Unzuständigkeit des BGH für eine bei ihm eingereichte Nichtzulassungsbeschwerde bei Anwendbarkeit von im Landesrecht Bayerns enthaltenen Rechtsnormen (Beschluss des BGH 3. Zivilsenat)

BGH 3. Zivilsenat, Beschluss vom 29.07.2021, AZ III ZR 163/20, ECLI:DE:BGH:2021:290721BIIIZR163.20.0

§ 7 Abs 2 S 1 ZPOEG, § 7 Abs 2 S 2 ZPOEG, § 8 GVGEG, Art 11 Abs 1 GVGAG BY, Art 29 FischG BY

Leitsatz

Kommen im Wesentlichen Rechtsnormen zur Anwendung, die im Landesrecht Bayerns enthalten sind, und wird gemäß § 7 Abs. 2 Satz 1 EGZPO eine Nichtzulassungsbeschwerde beim Bundesgerichtshof eingereicht, erklärt sich der Bundesgerichtshof durch Beschluss zur Entscheidung über die Beschwerde für unzuständig und übersendet dem Bayerischen Obersten Landesgericht die Prozessakten (§ 7 Abs. 2 Satz 2 EGZPO, § 8 EGGVG, Art. 11 Abs. 1 BayAGGVG; Fortführung von Senat, Beschluss vom 18. Februar 2021 – III ZR 79/20, NJW RR 2021, 507 Rn. 5).

Verfahrensgang

vorgehend OLG München, 9. Juli 2020, Az: 14 U 1479/19
vorgehend LG Kempten, 8. März 2019, Az: 13 O 61/18

Tenor

Der Bundesgerichtshof ist für die Entscheidung über die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Oberlandesgerichts München vom 9. Juli 2020 – 14 U 1479/19 – unzuständig.

Die Sache wird an das Bayerische Oberste Landesgericht zur weiteren Behandlung und Entscheidung abgegeben.

Gründe

I.

1

Der Kläger verlangt vom beklagten Freistaat die Erteilung eines ihn zur Ausübung der Berufsfischerei auf dem Bodensee berechtigenden Hochseepatents (Erlaubnisscheins). Für jedes Jahr der Verweigerung des Hochseepatents begehrt er Schadensersatz in bezifferter Höhe und eine angemessene Entschädigung, deren Höhe er in das Ermessen des Gerichts stellt.

2

Der 1945 geborene Kläger war seit ca. 1963 als Berufsfischer auf dem Bodensee tätig. Die zur Ausübung seiner Tätigkeit erforderlichen Hochseepatente gemäß Art. 29 des Bayerischen Fischereigesetzes (BayFiG) wurden ihm jährlich jeweils zu Beginn der Fischereisaison durch das Landratsamt Lindau erteilt, ohne dass er einen erneuten Antrag hätte stellen müssen.

3

Die Bodenseefischerei ist in der zwischen den (damaligen) Anrainerstaaten des Bodensees – Baden, Bayern, Liechtenstein, Österreich, Schweiz und Württemberg – geschlossenen Bregenzer Übereinkunft vom 5. Juli 1893 grundlegend geregelt. Auf der Grundlage dieser Übereinkunft fasst die regelmäßig zusammenkommende Internationale Bevollmächtigtenkonferenz für die Bodenseefischerei (im Folgenden: IBKF) Beschlüsse unter anderem zur Regelung der Hochseepatente.

4

Mit Beschluss vom 24. Juni 2015 regelte die IBKF die Zahl der von den Anrainerstaaten zu erteilenden Hochseepatente neu. Jedes dieser Patente erlaubte bis zu fünf Schwebnetze. Weiter wurde geregelt, dass Fischer, die das 70. Lebensjahr vollendet haben und „daher“ Altersgeld, Rente oder Pension beziehen, nur noch ein zur Verwendung eines Schwebnetzes auf dem hohen See berechtigendes Alterspatent erhalten.

5

Der Kläger beantragte beim Landratsamt Lindau, ihm für 2018 und idealerweise auch für 2019 und 2020 ein Hochseepatent zu erteilen. Die Behörde teilte ihm daraufhin mit, ihm könne nur noch ein Alterspatent erteilt werden.

