Verjährung der Ansprüche des geschädigten Fahrzeugerwerbers im Zusammenhang mit dem sogenannten Dieselskandal: Grob fahrlässige Unkenntnis hinsichtlich der Anspruchsentstehung; Verjährungshemmung bei Erhebung einer Musterfeststellungsklage; Verstoß gegen Treu und Glauben bei Anmeldung der Ansprüche zum Klageregister ausschließlich zum Zweck der Verjährungshemmung (Urteil des BGH 6. Zivilsenat)

BGH 6. Zivilsenat, Urteil vom 29.07.2021, AZ VI ZR 1118/20, ECLI:DE:BGH:2021:290721UVIZR1118.20.0

§ 31 BGB, § 199 Abs 1 Nr 2 BGB, § 204 Abs 1 Nr 1a BGB, § 242 BGB, § 826 BGB

Leitsatz

1. Die Annahme grober Fahrlässigkeit (§ 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB) setzt im Zusammenhang mit dem sogenannten Dieselskandal zumindest in einem ersten Schritt die Feststellung voraus, dass der geschädigte Fahrzeugerwerber von dem sogenannten Dieselskandal Kenntnis erlangt hat.

2. Die Hemmung der Verjährung gemäß § 204 Abs. 1 Nr. 1a BGB setzt lediglich voraus, dass die Musterfeststellungsklage selbst innerhalb der Verjährungsfrist erhoben wird. Dagegen kann die Anspruchsanmeldung zum Klageregister – im zeitlichen Rahmen des § 608 Abs. 1 ZPO – auch später erfolgen.

3. Die Berufung auf den Hemmungstatbestand des § 204 Abs. 1 Nr. 1a BGB verstößt nicht allein deshalb gegen Treu und Glauben, weil der Gläubiger seinen Anspruch ausschließlich zum Zweck der Verjährungshemmung zum Klageregister der Musterfeststellungsklage angemeldet hat.

Verfahrensgang

vorgehend Oberlandesgericht des Landes Sachsen-Anhalt, 25. Juni 2020, Az: 8 U 34/20
vorgehend LG Dessau-Roßlau, 27. März 2020, Az: 4 O 367/19

Tenor

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 8. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Naumburg vom 25. Juni 2020 aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand

1

Der Kläger erwarb im September 2013 in einem Autohaus einen gebrauchten VW Tiguan zu einem Kaufpreis von 22.490 €. Das von der Beklagten hergestellte Fahrzeug ist mit einem Dieselmotor der Baureihe EA189 (EU 5) ausgestattet.

2

Am 22. September 2015 erklärte die Beklagte in einer Ad-hoc-Mitteilung nach § 15 WpHG a.F., dass bei weltweit rund elf Millionen Fahrzeugen mit Motoren vom Typ EA189 auffällige Abweichungen zwischen den auf dem Prüfstand gemessenen Emissionswerten und denen im realen Fahrzeugbetrieb festgestellt worden seien. Anfang Oktober 2015 richtete die Beklagte eine Internetplattform ein, auf der die Fahrzeughalter die Betroffenheit ihres konkreten Fahrzeugs ermitteln konnten. Das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) kam mit Bescheid vom 15. Oktober 2015 zu dem Ergebnis, dass die Motoren der Baureihe EA189 mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung im Sinne von Art. 5 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 ausgerüstet seien, und ordnete gegenüber der Beklagten die Entfernung der Abschalteinrichtung und die Ergreifung geeigneter Maßnahmen zur Wiederherstellung der Vorschriftsmäßigkeit im Rahmen eines Rückrufs an. Die Beklagte informierte die Öffentlichkeit mit Pressemitteilungen vom 15. Oktober, 25. November, 10. und 16. Dezember 2015 über technische Lösungen, mit deren Umsetzung ab Januar 2016 begonnen werde, und teilte mit, dass die betroffenen Fahrzeughalter angeschrieben und über die weiteren Schritte informiert würden. Die Medien berichteten umfangreich über die genannten Geschehnisse.

3

Am 17. September 2019 veräußerte der Kläger das Fahrzeug zu einem Preis von 10.000 € weiter.

4

Der Kläger behauptet, er habe sich im Dezember 2018 zum Klageregister zu einer gegen die Beklagte geführten Musterfeststellungsklage angemeldet und die Anmeldung im Juni 2019 wieder zurückgenommen.

5

Mit seiner im Juli 2019 eingereichten Klage hat der Kläger zuletzt Erstattung des Kaufpreises nebst Zahlung von Delikts- und Prozesszinsen gegen Zahlung eines Wertersatzes von höchstens 10.000 € statt Übereignung und Herausgabe des Fahrzeugs sowie die Feststellung der Ersatzpflicht für weitere Schäden und Ersatz vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten verlangt. Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt und u.a. die Einrede der Verjährung erhoben.

6

Die Klage ist in den Vorinstanzen ohne Erfolg geblieben. Mit seiner vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Begehren weiter.

Entscheidungsgründe

I.

7

Das Berufungsgericht hat seine unter BeckRS 2020, 30657 veröffentlichte Entscheidung damit begründet, dass ein etwaiger Anspruch des Klägers aus § 826 BGB gemäß § 195, § 199 Abs. 1 BGB mit Ablauf des Jahres 2018 verjährt sei.

