Urteil des BGH 9. Zivilsenat vom 12.05.2022, AZ IX ZR 72/21

BGH 9. Zivilsenat, Urteil vom 12.05.2022, AZ IX ZR 72/21, ECLI:DE:BGH:2022:120522UIXZR72.21.0

Verfahrensgang

vorgehend Hanseatisches Oberlandesgericht Hamburg, 28. April 2021, Az: 14a U 10/20
vorgehend LG Hamburg, 25. Mai 2020, Az: 310 O 150/18

Tenor

Auf die Revision des Klägers werden das Urteil des 14a. Zivilsenats des Hanseatischen Oberlandesgerichts vom 28. April 2021 aufgehoben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil der 10. Zivilkammer des Landgerichts Hamburg vom 25. Mai 2020 zurückgewiesen.

Die Kosten der Rechtsmittel werden der Beklagten auferlegt.

Von Rechts wegen

Tatbestand

1

Die I.         GmbH & Co. KG (fortan: Schuldnerin) stand mit einer Rechtsvorgängerin der Beklagten (fortan: Beklagte) in mehrjähriger Geschäftsbeziehung. Die Schuldnerin belieferte die Beklagte aufgrund eines Rahmenvertrags mit Waren. Spätestens im Laufe des Jahres 2013 erteilte die Beklagte der Schuldnerin eine Einziehungsermächtigung für wiederkehrende Zahlungen.

2

Die Schuldnerin stellte der Beklagten zwischen dem 27. Mai 2014 und dem 18. Juni 2014 für Warenlieferungen insgesamt 23.581,58 € in Rechnung. Die Schuldnerin zog die Rechnungsbeträge – wie bereits in den Vormonaten – aufgrund der Einziehungsermächtigung von einem Konto der Beklagten bei der          Bank zugunsten ihres bei der Stadtsparkasse          (fortan: Sparkasse) geführten Geschäftskontos ein; die Einzugsbeträge beliefen sich nach Abzug von Bankgebühren sowie der Beklagten gewährter Skonti auf insgesamt 22.402,49 €. Die Sparkasse erteilte entsprechende Gutschriften auf dem Konto der Schuldnerin.

3

Die Schuldnerin stellte am 1. Juli 2014 einen Insolvenzantrag. Das Insolvenzgericht bestellte daraufhin mit Beschluss vom 2. Juli 2014 den Kläger zum vorläufigen Insolvenzverwalter. Als die Beklagte hiervon erfuhr, verlangte sie am 14. Juli 2014 gegenüber der       Bank Erstattung der ab dem 4. Juni 2014 erfolgten Lastschrifteinzüge für die von der Schuldnerin zwischen dem 27. Mai 2014 und dem 18. Juni 2014 erteilten Rechnungen. Die         Bank schrieb dem Konto der Beklagten 22.402,49 € wieder gut. Die Sparkasse belastete ihrerseits aufgrund des Erstattungsverlangens das bei ihr geführte Konto der Schuldnerin mit diesen Beträgen. Dieses Konto der Schuldnerin war bereits zum Zeitpunkt des Erstattungsverlangens debitorisch geführt worden und wurde auch danach nicht mehr kreditorisch geführt.

4

Mit Beschluss vom 21. Juli 2014 eröffnete das Insolvenzgericht das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Schuldnerin und bestellte den Kläger zum Insolvenzverwalter. Die Sparkasse meldete Forderungen in Höhe von insgesamt 394.358,62 € zur Insolvenztabelle an. Aus der Verwertung von Sicherheiten kehrte der Kläger später Zahlungen an die Sparkasse in Höhe von 64.662,38 € aus.

5

Mit der Begründung, die unberechtigten Erstattungsverlangen stellten eine vorsätzliche sittenwidrige Schädigung dar, erhob die Sparkasse gegen die Beklagte Klage auf Zahlung von 22.402,49 € zuzüglich Zinsen und Rechtsverfolgungskosten. Der Rechtsstreit endete mit einem Vergleich, wonach die Beklagte 25.937,74 € an die Sparkasse zahlte. An diesem Vergleich war der Kläger nicht beteiligt.

6

Der Kläger nimmt die Beklagte auf Zahlung der Rechnungen vom 27. Mai bis 18. Juni 2014 in Höhe von insgesamt 23.581,58 € nebst Zinsen in Anspruch. Das Landgericht hat die Beklagte antragsgemäß verurteilt. Auf die Berufung der Beklagten hat das Oberlandesgericht das Urteil aufgehoben und die Klage abgewiesen. Mit seiner vom Senat zugelassenen Revision will der Kläger die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils erreichen.

Entscheidungsgründe

7

Die Revision hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Wiederherstellung des Urteils des Landgerichts.

I.

