Keine Verfassungs- und Europarechtswidrigkeit der Besteuerung von Sportwetten (Urteil des BFH 9. Senat)

BFH 9. Senat, Urteil vom 16.07.2024, AZ IX R 6/22, ECLI:DE:BFH:2024:U.160724.IXR6.22.0

§ 17 Abs 2 RennwLottG vom 29.06.2012, Art 3 Abs 1 GG, Art 12 GG, Art 103 Abs 1 GG, Art 56 AEUV

Leitsatz

NV: § 17 Abs. 2 des Rennwett- und Lotteriegesetzes verstößt weder gegen Verfassungsrecht noch gegen Europarecht.

Verfahrensgang

vorgehend Hessisches Finanzgericht, 23. März 2022, Az: 5 K 1920/17, Urteil

Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Hessischen Finanzgerichts vom 23.03.2022 – 5 K 1920/17 wird als unbegründet zurückgewiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens hat die Klägerin zu tragen.

Tatbestand

I.

1

Die Beteiligten streiten um die Vereinbarkeit der Besteuerung von Sportwetten mit Verfassungs- und Europarecht.

2

Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) ist eine Kapitalgesellschaft [ausländischen] Rechts mit Sitz in A (Mitgliedstaat der Europäischen Union –EU–) und veranstaltet aufgrund einer Konzession des EU-Mitgliedstaats A unter anderem Sportwetten innerhalb der EU. Sie schloss auch mit Personen, die ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland (Deutschland) hatten und sich zum Zeitpunkt des Abschlusses des Wettvertrags dort aufhielten, Verträge über Sportwetten ab. Die Klägerin bot ihr Sportwettenangebot ausschließlich über das Internet an. Auf deutschem Staatsgebiet unterhielt sie keine Betriebsstätte.

3

Am 10.08.2016 gab die Klägerin beim damals zuständigen Finanzamt … III die Anmeldung zur Sportwettensteuer für den Zeitraum Juli 2016 ab. Sie erklärte eine Bemessungsgrundlage in Höhe von … € und errechnete eine Sportwettensteuer in Höhe von … €. Anschließend legte die Klägerin gegen die Steueranmeldung erfolglos Einspruch ein.

4

Die von der Klägerin erhobene Klage wies das Finanzgericht (FG) als unbegründet zurück. § 17 Abs. 2 des Rennwett- und Lotteriegesetzes (RennwLottG) in der im Streitzeitraum geltenden Fassung verstoße nicht gegen Europarecht. Die Vorschrift bewirke keine ungerechtfertigte Beschränkung des freien Dienstleistungsverkehrs nach Art. 56 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV). § 17 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 RennwLottG verstoße auch nicht gegen Art. 56 AEUV, weil er dem Veranstalter unbestimmte oder unerfüllbare Ermittlungspflichten bezüglich der Bemessungsgrundlage auferlege. Die Tatbestandsvoraussetzungen des § 17 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 RennwLottG seien hinreichend bestimmt. Es liege auch kein Verstoß gegen die unionsrechtliche Notifizierungspflicht aus der Richtlinie 98/34 EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22.06.1998 über ein Informationsverfahren auf dem Gebiet der Normen und technischen Vorschriften und der Vorschriften für die Dienste der Informationsgesellschaft (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften –ABlEG– Nr. L 204 vom 21.07.1998, S. 37), geändert durch die Richtlinie 98/48 EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20.07.1998 (ABlEG Nr. L 217 vom 05.08.1998, S. 18) und die Richtlinie 2006/96/EG des Rates vom 20.11.2006 (Amtsblatt der Europäischen Union Nr. L 363 vom 20.12.2006, S. 81) –nachfolgend EGRL 98/34– vor, weil die Vorschriften des Rennwett- und Lotteriegesetzes keine „technischen Vorschriften“ im Sinne des Art. 8 Abs. 1 Satz 1 EGRL 98/34 darstellten. Auch eine europa- oder völkerrechtswidrige Doppelbesteuerung sei nicht gegeben. Eine Verletzung von Art. 12 des Grundgesetzes (GG) liege nicht vor. Schließlich werde auch der allgemeine Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG nicht verletzt. Ein strukturelles Vollzugsdefizit bei der Erhebung der Sportwettensteuer liege nicht vor. Ein Sachverständigengutachten sei nicht einzuholen. Auch auf die weiteren Beweisanträge der Klägerin komme es nicht an.

5

Mit ihrer Revision bringt die Klägerin im Wesentlichen vor: Die Dienstleistungsfreiheit nach Art. 56 AEUV sei verletzt. Das FG habe es unterlassen, die Sportwettensteuer als Bestandteil eines europarechtswidrigen regulatorischen Gesamtkonzepts des Glücksspielmarkts in Deutschland einzuordnen. Dem Vergabeverfahren für Sportwettenkonzessionen auf der Grundlage des Glücksspielstaatsvertrags (GlüStV 2012) vom 15.12.2011 mangele es an einer kohärenten und systematischen Begrenzung der Gelegenheiten zum Glücksspiel bei den zugelassenen Veranstaltern. Daher könne auch die Erhebung der Sportwettensteuer als Bestandteil dieses Regulierungsansatzes nicht gerechtfertigt werden. Die Vergabe von Glücksspiellizenzen auf der Grundlage des Glücksspielstaatsvertrags 2012 verletze das unionsrechtliche Kohärenz- und Transparenzgebot. Die nicht nachvollziehbare zahlenmäßige Begrenzung auf 20 Lizenzen stelle eine objektive Zulassungsschranke dar. In die Dienstleistungsfreiheit des Art. 56 AEUV werde daher unverhältnismäßig eingegriffen. Ab dem Jahr 2012 sei die Zahl der Konzessionen begrenzt gewesen, zu einer tatsächlichen Konzessionserteilung sei es nicht gekommen, damit habe ein faktisches Monopol des einzigen staatlichen Anbieters fortbestanden. Das vom Gesetzgeber mit der Sportwettensteuer verfolgte Ziel der Flankierung des Glücksspielstaatsvertrags 2012 und der Kanalisierung hin zu legalem Glücksspiel sei nicht erreicht worden. Die Ermittlungspflichten hinsichtlich ausländischer Veranstalter seien unerfüllbar. Die Begriffe „Wohnort“ und „gewöhnlicher Aufenthalt“ in § 17 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 RennwLottG genügten nicht den Anforderungen an die Bestimmtheit von Beschränkungen der Dienstleistungsfreiheit. Es fehle auch an Ausführungsbestimmungen und Verwaltungsanweisungen, die die Vorschrift mit Blick auf die Dienstleistungsfreiheit konkretisierten. Tatsächlich seien die Angaben der Spieler zu Wohnort und gewöhnlichem Aufenthalt nicht auf ihre Richtigkeit hin überprüfbar.