8

Zur Frage des Verjährungsbeginns hat das Berufungsgericht ausgeführt, dass eine auch Ende des Jahres 2015 noch bestehende Unkenntnis des Klägers von den nach § 826 BGB anspruchsbegründenden Umständen und der Person des Schuldners auf grober Fahrlässigkeit beruhen würde. Bereits im letzten Quartal des Jahres 2015 seien alle Umstände in der Öffentlichkeit bekannt geworden, die dem Kläger die notwendige Kenntnis von der bewussten Manipulation von Dieselmotoren durch die Beklagte und der damit verbundenen Gefahr einer Betriebsstilllegung hätten vermitteln können. Bei dieser Sachlage habe es sich dem Kläger geradezu aufdrängen müssen, dass auch sein Fahrzeug betroffen sein konnte, und er habe unschwer entsprechende Erkundigungen einholen können. Auf eine entsprechende Information durch die Beklagte oder den Händler habe er sich nicht verlassen dürfen. Der Verjährungsbeginn zum Ende des Jahres 2015 sei nicht wegen Unzumutbarkeit der Klageerhebung hinausgeschoben gewesen.

9

Die Verjährung sei auch nicht gemäß § 204 Abs. 1 Nr. 1a BGB durch Beitritt zur Musterfeststellungsklage gehemmt worden. Der Kläger habe trotz eines gerichtlichen Hinweises keine Bestätigung des Bundesamtes für Justiz für eine Anmeldung noch im Jahre 2018 vorgelegt. Eine spätere Anmeldung habe keine rückwirkende Verjährungshemmung bewirken können. Im Übrigen wäre, so das Berufungsgericht weiter, selbst eine rechtzeitige Anmeldung rechtsmissbräuchlich gewesen, da der Kläger nicht in Abrede stelle, dass die Anmeldung von vornherein nur erfolgt sei, um nach ihrer Rücknahme auch noch im Jahr 2019 Individualklage erheben zu können.

II.

10

Diese Erwägungen halten der revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand. Mit der vom Berufungsgericht gegebenen Begründung kann die Klage nach den bislang getroffenen Feststellungen nicht wegen Verjährung abgewiesen werden.

11

1. Mit Erfolg wendet sich die Revision bereits gegen die Annahme des Berufungsgerichts, die dreijährige Verjährungsfrist habe mit dem Schluss des Jahres 2015 begonnen. Auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen lässt sich dem Kläger keine grobe Fahrlässigkeit i.S.d. § 199 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 2 BGB vorwerfen.

12

a) Gemäß § 195 BGB beträgt die regelmäßige Verjährungsfrist drei Jahre. Sie beginnt gemäß § 199 Abs. 1 BGB mit dem Schluss des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist (§ 199 Abs. 1 Nr. 1 BGB) und der Gläubiger von den den Anspruch begründenden Umständen und der Person des Schuldners Kenntnis erlangt oder ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen müsste (§ 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB).

13

b) Zwar unterliegt die tatrichterliche Beurteilung, ob einer Partei der Vorwurf grob fahrlässiger Unkenntnis zu machen ist, der Nachprüfung durch das Revisionsgericht nur dahin, ob der Streitstoff umfassend, widerspruchsfrei und ohne Verstoß gegen Denk- und Erfahrungssätze gewürdigt worden ist und ob der Tatrichter den Begriff der groben Fahrlässigkeit verkannt oder bei der Beurteilung des Grades der Fahrlässigkeit wesentliche Umstände außer Betracht gelassen hat (vgl. zuletzt etwa Senatsurteil vom 17. Dezember 2020 – VI ZR 739/20, NJW 2021, 918 Rn. 16 mwN). Auch unter Berücksichtigung dieses eingeschränkten Prüfungsmaßstabs ist die Würdigung des Berufungsgerichts aber rechtsfehlerhaft.

14

c) Grobe Fahrlässigkeit setzt einen objektiv schweren und subjektiv nicht entschuldbaren Verstoß gegen die Anforderungen der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt voraus. Grob fahrlässige Unkenntnis liegt dann vor, wenn dem Gläubiger die Kenntnis fehlt, weil er die im Verkehr erforderliche Sorgfalt in ungewöhnlich grobem Maße verletzt und auch ganz naheliegende Überlegungen nicht angestellt oder das nicht beachtet hat, was jedem hätte einleuchten müssen. Ihm muss persönlich ein schwerer Obliegenheitsverstoß in seiner eigenen Angelegenheit der Anspruchsverfolgung vorgeworfen werden können (Senatsurteil vom 26. Mai 2020 – VI ZR 186/17, NJW 2020, 2534 Rn. 19).

15

Dabei bezieht sich die grob fahrlässige Unkenntnis ebenso wie die Kenntnis auf Tatsachen, auf alle Merkmale der Anspruchsgrundlage und bei der Verschuldenshaftung auf das Vertretenmüssen des Schuldners, wobei es auf eine zutreffende rechtliche Würdigung nicht ankommt. Ausreichend ist, wenn dem Gläubiger aufgrund der ihm grob fahrlässig unbekannt gebliebenen Tatsachen hätte zugemutet werden können, zur Durchsetzung seiner Ansprüche gegen eine bestimmte Person aussichtsreich, wenn auch nicht risikolos Klage – sei es auch nur in Form einer Feststellungsklage – zu erheben (Senatsurteil vom 26. Mai 2020 – VI ZR 186/17, NJW 2020, 2534 Rn. 20 mwN).

16

Den Geschädigten trifft dabei im Allgemeinen weder eine Informationspflicht noch besteht für ihn eine generelle Obliegenheit, im Interesse des Schädigers an einem möglichst frühzeitigen Beginn der Verjährungsfrist Initiative zur Klärung von Schadenshergang oder Person des Schädigers zu entfalten. Für die Frage, unter welchen Voraussetzungen der Gläubiger zur Vermeidung der groben Fahrlässigkeit zu einer aktiven Ermittlung gehalten ist, kommt es vielmehr auf die Umstände des Einzelfalls an (vgl. nur Senatsurteil vom 26. Mai 2020 – VI ZR 186/17, NJW 2020, 2534 Rn. 21 f.; BGH, Urteil vom 15. März 2016 – XI ZR 122/14, NJW-RR 2016, 1187 Rn. 34; jeweils mwN).