8

Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung im Wesentlichen ausgeführt:

9

Der Kläger habe gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Zahlung des Kaufpreises aus § 433 Abs. 2 BGB. Zwar stehe nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (Urteil vom 20. Juli 2010 – XI ZR 236/07, BGHZ 186, 269 Rn. 25) dem Zahlungsgläubiger bei einem Widerruf der Lastschrift – wie ihn hier auch die Beklagte erklärt habe – ein Erfüllungsanspruch zu. Danach enthalte die Lastschriftabrede eine rechtsgeschäftliche Erfüllungsvereinbarung, die unter der auflösenden Bedingung stehe, dass das Konto des Zahlungsgläubigers in Folge des Lastschriftwiderrufs rückbelastet werde. Auf ein solches Wiederaufleben der ursprünglichen Kaufpreisforderung könne sich der Kläger jedoch nicht berufen, weil das für das Lastschriftverfahren genutzte Konto der Schuldnerin bereits zum Zeitpunkt des Widerrufs der Lastschriften debitorisch geführt gewesen sei. Bei wirtschaftlicher Betrachtung führe die Rückbuchung des Lastschriftbetrags von einem debitorisch geführten Konto nicht zum Entfallen der Gutschrift, denn der Vermögensabfluss erfolge allein aus dem Vermögen der Inkassobank. Diese könne selbst aber keine Rückerstattung von dem insolventen Lastschriftgläubiger verlangen, sondern müsse sich gemäß § 87 InsO auf die Insolvenzquote verweisen lassen. Nach dem Schutzzweck der Regeln zum Lastschriftwiderruf sei nur einem Lastschriftgläubiger mit anerkennenswerten Interessen ein Erfüllungsanspruch zuzuerkennen. Dem widerspreche es, wenn sich die Insolvenzmasse gegenüber Erstattungsansprüchen der Inkassobank auf den Schutz des § 87 InsO berufen könne, sich gegenüber dem Lastschriftschuldner jedoch so behandeln lassen dürfe wie ein Lastschriftgläubiger, dessen Aktivvermögen durch den Lastschriftwiderruf effektiv verringert worden sei.

10

Dem Kläger stehe auch kein Schadensersatzanspruch zu. Zwar komme grundsätzlich ein Anspruch aus § 280 Abs. 1 BGB in Betracht, da die Beklagte die Lastschriften anlasslos widerrufen habe. Die Lastschriftwiderrufe hätten auch zunächst die Passivinsolvenzmasse belastet, indem sie die Insolvenzforderung der Inkassobank erhöht hätten. Nachdem die Beklagte aber im Vergleichswege sämtliche Forderungen der Sparkasse erfüllt habe, gebe es keinen ersatzfähigen Schaden der Insolvenzmasse mehr.

II.

11

Diese Ausführungen halten rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

12

1. Dem Kläger steht ein Anspruch auf Kaufpreiszahlung (§ 433 Abs. 2 BGB iVm § 80 Abs. 1 InsO) in Höhe von 23.581,58 € zu. Die Lastschrifteinzüge haben nicht zur Erfüllung des Kaufpreisanspruchs der Schuldnerin geführt. Der Kaufpreisanspruch besteht weiter, weil die Kontogutschriften aufgrund des wirksamen Erstattungsverlangens der Beklagten entfallen sind.

13

a) Allerdings scheitert die Erfüllungswirkung der Bezahlung durch Lastschrifteinzug nicht schon daran, dass es an einer Autorisierung durch die Beklagte gefehlt hätte. Die Lastschrifteinzüge beruhten auf einer wirksamen Autorisierung durch die Beklagte, weil sie nach den Regelungen für das SEPA-Basislastschriftverfahren zu beurteilen sind. Die nach den Feststellungen des Landgerichts ursprünglich erteilte Einziehungsermächtigung der Beklagten ist spätestens seit dem 1. Februar 2014 – und somit noch vor den streitbefangenen Lastschrifteinzügen – als Mandat im SEPA-Basislastschriftverfahren zu behandeln (vgl. BGH, Urteil vom 12. Mai 2022 – IX ZR 71/21, zVb).

14

b) Die Erfüllungswirkung der Bezahlung durch den Lastschrifteinzug ist aufgrund des Erstattungsverlangens der Beklagten entfallen. Es ist in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs für das SEPA-Basislastschriftverfahren geklärt, dass der Gläubiger seinen Zahlungsschuldner auf Erfüllung der ursprünglichen Forderung in Anspruch nehmen kann, wenn es aufgrund eines Erstattungsverlangens des Zahlungsschuldners zu einer Rückbelastung kommt (BGH, Urteil vom 20. Juli 2010 – XI ZR 236/07, BGHZ 186, 269 Rn. 21 ff; vom 12. Mai 2022 – IX ZR 71/21, zVb).

15

2. Der Kläger kann den Kaufpreisanspruch gegen die Beklagte gemäß § 80 Abs. 1 InsO geltend machen. Die debitorische Kontoführung zum Zeitpunkt des Erstattungsverlangens ändert entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts nichts daran, dass der Kaufpreisanspruch in die Insolvenzmasse (§ 35 Abs. 1 InsO) fällt.

