Beschluss
vorgehend OLG Düsseldorf, 22. Juli 2021, Az: 22 U 43/20
vorgehend LG Krefeld, 18. Dezember 2019, Az: 2 O 576/18
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 22. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 22. Juli 2021 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als das landgerichtliche Urteil auf die Berufung der Beklagten hinsichtlich der Verurteilung der Beklagten, an den Kläger 43.000 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 5. Februar 2019 abzüglich einer Nutzungsentschädigung Zug um Zug gegen Rückgabe und Rückübereignung des Fahrzeugs zu zahlen, abgeändert und die Klage insoweit abgewiesen worden ist.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Der Streitwert für das Revisionsverfahren wird auf bis 40.000 € festgesetzt.
Von Rechts wegen
Tatbestand
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Der Kläger nimmt die Beklagte wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in einem Kraftfahrzeug auf Schadensersatz in Anspruch.
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Er erwarb im August 2013 von einem Dritten einen neuen Audi Q3 2.0 TDI, der mit einem von der Volkswagen AG entwickelten und hergestellten Dieselmotor der Baureihe EA 189 (Schadstoffklasse Euro 5) ausgestattet ist. Die Volkswagen AG setzte in dem Motor eine Steuerungssoftware ein, die erkannte, ob sich das Fahrzeug auf einem Prüfstand zur Ermittlung der Emissionswerte befand und bewirkte in diesem Fall eine im Vergleich zum Normalbetrieb erhöhte Abgasrückführungsrate. Dadurch wurden die gesetzlichen Grenzwerte für Stickoxidemissionen auf dem Prüfstand – anders als im normalen Fahrbetrieb – eingehalten.
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Das Landgericht hat die Beklagte unter Abweisung der weitergehenden Klage verurteilt, an den Kläger 43.000 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 5. Februar 2019 zu zahlen abzüglich einer Nutzungsentschädigung, die sich mit der Formel „43.000 € x (Kilometerstand bei Rückgabe des Fahrzeugs – 0 km) 250.000 km“ berechnet, Zug-um-Zug gegen Rückgabe und Rückübereignung des Fahrzeugs. Weiterhin hat es die Beklagte zur Zahlung von Deliktszinsen verurteilt. Auf die Berufung der Beklagten hat das Berufungsgericht die landgerichtliche Verurteilung abgeändert und die Klage insgesamt abgewiesen. Mit der vom Senat insoweit zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seinen Antrag im tenorierten Umfang weiter.
Entscheidungsgründe
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Die Revision des Klägers hat Erfolg.
I.
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Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung – soweit für das Revisionsverfahren von Bedeutung – im Wesentlichen wie folgt begründet:
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Dem Kläger stehe kein Schadensersatzanspruch aus §§ 826, 31 BGB zu. Es sei weder vorgetragen noch ersichtlich, dass ein verfassungsmäßig berufender Vertreter der Beklagten die objektiven und subjektiven Voraussetzungen des § 826 BGB erfüllt habe. Eine Haftung der Beklagten komme nur in Betracht, wenn nicht nur der Herstellerin des Motors, sondern auch der Beklagten als Herstellerin des Fahrzeugs der Vorwurf sittenwidrigen Verhaltens gemacht werden könne. Mit Blick darauf habe der Kläger weder dargetan, dass auch bei der Beklagten eine auf eine Täuschung des Kraftfahrt-Bundesamts und der Fahrzeugerwerber gerichtete Strategieentscheidung getroffen worden sei, noch, dass die für die Beklagte handelnden Personen gewusst hätten, dass die Motoren mit einer auf Täuschung abzielenden Prüfstandserkennungssoftware ausgestattet gewesen seien. Ein Anspruch ergebe sich auch nicht aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV, da das Interesse, nicht zur Eingehung einer ungewollten Verbindlichkeit veranlasst zu werden, nicht im Aufgabenbereich der letztgenannten Normen liege.
II.
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Diese Erwägungen halten der Überprüfung im Revisionsverfahren nicht in allen Punkten stand.
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1. Es begegnet keinen revisionsrechtlichen Bedenken, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten aus §§ 826, 31 BGB verneint hat.