6

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Das Berufungsgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen und die Revision nicht zugelassen. Zur Begründung seiner Entscheidung hat es unter anderem ausgeführt:

7

Dem Kläger stehe kein Anspruch auf Abgabe einer auf Erteilung eines Hochseepatents gerichteten Willenserklärung des Beklagten zu. Das Landgericht habe zutreffend – und von der Berufung unangegriffen – festgestellt, dass ein Verpflichtungsvertrag, der einen Anspruch des Klägers gegen den Beklagten auf Erteilung eines Hochseepatents begründete, zwischen den Parteien nicht geschlossen worden sei.

8

Aus Art. 29 Abs. 1 Satz 1 BayFiG ergebe sich der streitgegenständliche Anspruch jedenfalls nicht unmittelbar. Zum einen stehe es dem Beklagten grundsätzlich frei, ob er überhaupt Erlaubnisscheine ausstelle, zum anderen stehe ihm – im Falle, dass er solche ausstelle – grundsätzlich auch die Entscheidung zu, wem er sie erteile. Der vom Kläger geltend gemachte Anspruch setze einen Kontrahierungszwang voraus, der sich aus Art. 29 Abs. 1 Satz 1 BayFiG jedoch nicht ergebe.

9

Die Argumentation des Klägers, dass die Ablehnung der Ausstellung des gewünschten Hochseepatents gegen Art. 12 Abs. 1 Satz 1 GG verstoße, weil das bayerische Fischereirecht entgegen dem Gesetzesvorbehalt des Art. 12 Abs. 1 Satz 2 GG weder eine gesetzliche Regelung noch eine Verordnungsermächtigung zu einer Altersgrenze oder einer Beschränkung der auszugebenden Patente beziehungsweise Schwebnetze enthalte, gehe fehl. Die unter Zugrundelegung des Art. 29 BayFiG erfolgte Ablehnung der Ausstellung eines Hochseepatents stelle keinen Eingriff in das Grundrecht des Klägers aus Art. 12 GG dar.

10

Der geltend gemachte Anspruch ergebe sich auch nicht aus § 242 BGB. Soweit der Kläger damit argumentiere, aufgrund der langen Dauer des Zeitraums, währenddessen der Beklagte ihm die Erlaubnisscheine erteilt habe, handele dieser, wenn er ihm nun die Erteilung verweigere, treuwidrig, laufe seine Argumentation auf das Rechtsinstitut der Erwirkung hinaus. Im vorliegenden Fall seien die Voraussetzungen einer – nur ausnahmsweise anzunehmenden – Erwirkung jedoch zu verneinen. Zwar sei das Tatbestandsmerkmal des längeren Zeitraums erfüllt. Es fehle jedoch an einem schutzwürdigen Vertrauen des Klägers auf die Fortsetzung der praktizierten Handhabung, ihm jährlich die gewünschten Erlaubnisscheine zu erteilen. Vor allem sei ein schutzwürdiges Interesse dadurch ausgeschlossen, dass die Regelung des Art. 29 Abs. 2 Satz 1 BayFiG eine maximale Geltungsdauer der Erlaubnisscheine von drei Jahren vorsehe und die Scheine im konkreten Fall tatsächlich jährlich erteilt worden seien. Die gesetzliche wie auch die tatsächliche Befristung dienten vor dem Hintergrund des Art. 29 Abs. 1 Satz 1 BayFiG gerade auch dem Erfordernis, im Hinblick auf zu befürchtende Nachteile für das Fischwasser unter Umständen die zuvor praktizierte Handhabung der Erteilung von Erlaubnisscheinen zu überprüfen und gegebenenfalls zu ändern. Eben diese Situation sei nun auch für den Beklagten eingetreten.

11

Schadensersatz- und Entschädigungsansprüche stünden dem Kläger ebenfalls nicht zu.

II.

12

Der Bundesgerichtshof ist für die Entscheidung über die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Berufungsgerichts unzuständig. Die Sache ist an das zuständige Bayerische Oberste Landesgericht abzugeben (§ 7 Abs. 2 Satz 2 EGZPO, § 8 EGGVG, Art. 11 Abs. 1 BayAGGVG).

