BSG 8. Senat, Beschluss vom 11.05.2022, AZ B 8/7 AY 5/21 B, ECLI:DE:BSG:2022:110522BB87AY521B0
§ 160a Abs 1 S 1 SGG, § 160a Abs 2 S 1 SGG, § 160a Abs 2 S 3 SGG, § 160 Abs 2 Nr 1 SGG
Verfahrensgang
vorgehend SG Dortmund, 15. April 2019, Az: S 26 AY 3/18, Urteil
vorgehend Landessozialgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, 6. September 2021, Az: L 20 AY 28/19, Urteil
Tenor
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 6. September 2021 wird als unzulässig verworfen.
Der Antrag des Klägers, ihm für das Verfahren der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in dem bezeichneten Urteil Prozesskostenhilfe zu bewilligen und Rechtsanwalt S beizuordnen, wird abgelehnt.
Außergerichtliche Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.
Gründe
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I. Im Streit ist die Gewährung von Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) im Zeitraum vom 1.9.2017 bis 31.8.2018.
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Der Kläger ist afghanischer Staatsangehöriger, lebt seit 2015 in der Bundesrepublik Deutschland und verfügt über eine Aufenthaltsgestattung. Er bezog zuletzt vor dem streitigen Zeitraum Leistungen nach § 2 Abs 1 AsybLG (sog Analogleistungen). Nachdem er zum 30.8.2017 eine Berufsausbildung begonnen hatte, stellte die Beklagte die Leistungen ein
(Bescheid vom 21.11.2017; Widerspruchsbescheid vom 8.1.2018). Die hiergegen erhobene Klage ist erfolglos geblieben
(Urteil des Sozialgerichts <SG> Dortmund vom 15.4.2019; Urteil des Landessozialgerichts <LSG> Nordrhein-Westfalen vom 6.9.2021). Zur Begründung hat das LSG ua ausgeführt, die Ausbildung des Klägers sei dem Grunde nach förderungsfähig nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz (BAföG), weshalb der im streitigen Zeitraum noch geltende Leistungsausschluss nach § 2 Abs 1 AsylbLG in der bis zum 20.8.2019 geltenden Fassung iVm § 22 Abs 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch – Sozialhilfe – (SGB XII) greife. Ein Härtefall liege nicht vor. Der Anwendungsbereich des § 3 AsylbLG sei nicht eröffnet.
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Gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des LSG wendet sich der Kläger mit der Nichtzulassungsbeschwerde, zu der er Fragen grundsätzlicher Bedeutung zur früheren Rechtslage aufwirft. Zugleich beantragt er die Bewilligung von Prozesskostenhilfe (PKH) unter Beiordnung seines Prozessbevollmächtigten.
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II. Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unzulässig, weil der geltend gemachte Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung nicht hinreichend dargelegt ist
(§ 160a Abs 2 Satz 3 Sozialgerichtsgesetz <SGG>). Der Senat konnte deshalb über die Beschwerde ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter nach § 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 iVm § 169 Satz 3 SGG entscheiden.
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Grundsätzliche Bedeutung
(§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG) hat eine Rechtssache nur dann, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die – über den Einzelfall hinaus – aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Der Beschwerdeführer muss daher anhand des anwendbaren Rechts sowie unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung – ggf sogar des Schrifttums – angeben, welche Rechtsfrage sich stellt, dass diese noch nicht geklärt ist, weshalb eine Klärung dieser Rechtsfrage aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts erforderlich ist und dass das angestrebte Revisionsverfahren eine Klärung erwarten lässt
(Bundessozialgericht <BSG> vom 2.3.1976 – 12/11 BA 116/75 – SozR 1500 § 160 Nr 17 und BSG vom 26.6.1975 – 12 BJ 12/75 – SozR 1500 § 160a Nr 7; BSG vom 22.8.1975 – 11 BA 8/75 – BSGE 40, 158 = SozR 1500 § 160a Nr 11; BSG vom 25.9.1975 – 12 BJ 94/75 – SozR 1500 § 160a Nr 13; BSG vom 25.10.1978 – 8/3 BK 28/77 – SozR 1500 § 160a Nr 31; BSG vom 19.1.1981 – 7 BAr 69/80 – SozR 1500 § 160a Nr 39; BSG vom 9.10.1986 – 5b BJ 174/86 – SozR 1500 § 160a Nr 59 und BSG vom 22.7.1988 – 7 BAr 104/87 – SozR 1500 § 160a Nr 65).