17

d) Die Darlegungs- und Beweislast für Beginn und Ablauf der Verjährung und damit für die Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis des Gläubigers gemäß § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB trägt der Schuldner. Soweit es um Umstände aus der Sphäre des Gläubigers geht, hat dieser aber an der Sachaufklärung mitzuwirken und erforderlichenfalls darzulegen, was er zur Ermittlung der Voraussetzungen seiner Ansprüche und der Person des Schuldners getan hat (vgl. BGH, Versäumnisurteil vom 17. Juni 2016 – V ZR 134/15, NJW 2017, 248 Rn. 12; Urteil vom 3. Juni 2008 – XI ZR 319/06, NJW 2008, 2576 Rn. 25 mwN).

18

e) Nach diesen Grundsätzen durfte das Berufungsgericht nicht ohne weiteres von der festgestellten Öffentlichkeitsarbeit der Beklagten und des KBA sowie der sich hieran anschließenden umfangreichen Medienberichterstattung über den sogenannten Dieselskandal auf eine grob fahrlässige Unkenntnis des Klägers i.S.d. § 199 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 2 BGB schließen. Dazu hätte es zumindest in einem ersten Schritt noch der ergänzenden Feststellung bedurft, dass der Kläger diese Berichterstattung wahrgenommen und damit allgemein vom sogenannten Dieselskandal Kenntnis erlangt hat. Ohne diesen Zwischenschritt knüpft der Vorwurf der groben Fahrlässigkeit letztlich an die unterbliebene Kenntnisnahme des Klägers von der Medienberichterstattung über den sogenannten Dieselskandal an; dem Kläger wird mit anderen Worten das Unterlassen eines wenigstens gelegentlichen Nachrichten- und Medienkonsums zum Vorwurf gemacht. Dies ist rechtsfehlerhaft, denn niemand ist von Rechts wegen gehalten, im Verjährungsinteresse etwaiger deliktischer Schuldner generell die Medien zu verfolgen (vgl. KG, Urteil vom 1. Oktober 2009 – 2 U 17/03 Kart, juris Rn. 27; Grothe in MünchKomm BGB, 8. Aufl., § 199 Rn. 31).

19

Zwar mag es naheliegen, dass der Kläger allgemein vom sogenannten Dieselskandal Kenntnis genommen hat. Dies festzustellen ist jedoch Sache des Tatrichters, wobei der Senat auf die Mitwirkungspflicht des Gläubigers (soeben sub d) und darauf hinweist, dass sich der Tatrichter bewusst sein sollte, dass eine Überzeugungsbildung im Sinne des § 286 Abs. 1 ZPO nicht immer eine mathematisch lückenlose Gewissheit voraussetzt (Senatsurteil vom 13. Dezember 1977 – VI ZR 206/75, BGHZ 71, 339, 346, juris Rn. 28). Selbst nach dem strengen Maßstab des § 286 ZPO bedarf es keines naturwissenschaftlichen Kausalitätsnachweises und auch keiner an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit, vielmehr genügt ein für das praktische Leben brauchbarer Grad von Gewissheit, der verbleibenden Zweifeln Schweigen gebietet, ohne sie völlig auszuschließen (st. Rspr.; vgl. Senatsurteil vom 1. Oktober 2019 – VI ZR 164/18, NJW 2020, 1072 Rn. 8 mwN).

20

f) Soweit die Beklagte geltend macht, es sei unstreitig beziehungsweise nach § 138 Abs. 3 ZPO als zugestanden anzusehen, dass der Kläger Kenntnis vom sogenannten Dieselskandal hatte, hat das Berufungsgericht hierzu keine Feststellungen getroffen. Dem Revisionsgericht ist es aber verwehrt, entsprechende Feststellungen zu treffen (vgl. nur Senat, Urteil vom 16. März 2021 – VI ZR 140/20, VersR 2021, 798 Rn. 17).

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2. Der von der Beklagten erhobenen Einrede nach § 214 Abs. 1 BGB steht darüber hinaus eine Hemmung der Verjährung durch die Anmeldung des entsprechenden klägerischen Anspruchs zum Klageregister der Musterfeststellungsklage entgegen. Die Hemmungswirkung nach § 204 Abs. 1 Nr. 1a BGB tritt im Falle eines wirksam angemeldeten Anspruchs grundsätzlich bereits mit Erhebung der Musterfeststellungsklage und nicht erst mit wirksamer Anmeldung des Anspruchs zu deren Register ein, auch wenn die Anspruchsanmeldung selbst erst nach Ablauf der ursprünglichen Verjährungsfrist erfolgt. Dem Kläger ist es auch nicht nach § 242 BGB verwehrt, sich auf diesen Hemmungstatbestand zu berufen.

22

a) Gemäß § 204 Abs. 1 Nr. 1a BGB, in Kraft getreten am 1. November 2018 (Art. 6, Art. 11 Abs. 1 des Gesetzes zur Einführung einer zivilprozessualen Musterfeststellungsklage vom 12. Juli 2018, BGBl. I 1151), hemmt die Erhebung einer Musterfeststellungsklage (§§ 606 ff. ZPO) die Verjährung für einen Anspruch, den ein Gläubiger zu dem zu der Klage geführten Klageregister wirksam angemeldet hat, wenn dem angemeldeten Anspruch derselbe Lebenssachverhalt zugrunde liegt wie den Feststellungszielen der Musterfeststellungsklage.