6

Die Sportwettensteuer verletze mangels Erreichung des gesetzlichen Ziels auch Art. 12 Abs. 1 GG. Es werde der Spieleinsatz anstelle des Bruttospielertrags als Bemessungsgrundlage herangezogen. Der Gesetzgeber müsse nach einer Fehlprognose mit der Änderung gesetzlicher Maßnahmen reagieren. Hier werde der verfassungsrechtliche Maßstab so deutlich verfehlt, dass der Gesetzgeber von Beginn an gar keine Grundlage für eine Prognoseentscheidung für die Besteuerung gehabt habe.

7

Aufgrund der Ungleichbehandlung von Online-Sportwetten gegenüber Online-Casinos und Online-Poker werde zudem der allgemeine Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) verletzt. Online-Casinos und Online-Poker-Spielbetreiber unterfielen der Umsatzsteuer auf den Bruttorohertrag. Die Anbieter von Online-Sportwetten zahlten 2,5 bis 3,5-mal so viel Steuer wie Anbieter von Online-Casinos und Online-Poker. Bei der Erhebung der Sportwettensteuer liege ein strukturelles Vollzugsdefizit vor. Etwa ein Drittel des Gesamtvolumens der Wetteinsätze werde von nicht steuerlich erfassten Anbietern umgesetzt. Das für die Sportwettensteuer zuständige Finanzamt sei personell zu einer effektiven Steuererhebung nicht in der Lage. Dies gelte insbesondere bei im Ausland ansässigen Anbietern. Es werde keine EU-Amtshilfe in Anspruch genommen. Da die ausländischen Sportwettenanbietern im Gegensatz zu inländischen Anbietern auferlegten Ermittlungspflichten unerfüllbar seien, liege eine Ungleichbehandlung inländischer und ausländischer Anbieter vor. Dies gelte auch hinsichtlich der Ermittlung der steuerlichen Bemessungsgrundlage.

8

Die Annahme des FG, die Sportwettensteuer sei geeignet, einen wesentlichen Teil des Sportwettenmarkts auf den Weg zur Legalität hin zu kanalisieren, verstoße gegen Denkgesetze. Für eine Kanalisierungswirkung seien nicht die Zahl der Veranstalter, sondern die Umsätze und Marktanteile der jeweiligen Sportwettenanbieter maßgeblich. Auch die Zahl der steuerlich registrierten Anbieter spiele keine Rolle.

9

Das Urteil des FG sei schließlich auch verfahrensfehlerhaft ergangen.

10

Hinsichtlich der Frage, ob die Sportwettensteuer Teil eines regulatorischen Gesamtkonzepts sei und im Zusammenhang mit der Beschränkung des Sportwettenmarkts durch eine begrenzte Zahl an Konzessionen gesehen werden müsse, liege eine Verletzung des rechtlichen Gehörs vor. Das FG habe insoweit nicht das Gesamtergebnis des Verfahrens gewürdigt. Der Vortrag, wonach die Sportwettensteuer mangels Konzessionserteilung ungeeignet zur Erreichung des gesetzgeberischen Ziels sei, sei nicht berücksichtigt worden. Gleiches gelte für den geltend gemachten Verstoß gegen das unionsrechtliche Kohärenzgebot.

11

Hinsichtlich der Ablehnung eines Gleichheitsverstoßes aufgrund der Ungleichbehandlung von Online-Sportwetten und Online-Casinos sowie Online-Poker liege eine Überraschungsentscheidung vor. Es sei vollkommen überraschend gewesen, dass das FG eine Ungleichbehandlung abgelehnt habe. Dies gelte auch für die Frage, ob die Sportwettensteuer aufgrund der beschränkten Zahl der Konzessionen ungeeignet zur Erreichung der vom Gesetzgeber verfolgten Ziele sei.

12

In Bezug auf ihren Vortrag zur Ungeeignetheit der Sportwettensteuer für das Erreichen der Ziele des Gesetzgebers sei das Urteil zudem nicht mit Gründen versehen. Gleiches gelte für den geltend gemachten Verstoß gegen das unionsrechtliche Kohärenzgebot. Auch fehle eine Urteilsbegründung zu dem Vortrag, es gebe keine hinreichenden Kontroll- und Ermittlungsmöglichkeiten, um ein strukturelles Vollzugsdefizit auszuschließen. Schließlich fehlten Ausführungen zu dem geltend gemachten Gleichheitsverstoß, wonach ausländischen Sportwettenanbietern unerfüllbare Ermittlungspflichten auferlegt werden, nicht aber inländischen Sportwettenanbietern.

13

Das FG habe mit der Ablehnung der Beweisanträge zur fehlenden Eignung der Sportwettensteuer zur Herstellung einer Kanalisierungswirkung gegen seine Pflicht zur Sachaufklärung verstoßen. So habe sie, die Klägerin, Sachverständigengutachten beantragt, die nicht eingeholt worden seien. Auch ihre Beweisanträge in den erstinstanzlichen Schriftsätzen und der mündlichen Verhandlung seien nicht beachtet worden. Dies gelte unter anderem für den Antrag auf Zeugenvernehmung von Bediensteten des Finanzamts im Hinblick auf das Vorliegen eines strukturellen Vollzugsdefizits.

14

Während des Klageverfahrens ist aufgrund der am 01.12.2021/01.01.2022 in Kraft getretenen Vierten Verordnung zur Änderung der Verordnung über die Zuständigkeiten der hessischen Finanzämter vom 04.11.2021 i.V.m. § 17 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 und § 17 Abs. 2 Satz 4 des Finanzverwaltungsgesetzes die Zuständigkeit vom Finanzamt … III auf das Finanzamt … IV übergegangen. Zum 01.03.2024 erfolgte durch die Neunte Verordnung zur Änderung der Verordnung über die Zuständigkeiten der hessischen Finanzämter vom 22.02.2024 ein erneuter Zuständigkeitswechsel auf den Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt … –FA–).