16

a) Nach § 35 Abs. 1 InsO fällt in die Insolvenzmasse das gesamte Vermögen des Schuldners, das ihm zur Zeit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens gehört und das er im Laufe des Verfahrens erlangt. Demgemäß sind Forderungen des Insolvenzschuldners Bestandteil der Insolvenzmasse, soweit sie – wie im Streitfall die Kaufpreisforderung der Schuldnerin gegen die Beklagte – pfändbar sind (vgl. HK-InsO/Ries, 10. Aufl., § 35 Rn. 19).

17

b) Die Annahme des Berufungsgerichts, der Kläger sei gleichwohl an der Geltendmachung des Kaufpreisanspruchs gehindert, ist rechtsfehlerhaft.

18

Wie der Senat mit Urteil vom 12. Mai 2022 (IX ZR 71/21, zVb) näher ausgeführt hat, lässt die Sichtweise des Berufungsgerichts unberücksichtigt, dass im Insolvenzverfahren zwischen dem zur Insolvenzmasse gehörenden Vermögen und den Insolvenzforderungen der einzelnen Gläubiger zu trennen ist (vgl. auch §§ 85, 86, 87 InsO). Im Falle eines Erstattungsverlangens tritt die Bedingung, unter der der ursprüngliche Zahlungsanspruch geltend gemacht werden kann, jedenfalls dann ein, wenn – wie auch im Streitfall – der Zahlungsschuldner die Erstattung fristgerecht verlangt (vgl. § 675x Abs. 4 BGB) und die Inkassobank das Konto des Gläubigers mit der Ausgleichsforderung belastet. Hingegen setzt der Bedingungseintritt in der Insolvenz des Gläubigers nicht voraus, dass die Inkassobank, welche die aufgrund des Lastschrifteinzugs erteilte Gutschrift rückgängig macht, einen ihr deshalb zustehenden Anspruch gegen ihren Kunden auch wirtschaftlich durchsetzen kann. Dies hat der Senat mit Urteil vom 12. Mai 2022 (IX ZR 71/21, zVb) im Einzelnen begründet.

19

c) Der Anspruch des Klägers auf Kaufpreiszahlung ist nicht ganz oder teilweise dadurch erloschen, dass die Sparkasse aus der Verwertung von Sicherheiten im Insolvenzverfahren Zahlungen in Höhe von insgesamt 64.662,38 € erhalten hat. Diese Zahlungen beruhten schon nicht auf einer Leistung der Beklagten und betrafen ausschließlich das Rechtsverhältnis zwischen dem Kläger und der Sparkasse.

20

3. Die Beklagte kann dem Anspruch des Klägers nicht entgegenhalten, dass sie an die Sparkasse wegen des unberechtigten Erstattungsverlangens bereits Schadensersatz geleistet hat.

21

a) Durch die Zahlung der Beklagten an die Sparkasse in Höhe von insgesamt 25.937,74 € ist der Kaufpreisanspruch des Klägers weder vollständig noch teilweise durch Erfüllung erloschen. Die Voraussetzungen der § 362 Abs. 1, Abs. 2, § 364 Abs. 1 BGB sind nicht gegeben. Eine Leistung nach §§ 362, 364 BGB bezieht sich ebenso wie die Erfüllungswirkung nur auf das jeweilige Schuldverhältnis (vgl. Staudinger/Kern, BGB, 2022, § 362 Rn. 18; MünchKomm-BGB/Fetzer, 9. Aufl., § 364 Rn. 1). Wie bereits das Landgericht zutreffend ausgeführt hat, betreffen die von der Beklagten auf Grundlage des mit der Sparkasse geschlossenen Vergleichs erbrachten Zahlungen ein anderes Schuldverhältnis als die zwischen der Schuldnerin und der Beklagten geschlossenen Kaufverträge. Die Sparkasse hat die Zahlung der Beklagten nur als eigene Schadensersatzforderung vereinnahmt.

22

b) Vor diesem Hintergrund kann die Beklagte auch nicht mit Erfolg geltend machen, sie werde wegen des Erstattungsverlangens doppelt – durch die Sparkasse und durch den Kläger – in Anspruch genommen. Der zwischen der Beklagten und der Sparkasse geschlossene Vergleich betrifft eigene Ansprüche der Sparkasse, insbesondere aus § 826 BGB. Ob der Zahlungsschuldner bei einem unberechtigten Erstattungsverlangen den einem Dritten entstandenen Schaden zu ersetzen hat, ist für einen vertraglichen Anspruch auf Erfüllung ohne Bedeutung. Hieran ändert eine etwaige Überkompensation des geschädigten Dritten schon deshalb nichts, weil dem Schädiger – hier: der Beklagten – im Grundsatz die aus § 255 BGB folgenden Rechte zustehen. Dies hat der Senat mit Urteil vom 12. Mai 2022 (IX ZR 71/21, zVb) näher begründet.

III.

23

Das angefochtene Urteil ist danach aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO). Da die Aufhebung des Urteils nur wegen Rechtsverletzung bei Anwendung des Gesetzes auf das festgestellte Sachverhältnis erfolgt und nach letzterem die Sache zur Endentscheidung reif ist, hat der Senat in der Sache selbst zu entscheiden (§ 563 Abs. 3 ZPO). Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Landgerichts ist zurückzuweisen.

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