23

b) Im Streitfall ist mangels gegenteiliger Feststellungen des Berufungsgerichts für das Revisionsverfahren zu unterstellen, dass vor Ablauf des Jahres 2018 eine Musterfeststellungsklage gegen die Beklagte erhoben wurde, dass der Kläger die nunmehr streitgegenständlichen Ansprüche wirksam zum entsprechenden Klageregister angemeldet hat (vgl. § 608 Abs. 1, 2 und 4 ZPO) und den Ansprüchen derselbe Lebenssachverhalt zugrunde liegt wie den Feststellungszielen der Musterfeststellungsklage. Unter diesen Voraussetzungen war die Erhebung der Musterfeststellungsklage gemäß § 204 Abs. 1 Nr. 1a BGB grundsätzlich geeignet, die Verjährung der Klageforderung zu hemmen, und zwar auch dann, wenn – wie vom Berufungsgericht angenommen – eine Anmeldung zum Klageregister noch im Jahr 2018 nicht feststellbar ist, was für die revisionsrechtliche Prüfung daher dahinstehen kann.

24

aa) Die Hemmung der Verjährung gemäß § 204 Abs. 1 Nr. 1a BGB setzt entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts lediglich voraus, dass die Musterfeststellungsklage selbst innerhalb der Verjährungsfrist erhoben wird, während die Anspruchsanmeldung zum Klageregister – im zeitlichen Rahmen des § 608 Abs. 1 ZPO – auch später erfolgen kann (ebenso OLG Brandenburg, Urteil vom 8. März 2021 – 1 U 56/20, juris Rn. 36; OLG Karlsruhe, Urteil vom 31. März 2021 – 13 U 354/20, juris Rn. 41; OLG Naumburg, Urteil vom 1. April 2020 – 12 U 198/19, juris Rn. 70; OLG Schleswig, Urteil vom 16. Juli 2020 – 7 U 169/19, BeckRS 2020, 17081 Rn. 55; Augenhofer, VuR 2019, 83 ff.; Röthemeyer, Musterfeststellungsklage, 2. Aufl., § 204 BGB Rn. 2; Boese/Bleckwenn in Nordholtz/Mekat, Musterfeststellungsklage, § 5 Rn. 56 ff.; Rüsing, NJW 2020, 2588 Rn. 19; Beckmann/Waßmuth, WM 2019, 89, 94 f.; Vollkommer in Zöller, ZPO, 33. Aufl., § 608 Rn. 5; Peters/Jacoby in Staudinger, BGB, Stand 18.6.2020, § 204 Rn. 48h; Meller-Hannich in BeckOGK BGB, Stand 1.6.2021, § 204 Rn. 117; Lutz in BeckOK ZPO, 40. Ed., § 608 Rn. 18; Stadler in Musielak/Voit, ZPO, 18. Aufl., § 608 Rn. 1; Zieske/Meier, VersR 2020, 1504, 1509; Jaensch, jM 2020, 322, 324; Tolani, NJW 2019, 2751, 2753; Stadler, ZHR 2018, 623, 634; Heese, JZ 2019, 429, 435; Schmidt, WM 2018, 1966, 1970; zweifelnd Windau, jM 2019, 404, 405 ff.; aA OLG München, Beschluss vom 5. Februar 2020 – 3 U 7392/19, juris Rn. 5; OLG Stuttgart, Urteil vom 7. April 2020 – 10 U 455/19, juris Rn. 68 ff.; Menges in MünchKomm ZPO, 6. Aufl., § 606 ZPO Rn. 50 ff.; tendenziell auch Deiß/Graf/Salger, BB 2018, 2883 ff.). Diese Auslegung entspricht in der Gesamtbetrachtung von Wortlaut, Systematik, Entstehungsgeschichte und Zweck des § 204 Abs. 1 Nr. 1a BGB dem in der Norm zum Ausdruck kommenden objektivierten Willen des Gesetzgebers (vgl. zur Auslegung von Gesetzen etwa BVerfGE 133, 168 Rn. 66).

25

(1) Nach dem Wortlaut von § 204 Abs. 1 Nr. 1a BGB wird die Verjährung gehemmt „durch die Erhebung einer Musterfeststellungsklage“. Diese zunächst eindeutig erscheinende Formulierung gibt allerdings für sich genommen noch keinen zwingenden Hinweis auf den Willen des Gesetzgebers, weil die Hemmung nach dem weiteren Normtext (nur) „für einen Anspruch [greift], den ein Gläubiger zu dem zu der Klage geführten Klageregister wirksam angemeldet hat, wenn dem angemeldeten Anspruch derselbe Lebenssachverhalt zugrunde liegt wie den Feststellungszielen der Musterfeststellungsklage“. Die Verwendung der vollendeten Vergangenheitsform („angemeldet hat“, „angemeldeter Anspruch“) kann zwar nicht so verstanden werden, als ob die Anspruchsanmeldung der Erhebung der Musterfeststellungsklage vorangehen müsse, da eine solche Abfolge tatsächlich gar nicht möglich ist (vgl. § 607 Abs. 1 Nr. 6, Abs. 2, § 608 Abs. 2 Nr. 2 ZPO; Peters/Jacoby in Staudinger, BGB, Stand 18.6.2020, § 204 Rn. 48b). Sie lässt aber immerhin Raum für die Annahme, auch die Anmeldung des Anspruchs zum Klageregister müsse noch in unverjährter Zeit erfolgen (so etwa Menges in MünchKomm ZPO, 6. Aufl., § 606 Rn. 52; Deiß/Graf/Salger, BB 2018, 2883; auf die missverständliche Formulierung hinweisend bereits Schmidt-Kessel, Stellungnahme zum Gesetzentwurf, BT-Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz, Prot.-Nr. 19/15, S. 107, 129).

