BGH 6a. Zivilsenat, Urteil vom 06.11.2024, AZ VIa ZR 47/22, ECLI:DE:BGH:2024:061124UVIAZR47.22.0
Verfahrensgang
vorgehend OLG München, 10. Dezember 2021, Az: 17 U 6076/21
vorgehend LG Ingolstadt, 20. Juli 2021, Az: 21 O 168/20
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird der Beschluss des 17. Zivilsenats des Oberlandesgerichts München vom 10. Dezember 2021 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Der Streitwert für die Revision wird auf bis 35.000 € festgesetzt.
Von Rechts wegen
Tatbestand
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Der Kläger nimmt die Beklagte wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in einem Kraftfahrzeug auf Schadensersatz in Anspruch. Er erwarb – kreditfinanziert – im Oktober 2013 von einem Dritten einen von der Beklagten hergestellten gebrauchten Audi A6 Limousine 3.0 TDI (Erstzulassung am 2. Februar 2011), der mit einem V6-Monoturbo-Dieselmotor (Schadstoffklasse Euro 5) ausgerüstet ist.
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Das Landgericht hat die auf Erstattung des Kaufpreises zuzüglich Finanzierungskosten und Zinsen abzüglich einer Nutzungsentschädigung Zug um Zug gegen Rückgabe und Übereignung des Fahrzeugs, auf Feststellung des Annahmeverzugs und auf Zahlung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten nebst Zinsen gerichtete Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers, mit der er sein erstinstanzliches Begehren im Wesentlichen weiterverfolgt hat, ist erfolglos geblieben. Mit der vom Senat zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seine Berufungsanträge weiter.
Entscheidungsgründe
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Die Revision hat Erfolg.
I.
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Das Berufungsgericht, das einen Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV aF nicht geprüft hat, hat seine Entscheidung – soweit für das Revisionsverfahren von Interesse – im Wesentlichen wie folgt begründet:
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Ein Anspruch aus § 826 BGB bestehe nicht. Der Kläger sei seiner Substantiierungslast im Hinblick auf das Vorliegen einer vorsätzlichen Schädigung nicht nachgekommen. Dass ein vorhandenes „Thermofenster“ rechtswidrig sein möge, führe nicht zur Annahme sittenwidrigen Verhaltens der Beklagten. Die geltend gemachten Ansprüche stünden dem Kläger überdies vorliegend schon deshalb nicht zu, weil ein möglicherweise ursprünglich eingetretener Schaden jedenfalls inzwischen durch die im Wege des Vorteilsausgleichs anzurechnenden gezogenen Nutzungen vollständig aufgezehrt sei. Nach Auffassung des Berufungsgerichts habe die voraussichtliche Gesamtnutzungsdauer des streitgegenständlichen Fahrzeugs zehn Jahre betragen, bei Kauf somit noch knapp 7 1/3 Jahre. Eine wirtschaftlich relevante Nutzung eines Fahrzeuges über zehn Jahre hinaus sei daher der Schätzung nicht zugrunde zu legen.
II.
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Diese Erwägungen halten der Überprüfung im Revisionsverfahren nicht in allen Punkten stand.
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1. Der Zurückweisungsbeschluss leidet allerdings nicht an einem von Amts wegen zu berücksichtigenden Verfahrensmangel, der Veranlassung gäbe, ihn ohne weitere Sachprüfung aufzuheben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Er genügt hier noch den Mindestanforderungen des § 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO, obgleich die Anträge nicht wiedergegeben worden sind (vgl. BGH, Urteil vom 24. Juli 2023 – VIa ZR 752/22,
NJW 2023, 3010 Rn. 8 ff. mwN).
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2. Die Ausführungen des Berufungsgerichts sind aber in der Sache von Rechtsfehlern beeinflusst.
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a) Allerdings begegnet es keinen revisionsrechtlichen Bedenken, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten aus §§ 826, 31 BGB dem Grunde nach verneint hat. Die Revision erhebt insoweit auch keine Einwände.
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b) Die Revision wendet sich jedoch mit Erfolg dagegen, dass das Berufungsgericht es rechtsfehlerhaft unterlassen hat, auf mögliche Ansprüche des Klägers aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV aF (vgl. zu der bei Inverkehrbringen des Fahrzeugs geltenden EG-FGV: BGH, Urteil vom 16. Oktober 2023 – VIa ZR 374/22, VersR 2024, 124 Rn. 9 ff.) einzugehen. Wie der Senat nach Erlass des angefochtenen Beschlusses entschieden hat, sind die Bestimmungen der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV aF Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB, die das Interesse des Fahrzeugkäufers gegenüber dem Fahrzeughersteller wahren, nicht durch den Kaufvertragsabschluss eine Vermögenseinbuße im Sinne der Differenzhypothese zu erleiden, weil das Fahrzeug entgegen der Übereinstimmungsbescheinigung eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 aufweist (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 – VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 29 bis 32).
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Das Berufungsgericht hat daher zwar im Ergebnis zu Recht einen Anspruch des Klägers auf die Gewährung des sogenannten „großen“ Schadensersatzes verneint (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 – VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 22 bis 27). Es hat jedoch nicht berücksichtigt, dass dem Kläger nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV aF ein Anspruch auf Ersatz eines erlittenen Differenzschadens zustehen kann (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023, aaO, Rn. 28 bis 32; ebenso BGH, Urteile vom 20. Juli 2023 – III ZR 267/20, WM 2023, 1839 Rn. 21 ff.; – III ZR 303/20, juris Rn. 16 f.; Urteil vom 12. Oktober 2023 – VII ZR 412/21, juris Rn. 20). Demzufolge hat das Berufungsgericht – von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig – weder dem Kläger Gelegenheit zur Darlegung eines solchen Schadens gegeben, noch hat es Feststellungen zu einer deliktischen Haftung der Beklagten wegen des zumindest fahrlässigen Einbaus einer unzulässigen Abschalteinrichtung getroffen.
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c) Ein etwaiger Schadensersatzanspruch des Klägers aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV aF kann auch nicht mit der vom Berufungsgericht gewählten Begründung abgelehnt werden, dass ein etwaiger Schaden bereits aufgrund des Alters des Fahrzeugs von über zehn Jahren aufgezehrt sei (vgl. BGH, Urteil vom 24. Juli 2023 – VIa ZR 752/22, NJW 2023, 3010 Rn. 12 ff.).
III.
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Der angefochtene Beschluss ist aufzuheben, § 562 Abs. 1 ZPO, weil er sich nicht aus anderen Gründen als richtig darstellt, § 561 ZPO. Der Senat kann nicht in der Sache selbst entscheiden, weil diese nicht zur Endentscheidung reif ist, § 563 Abs. 3 ZPO. Sie ist daher zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO.
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Im wiedereröffneten Berufungsverfahren wird der Kläger Gelegenheit haben, einen Differenzschaden darzulegen. Das Berufungsgericht wird sodann nach den näheren Maßgaben des Urteils des Senats vom 26. Juni 2023 (VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245
) die erforderlichen
Feststellungen zu der Verwendung einer – bislang unterstellt – unzulässigen Abschalteinrichtung sowie gegebenenfalls zu den weiteren Voraussetzungen und zum Umfang einer Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV aF zu treffen haben.
C. Fischer
Möhring
Götz
Rensen
Vogt-Beheim