BGH 6a. Zivilsenat, Urteil vom 31.07.2024, AZ VI ZR 662/21, ECLI:DE:BGH:2024:310724UVIAZR662.21.0
Verfahrensgang
vorgehend OLG München, 10. November 2021, Az: 21 U 2454/21
vorgehend LG Ingolstadt, 13. April 2021, Az: 71 O 272/19
Tenor
Auf die Revision der Klägerin wird der Beschluss des 21. Zivilsenats des Oberlandesgerichts München vom 10. November 2021 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Der Streitwert für das Revisionsverfahren wird auf bis 22.000 € festgesetzt.
Tatbestand
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Die Klägerin nimmt die Beklagte wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in einem Kraftfahrzeug auf Schadensersatz in Anspruch. Sie erwarb im November 2013 von einem Dritten einen von der Beklagten hergestellten gebrauchten Audi A5 Cabrio 3.0 TDI. Das Fahrzeug ist mit einem 3.0-Liter V6-Dieselmotor (Schadstoffklasse Euro 5) ausgestattet.
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Das Landgericht hat die im Wesentlichen auf Erstattung des Kaufpreises abzüglich Nutzungsersatz nebst Zinsen Zug um Zug gegen Rückgabe und Übereignung des Fahrzeugs gerichtete Klage abgewiesen. Die Berufung, mit welcher die Klägerin die Zahlung von 20.974 € zuzüglich Zinsen Zug um Zug gegen Rückgabe und Übereignung des Fahrzeugs, die Feststellung des Annahmeverzugs und die Zahlung außergerichtlicher Rechtsanwaltskosten zuzüglich Zinsen beantragt hat, ist ohne Erfolg geblieben. Mit ihrer vom Senat zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihre Berufungsanträge weiter.
Entscheidungsgründe
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Die Revision der Klägerin hat Erfolg.
I.
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Das Berufungsgericht, das die Annahme des Landgerichts, es bestehe auch kein Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV, weil der Schutz des Vermögens des Erwerbers eines Kraftfahrzeugs nicht im Aufgabenbereich dieser Regelungen liege, nicht beanstandet hat, hat seine Entscheidung – soweit für das Revisionsverfahren von Interesse – wie folgt begründet:
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Zutreffend habe das Landgericht eine Haftung aus §§ 826, 31 BGB wegen der Implementierung des „Thermofensters“ verneint. Es könne unterstellt werden, dass es sich hierbei um eine unzulässige Abschalteinrichtung handele. Die Verwendung des „Thermofensters“ sei nicht sittenwidrig. Hinsichtlich weiter von der Klägerin behaupteter Abschalteinrichtungen sei entweder die Sittenwidrigkeit ihrer Verwendung nicht dargelegt oder fehle es an greifbaren Anhaltspunkten für ihre Existenz.
II.
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Diese Erwägungen halten der Überprüfung im Revisionsverfahren nicht in allen Punkten stand.
7
1. Es begegnet keinen revisionsrechtlichen Bedenken, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten aus §§ 826, 31 BGB verneint hat. Die Revision erhebt insoweit auch keine Einwände.
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2. Die Revision wendet sich jedoch mit Erfolg dagegen, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV wegen der Verwendung des „Thermofensters“ aus Rechtsgründen abgelehnt hat. Mit der vom Berufungsgericht gegebenen Begründung kann ein Schadensersatzanspruch aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV nicht verneint werden. Wie der Senat nach Erlass des Zurückweisungsbeschlusses entschieden hat, sind die Bestimmungen der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB, die das Interesse des Fahrzeugkäufers gegenüber dem Fahrzeughersteller wahren, nicht durch den Kaufvertragsabschluss eine Vermögenseinbuße im Sinne der Differenzhypothese zu erleiden, weil das Fahrzeug entgegen der Übereinstimmungsbescheinigung eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 aufweist (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 – VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 29 bis 32).
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Das Berufungsgericht hat daher zwar zu Recht einen Anspruch der Klägerin auf die Gewährung sogenannten „großen“ Schadensersatzes verneint (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 – VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 22 bis 27). Es hat jedoch unberücksichtigt gelassen, dass der Klägerin nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV ein Anspruch auf Ersatz eines erlittenen Differenzschadens zustehen kann (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023, aaO, Rn. 28 bis 32; ebenso BGH, Urteile vom 20. Juli 2023 – III ZR 267/20, ZIP 2023, 1903 Rn. 21 ff.; – III ZR 303/20, juris Rn. 16 f.; Urteil vom 12. Oktober 2023 – VII ZR 412/21, juris Rn. 20). Das Berufungsgericht hat – von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig – weder der Klägerin Gelegenheit zur Darlegung eines Differenzschadens gegeben, noch hat es Feststellungen zu einer deliktischen Haftung der Beklagten wegen des zumindest fahrlässigen Einbaus einer unzulässigen Abschalteinrichtung getroffen.
III.
10
Die Berufungsentscheidung ist demnach aufzuheben, § 562 ZPO, weil sie sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig darstellt, § 561 ZPO. Der Senat kann nicht in der Sache selbst entscheiden, weil sie nicht zur Endentscheidung reif ist, § 563 Abs. 3 ZPO. Sie ist daher zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO.
11
Im wiedereröffneten Berufungsverfahren wird die Klägerin Gelegenheit haben, einen Differenzschaden darzulegen. Das Berufungsgericht wird nach den näheren Maßgaben des Urteils des Senats vom 26. Juni 2023 (VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245) die erforderlichen Feststellungen zu den Voraussetzungen und gegebenenfalls dem Umfang einer Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV zu treffen haben.
- C. Fischer
- Möhring
- Krüger
- Wille
- Liepin