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(2) Dass allein die Erhebung der Musterfeststellungsklage den Zeitpunkt bestimmt, in dem die Hemmung beginnt, erhellt jedoch in systematischer Hinsicht ein Vergleich mit der (älteren) Vorschrift des § 204 Abs. 1 Nr. 6a BGB, der zufolge die Verjährung „durch die Zustellung der Anmeldung zu einem Musterverfahren“ nach dem Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz gehemmt wird (vgl. § 10 Abs. 2 bis 4 KapMuG). Die Hemmung beginnt hier nach dem ausdrücklichen Gesetzeswortlaut erst mit der Anmeldung und damit der individuellen Rechtsverfolgungsmaßnahme des vom Musterverfahren betroffenen Gläubigers; auf den Zeitpunkt der Stellung des Musterfeststellungsantrags kommt es nicht an. In deutlichem Gegensatz hierzu stellt die Formulierung in § 204 Abs. 1 Nr. 1a BGB auf die Erhebung der Musterfeststellungsklage ab. Folgerichtig hat der Gesetzgeber die Vorschrift nicht etwa als Hemmungstatbestand Nr. 6b, sondern als Nr. 1a – und damit in systematischer Folge zu § 204 Abs. 1 Nr. 1 BGB (Hemmung durch Erhebung der Klage) – eingepasst (vgl. Augenhofer, VuR 2019, 83, 84 mwN).

27

(3) Die Entstehungsgeschichte von § 204 Abs. 1 Nr. 1a BGB bestätigt, dass es für den Beginn der Verjährungshemmung auf den Zeitpunkt der Erhebung der Musterfeststellungsklage ankommt (vgl. Augenhofer, VuR 2019, 83, 84 f.; Röthemeyer, Musterfeststellungsklage, 2. Aufl., § 204 BGB Rn. 2 f.).

28

Der Bundesrat bat in seiner Stellungnahme gemäß Art. 76 Abs. 2 GG zum Regierungsentwurf, der die Einführung von § 204 Abs. 1 Nr. 1a BGB in seiner jetzigen Fassung vorsah (BT-Drucks. 19/2439, S. 12), die in Aussicht genommene Regelung mit folgender Begründung zu prüfen: „Die im Gesetzentwurf vorgesehene Regelung führt […] dazu, dass […] gegebenenfalls auch erst lange Zeit nach dem eigentlichen Ablauf der Verjährungsfrist durch eine Anmeldung – quasi rückwirkend – noch eine Hemmung der Verjährung des individuellen Anspruchs erreicht werden kann. Es sollte vertieft geprüft werden, wie ‘ausufernde‘ Verjährungsläufe und die damit verbundene Rechtsunsicherheit vermieden werden können“ (BR-Drucks. 176/18, S. 10 f.). Die Bundesregierung äußerte sich zu dieser Prüfbitte wie folgt: „Die Bundesregierung sieht den vom Bundesrat dargelegten Prüfbedarf nicht, da die Regelung über den Eintritt der Verjährungshemmung mit Erhebung der Musterfeststellungsklage eindeutig ist. Mit der Erhebung der Musterfeststellungsklage wird, wie auch sonst nach § 204 Absatz 1 Nummer 1 des Bürgerlichen Gesetzbuches bei Klageerhebung üblich, die Verjährung der noch nicht verjährten Ansprüche gehemmt unter der Bedingung, dass die Verbraucherin oder der Verbraucher den Anspruch, dem derselbe Lebenssachverhalt zugrunde liegt, in dem Klageregister anmeldet. Erfolgt keine fristgerechte, wirksame Anmeldung des individuellen Anspruchs zum Klageregister, entfällt die verjährungshemmende Wirkung für diesen Anspruch wieder. Damit kann sich der Beklagte mit Erhebung der Musterfeststellungsklage darauf einstellen, dass bei Ansprüchen mit demselben Lebenssachverhalt zunächst Verjährungshemmung eintritt und nur für die Verbraucher wieder entfällt, die ihre Ansprüche nicht bzw. nicht wirksam zum Klageregister anmelden“ (BT-Drucks. 19/2701, S. 9 f.; zum Normverständnis der Bundesregierung s. auch BT-Drucks. 19/2710, S. 3 sowie die Begründung zur Musterfeststellungsklagenregister-Verordnung, BAnz AT 19.11.2018 B1, S. 3).

29

Der federführende Ausschuss des Deutschen Bundestages für Recht und Verbraucherschutz nahm die Äußerung der Bundesregierung zur Kenntnis und empfahl die Annahme des dem Regierungsentwurf entsprechenden – zur Verfahrensbeschleunigung parallel eingebrachten – Fraktionsentwurfs (BT-Drucks. 19/2507) bezüglich § 204 Abs. 1 Nr. 1a BGB ohne Änderung auf der Grundlage des folgenden Normverständnisses der Bundesregierung: „Hinsichtlich der Frage der Verjährung sei festzuhalten, dass die Verjährungshemmungsregelung zur Musterfeststellungsklage in das allgemeine Prinzip der Hemmung von Verjährung eingebaut worden sei. Danach werde mit Erhebung der Musterfeststellungsklage die Verjährung gehemmt. Der weitere Akt der Anmeldung sei hiervon losgelöst. Dementsprechend sei ein Anspruch auch nicht verjährt, wenn er später zum Klageregister angemeldet werde“ (BT-Drucks. 19/2741, S. 23). Der Bundestag folgte dieser Beschlussempfehlung (Plenarprotokoll 19/39, S. 3753B). Dass der Gesetzgeber hiervon abweichend eine Hemmung der Verjährung nur beabsichtigte, wenn auch die Anmeldung innerhalb der Verjährungsfrist erfolgt ist, lässt sich aus den von der Beklagten zitierten Fundstellen im Gesetzgebungsverfahren nicht ableiten.

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(4) Sinn und Zweck des § 204 Abs. 1 Nr. 1a BGB entsprechen diesem Normverständnis. Das politische Ziel, durch Einführung der Musterfeststellungsklage eine zum Ablauf des Jahres 2018 befürchtete Verjährung von Schadensersatzansprüchen im sogenannten „Abgasskandal“ zu verhindern (vgl. Koalitionsvertrag CDU, CSU und SPD zur 19. Legislaturperiode, S. 124) und die Rechtsverfolgung in Verbraucherstreitverfahren mit Breitenwirkung zur Überwindung des sog. „rationalen Desinteresses“ der betroffenen Verbraucher zu bündeln (vgl. BT-Drucks. 19/2439, S. 2, 14), stützt die aufgezeigte verbraucherfreundliche Interpretation (vgl. Augenhofer, VuR 2019, 83, 85; Meller-Hannich in BeckOGK BGB, Stand 1.6.2021, § 204 Rn. 118).