13

Gemäß Art. 11 Abs. 1 BayAGGVG tritt das Bayerische Oberste Landesgericht in dem durch § 8 Abs. 2 EGGVG abgesteckten Rahmen als Revisions- und Rechtsbeschwerdegericht an die Stelle des Bundesgerichtshofs, wenn im Wesentlichen Rechtsnormen zur Anwendung kommen, die im Landesrecht Bayerns enthalten sind (Senat, Beschluss vom 18. Februar 2021 – III ZR 79/20, NJW-RR 2021, 507 Rn. 5). Ist dies der Fall und wird gemäß § 7 Abs. 2 Satz 1 EGZPO eine Nichtzulassungsbeschwerde beim Bundesgerichtshof eingereicht, erklärt sich der Bundesgerichtshof nach Satz 2 dieser Vorschrift durch Beschluss zur Entscheidung über die Beschwerde für unzuständig und übersendet dem Bayerischen Obersten Landesgericht die Prozessakten.

14

Hier bildet der landesrechtliche Rechtsstoff den Schwerpunkt des Rechtsstreits und überwiegt im Sinne des § 8 Abs. 2 EGGVG (vgl. Senat aaO Rn. 8):

15

1. Das Berufungsgericht legt seiner Entscheidung zunächst die zwischen den (damaligen) Anrainerstaaten des Bodensees – Baden, Bayern, Liechtenstein, Österreich, Schweiz und Württemberg – geschlossene Bregenzer Übereinkunft vom 5. Juli 1893 zugrunde. Bei dieser Übereinkunft handelt es sich um einen Staatsvertrag im Sinne des Art. 79 BayFiG (vgl. Braun/Keiz, Fischereirecht in Bayern, Stand: September 2020, Art. 79 BayFiG Rn. 4; Reither in Endres/Herold, BayFiG, Stand: September 2020, Art. 79 Anm. 3.1 und 3.2) und um bayerisches Landesrecht. Staatsverträge und Verwaltungsabkommen mit auswärtigen Staaten gingen zwar im Anschluss an das Gesetz über den Neuaufbau des Reiches vom 30. Januar 1934 (RGBl I S. 75) auf das Reich über; mit Art. 182 der Verfassung des Freistaates Bayern vom 8. Dezember 1946 (im Folgenden: BV) hat sich Bayern seine Staatsverträge jedoch wieder zurückgeholt (Reither aaO Anm. 2.2). Die Art. 123 bis 125 GG haben hieran nichts geändert (Reither aaO).

16

2. Für den Rechtsstreit entscheidende Norm ist Art. 29 BayFiG, der Regelungen für die Ausstellung von Erlaubnisscheinen zur Ausübung des Fischfangs trifft. Auch diese Vorschrift gehört zum bayerischen Landesrecht. Das Fischereirecht Bayerns blieb beim Inkrafttreten des Grundgesetzes Landesrecht (Reither aaO, Einführung Anm. 3.2). Die Fischerei in Binnengewässern ist auch weiterhin landesrechtlicher Regelung vorbehalten (vgl. BVerfGE 70, 191, 199; BayVerfGHE 30 nF, 167, 170; Zöller/Lückemann, ZPO, 33. Aufl., § 8 EGGVG Rn. 2).

17

Daran, dass bayerisches Fischereirecht und damit bayerisches Landesrecht den Prüfungsmaßstab bildet, ändert sich durch die Heranziehung der im Gedanken von Treu und Glauben (§ 242 BGB) wurzelnden Rechtsfigur der Erwirkung nichts. Denn der allgemeine Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB) ist, wenn Landesrecht in Rede steht, im Rahmen des Landesrechts anzuwenden (vgl. BGH, Urteile vom 9. Januar 1981 – V ZR 58/79, BGHZ 79, 201, 207, 210 und vom 13. Juli 2018 – V ZR 308/17, NJW-RR 2019, 78 Rn. 11). Auch die Beschwerde macht mit Hilfe der „Rechtsfigur der Erwirkung“ geltend, dass das Berufungsgericht einen Anspruch auf weitere Erteilung eines Hochseepatents „gemäß Art. 29 Abs. 1 BayFiG“ – also nach bayerischem Landesrecht – hätte bejahen müssen.

