BGH 5. Zivilsenat, Beschluss vom 11.07.2024, AZ V ZR 212/23, ECLI:DE:BGH:2024:110724BVZR212.23.0
Verfahrensgang
vorgehend OLG München, 13. September 2023, Az: 24 U 2124/23 e
vorgehend LG Memmingen, 6. April 2023, Az: 35 O 340/20
Tenor
Auf die Nichtzulassungsbeschwerde der Kläger wird der Beschluss des Oberlandesgerichts München – 24. Zivilsenat – vom 13. September 2023 unter Zurückweisung des Rechtsmittels im Übrigen im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als die Klage auf die Feuchtigkeit der Kellerwände gestützt wird.
Im Umfang der Aufhebung wird der Rechtsstreit zur Verhandlung und neuen Entscheidung, auch über die Kosten des Beschwerdeverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Der Gegenstandswert des Beschwerdeverfahrens beträgt 474.842,89 €.
Gründe
I.
1
Mit notariellem Vertrag vom 8. März 2019 erwarben die Kläger von den Beklagten ein mit einem Einfamilienhaus bebautes Grundstück zu einem Preis von 414.999 € unter Ausschluss der Haftung für Sachmängel. Die Beklagten hatten das Haus, das bis Mitte 2016 von einer Mieterin des damaligen Eigentümers bewohnt gewesen war, im März 2017 erworben und bis zum Verkauf an die Kläger selbst bewohnt. Nach Einholung eines Gutachtens eines Bausachverständigen erklärten die Kläger u.a. gestützt auf Feuchtigkeit wegen mangelhafter Kellerabdichtung im August 2019 den Rücktritt von dem Kaufvertrag und leiteten ein selbständiges Beweisverfahren ein.
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Mit der Klage verlangen die Kläger von den Beklagten die Rückabwicklung des Kaufvertrags, die Feststellung des Annahmeverzugs, die Zahlung von zuletzt 54.843,89 € (Erwerbskosten; vergebliche Aufwendungen auf die Immobilie), den Ersatz außergerichtlicher Rechtsanwaltskosten sowie die Feststellung der Schadensersatzpflicht. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Das Oberlandesgericht hat die Berufung durch Beschluss zurückgewiesen. Gegen die damit verbundene Nichtzulassung der Revision wenden sich die Kläger mit der Nichtzulassungsbeschwerde. Die Beklagten beantragen die Zurückweisung des Rechtsmittels.
II.
3
Das Berufungsgericht meint, die Kläger hätten ein arglistiges Verschweigen von Mängeln durch die Beklagten nicht bewiesen. Zwar seien die Kelleraußen- und Kellerinnenwände nach dem Ergebnis des gerichtlichen Sachverständigengutachtens messbar feucht. Das Landgericht habe aber nicht festgestellt, dass die Beklagten die Feuchtigkeitsbelastung erkennen konnten, während sie das Haus von März 2017 bis März 2019 bewohnten. Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit dieser Feststellungen ergäben sich aus dem Berufungsvorbringen nicht. Die gerichtliche Sachverständige habe in ihrem Ergänzungsgutachten vom 13. Oktober 2022 ausgeführt, dass die Frage, ob für die Beklagten Feuchtigkeitserscheinungen, insbesondere in dem Fitnessraum, wahrnehmbar gewesen seien, nicht mit absoluter Sicherheit zu beantworten sei. Auch das von den Klägern eingeholte Privatgutachten enthalte dazu keine Ausführungen. Soweit die Kläger nunmehr rügten, der Privatsachverständige hätte als Zeuge vernommen werden müssen, sei dies verspätet im Sinne der §§ 530, 296 Abs. 1 ZPO. Die Rüge hätte innerhalb der Berufungsbegründungsfrist erhoben werden müssen (§ 520 Abs. 3 ZPO). Sie sei auch in der Sache nicht berechtigt. Der Privatsachverständige sei nicht als Zeuge dafür benannt worden, dass den Beklagten die Feuchtigkeits- und Schimmelbildung bekannt gewesen sei und sie dies den Klägern arglistig verschwiegen hätten.
III.
4
Die Nichtzulassungsbeschwerde hat Erfolg. Der angefochtene Beschluss ist in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang gemäß § 544 Abs. 9 ZPO aufzuheben, weil das Berufungsgericht mit der Verneinung der Sachmängelhaftung der Beklagten für die Feuchtigkeit der Kellerwände den Anspruch der Kläger auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) in entscheidungserheblicher Weise verletzt hat. Die Nichtberücksichtigung eines erheblichen Beweisangebots, die im Prozessrecht keine Stütze findet, verstößt gegen Art. 103 Abs. 1 GG (st. Rspr., vgl. nur Senat, Beschluss vom 21. November 2019 – V ZR 101/19, ZMR 2020, 768 Rn. 10). Das gilt auch dann, wenn die Nichtberücksichtigung des Beweisangebots auf einer vorweggenommenen tatrichterlichen Beweiswürdigung beruht (vgl. Senat, Beschluss vom 19. Januar 2012 – V ZR 141/11, WuM 2012, 164 Rn. 8 mwN) oder Präklusionsvorschriften in offenkundig unrichtiger Weise angewandt werden (vgl. Senat, Beschluss vom 16. Juni 2016 – V ZR 238/15, BeckRS 2016, 13390 Rn. 6).