31

bb) Ob die Erhebung einer Musterfeststellungsklage rechtstechnisch zunächst die Verjährung aller potentiell betroffenen Ansprüche hemmt und die Hemmung im Sinne einer (auflösenden) Bedingung für solche Ansprüche wieder entfällt, die nicht wirksam zum Klageregister angemeldet werden (vgl. Bundesregierung, BT-Drucks. 19/2701, S. 9 f.; Augenhofer VuR 2019, 83, 84), oder erst die wirksame Anspruchsanmeldung die Hemmung auslöst und dann ihrerseits auf den Zeitpunkt der Klageerhebung zurückwirkt (so etwa Lutz in BeckOK ZPO, 40. Ed., § 608 Rn. 18.1; Meller-Hannich, BeckOGK BGB, Stand 1.6.2021, § 204 Rn. 118; Rüsing, NJW 2020, 2588 Rn. 20 f. mwN), kann im Streitfall dahinstehen.

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cc) § 204 Abs. 1 Nr. 1a BGB in der dargelegten Auslegung begegnet entgegen einer in der obergerichtlichen Rechtsprechung (OLG München, Beschluss vom 7. September 2020 – 3 U 2049/20, BeckRS 2020, 28274 Rn. 25) und Literatur (Grzeszick, NJW 2019, 3269 ff. und JZ 2020, 459 ff.; Prütting, ZIP 2020, 197, 202) vertretenen Auffassung keinen verfassungsrechtlichen Bedenken (ebenso Piekenbrock, JZ 2020, 122 ff. und 461 f.; Rüsing, NJW 2020, 2588 Rn. 22 ff.).

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(1) In Ermangelung einer besonderen Übergangsvorschrift findet § 204 Abs. 1 Nr. 1a BGB – einem allgemeinen Rechtsgedanken entsprechend (vgl. BGH, Urteil vom 12. Juni 2018 – KZR 56/16, VersR 2019, 310 Rn. 67 mwN) – Anwendung auch auf Ansprüche, die bereits vor Inkrafttreten der Norm am 1. November 2018 entstanden sind, zu diesem Zeitpunkt aber noch nicht verjährt waren. Es handelt sich um einen Fall der unechten Rückwirkung (tatbestandlichen Rückanknüpfung), die grundsätzlich mit der Verfassung vereinbar ist (vgl. BVerfGE 148, 217 Rn. 136; BVerfG, NVwZ 2017, 702 Rn. 20; jeweils mwN; zu einer zivilrechtlichen Verjährungsverlängerung BVerfGE 18, 70, 84, juris Rn. 43; speziell zu § 204 Abs. 1 Nr. 1a BGB Piekenbrock, JZ 2020, 122, 124; Rüsing, NJW 2020, 2588 Rn. 27 f.; aA Grzeszick, NJW 2019, 3269, 3270: echte Rückwirkung). Unzulässig ist ein unecht rückwirkendes Gesetz erst dann, wenn die Rückwirkung zur Erreichung des Gesetzeszwecks nicht geeignet oder erforderlich ist oder wenn die Bestandsinteressen der Betroffenen die Veränderungsgründe des Gesetzgebers überwiegen (BVerfG, NVwZ 2017, 702 Rn. 23 mwN), was im Hinblick auf § 204 Abs. 1 Nr. 1a BGB jeweils nicht der Fall ist (aA Grzeszick, NJW 2019, 3269, 3270 ff.). Insbesondere ist zu berücksichtigen, dass sich die Musterfeststellungsklage auch für den jeweiligen Beklagten in ökonomischer Weise als positiv erweisen kann, weil sie geeignet ist, zahlreiche Parallelprozesse zu vermeiden und das hieraus folgende Kostenrisiko zu senken (vgl. BT-Drucks. 19/2439, S. 17).

34

(2) Von der unechten Rückwirkung des Gesetzes zu unterscheiden ist der materiell-rechtliche Gesichtspunkt, dass die Anmeldung eines Anspruchs zum Klageregister – rechtlich oder zumindest tatsächlich, vgl. soeben unter bb) – auf den Zeitpunkt der Erhebung der Musterfeststellungsklage zurückwirkt. Auch insoweit bestehen indes keine verfassungsrechtlichen Bedenken, da mit Erhebung der Musterfeststellungsklage in unverjährter Zeit ein schutzwürdiges Vertrauen des Musterfeststellungsbeklagten in die künftige Verjährung anmeldefähiger Ansprüche schon nicht entstehen kann (Rüsing, NJW 2020, 2588 Rn. 26; vgl. auch Piekenbrock, JZ 2020, 122, 126 ff.; aA insoweit unter dem Aspekt der unechten Rückwirkung Grzeszick, NJW 2019, 3269, 3270 ff.; ähnlich Prütting, ZIP 2020, 197, 202).

35

c) Nicht frei von Rechtsfehlern ist schließlich auch die Annahme des Berufungsgerichts, der Kläger könne der Beklagten diese Hemmung unter den besonderen Umständen des Streitfalles nicht entgegenhalten, § 242 BGB.

