Soziales

Sozialgerichtsverfahren – Verfahren der Anhörungsrüge – Rügebegründung (Beschluss des BSG 5. Senat)

BSG 5. Senat, Beschluss vom 14.07.2021, AZ B 5 R 21/21 C, ECLI:DE:BSG:2021:140721BB5R2121C0

§ 62 SGG, § 160a SGG, § 178a Abs 1 S 1 SGG, § 178a Abs 2 S 5 SGG, § 178a Abs 4 S 2 SGG

Verfahrensgang

vorgehend Sozialgericht für das Saarland, 19. November 2018, Az: S 14 R 88/18, Gerichtsbescheid
vorgehend Landessozialgericht für das Saarland, 25. August 2020, Az: L 1 R 66/18, Urteil

vorgehend BSG, 20. April 2021, Az: B 13 R 229/20 B, Beschluss

Tenor

Die Anhörungsrüge des Klägers gegen den Beschluss vom 20. April 2021 – B 13 R 229/20 B – wird zurückgewiesen.

Kosten des Anhörungsrügeverfahrens sind nicht zu erstatten.

Gründe

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I. Der im Jahr 1944 geborene Kläger fordert die Verzinsung der für die Zeit seiner Beschäftigung als wissenschaftlicher Mitarbeiter an einer Universität in den Jahren 1971 bis 1976 entrichteten Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung ab dem Zeitpunkt der Zahlung bis zum Zeitpunkt ihrer (teilweisen) Erstattung im Jahr 2009. Er ist der Ansicht, dass die Nichtregelung der Verzinsung des zwangsweisen Einbehalts von Sozialversicherungsbeiträgen über einen Zeitraum von 40 Jahren durch den Gesetzgeber „wegen Verletzung des grundgesetzlich geschützten Anspruchs auf Schutz des Vermögens des Artikel 14 Abs I und III GG“ verfassungswidrig sei. Klage und Berufung des Klägers sind ohne Erfolg geblieben. Seine Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des LSG hat der Kläger mit Schriftsatz vom 14.9.2020 nur kurz unter Wiedergabe des Streitgegenstands und unter Benennung der seiner Auffassung nach maßgeblichen Zulassungsgründe begründet. Erst nach Ablauf der Begründungsfrist am 9.11.2020 hat der Kläger mit Schriftsatz vom 20.11.2020 eine ausführliche Begründung vorgelegt. Der seinerzeit für das Beschwerdeverfahren zuständige 13. Senat des BSG hat die Beschwerde im Beschluss vom 20.4.2021 als unzulässig verworfen. In dem Beschluss ist ausgeführt, die Beschwerdebegründung vom 20.11.2020 genüge nicht den Darlegungsanforderungen des § 160a Abs 2 Satz 3 SGG, da weder eine grundsätzliche Bedeutung – hier in Gestalt der behaupteten Verfassungswidrigkeit der Nichtregelung einer Verzinsung – noch der geltend gemachte Verfahrensmangel
(Verletzung des rechtlichen Gehörs durch Nichtbescheidung des Aussetzungsantrags nach Art 100 GG) in der erforderlichen Weise bezeichnet seien.

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Der Kläger hat mit Schreiben vom 2.6.2021, das als Telefax am 4.6.2021 eingegangen ist, gegen den ihm am 21.5.2021 zugestellten Beschluss vom 20.4.2021 „Nichtanhörungsrüge“ erhoben. Sein Antrag auf Zulassung der Revision habe sehr wohl den hierzu gestellten Anforderungen entsprochen. Er sei mit seinen ordnungsgemäß geltend gemachten Rügen nicht angehört worden. Die Frage, ob ihm ein Anspruch auf bankübliche Verzinsung für den Zeitraum des Einbehalts seiner Sozialversicherungsbeiträge zustehe, sei verfassungsrechtlich bisher nicht geklärt. Eine Abrechnung seines Sozialversicherungsguthabens „rein netto“ sei unter Beachtung des immer noch geltenden Geschäftsmodells der Beklagten, das „dem Geschäftsmodell der privaten Lebensversicherungen“ entspreche, nicht statthaft.

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II. 1. Nach Schließung des 13. Senats zum 1.7.2021 durch Erlass des Bundesministers für Arbeit und Soziales vom 24.6.2021
(vgl § 202 Satz 1 SGG iVm § 130 Abs 1 Satz 2 GVG) ist nach dem Geschäftsverteilungsplan (Stand 1.7.2021) nunmehr der 5. Senat des BSG für die Entscheidung über die Anhörungsrüge in einer Streitigkeit auf dem Gebiet der Rentenversicherung zuständig.

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2. Die Anhörungsrüge des Klägers gegen den Beschluss vom 20.4.2021 ist – ihre Zulässigkeit unterstellt – jedenfalls unbegründet und daher gemäß § 178a Abs 4 Satz 2 SGG zurückzuweisen. Hierüber entscheidet der Senat durch Beschluss außerhalb der mündlichen Verhandlung ohne Mitwirkung der ehrenamtlichen Richter
(§ 12 Abs 1 Satz 2 iVm § 40 Satz 1, § 33 Abs 1 Satz 2, § 124 Abs 3, § 153 Abs 1 und § 165 Satz 1 SGG; s dazu BSG Beschluss vom 8.11.2006 – B 2 U 5/06 C – SozR 4-1500 § 178a Nr 6 RdNr 7 f).