15

Die Klägerin beantragt,
das Urteil des FG vom 23.03.2022 – 5 K 1920/17, die Einspruchsentscheidung vom 06.09.2017 und die Steueranmeldung zur Sportwettensteuer für Juli 2016 vom 10.08.2016 aufzuheben.

16

Darüber hinaus regt die Klägerin die Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) an.

17

Das FA beantragt,
die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

18

Eine Verletzung der Dienstleistungsfreiheit nach Art. 56 AEUV liege nicht vor. Die Tatsache, dass das ordnungsrechtliche Genehmigungsverfahren für Sportwetten gegen die Dienstleistungsfreiheit verstoße, mache die Sportwettenbesteuerung nicht europarechtswidrig. Verfassungsverstöße gegen Art. 12 Abs. 1 GG und Art. 3 Abs. 1 GG seien nicht erkennbar. Die von der Klägerin erhobenen Verfahrensrügen griffen nicht durch.

Entscheidungsgründe

II.

19

Die Revision ist unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung –;FGO–).

20

Die angefochtene Festsetzung der Sportwettensteuer ist einfach-rechtlich nicht zu beanstanden (dazu unter 1.). Die von der Klägerin gerügten Verstöße gegen EU-Recht liegen nicht vor (dazu unter 2.). Der Senat sieht daher keinen Anlass, das Verfahren im Wege des Vorabentscheidungsersuchens dem EuGH vorzulegen (dazu unter 3.). Der Senat kommt zudem nicht zu der für eine Vorlage an das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) nach Art. 100 Abs. 1 GG erforderlichen Überzeugung, dass das Rennwett- und Lotteriegesetz wegen Verstoßes gegen Art. 3 Abs. 1 GG (dazu unter 4.) oder Art. 12 Abs. 1 GG (dazu unter 5.) verfassungswidrig ist. Auch weitere Verstöße gegen Bundesrecht liegen nicht vor (dazu unter 6.). Die von der Klägerin erhobenen Verfahrensrügen greifen nicht durch (dazu unter 7.).

21

1. Die Festsetzung der Sportwettensteuer in der Anmeldung für den Zeitraum Juli 2016 ist zutreffend mit … € erfolgt.

22

a) Nach § 17 Abs. 2 Satz 1 RennwLottG unterliegen Wetten aus Anlass von Sportereignissen (Sportwetten), die nicht als Rennwetten nach Abschnitt I des Rennwett- und Lotteriegesetzes besteuert werden, unter den in § 17 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 und Nr. 2 RennwLottG näher bestimmten Voraussetzungen der Besteuerung. Nach § 17 Abs. 2 Satz 2 RennwLottG beträgt die Sportwettensteuer „5 vom Hundert des Nennwertes der Spielscheine beziehungsweise des Spieleinsatzes“. Schuldner der Sportwettensteuer ist nach § 19 Abs. 2 RennwLottG der „Veranstalter“.

23

b) Danach ist die Festsetzung der Sportwettensteuer ausgehend von einer Bemessungsgrundlage in Höhe von … € zutreffend mit einem Steuerbetrag von … € erfolgt. Die Klägerin war als Veranstalterin der Sportwetten Steuerschuldnerin nach § 19 Abs. 2 RennwLottG. Da dies von den Beteiligten nicht beanstandet wird, sieht der Senat von weiteren Ausführungen ab.

24

2. Eine ungerechtfertigte Beschränkung des freien Dienstleistungsverkehrs (Art. 56 AEUV) durch die Besteuerung von Sportwetten nach § 17 Abs. 2 RennwLottG liegt nicht vor.

25

a) Nach Art. 56 AEUV müssen die Mitgliedstaaten Angehörigen aus anderen EU-Staaten ermöglichen, unter denselben Bedingungen tätig zu werden wie sie für Inländer gelten. Es sind auch solche Beschränkungen zu unterlassen, die –obwohl sie unterschiedslos für Einheimische wie für Dienstleistende anderer Mitgliedstaaten gelten– geeignet sind, die Tätigkeit eines in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen Dienstleistenden, der dort rechtmäßig gleichartige Dienstleistungen erbringt, zu unterbinden oder zu behindern (vgl. EuGH-Urteile Arblade u.a. vom 23.11.1999 – C-369/96 und C-376/96, EU:C:1999:575, Rz 33; Mobistar und Belgacom Mobile vom 08.09.2005 – C-544/03 und C-545/03, EU:C:2005:518, Rz 30 f.; Liga Portuguesa de Futebol Profissional und Bwin International vom 08.09.2009 – C-42/07, EU:C:2009:519 und Berlington Hungary u.a. vom 11.06.2015 – C-98/14, EU:C:2015:386, Rz 35). Eine Beschränkung der Dienstleistungsfreiheit liegt bereits dann vor, wenn die grenzüberschreitende Tätigkeit erschwert oder weniger attraktiv gemacht wird. Dagegen erfasst Art. 56 AEUV solche Maßnahmen nicht, deren einzige Wirkung es ist, zusätzliche Kosten für die betreffende Leistung zu verursachen, und die die Erbringung von Dienstleistungen zwischen Mitgliedstaaten in gleicher Weise wie ihre Erbringung innerhalb eines einzelnen Mitgliedstaats berühren (vgl. EuGH-Urteile Mobistar und Belgacom Mobile vom 08.09.2005 – C-544/03 und C-545/03, EU:C:2005:518, Rz 31 und Berlington Hungary u.a. vom 11.06.2015 – C-98/14, EU:C:2015:386, Rz 36).

26

Beschränkungen der Dienstleistungsfreiheit bei Glücksspieltätigkeiten können aber durch zwingende Gründe des Allgemeininteresses gerechtfertigt sein. Dazu zählen der Verbraucherschutz, die Betrugsvermeidung und die Vermeidung von Anreizen für die Bürger zu übermäßigen Ausgaben für Glücksspiele. In Ermangelung einer Harmonisierung des Glücksspielsektors durch die EU ist es Sache der einzelnen Mitgliedstaaten, im Einklang mit ihrer eigenen Werteordnung zu beurteilen, welche Erfordernisse sich aus dem Schutz der betroffenen Interessen ergeben (vgl. EuGH-Urteile Liga Portuguesa de Futebol Profissional und Bwin International vom 08.09.2009 – C-42/07, EU:C:2009:519, Rz 56 und Digibet und Albers vom 12.06.2014 – C-156/13, EU:C:2014:1756, Rz 23 f.).