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1. So verhält es sich hier, soweit das Berufungsgericht die auf die Feuchtigkeit der Kellerwände gestützte Klage auf Rückabwicklung des Kaufvertrags (§ 437 Nr. 2, §§ 323, 346 BGB), auf Feststellung des Annahmeverzugs (§ 293 BGB), auf Schadensersatz (§ 437 Nr. 3, §§ 280, 281 BGB; Zahlungsantrag und Feststellungsantrag) sowie auf Ersatz der außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten abgewiesen hat, ohne dem Beweisantrag der Kläger auf Vernehmung des Privatgutachters als sachverständigen Zeugen nachzugehen.
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a) Die Kläger haben, wie die Beschwerde zutreffend geltend macht, bereits in erster Instanz den von ihnen beauftragten Privatgutachter als sachverständigen Zeugen (§ 414 ZPO) dafür benannt, dass die Beklagten von den Feuchtigkeitserscheinungen gewusst und diese arglistig verschwiegen haben, da sie an den betroffenen Stellen unmittelbar vor dem Besichtigungstermin im Juni 2019 Maler- und Putzarbeiten ausgeführt haben. Die unterbliebene Beweisaufnahme haben die Kläger in der Berufungsbegründung und damit rechtzeitig im Sinne von § 530 ZPO gerügt. Die Zurückweisung dieses Vorbringens als verspätet im Sinne von §§ 530, 520 Abs. 3, § 296 Abs. 1 ZPO beruht auf einer offenkundig unrichtigen Anwendung der genannten Präklusionsvorschriften.
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b) Soweit das Berufungsgericht meint, der Privatsachverständige sei nicht als Zeuge für die Behauptung benannt worden, dass die Beklagten die Feuchtigkeits- und Schimmelbildung gekannt und arglistig verschwiegen hätten, rügt die Beschwerde zu Recht, dass das Berufungsgericht schon nicht den äußeren Wortlaut, jedenfalls aber nicht den Sinn des Vorbringens der Kläger erfasst und damit gegen Art. 103 Abs. 1 GG verstoßen hat. Die Kläger haben in der Berufungsinstanz das erstinstanzliche Vorbringen präzisiert und vorgetragen, dass der Privatsachverständige bei seiner Besichtigung am 28. Juni 2019 im Keller Schimmel- und Feuchtigkeitsbildung festgestellt habe, „es somit durch sachverständigen Zeugenbeweis festgestellt sei, dass knapp acht Wochen nach Einzug der Kläger Feuchtigkeit und Schimmelbildung in dem Keller, den die Beklagten vormals als Fitnessraum genutzt hätten“, vorhanden gewesen sei. Die Kläger haben zudem darauf verwiesen, dass der als sachverständiger Zeuge benannte Privatgutachter in seinem Gutachten ausgeführt habe, dass im Kellerraum dunkle Verfärbungen im fußbodennahen Bereich sowie vereinzelte Farbablösungen der überstrichenen Oberfläche zu sehen gewesen seien, und dass die Feuchtemessungen bis zu einer Höhe von ca. 10 -15 Zentimeter über dem Fußboden bis zu 100 Digits ausgewiesen hätten. Unterhalb des Kellertreppenpodests im Flur habe der sachverständige Zeuge auf einer Höhe von ca. 60 Zentimeter über dem Fußboden dunkle, verfärbte Flecken mit hohen Feuchtewerten bis zu 100 Digits gemessen. Auch insoweit hätten Ablösungen der Farbbeschichtung vorgelegen. Zudem habe der als Zeuge benannte Privatgutachter festgestellt, dass die Wände und die Decke neu gestrichen und lokal ausgebessert und die Wandoberflächen lokal ausgebessert und gespachtelt worden seien.
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c) Schließlich durfte das Berufungsgericht von der Vernehmung des Privatsachverständigen als sachverständigen Zeugen (§ 414 ZPO) auch nicht mit der Begründung absehen, es sei plausibel und nicht zu widerlegen, dass die Beklagten die Immobilie im Frühjahr 2017 ohne erkennbare Feuchtigkeit übernommen hätten, weil die gerichtliche Sachverständige die Erkennbarkeit der Feuchteerscheinungen nicht mit absoluter Sicherheit habe feststellen können. Dies stellt eine unzulässige vorweggenommene Beweiswürdigung dar (Art. 103 Abs. 1 GG). Das Berufungsgericht übersieht, dass es keine dem Sachverständigenbeweis zugängliche Frage ist, ob die Beklagten die Feuchtigkeit erkannt haben. Die Erkennbarkeit hängt nämlich, wie die gerichtliche Sachverständige ausgeführt hat, von der Intensität des Wassertransports und damit von der Menge des einwirkenden Wassers ab, die variieren kann. Zu der Kenntnis der Beklagten von der Feuchtigkeit konnte die gerichtliche Sachverständige aus eigener Anschauung keine Feststellungen treffen. Darüber musste sich das Berufungsgericht auf der Grundlage des unter Beweis gestellten Vorbringens der Parteien eine Überzeugung bilden (§ 286 ZPO). Der Beweisantrag der Kläger zielt darauf, die Grundlage für eine dahingehende Überzeugungsbildung des Gerichts zu schaffen.