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In Übereinstimmung mit der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs hat das Berufungsgericht angenommen, dass eine Haftung der Beklagten hier nicht in Betracht kommt, weil es an ausreichenden tatsächlichen Anhaltspunkten dafür fehlt, dass nicht nur die Konzernmutter als Herstellerin des Motors, sondern auch die Beklagte als Herstellerin des Fahrzeugs sittenwidrig vorsätzlich gehandelt hat. Eine sekundäre Darlegungslast der Beklagten zu Vorgängen innerhalb ihres Unternehmens, die auf eine Kenntnis ihrer verfassungsmäßigen Vertreter von der Verwendung der unzulässigen Abschalteinrichtung schließen lassen sollen, setzt jedenfalls voraus, dass das Klagevorbringen hinreichende Anhaltspunkte enthält, die einen solchen Schluss nahelegen (BGH, Urteil vom 16. September 2021 – VII ZR 192/20, NJW 2022, 321 Rn. 27; Urteil vom 27. Oktober. 2022 – III ZR 211/20, WM 2023, 134 Rn. 12 ff., 17; Urteil vom 17. November.2022 – VII ZR 623/21, WM 2023, 140 Rn. 20 ff.; Beschluss vom 24. März 2022 – VII ZR 266/20, juris Rn. 25, jeweils mwN). Derartige Anhaltspunkte ergeben sich aus dem nach § 559 Abs. 1 ZPO der Beurteilung des Revisionsgerichts unterliegenden Verfahrensstoff nicht. Die darauf bezogenen Verfahrensrügen hat der Senat geprüft und nicht für durchgreifend erachtet. Von einer Begründung insoweit wird gemäß § 564 Satz 1 ZPO abgesehen.
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2. Die Revision wendet sich jedoch mit Erfolg dagegen, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV abgelehnt hat. Wie der Senat nach Erlass des angefochtenen Urteils entschieden hat, sind die Bestimmungen der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB, die das Interesse des Fahrzeugkäufers gegenüber dem Fahrzeughersteller wahren, nicht durch den Kaufvertragsabschluss eine Vermögenseinbuße im Sinne der Differenzhypothese zu erleiden, weil das Fahrzeug entgegen der Übereinstimmungsbescheinigung eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 aufweist (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 – VIa ZR 335/21,
BGHZ 237, 245 Rn. 29 bis 32).
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Das Berufungsgericht hat daher zwar zu Recht einen Anspruch des Klägers auf die Gewährung sogenannten „großen“ Schadensersatzes verneint (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 – VIa ZR 335/21,
BGHZ 237, 245 Rn. 22 bis 27). Es hat jedoch nicht berücksichtigt, dass dem Kläger nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV ein Anspruch auf Ersatz eines erlittenen Differenzschadens zustehen kann (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023, aaO, Rn. 28 bis 32; ebenso BGH, Urteile vom 20. Juli 2023 – III ZR 267/20, WM 2023, 1839 Rn. 21 ff.; – III ZR 303/20, juris Rn. 16 f.; Urteil vom 12. Oktober 2023 – VII ZR 412/21, juris Rn. 20). Demzufolge hat das Berufungsgericht – von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig – weder dem Kläger Gelegenheit zur Darlegung eines solchen Schadens gegeben, noch hat es Feststellungen zu einer deliktischen Haftung der Beklagten wegen des zumindest fahrlässigen Einbaus einer unzulässigen Abschalteinrichtung getroffen.
III.
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Das angefochtene Urteil ist in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang aufzuheben, § 562 Abs. 1 ZPO, weil es sich insoweit nicht aus anderen Gründen als richtig darstellt, § 561 ZPO. Der Senat kann im Umfang der Aufhebung nicht in der Sache selbst entscheiden, weil diese nicht zur Endentscheidung reif ist, § 563 Abs. 3 ZPO. Sie ist daher insoweit zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO.
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Im wiedereröffneten Berufungsverfahren wird der Kläger Gelegenheit haben, einen Differenzschaden darzulegen. Das Berufungsgericht wird sodann nach den näheren Maßgaben des Urteils des Senats vom 26. Juni 2023 (VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245) die erforderlichen
Feststellungen zu den weiteren Voraussetzungen und zum Umfang einer Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV zu treffen haben (vgl. auch BGH, Urteil vom 9. Oktober 2023 – VIa ZR 26/21, NJW-RR 2024, 293 Rn. 14)
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14
Sollte das Berufungsgericht einen deliktischen Anspruch bejahen, wird es – anders als das Landgericht – in eine Entscheidungsformel nicht eine Berechnungsformel aufnehmen, sondern erlangte Vorteile beziffern und gegebenenfalls in Abzug bringen. Ein Zahlungstitel ist nur dann bestimmt genug und zur Zwangsvollstreckung geeignet, wenn er den Anspruch des Gläubigers ausweist und Inhalt und Umfang der Leistungspflicht bezeichnet (vgl. im Einzelnen BGH, Urteil vom 27. November 2023 – VIa ZR 1062/22, WM 2024, 277 Rn. 13 mwN).
C. Fischer
Möhring
Götz
Rensen
Vogt-Beheim