27

b) Das Anbieten von Sportwetten an Empfänger in anderen Mitgliedstaaten gehört zu den Dienstleistungen im Sinne des Art. 56 AEUV (vgl. EuGH-Urteile Carmen Media Group vom 08.09.2010 – C-46/08, EU:C:2010:505, Rz 41 und Winner Wetten vom 08.09.2010 – C-409/06, EU:C:2010:503, Rz 43 f.; Nettesheim, Zeitschrift für Wett- und Glücksspielrecht –ZfWG– 2024, 22, 24). Die Erhebung der Sportwettensteuer führt zu einer Verteuerung des Wettangebots für den Wettenden oder zu einer Herabsetzung der Gewinnchancen. Damit wird die Veranstaltung von Sportwetten weniger attraktiv. Diese Wirkung trifft aber inländische wie ausländische Anbieter in gleicher Weise und zu gleichen Bedingungen. Die Sportwettensteuer führt daher zu keiner unmittelbaren Diskriminierung ausländischer Anbieter (Senatsurteil vom 17.05.2021 – IX R 21/18, BFHE 274, 259, BStBl II 2022, 139, Rz 61).

28

Selbst wenn man –wie die Ausgangsentscheidung– eine mittelbare Diskriminierung annehmen würde, ist die darin liegende Beschränkung der Dienstleistungsfreiheit gerechtfertigt, weil sie der Verfolgung zwingender Gründe des Allgemeininteresses dient. Dazu zählen der Verbraucherschutz, die Betrugsvermeidung und die Vermeidung von Anreizen für die Bürger zu übermäßigen Ausgaben für Glücksspiele (vgl. EuGH-Urteile Stoß vom 08.09.2010 – C-316/07, EU:C:2010:504, Rz 74 f. und Berlington Hungary u.a. vom 11.06.2015 – C-98/14, EU:C:2015:386, Rz 58; Senatsurteil vom 17.05.2021 – IX R 21/18, BFHE 274, 259, BStBl II 2022, 139, Rz 62). Zudem gehört die Regulierung des Glücksspiels zu den Bereichen, in denen beträchtliche sittliche, religiöse und kulturelle Unterschiede zwischen den Mitgliedstaaten bestehen. Mangels Harmonisierung der Glücksspielregulierung und der Glücksspielbesteuerung ist es Sache der einzelnen Mitgliedstaaten, im Einklang mit ihrer eigenen Werteordnung in diesem Bereich zu beurteilen, welche Erfordernisse sich zum Schutz der betroffenen Interessen ergeben (vgl. EuGH-Urteil Digibet und Albers vom 12.06.2014 – C-156/13, EU:C:2014:1756, Rz 23 f.). Zudem verfügen im Bereich der Veranstaltung von Sportwetten die staatlichen Stellen der Mitgliedstaaten über ein weites Ermessen bei der Festlegung der Anforderungen, die sich aus dem Schutz der Verbraucher und der Sozialordnung ergeben. Daher ist es Sache des einzelnen Mitgliedstaats zu beurteilen, ob es im Zusammenhang mit den von ihm verfolgten legitimen Zielen erforderlich ist, Spiel- und Wetttätigkeiten vollständig oder teilweise zu verbieten, oder ob es genügt, sie zu beschränken und zu diesem Zweck mehr oder weniger strenge Kontrollformen vorzusehen (vgl. EuGH-Urteil Digibet und Albers vom 12.06.2014 – C-156/13, EU:C:2014:1756, Rz 32).

29

Der Senat verweist insoweit vollumfänglich auf seine Begründung im Urteil vom 17.05.2021 – IX R 21/18 (BFHE 274, 259, BStBl II 2022, 139).

30

c) Die von der Klägerin hiergegen vorgebrachten Gründe vermögen nicht zu überzeugen, da die Besteuerung mit 5 % des Wetteinsatzes moderat ist und von den Sportwettenanbietern auch unmittelbar oder mittelbar über die Quotenberechnung an die Spieler weiterbelastet wird.

31

aa) Auch die Tatsache, dass mit Inkrafttreten der Sportwettenbesteuerung zum 01.07.2012 zunächst nur 20 Konzessionen für das Betreiben von Sportwetten im Inland erteilt werden konnten und das Konzessionsverfahren aufgrund von Rechtsstreitigkeiten zunächst nicht zur Erteilung von Erlaubnissen führte, hat entgegen der Auffassung der Klägerin keine Auswirkungen auf die Verhältnismäßigkeit der Besteuerung. Da ordnungsrechtlich legale Anbieter von Sportwetten in gleicher Weise der Besteuerung unterfallen wie geduldete oder illegale Anbieter, spielt die regulierungsrechtliche Behandlung für die Frage, ob die Besteuerung die europarechtlich gewährleistete Dienstleistungsfreiheit des Art. 56 AEUV verletzt, keine Rolle.

32

bb) Die Besteuerung in § 17 Abs. 2 RennwLottG greift unabhängig von der ordnungsrechtlichen Behandlung der Sportwette und der Legalität des Anbieters. Es ist nach § 40 der Abgabenordnung (AO) für die Besteuerung unerheblich, ob ein Verhalten, das den Tatbestand eines Steuergesetzes ganz oder zum Teil erfüllt, gegen ein gesetzliches Gebot oder Verbot oder gegen die guten Sitten verstößt. Die Vorschrift regelt, dass die Besteuerung wertneutral ist und an tatsächliche Gegebenheiten anknüpft (ständige Rechtsprechung, vgl. u.a. Senatsurteil vom 26.10.2021 – IX R 5/21, BFHE 275, 36, BStBl II 2022, 403, Rz 29, m.w.N.). Das Vorbringen der Klägerin zu den regulatorischen Fragen des Online-Glücksspiels spielt daher für die steuerliche Behandlung im Rahmen des § 17 RennwLottG keine Rolle.

33

cc) Ebenso hat es für die Besteuerung nach Maßgabe des § 41 Abs. 1 Satz 1 AO keine Bedeutung, ob der zugrundeliegende Wettvertrag mangels Vorliegen einer Konzession zur Veranstaltung von Sportwetten zivilrechtlich als unwirksam einzuordnen ist (vgl. Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 22.03.2024 – I ZR 88/23; vgl. dazu auch Ruttig, ZfWG 2024, 232). Ein unwirksames Rechtsgeschäft ist für Zwecke der Besteuerung als gültig zu behandeln, soweit die Beteiligten das wirtschaftliche Ergebnis bestehen lassen.