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2. Der Verstoß gegen den Anspruch auf das rechtliche Gehör ist entscheidungserheblich. Nach § 444 BGB darf sich der Verkäufer auf einen in dem Kaufvertrag vereinbarten Haftungsausschluss nicht berufen, soweit er den Mangel arglistig verschwiegen hat. Es ist nicht auszuschließen, dass das Berufungsgericht nach einer Vernehmung des Privatgutachters als sachverständigen Zeugen – zweckmäßigerweise im Beisein der gerichtlichen Sachverständigen (§ 411 Abs. 3 ZPO) – zu einer anderen Entscheidung gekommen wäre. Wenn ein sachverständiger Zeuge bereits drei Monate nach Auszug der Beklagten eine erhebliche Feuchtigkeit der Kellerwände und einen Neuanstrich der betroffenen Stellen erkennt, kann dies Rückschlüsse auf eine erhebliche Feuchtigkeit auch in der Vergangenheit sowie eine Kenntnis der Beklagten und gegebenenfalls sogar eine bewusste Vertuschung der Schäden zulassen, zumal bereits die frühere Mieterin – wie von den Klägern vorgetragen und von dem Berufungsgericht als wahr unterstellt – Feuchtigkeits- und Schimmelbildung an denselben Stellen bemerkt und diese zum Anlass für eine Mietminderung genommen haben soll.
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3. Im Hinblick auf die Sachmängelhaftung der Beklagten wegen der behaupteten Mängel an der Elektrik und wegen fehlerhafter Angaben zu der Energieeffizienzklasse hat die Nichtzulassungsbeschwerde dagegen keinen Erfolg. Insoweit wirft die Rechtssache keine entscheidungserheblichen Fragen von grundsätzlicher Bedeutung auf; eine Entscheidung ist auch nicht zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich (§ 543 Abs. 2 ZPO). Von einer näheren Begründung wird gemäß § 544 Abs. 6 Satz 2 Halbsatz 2 ZPO abgesehen.
IV.
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1. Der Verstoß gegen den Anspruch der Kläger auf rechtliches Gehör führt gemäß § 544 Abs. 9 ZPO zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Berufungsgericht, soweit die Klage auf die Feuchtigkeit der Kellerwände gestützt ist. Das Berufungsgericht wird den insoweit angebotenen Zeugenbeweis zu erheben und im Anschluss zu würdigen haben, ob die gewonnenen Erkenntnisse auf die Arglist der Beklagten schließen lassen. Obwohl ein Zulassungsgrund nur im Hinblick auf einen der mit der Nichtzulassungsbeschwerde gerügten Mängel vorliegt, ist der Beschluss insgesamt aufzuheben. Da die in § 437 BGB bezeichneten Mängelrechte dem Käufer im Grundsatz bei jedem einzelnen arglistig verschwiegenen Sach- oder Rechtsmangel zustehen (§§ 434, 435, 444 BGB; vgl. Senat, Urteil vom 28. Mai 2021 – V ZR 24/20, MDR 2021, 1329 Rn. 8), reichte es für den Erfolg der Klage nämlich aus, wenn der festgestellte Sachmangel in Gestalt der Feuchtigkeit der Kellerwände arglistig verschwiegen worden wäre.
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2. Für das weitere Verfahren weist der Senat darauf hin, dass Arglist, anders als das Landgericht und mit ihm offenbar das Berufungsgericht meint, nicht voraussetzt, dass der Verkäufer „mit einer moralisch verwerflichen Gesinnung“ handelt (vgl. Senat, Urteil vom 16. März 2012 – V ZR 18/11, NJW-RR 2012, 1078 Rn. 24). Ein arglistiges Verschweigen eines Mangels im Sinne von § 444 BGB ist nach ständiger Rechtsprechung des Senats bereits dann gegeben, wenn der Verkäufer den Mangel kennt oder ihn zumindest für möglich hält und zugleich weiß oder doch damit rechnet und billigend in Kauf nimmt, dass der Käufer den Mangel nicht kennt und bei Offenbarung den Vertrag nicht oder nicht mit dem vereinbarten Inhalt geschlossen hätte (vgl. nur Senat, Urteil vom 14. Juni 2019 – V ZR 73/18, ZfIR 2019, 846 Rn. 11).
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3. Der Wert des Beschwerdegegenstandes beträgt 474.842,89 € (Rückabwicklung: 414.999 €; Zahlbetrag: 54.843,89 €; Feststellungsinteresse: 5.000 €).
- Brückner
- Haberkamp
- Hamdorf
- RiBGH Malik ist
wegen Urlaubs an
der elektronischen
Signatur gehindert.
Die Vorsitzende
Brückner - RiBGH Schmidt ist
wegen Urlaubs an
der elektronischen
Signatur gehindert.
Die Vorsitzende
Brückner