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a) Nach § 178a Abs 1 Satz 1 SGG ist auf die Anhörungsrüge eines durch eine gerichtliche Entscheidung beschwerten Beteiligten das Verfahren fortzuführen, wenn ein Rechtsmittel oder ein anderer Rechtsbehelf gegen die Entscheidung nicht gegeben ist
(Nr 1) und das Gericht den Anspruch dieses Beteiligten auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise verletzt hat
(Nr 2). Die Rüge muss nach § 178a Abs 2 Satz 5 SGG ua das Vorliegen der in Abs 1 Satz 1 Nr 2 genannten Voraussetzungen darlegen. Dem Vorbringen müssen daher konkrete Umstände zu entnehmen sein, die im Falle ihres Vorliegens tatsächlich eine Verletzung des Anspruchs des Rügeführers auf rechtliches Gehör ergeben. Zugleich ist darzulegen, weshalb ohne die vermeintliche Gehörsverletzung eine für den Rügeführer günstigere Entscheidung nicht ausgeschlossen werden kann
(vgl B. Schmidt in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Aufl 2020, § 178a RdNr 6b mwN).

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b) Zweifel an der Zulässigkeit der Anhörungsrüge ergeben sich insbesondere daraus, dass der Kläger in erster Linie rügt, er sei in dem Beschluss vom 20.4.2021 über seine Nichtzulassungsbeschwerde mit seinen in Wirklichkeit ordnungsgemäß geltend gemachten Rügen „aus vorgeschobenem Formalismus“ ohne Erfolg geblieben und somit „nicht angehört worden“. Das Verfahrensgrundrecht auf rechtliches Gehör
(§ 62 SGG, Art 103 Abs 1 GG) gewährleistet nicht, dass das Vorbringen eines Beteiligten in dessen Sinne vom Gericht zustimmend zur Kenntnis genommen wird
(vgl BVerfG <Kammer> Beschluss vom 27.5.2016 – 1 BvR 1890/15 – SozR 4-1100 Art 103 Nr 4 RdNr 14 mwN). Die Gerichte sind aufgrund von Art 103 Abs 1 GG nicht verpflichtet, der Rechtsansicht eines Beteiligten zu folgen
(vgl BVerfG <Kammer> Beschluss vom 12.3.2021 – 2 BvR 1673/19 – juris RdNr 6 mwN). Daher kann die vom Kläger behauptete fehlerhafte Anwendung der Regelungen über die Darlegungspflichten bei der Begründung einer Nichtzulassungsbeschwerde nicht als Gehörsverletzung gerügt werden
(vgl BSG Beschluss vom 22.3.2018 – B 12 KR 12/17 C – juris RdNr 11 f).

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c) Ungeachtet dessen liegt jedenfalls ein entscheidungserheblicher Verstoß gegen den Anspruch des Klägers auf rechtliches Gehör nicht vor. Der Beschluss vom 20.4.2021 hat sich im Einzelnen mit dem Vorbringen in der Beschwerdebegründung vom 20.11.2020 auseinandergesetzt, obwohl diese erst nach Ablauf der zweimonatigen Begründungsfrist
(vgl § 160a Abs 2 Satz 1 SGG) eingereicht worden war und somit eine berücksichtigungsfähige Begründung nicht vorlag. Der 13. Senat hat allerdings das Vorbringen des Klägers zur grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache im Hinblick auf den behaupteten Verfassungsverstoß schon deshalb als unzureichend angesehen, weil eine Auseinandersetzung mit der Rechtsprechung des BVerfG und des BSG zum Regelungsgehalt des Art 14 GG, dessen Verletzung geltend gemacht wurde, vollständig fehlte
(zur Verfassungsmäßigkeit dieser Darlegungsanforderungen vgl BVerfG <Kammer> Beschluss vom 14.4.2010 – 1 BvR 2856/07 – SozR 4-1500 § 160a Nr 24 RdNr 6 f). Hinsichtlich des weiterhin gerügten Verfahrensmangels einer „Mißachtung des grundgesetzlich garantierten Anspruches des Beschwerdeführers auf rechtliches Gehör gemäß Artikel 103 GG durch die Nichtbescheidung des förmlich gestellten Aussetzungsantrages nach Artikel 100 GG&#8220; – ohne weitere Angaben – hat der 13. Senat beanstandet, dass die tatsächlichen Umstände, die den geltend gemachten Verfahrensverstoß begründen sollen, nicht dargelegt worden sind. Hieraus ergibt sich, dass das Vorbringen des Klägers zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen, jedoch aus Gründen des formellen Rechts als unzureichend beurteilt worden ist
(zu diesem Gesichtspunkt vgl BVerfG <Kammer> Beschluss vom 20.5.2021 – 2 BvR 2595/16 – juris RdNr 13). Eine entscheidungserhebliche Verletzung des rechtlichen Gehörs des Klägers durch den Beschluss des 13. Senats vom 20.4.2021 kann daher nicht festgestellt werden.

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Lediglich ergänzend weist der Senat auf Folgendes hin: Das Urteil des LSG lässt deutlich erkennen, dass der im Berufungsverfahren vom Kläger hilfsweise zur Entscheidung gestellte Antrag auf Aussetzung des Verfahrens nach Art 100 GG abgelehnt wurde, weil zur Überzeugung des LSG ein Verstoß gegen Art 14 GG nicht vorlag
(vgl Urteilsumdruck S 9 unter 5. sowie S 14 unten). Im Übrigen bleibt unklar, weshalb der Kläger weiterhin als Revisionszulassungsgrund „ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils“ anführt und die zutreffenden Hinweise in RdNr 5 des Beschlusses vom 20.4.2021
(B 13 R 229/20 B) nicht zur Kenntnis nimmt.

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Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab
(§ 178a Abs 4 Satz 4 SGG).

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3. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.