36

aa) Die Vorschriften über die Verjährung enthalten eine formale Regelung, die im Interesse der Rechtssicherheit aufgestellt worden ist, weshalb sich ihre Auslegung grundsätzlich eng an den Wortlaut des Gesetzes anlehnen muss (vgl. Senatsurteil vom 6. Juli 1993 – VI ZR 306/92, BGHZ 123, 337, 343, juris Rn. 18 mwN). Es ist grundsätzlich legitim und begründet im Regelfall keinen Rechtsmissbrauch, wenn ein Gläubiger eine verjährungshemmende Maßnahme ausschließlich zum Zweck der Verjährungshemmung ergreift (vgl. zum Güteverfahren Senatsurteil vom 6. Juli 1993 – VI ZR 306/92, BGHZ 123, 337, 344 f., juris Rn. 22; BGH, Urteile vom 25. Mai 2016 – IV ZR 211/15, VersR 2016, 907 Rn. 17; vom 28. Oktober 2015 – IV ZR 526/14, VersR 2015, 1548 Rn. 33).

37

bb) Dies schließt es zwar nicht aus, dass sich das Berufen auf einen Hemmungstatbestand im Einzelfall als rechtsmissbräuchlich darstellen kann (BGH, Urteil vom 21. Dezember 2011 – VIII ZR 157/11, NJW 2012, 995 Rn. 9 f.; vgl. auch Senatsurteil vom 6. Juli 1993 – VI ZR 306/92, BGHZ 123, 337, 345, juris Rn. 22; BGH, Urteile vom 28. September 2004 – IX ZR 155/03, BGHZ 160, 259, 266, juris Rn. 20; vom 28. Oktober 2015 – IV ZR 526/14, VersR 2015, 1548 Rn. 34; vom 17. Februar 2016 – IV ZR 374/14, juris Rn. 12; vom 21. Dezember 2011 – VIII ZR 157/11, NJW 2012, 995 Rn. 7 ff.; vom 23. Juni 2015 – XI ZR 536/14, NJW 2015, 3160 Rn. 24; vom 16. Juli 2015 – III ZR 238/14, WM 2015, 1559 Rn. 23; vgl. zudem bereits RGZ 66, 412, 414 f.). Einen Rechtsmissbrauch hat der Bundesgerichtshof in der Vergangenheit etwa zu § 204 Abs. 1 Nr. 3 BGB bei bewusst wahrheitswidrigen Angaben des Gläubigers im Mahnbescheidsantrag (vgl. BGH, Urteile vom 21. Dezember 2011 – VIII ZR 157/11, NJW 2012, 995 Rn. 7 ff.; vom 23. Juni 2015 – XI ZR 536/14, NJW 2015, 3160 Rn. 24; vom 16. Juli 2015 – III ZR 238/14, WM 2015, 1559 Rn. 23) und zu § 204 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. a BGB bei fehlender Mitwirkungsbereitschaft des Antragsgegners im Güteverfahren angenommen, wenn der Antragsgegner dies dem Antragsteller schon im Vorfeld in eindeutiger Weise mitgeteilt hatte (vgl. BGH, Urteil vom 28. Oktober 2015 – IV ZR 526/14, VersR 2015, 1548 Rn. 34; Beschluss vom 17. Februar 2016 – IV ZR 374/14, juris Rn. 12).

38

cc) Dem ist der vorliegende Lebenssachverhalt nicht allein deshalb vergleichbar, weil der Kläger nach den Feststellungen des Berufungsgerichts nicht in Abrede gestellt hat, dass die Anmeldung von vornherein nur erfolgt sei, um nach ihrer Rücknahme auch noch im Jahr 2019 Individualklage erheben zu können. Dieser Umstand rechtfertigt nicht die Annahme eines Verstoßes gegen Treu und Glauben gegenüber der Beklagten (vgl. OLG Karlsruhe, BeckRS 2021, 943 Rn. 84 mwN; BeckRS 2021, 6368 Rn. 45; LG Saarbrücken, zfs 2020, 198 Rn. 26 ff.; Henrich in BeckOK BGB, 58. Ed., § 204 Rn. 20b; Peters/Jacoby in Staudinger, BGB, Stand 18.6.2020, § 204 Rn. 48h.1; Röthemeyer, Musterfeststellungsklage, 2. Aufl. § 204 BGB Rn. 13; Stadler in Musielak/Voit, ZPO, 18. Aufl., § 608 Rn. 1; Sutschet in BeckOK BGB, 58. Ed., § 242 Rn. 69; aA OLG München, BeckRS 2020, 13124 Rn. 15 ff.; BeckRS 2020, 28274 Rn. 24 ff.; OLG Frankfurt, Urteil vom 10. August 2020 – 3 U 269/19, juris Rn. 15; Deiß/Graf/Salger, BB 2019, 1674, 1676; Kähler in BeckOGK, Stand 15.4.2021, § 242 BGB Rn. 1178.3; Mansel, WM 2019, 1621, 1624; ders. in Heidel/Hüßtege, BGB AT/EGBGB, 4. Aufl., § 204 Rn. 55; Mekat/Nordholtz NJW 2019, 411, 412; Zieske/Meier VersR 2020, 1504, 1509 f.).

39

(1) Die Verjährung ist im Fall des § 204 Abs. 1 Nr. 1a BGB grundsätzlich auch dann gehemmt, wenn der Gläubiger seine Anmeldung zum Klageregister im weiteren Verlauf des Musterfeststellungsverfahrens wieder zurücknimmt, um im Anschluss Individualklage zu erheben. Der Gesetzgeber hat den Hemmungstatbestand des § 204 Abs. 1 Nr. 1a BGB nicht davon abhängig gemacht, dass der Gläubiger dauerhaft zum Klageregister angemeldet bleibt. Er hat dem Gläubiger vielmehr bewusst die Möglichkeit der Abmeldung vom Klageregister bis zu dem in § 608 Abs. 3 ZPO geregelten Zeitpunkt und der anschließenden Geltendmachung der Ansprüche im Wege der Individualklage eingeräumt (vgl. § 613 Abs. 1 Satz 2 ZPO und hierzu BT-Drucks. 19/2439, S. 28) und für diesen Fall eine spezifische Regelung über eine nachlaufende Verjährungshemmung von sechsmonatiger Dauer getroffen (§ 204 Abs. 2 Satz 2 BGB). Damit ist dem Gläubiger ausdrücklich die Option eröffnet worden, seine Entscheidung, in welcher Weise Rechtsschutz gesucht wird, zu ändern und gleichwohl noch für einen gewissen (weiteren) Zeitraum von der durch die Erhebung der Musterfeststellungsklage und die Anmeldung zu deren Register bewirkten Verjährungshemmung zu profitieren (vgl. OLG Karlsruhe, Urteil vom 31. März 2021 – 13 U 354/20, juris Rn. 44).