18

Soweit die Beschwerde Verletzungen des Anspruchs des Klägers auf rechtliches Gehör rügt, gelangt sie im Weiteren ebenfalls zu dem Ergebnis, dass das Berufungsgericht den Beklagten in dieser speziellen Ausnahmesituation aus Gründen des Vertrauensschutzes hätte verurteilen müssen, dem Kläger den Erlaubnisschein „gemäß Art. 29 BayFiG“ zu erteilen – mithin eine Verurteilung auf der Grundlage bayerischen Landesrechts hätte aussprechen müssen. Im Übrigen gelten nach Art. 91 Abs. 1 BV und Art. 103 Abs. 1 GG die gleichen verfassungsrechtlichen Maßstäbe (vgl. BVerfG, Beschluss vom 24. Januar 1992 – 2 BvR 1122/90, juris Rn. 9).

19

Etwas anderes ergibt sich auch nicht im Hinblick auf die geltend gemachten Verstöße gegen das Willkürverbot. Art. 118 Abs. 1 Satz 1 BV, den das Berufungsgericht gleichfalls zu beachten hatte, und Art. 3 Abs. 1 GG sind im Übrigen in ihrem Wortlaut nahezu identisch.

20

3. Auch soweit die Beschwerde beanstandet, dass das Berufungsgericht der Bedeutung und Tragweite des Grundrechts des Klägers aus Art. 12 Abs. 1 GG nicht hinreichend Rechnung getragen habe, liegt der Schwerpunkt im bayerischen Landesrecht.

21

Art. 12 Abs. 1 GG gewährt das Recht, eine Tätigkeit als Beruf zu ergreifen und frei auszuüben. Unter Beruf ist dabei jede auf Dauer angelegte Tätigkeit zur Schaffung und Erhaltung einer Lebensgrundlage zu verstehen, ohne dass der Schutz der Berufsfreiheit auf erlaubte Tätigkeiten beschränkt wäre (BVerfGE 155, 238 Rn. 92). Soweit es gesetzlicher Regelungen bedarf, die Privatpersonen das Feld rechtlich erlaubter beruflicher Tätigkeit überhaupt erst eröffnen (BVerfG aaO Rn. 93), sind solche bezüglich der Ausübung der Berufsfischerei auf dem Bodensee – insbesondere durch Art. 29 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 Satz 1, Art. 30 Nr. 3 BayFiG und die Bodenseefischereiverordnung vom 1. Dezember 1995 (GVBl S. 825) – bereits geschaffen worden, so dass die Tätigkeit des Klägers ohne Weiteres in den Schutzbereich des Art. 12 Abs. 1 GG fällt. In Bezug auf dieses bundesrechtlich geregelte Grundrecht wirft der Fall keine klärungsbedürftigen Fragen auf.

22

Dass Höchstaltersgrenzen in die Freiheit der Berufswahl eingreifen (zB BVerfGE 9, 338, 344 f), als Grundlage von Beschränkungen der Berufswahlfreiheit normkonkretisierende Verwaltungsvorschriften oder eine entsprechende Verwaltungspraxis nicht ausreichen (zB BVerfG, NVwZ 2007, 804 mwN), sondern gesetzliche (Übergangs-)Regelungen erforderlich sind (zB BVerfGE 155, 238 Rn. 108), ist ebenso ständige höchstrichterliche Rechtsprechung wie der Rechtssatz, dass es zu einer Verletzung von Art. 12 Abs. 1 GG auch dann kommt, wenn ein Gericht – wie hier von der Beschwerde geltend gemacht – Bedeutung und Tragweite des Grundrechts nicht hinreichend berücksichtigt, insbesondere bei der Auslegung und Anwendung einfachen Rechts die typischen Merkmale einer Berufstätigkeit nicht würdigt oder grundrechtliche Belange mit entgegenstehenden Gemeinwohlinteressen nicht in ein angemessenes Verhältnis bringt (zB BVerfG, NJW 2002, 3531, 3532 mwN).

23

Vorliegend sind hingegen die Fragen aufgeworfen, wie das bayerische Fischereirecht – in Sonderheit Art. 29 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 Satz 1, Art. 30 Nr. 3 BayFiG unter Einbeziehung der Bregenzer Übereinkunft vom 5. Juli 1893 – auszulegen ist und ob und gegebenenfalls in welchen Hinsichten es in Umsetzung von Beschlüssen der IBKF gegen die aufgezeigten verfassungsrechtlichen Anforderungen verstößt.

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