34

dd) Im Übrigen ist es für den Senat vor dem Hintergrund der Entwicklung des nationalen Glücksspielrechts auch mit Blick auf die Dienstleistungsfreiheit folgerichtig, mit Beginn der ab 01.07.2012 erfolgten Legalisierung des Anbietens von Sportwetten durch den Glücksspielstaatsvertrag 2012 das Angebot mittels der durch das Gesetz zur Besteuerung von Sportwetten vom 29.06.2012 (BGBl I 2012, 1424) eingefügten Besteuerungsregelung zu begleiten (vgl. BTDrucks 17/8494, S. 8; BTDrucks 17/10168, S. 1) und die Besteuerung unabhängig von einer glücksspielrechtlichen Erlaubnis eingreifen zu lassen. Damit unterfallen Sportwetten wie andere legale Glücksspielformen (zum Beispiel Lotterien) der Besteuerung. Es werden legale wie illegale Anbieter in gleicher Weise zur Besteuerung herangezogen, um illegalen Anbietern keinen Marktvorteil über eine bessere Kostenstruktur und damit günstigere Quoten zu ermöglichen.

35

d) Ein Verstoß gegen das unionsrechtliche Kohärenzgebot ist ebenfalls nicht feststellbar.

36

aa) Der EuGH hat die unionsrechtlichen Anforderungen aus dem Kohärenzgebot für den Bereich des Glücksspiels dahin konkretisiert, dass Regelungen im Monopolbereich zur Sicherung ihrer Binnenkohärenz an einer tatsächlichen Verfolgung unionsrechtlich legitimer Ziele ausgerichtet sein müssen. Über den Monopolsektor hinausgreifend fordert das Kohärenzgebot, dass Monopolregelungen nicht durch eine gegenläufige mitgliedstaatliche Politik in anderen Glücksspielbereichen mit gleich hohem oder höherem Suchtpotenzial in einer Weise konterkariert werden dürfen, die ihre Eignung zur Zielerreichung aufhebt (vgl. u.a. EuGH-Urteil Gambelli u.a. vom 06.11.2003 – C-243/01, EU:C:2003:597, Rz 67 ff.; Urteil des Bundesverwaltungsgerichts –BVerwG– vom 16.12.2016 – 8 C 6.15, BVerwGE 157, 126, Rz 84, m.w.N.; Nettesheim, ZfWG 2024, 22, 25).

37

bb) Daran gemessen sieht der Senat keinen Verstoß gegen das unionsrechtliche Kohärenzgebot. Mit der Legalisierung des Sportwettenmarkts ab 01.07.2012 wollte der Gesetzgeber Sportwetten regulatorisch und steuerlich anderen erlaubten Glücksspielarten wie Rennwetten und Lotterien annähern (vgl. BTDrucks 17/8494, S. 8). Erklärtes gesetzgeberisches Ziel war es, ein legales und damit vertrauenswürdiges Angebot an Sportwetten zu schaffen (vgl. BTDrucks 17/8494, S. 9).

38

Die Einführung der Besteuerung sollte zunächst mittels einer „Experimentierklausel“ über 20 Konzessionen erfolgen. Später wurde die Zahl der Erlaubnisse deutlich erhöht. Andere Glücksspielarten mit einem gleich hohen oder höheren Suchtpotential wie Online-Poker oder virtuelle Automatenspiele blieben weiterhin verboten. Diese regulatorische Struktur ist von der Rechtsprechung mit Blick auf das unionsrechtliche Kohärenzgebot nicht beanstandet worden (vgl. BVerwG-Urteil vom 26.10.2017 – 8 C 18.16, BVerwGE 160, 193, Rz 38 ff.).

39

Die für Anbieter von Sportwetten vorgesehenen Beschränkungen zum Zwecke des Spielerschutzes (z.B. Ausschluss minderjähriger Spieler, Begrenzung des Wetteinsatzes, Ausschluss schneller Wiederholungen, Entwicklung eines Sozialkonzepts, Verbot von Koppelung mit Lotterien und anderen Glücksspielen, vgl. § 4 Abs. 5 Nr. 1 bis 5 GlüStV 2012) verdeutlichen die vom Gesetzgeber gewählte Vorgehensweise, stehen zum Besteuerungsziel nicht in Widerspruch und bewirken im Ergebnis trotz der Legalisierung eine Begrenzung des Glücksspielangebots. Gleiches gilt für die Anforderungen an Konzessionsnehmer hinsichtlich Zuverlässigkeit, Leistungsfähigkeit sowie Transparenz und Sicherheit des Glücksspiels (§ 4a Abs. 4 GlüStV 2012). Auch die Werbebeschränkungen nach § 5 GlüStV 2012, die Pflicht zur Entwicklung eines Sozialkonzepts gemäß § 6 GlüStV 2012, die Aufklärungspflichten des § 7 GlüStV 2012 sowie insbesondere das bundesweite Spielersperrsystem mit der Möglichkeit von Selbst- und Fremdsperren gemäß § 8 GlüStV 2012 verdeutlichen, dass seitens des nationalen Gesetzgebers neben dem Ziel, Steuereinnahmen zu generieren, auch die Grundsätze des Spielerschutzes und der Betrugsbekämpfung in gleicher Weise verfolgt werden (vgl. BTDrucks 17/8494, S. 9; zu den Beschränkungen s.a. Senatsurteil vom 17.05.2021 – IX R 21/18, BFHE 274, 259, BStBl II 2022, 139, Rz 46).

40

Die hier streitige Besteuerung der Sportwetten ist vor diesem Hintergrund kohärent und folgerichtig, da die Verfolgung der Ziele des Verbraucherschutzes, der Betrugsvermeidung sowie die Vermeidung von Anreizen für die Bürger zu übermäßigen Ausgaben für Glücksspiele sich in einem legalen Rahmen besser kontrollieren und durchsetzen lassen als im illegalen Bereich (vgl. BTDrucks 17/8494, S. 9). Dies gilt erst recht im Hinblick auf die 2021 in Kraft getretene Erweiterung der Besteuerung auf weitere nunmehr legale Angebote wie Online-Poker und virtuelle Automatenspiele (vgl. dazu auch Senatsbeschluss vom 14.02.2023 – IX B 42/22 (AdV)). Eine gegenläufige nationale Vorgehensweise, die einen Verstoß gegen das Kohärenzgebot darstellen könnte, ist daher nicht ersichtlich.