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Um seiner Darlegungspflicht zu genügen, muss der Beschwerdeführer eine konkrete Frage formulieren, und deren (abstrakte) Klärungsbedürftigkeit sowie (konkrete) Klärungsfähigkeit (Entscheidungserheblichkeit) als auch deren über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung (Breitenwirkung) darlegen
(vgl nur BSG vom 25.9.2002 – B 7 AL 142/02 B – SozR 3-1500 § 160a Nr 34 S 70 mwN).
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Der Kläger misst trotz der mit dem Zweiten Gesetz zur besseren Durchsetzung der Ausreisepflicht vom 15.8.2019
(BGBl I 1294) mWv 21.8.2019 erfolgten Einfügung des § 2 Abs 1 Satz 2 Nr 1 AsylbLG, wonach die Regelung des § 22 SGB XII ua für Leistungsberechtigte nach § 1 Abs 1 Nr 1 AsylbLG (Fälle der Leistungsberechtigung aufgrund einer Aufenthaltsgestattung), die sich in einer nach den §§ 51, 57 und 58 Sozialgesetzbuch Drittes Buch – Arbeitsförderung – (SGB III) dem Grunde nach förderungsfähigen Ausbildung befinden, keine Anwendung findet, den Fragen grundsätzliche Bedeutung zu, ob die frühere Regelung verfassungswidrig gewesen ist und nach welchen Kriterien sich der Begriff der „besonderen Härte“ bzw derjenige eines atypischen Falles bestimme.
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Betrifft die vom Beschwerdeführer aufgeworfene Rechtsfrage aber ausgelaufenes oder auslaufendes Recht, besteht in aller Regel kein Bedürfnis mehr, diese Frage höchstrichterlich zu klären
(vgl BSG vom 21.6.2011 – B 4 AS 14/11 B – RdNr 5; BSG vom 26.4.2007 – B 12 R 15/06 B – RdNr 9; BSG vom 28.11.1975 – 12 BJ 150/75 – SozR 1500 § 160a Nr 19). Im Falle ausgelaufenen Rechts ist eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache allenfalls dann gegeben, wenn noch eine erhebliche Zahl von Fällen auf der Grundlage des alten Rechts zu entscheiden ist oder wenn die Überprüfung der Rechtsnorm bzw ihre Auslegung aus anderen Gründen fortwirkende allgemeine Bedeutung hat, namentlich wegen einer weitgehenden Übereinstimmung mit dem neuen Recht
(BSG vom 17.3.2010 – B 6 KA 23/09 B – RdNr 32; BSG vom 16.12.2009 – B 6 KA 13/09 B – RdNr 7; BSG vom 22.3.2006 – B 6 KA 46/05 B – RdNr 7; BSG vom 20.6.2001 – B 10/14 KG 1/00 B – RdNr 1; BSG vom 31.3.1999 – B 7 AL 170/98 B – juris RdNr 8). Diese Voraussetzungen, die Darstellung der Breitenwirkung einer Grundsatzrevision bei ausgelaufenem Recht, hat die Beschwerde nicht dargelegt. Dass nach Auffassung des Klägers zur alten Rechtslage noch mehrere gleichartige Streitfälle anhängig sind bzw die zu klärenden Fragen nachwirken und deshalb ausnahmsweise weiterhin Klärungsbedürftigkeit bestehen könnte
(vgl dazu nur BSG vom 17.8.2012 – B 11 AL 40/12 B – RdNr 5; BSG vom 8.7.2021 – B 8 SO 97/20 B – RdNr 6), wird an keiner Stelle erkennbar. Er hat selbst darauf hingewiesen, dass es die Problematik mittlerweile nicht mehr gebe. Der Vortrag, der Gesetzgeber habe mit der Änderung des § 2 AsylbLG selbst eine planwidrige Regelungslücke erkannt und geschlossen, vermag allein die grundsätzliche Bedeutung im Falle von ausgelaufenem Recht aber nicht zu begründen.
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Aus den dargelegten Gründen kann auch PKH dem Kläger nicht bewilligt werden. PKH ist nur zu bewilligen, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet
(§ 73a Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 114 Zivilprozessordnung <ZPO>); daran fehlt es hier. Mit der Ablehnung von PKH entfällt zugleich die Beiordnung eines Rechtsanwalts im Rahmen der PKH
(§ 73a Abs 1 SGG iVm § 121 Abs 1 ZPO).
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Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
Krauß Bieresborn Luik