40

Der Gesetzgeber hat den Zeitpunkt nach § 608 Abs. 3 ZPO, bis zu dem die Anmeldung wirksam zurückgenommen werden kann, zugunsten des geschädigten Verbrauchers im Lauf des Gesetzgebungsverfahren sogar noch geringfügig, aber entscheidend nach hinten geschoben (jetzt: Ablauf des Tages des Beginns der mündlichen Verhandlung in der ersten Instanz; demgegenüber Entwurfsfassung: Ablauf des Tages vor Beginn des ersten Termins, BT-Drucks. 19/2439, S. 10) und darauf abgestimmt, dass zu diesem Zeitpunkt das Gericht bereits auf sachdienliche Klageanträge hinzuwirken hatte, § 610 Abs. 4 ZPO. Damit hat der Gesetzgeber dem Gläubiger gezielt ermöglicht, sich noch vor Ablauf der Rücknahmefrist über die aus Sicht des Gerichts sachdienlichen Anträge und damit über den absehbaren Gegenstand des Musterfeststellungsverfahrens zu informieren (vgl. Röthemeyer, Musterfeststellungsklage, 2. Aufl., § 608 ZPO Rn. 41), und ihm damit die Entscheidung erleichtert, ob er an seiner Anmeldung festhalten will (BT-Drucks. 19/2741, S. 25).

41

Nutzt der Gläubiger diese ihm vom Gesetz ausdrücklich eingeräumte Möglichkeit der Anmeldungsrücknahme, handelt es sich daher grundsätzlich um einfachen Rechtsge-, nicht Rechtsmissbrauch.

42

(2) Aus den Umständen des Streitfalles ergibt sich nichts anderes. Weder ist dem Kläger vorzuwerfen, dass er bei der Anmeldung seiner Ansprüche zum Klageregister der Musterfeststellungsklage bewusst wahrheitswidrige Angaben gemacht hätte, noch war die Anmeldung der Ansprüche von vornherein objektiv ungeeignet, zu einer Klärung der Anspruchsberechtigung und damit zu einem erfolgreichen Abschluss des Verfahrens zu führen. Die nach den Feststellungen des Berufungsgerichts von vornherein bestehende Absicht des Klägers, die Anmeldung zum Klageregister wieder zurückzunehmen, um auch noch im Jahr 2019 Individualklage erheben zu können, wäre als allein innere Willensbildung ohne jeden äußeren Niederschlag vielmehr jederzeit von ihm selbst revidierbar gewesen und stand einem Erfolg des Verfahrens daher nicht endgültig entgegen.

43

Auch im maßgeblichen Verhältnis zur Beklagten ist das Verhalten des Klägers nicht als treuwidrig zu beurteilen. Ein – dem Mahn- oder Güteverfahren vergleichbares – eigenständiges (vorgerichtliches) Verfahren wurde der Beklagten, die ohnehin bereits Beklagte des Musterfeststellungsverfahrens war, durch die vom Kläger vorgenommene Anmeldung seiner Ansprüche zum Klageregister nicht aufgezwungen; in der Rücknahme der Anmeldung mehrere Monate später liegt ebenfalls keine eigenständige Belastung der Beklagten. Diese konnte sich mit Erhebung der Musterfeststellungsklage und der nachfolgenden Anmeldung der streitgegenständlichen Ansprüche zum Klageregister vielmehr bereits auf die Möglichkeit einstellen, dass der Kläger nach Rücknahme seiner Anmeldung noch Individualklage erheben könnte. Diesbezüglich wurde die Beklagte auch in zeitlicher Hinsicht nicht unbillig belastet, da die Option zum Umschwenken auf den Weg der Individualklage durch die Beschränkung der Möglichkeit zur Rücknahme der Anmeldung bis zum Ablauf des Tages des Beginns der mündlichen Verhandlung in erster Instanz (§ 608 Abs. 3 ZPO) und durch die nachlaufende Verjährungshemmung von sechs Monaten (§ 204 Abs. 2 Satz 2 BGB) in zweifacher Hinsicht zeitlich limitiert ist (vgl. LG Saarbrücken, zfs 2020, 198 Rn. 28; Peters/Jacoby, Staudinger, BGB, Stand 18.6.2020, Rn. 48h.1).

44

3. Das Berufungsurteil stellt sich auch nicht aus anderen Gründen im Ergebnis als richtig dar (§ 561 ZPO).

45

Ein etwaiger Anspruch des Klägers aus §§ 826, 31 BGB (vgl. zur Haftung der Beklagten dem Grunde nach Senatsurteil vom 25. Mai 2020 – VI ZR 252/19, BGHZ 225, 316 Rn. 12 ff.) ist durch die Weiterveräußerung des Fahrzeugs am 17. September 2019 nicht ohne Weiteres erloschen (vgl. – auch zur Anrechnung des Veräußerungserlöses im Wege des Vorteilsausgleichs – Senatsurteile vom 20. Juli 2021 – VI ZR 533/20 und VI ZR 575/20, zVb).

III.

46

Das Berufungsurteil kann daher keinen Bestand haben, sondern ist aufzuheben und mangels Entscheidungsreife zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 562 Abs. 1, § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO).

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