41

e) Ebenfalls ist die Sportwettensteuer nicht zur Erreichung der von ihr beabsichtigten Ziele ungeeignet und verfehlt nicht das Gesetzesziel. Ziel des Glücksspielstaatsvertrags 2012 ist nach § 1 Satz 1 Nr. 2 GlüStV 2012, durch ein begrenztes, eine geeignete Alternative zum erlaubten Glücksspiel darstellendes Glücksspielangebot den natürlichen Spieltrieb der Bevölkerung in geordnete und überwachte Bahnen zu lenken und der Entwicklung und Ausbreitung von Glücksspielen in Schwarzmärkten entgegenzuwirken. Die Besteuerung nach § 17 Abs. 2 RennwLottG verteuert zwar die Teilnahme am Glücksspiel. Aufgrund ihrer moderaten Höhe ist sie aber gleichzeitig geeignet, den Weg in die glücksspielrechtliche Legalität nicht zu versperren und den Spielern ein legales und staatlich überwachtes Angebot zur Verfügung zu stellen (vgl. BTDrucks 17/8494, S. 9; BTDrucks 17/10168, S. 6). Dies zeigt sich daran, dass nach den Feststellungen des FG seit der Legalisierung der Sportwetten und der Einführung der Besteuerung zum 01.07.2012 und auch nach dem Erlass des Gesetzes zur Änderung des Rennwett- und Lotteriegesetzes und der Ausführungsbestimmungen zum Rennwett- und Lotteriegesetz vom 25.06.2021 (BGBl I 2021, 2065) die Zahl der steuerlich registrierten und ihre steuerlichen Pflichten erfüllenden Sportwettenveranstalter stetig gestiegen ist. Ebenso ist von 2012 bis heute trotz jährlicher Schwankungen im Ergebnis eine Steigerung des Steueraufkommens festzustellen (vgl. dazu auch Schmittmann, ZfWG, 2024, 116, 120).

42

f) Entgegen der Auffassung der Klägerin sind die steuerlichen Mitwirkungspflichten für ausländische Veranstalter erfüllbar. Nach Maßgabe des § 20 RennwLottG treffen die Auszeichnungspflichten inländische und ausländische Veranstalter im EU-Raum beziehungsweise im Europäischen Wirtschaftsraum in gleicher Weise. Ausländische Wettanbieter trifft ebenfalls die Pflicht, den Wettbetrieb anzuzeigen (§ 31a Abs. 1 der Ausführungsbestimmungen zum Rennwett- und Lotteriegesetz). Für Wettanbieter aus Drittstaaten besteht nach § 19 Abs. 3 RennwLottG die Pflicht zur Benennung eines steuerlichen Beauftragten im Inland. Diesem obliegt die Erfüllung der steuerlichen Pflichten in gleicher Weise wie einem inländischen Veranstalter (§ 19 Abs. 3 Satz 3 RennwLottG, vgl. dazu Englisch in Streinz/Liesching/Hambach, Glücks- und Gewinnspielrecht in den Medien, Syst. Darst. Rz 76, S. 849).

43

g) Die Argumentation der Klägerin, die unbestimmten Rechtsbegriffe in § 17 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 RennwLottG „Wohnsitz“ oder „gewöhnlicher Aufenthaltsort“ genügten nicht den unionsrechtlichen Anforderungen an eine hinreichende Bestimmtheit der Norm, greift ebenfalls nicht durch (vgl. zum unionsrechtlichen Grundsatz der Bestimmtheit von Rechtsvorschriften EuGH-Urteile Berlington Hungary u.a. vom 11.06.2015 – C-98/14, EU:C:2015:386, Rz 77; Global Starnet vom 20.12.2017 – C-322/16, EU:C:2017:985, Rz 46). Denn diese Begriffe lassen sich anhand des Gesetzeswortlauts (vgl. §§ 8, 9 AO), der dazu ergangenen Rechtsprechung (vgl. u.a. Urteile des Bundesfinanzhofs –BFH– vom 25.09.2014 – III R 10/14, BFHE 247, 239, BStBl II 2015, 655 und vom 22.06.2011 – I R 26/10, jeweils m.w.N.) so weit konkretisieren, dass sie dem Bestimmtheitsgebot genügen (vgl. zur Bestimmtheit von § 17 Abs. 2 RennwLottG Senatsurteil vom 26.05.2020 – IX R 6/19, BFHE 269, 370, BStBl II 2021, 179, Rz 27 ff.). Zudem bestehen einschlägige Verwaltungsanweisungen (vgl. Anwendungserlass zur Abgabenordnung zu § 8 – Wohnsitz und § 9 – Gewöhnlicher Aufenthalt), die zahlreiche Einzelheiten und Anwendungsprobleme der unbestimmten Rechtsbegriffe klären. In diesem Zusammenhang hat das FG nachvollziehbar begründet, wie sich nach dem aktuellen Stand der Technik die Angaben der Spieler zu Wohnort und gewöhnlichem Aufenthalt mittels gängiger Methoden der Identifizierung und/oder Geolokalisation überprüfen lassen.

44

3. Von einer Aussetzung des Revisionsverfahrens zum Zweck eines Vorabentscheidungsersuchens an den EuGH konnte der Senat absehen.

45

a) Der Streitfall enthält zwar entscheidungserhebliche Streitfragen zur Auslegung des Unionsrechts. Dieser Umstand verpflichtet den Senat aber nicht, eine Vorabentscheidung des EuGH einzuholen. Denn eine Vorlagepflicht nach Art. 267 Abs. 3 AEUV besteht nicht, wenn zu der entscheidungserheblichen Frage nach der Auslegung oder Gültigkeit des Unionsrechts bereits eine gesicherte Rechtsprechung des EuGH existiert („acte éclairé“) oder die richtige Anwendung des Unionsrechts derart offenkundig ist, dass keinerlei Raum für einen vernünftigen Zweifel an der Entscheidung der gestellten Frage bleibt, sogenannte „acte clair“ (EuGH-Urteil Srl CILFIT und Lanificio di Gavardo SpA gegen Ministero della Sanità vom 06.10.1982 – C-283/81, EU:C:1982:335, Rz 13 ff.; vgl. auch BVerfG-Beschluss vom 04.03.2021 – 2 BvR 1161/19, Rz 55; Wegener in Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, 6. Aufl., Art. 267 AEUV Rz 33; Schönfeld, Internationales Steuerrecht 2022, 617, 623).

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b) Nach diesen Maßstäben bedarf es im Streitfall keines Vorabentscheidungsersuchens. Die Besteuerung von Sportwetten ist europarechtlich nicht harmonisiert. Die Frage einer Verletzung der Dienstleistungsfreiheit lässt sich aufgrund der bisher ergangenen Rechtsprechung des EuGH eindeutig verneinen (vgl. EuGH-Urteile EuGH-Urteile Mobistar und Belgacom Mobile vom 08.09.2005 – C-544/03 und C-545/03, EU:C:2005:518, Rz 31; Liga Portuguesa de Futebol Profissional und Bwin International vom 08.09.2009 – C-42/07, EU:C:2009:519; Stoß vom 08.09.2010 – C-316/07, EU:C:2010:504, Rz 74 f.; Digibet und Albers vom 12.06.2014 – C-156/13, EU:C:2014:1756, Rz 32; Berlington Hungary u.a. vom 11.06.2015 – C-98/14, EU:C:2015:386, Rz 36 und 58). Gleiches gilt für die von der Klägerin aufgeworfene Frage einer Verletzung des unionsrechtlichen Kohärenzgebots (vgl. u.a. EuGH-Urteil Gambelli u.a. vom 06.11.2003 – C-243/01, EU:C:2003:597, Rz 67 ff.).

47

4. Soweit die Klägerin einen Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) rügt, verweist der Senat auf seine Entscheidungen vom 17.05.2021 – IX R 20/18 (BFHE 274, 246, Rz 22 ff.) und vom 17.05.2021 – IX R 21/18 (BFHE 274, 259, BStBl II 2022, 139, Rz 27 ff.). Dort hat sich der Senat mit den von der Klägerin aufgeworfenen Fragen des Vorliegens eines strukturellen Vollzugsdefizits sowie der Ungleichbehandlung von Sportwetten mit Online-Casino-Spielen und Online-Poker befasst und eine verfassungswidrige Ungleichbehandlung verneint.

48

5. Hinsichtlich der von der Klägerin gerügten Verletzung von Art. 12 Abs. 1 GG verweist der Senat ebenfalls auf seine Entscheidung vom 17.05.2021 – IX R 21/18 (BFHE 274, 259, BStBl II 2022, 139, Rz 36 ff.). Dort hat sich der Senat unter anderem auch mit der Frage der Besteuerung des Spieleinsatzes anstelle des Bruttospielertrags befasst und eine Verletzung der Berufsfreiheit abgelehnt.

49

6. Unabhängig davon, ob die Klägerin im Rahmen ihrer Rüge der Verletzung von Bundesrecht (§ 118 Abs. 1 Satz 1 FGO) einen Verstoß gegen Denkgesetze überhaupt vorbringen kann (vgl. zum Streitstand Gräber/Ratschow, Finanzgerichtsordnung, 9. Aufl., § 118 Rz 27, m.w.N.), vermag der Senat einen solchen Verstoß nicht zu erkennen. Anders als die Klägerin meint, ist die Sportwettensteuer in der Lage, einen Teil des Sportwettenmarkts zu kanalisieren und für ein zunehmend legales Angebot zu sorgen. Wie vom FG in tatsächlicher Hinsicht in seiner Entscheidung festgestellt, steigt die Zahl ordnungsrechtlich legaler Anbieter. Nicht erklärungswillige Veranstalter sind nach den Feststellungen des FG Ziel von Ermittlungsmaßnahmen und Steuerfahndungsprüfungen. Zudem werben Anbieter auch mit der Legalität (und der damit verbundenen erhöhten Zuverlässigkeit) ihres Angebots.

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7. Schließlich hat das FG auch nicht verfahrensfehlerhaft entschieden.

51

a) Die von der Klägerin gerügte Verletzung des rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) liegt nicht vor. Das FG hat die Argumente der Klägerin in ihrer Klagebegründung vollumfänglich gewürdigt. Die Einbindung der Sportwettensteuer in das regulatorische Gesamtkonzept des Glücksspielmarkts hat das FG ausweislich seiner Ausführungen im Tatbestand der angefochtenen Entscheidung berücksichtigt. Auch mit der Frage, ob die Sportwettensteuer zur Erreichung des gesetzgeberischen Ziels ein geeignetes Mittel darstellt, hat sich das FG sowohl im Tatbestand als auch in den Entscheidungsgründen befasst. Dass das FG der Argumentation der Klägerin in zahlreichen Punkten nicht gefolgt ist oder Vorbringen der Klägerin als nicht entscheidungserheblich eingestuft hat, vermag eine Verletzung des rechtlichen Gehörs nicht zu begründen.

52

b) Es liegt auch keine Überraschungsentscheidung vor, die den Anspruch der Klägerin auf rechtliches Gehör im Sinne von Art. 103 Abs. 1 GG und § 96 Abs. 2 FGO verletzt. Die Fragen der Eignung und Zielerreichung der Sportwettenbesteuerung und der Ungleichbehandlung von Online-Sportwetten mit Online-Casino-Spielen und Online-Poker waren bereits Gegenstand des erstinstanzlichen Vorbringens der Klägerin.

53

c) Auch hat das FG nicht gegen seine Verpflichtung aus § 96 Abs. 1 Satz 3 FGO, § 119 Nr. 6 FGO verstoßen.

54

aa) Nach § 96 Abs. 1 Satz 3 FGO sind im Urteil die Gründe anzugeben, die für die richterliche Überzeugung leitend gewesen sind. Eine Erörterung aller im Einzelfall gegebenen Umstände im Urteil gebietet die Vorschrift nicht. § 96 Abs. 1 Satz 3 FGO stellt an die Begründung eines Urteils keine höheren Anforderungen als § 105 Abs. 2 Nr. 5 FGO. Ein Urteil ist nur dann im Sinne von § 119 Nr. 6 FGO nicht mit Gründen versehen, wenn die Urteilsgründe ganz oder zum Teil fehlen und sie den Prozessbeteiligten keine Kenntnis darüber vermitteln, auf welchen Feststellungen, Erkenntnissen und rechtlichen Überlegungen das Urteil beruht. Das erfordert nicht, dass jedes Vorbringen der Beteiligten im Einzelnen erörtert werden müsste. Ein Verfahrensmangel im Sinne von § 119 Nr. 6 FGO liegt erst dann vor, wenn den Beteiligten die Möglichkeit entzogen ist, die getroffene Entscheidung auf ihre Rechtmäßigkeit hin zu überprüfen (BFH-Beschlüsse vom 11.04.2012 – X B 56/11, Rz 22 und vom 26.09.2012 – III B 222/10, Rz 39). Bei nur zum Teil fehlenden Entscheidungsgründen setzt eine Verletzung des § 105 Abs. 2 Nr. 5 FGO grobe Begründungsmängel in einem Ausmaß voraus, dass die vom FG fixierten Entscheidungsgründe zum Nachweis der Rechtmäßigkeit des Urteilsspruchs schlechterdings ungeeignet erscheinen und den Beteiligten keine (hinlängliche) Kenntnis darüber vermitteln, auf welchen Feststellungen, Erkenntnissen und rechtlichen Erwägungen das Urteil beruht (BFH-Beschluss vom 06.02.2014 – II B 129/13, Rz 9).

55

bb) Gemessen hieran ist die Entscheidung des FG nicht zu beanstanden. Das FG hat seine Entscheidung mit einer hinreichenden und den verfahrensrechtlichen Anforderungen genügenden Begründung versehen. Sowohl den Umstand, ob die Sportwettensteuer geeignet ist, die Ziele des Glücksspielstaatsvertrags 2012 zu erreichen als auch den Verstoß gegen europarechtliche Normen hat das FG –umfangreich– begründet. Das FG hat die Ausrichtung der Sportwettenbesteuerung an den europarechtlichen Vorgaben und der Verfolgung unionsrechtlich legitimer Ziele gemessen. Ob mittels gegenläufiger Maßnahmen den vom Gesetzgeber verfolgten Zielen widersprochen wird, hat es ebenfalls in seine Betrachtung einbezogen. Das FG hat erläutert, weshalb es einen Verstoß gegen Art. 56 AEUV wegen unbestimmter oder unerfüllbarer Ermittlungspflichten hinsichtlich der Bemessungsgrundlage ablehnt. Die Frage des Vorhandenseins und der Effektivität steuerlicher Kontrollmaßnahmen und das Vorliegen eines steuerrechtlichen Vollzugsdefizits waren ebenfalls Gegenstand der angefochtenen Entscheidung.

56

Zwar hat sich das FG nicht unmittelbar zu einem Verstoß gegen das europarechtliche Kohärenzgebot geäußert. Eine finanzgerichtliche Entscheidung muss sich indes nicht mit jedem denkbaren Rechtsverstoß befassen. Zudem hatte die Klägerin die Frage der Einhaltung des Kohärenzgebots im Rahmen der Verletzung der Dienstleistungsfreiheit angeführt. Mit der Frage, ob die Dienstleistungsfreiheit des Art. 56 AEUV verletzt ist, hat sich die Ausgangsentscheidung umfangreich befasst.

57

d) Auch kann die Zulassung der Revision nicht auf einen Verstoß gegen die Sachaufklärungspflicht des FG gestützt werden.

58

aa) Das FG ist nach § 76 Abs. 1 Satz 1 FGO verpflichtet, von Amts wegen den Sachverhalt zu erforschen und ihn unter allen ernstlich in Betracht kommenden rechtlichen Gesichtspunkten zu prüfen. Diese Pflicht beinhaltet zwar nicht, jeder fernliegenden Erwägung nachgehen zu müssen. Wohl aber muss das FG die sich im Einzelfall aufdrängenden Überlegungen auch ohne entsprechenden Hinweis der Beteiligten anstellen und entsprechende Aufklärungsmaßnahmen treffen (Senatsbeschluss vom 12.01.2023 – IX B 81/21, Rz 13). Ein ordnungsgemäß gestellter Beweisantrag darf nur unberücksichtigt bleiben, wenn das Beweismittel für die zu treffende Entscheidung unerheblich, das Beweismittel unerreichbar beziehungsweise unzulässig oder absolut untauglich ist oder wenn die in Frage stehende Tatsache zugunsten des Beweisführenden als wahr unterstellt werden kann (ständige höchstrichterliche Rechtsprechung, vgl. u.a. BFH-Beschlüsse vom 29.06.2011 – X B 242/10, Rz 8 und vom 11.04.2016 – X B 77/15, Rz 9).

59

bb) Hinsichtlich der von der Klägerin in der mündlichen Verhandlung gestellten Beweisanträge hat das FG ohne Verstoß gegen Bundesrecht von einer Beweiserhebung abgesehen. Die von der Klägerin zu zahlreichen Punkten beantragte Beweiserhebung durch Sachverständigengutachten hat das FG als für die zu treffende Entscheidung als nicht entscheidungserheblich oder als zu unsubstantiiert eingeordnet. Auch die zahlreichen übrigen Beweisanträge hat das FG als nicht entscheidungserheblich abgelehnt beziehungsweise das tatsächliche Vorbringen der Klägerin insoweit als wahr unterstellt. Ausgehend von seiner für die Prüfung von Verfahrensmängeln maßgeblichen Rechtsauffassung musste das FG die beantragten Beweise nicht erheben. Da der Senat die vom FG vertretene Rechtsauffassung als mit Bundesrecht vereinbar einordnet und die FG-Entscheidung ausreichend mit Tatsachenfeststellungen unterlegt ist, findet die Vorgehensweise des FG vor dem Hintergrund des Amtsermittlungsgrundsatzes im geltenden Prozessrecht eine hinreichende Stütze.

60

Im Übrigen hatte die Klägerin im Ausgangsverfahren selbst mehrere Studien und Gutachten vorgelegt und zum Gegenstand des Verfahrens gemacht. Diese beschäftigen sich mit zahlreichen von der Klägerin aufgeworfenen Fragen, unter anderem der Geeignetheit der Sportwettenbesteuerung für eine Kanalisierung hin zu einem legalen Angebot. Anhaltspunkte, warum darüber hinaus zu den bereits in diesen Gutachten angesprochenen Gesichtspunkten noch weitere Sachverständigengutachten einzuholen sind, die nach den Ausführungen der Klägerin zum Teil dieselben Themen wie die bereits vorgelegten Gutachten abdecken, drängen sich auf der Grundlage der Feststellungen des FG nicht auf.

61

8. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO.

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