BGH 12. Zivilsenat, Beschluss vom 14.07.2021, AZ XII ZB 135/21, ECLI:DE:BGH:2021:140721BXIIZB135.21.0
§ 1896 Abs 1a BGB, § 26 FamFG, § 280 Abs 1 S 1 FamFG
Leitsatz
1. Die Durchführung von (weiteren) Ermittlungen in einem Betreuungsverfahren setzt hinreichende Anhaltspunkte dafür voraus, dass die Errichtung einer Betreuung oder die Anordnung eines Einwilligungsvorbehalts in Betracht kommt (im Anschluss an Senatsbeschluss vom 6. September 2017 – XII ZB 180/17, FamRZ 2017, 1962).
2. § 280 Abs. 1 FamFG verpflichtet das Gericht nur dann zur Einholung eines Sachverständigengutachtens, wenn das Verfahren mit einer Betreuerbestellung oder der Anordnung eines Einwilligungsvorbehalts endet. Wird davon abgesehen, ist die Einholung eines Gutachtens nach § 280 Abs. 1 Satz 1 FamFG nicht zwingend erforderlich (im Anschluss an Senatsbeschluss vom 18. März 2015 – XII ZB 370/14, FamRZ 2015, 844).
Verfahrensgang
vorgehend LG Duisburg, 8. Februar 2021, Az: 12 T 181/20
vorgehend AG Wesel, 17. Juli 2020, Az: 11 XVII 154/20 Sch
Tenor
Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss der 12. Zivilkammer des Landgerichts Duisburg vom 8. Februar 2021 wird auf Kosten des weiteren Beteiligten zu 1 zurückgewiesen.
Das Verfahren der Rechtsbeschwerde ist gerichtskostenfrei.
Wert: 5.000 €
Gründe
I.
1
Die Beteiligten zu 1 und 2, die Geschwister des Betroffenen, haben am 2. Mai 2020 die Einrichtung einer Betreuung für ihren Bruder angeregt, weil bei ihm eine Minderbegabung nach frühkindlicher Hirnschädigung bestehe und er zudem an weiteren Erkrankungen leide.
2
Nachdem der Betroffene bereits am 17. Juli 2018 eine notarielle Vorsorgevollmacht zugunsten seiner Geschwister errichtet hatte, erteilte er am 23. April 2020 eine weitere notariell beurkundete Vorsorge- und Generalvollmacht zugunsten von Frau K. und Frau H.
3
Das Amtsgericht hat nach Einholung einer Stellungnahme der Betreuungsbehörde und nach Anhörung des Betroffenen festgestellt, dass die Voraussetzungen für die Einrichtung einer Betreuung nicht vorliegen. Die hiergegen gerichteten Beschwerden der Beteiligten zu 1 und 2 hat das Landgericht zurückgewiesen. Mit der Rechtsbeschwerde möchte der Beteiligte zu 1 weiter die Bestellung eines Betreuers für seinen Bruder erreichen.
II.
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Die Rechtsbeschwerde hat keinen Erfolg.
5
1. Das Landgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt, eine Betreuung könne schon deshalb nicht angeordnet werden, weil der Betroffene nach den vorliegenden Erkenntnissen über einen freien Willen verfüge und die Einrichtung einer Betreuung nicht wünsche. Dies ergebe sich aus den vom Amtsgericht durchgeführten Ermittlungen, die keine Anhaltspunkte dafür ergeben hätten, dass der Betroffene – etwa aufgrund einer intellektuellen Minderbegabung – nicht geschäftsfähig sein könnte. Der Notar sei bei der am 23. April 2020 durchgeführten Beurkundung der Vollmacht von der Geschäftsfähigkeit des Betroffenen überzeugt gewesen. Auch die Mitarbeiterin der Betreuungsbehörde habe ausweislich ihres Berichts vom 5. Juni 2020 aufgrund ihres im Rahmen eines Hausbesuchs gewonnenen persönlichen Eindrucks kein Bedürfnis für die Einrichtung einer Betreuung gesehen. Sie habe die erteilten Vollmachten ebenso wie die Pflege- und Versorgungssituation des Betroffenen für ausreichend erachtet. Schließlich habe sich auch die Amtsrichterin im Rahmen der durchgeführten Anhörung davon überzeugt, dass der Betroffene über einen freien Willen verfüge. Zudem stellten die Beteiligten zu 1 und 2 nicht in Frage, dass der Betroffene bei Erteilung der notariellen Vollmacht zu ihren Gunsten am 17. Juli 2018 geschäftsfähig gewesen sei.
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Anlass zur Einholung eines Sachverständigengutachtens zur Frage eines freien Willens im Sinne von § 1896 Abs. 1a BGB bestehe nicht. Ausreichende Anhaltspunkte dafür, dass der Betroffene sich nicht mit einem freien Willen in das Betreuungsverfahren einbringen könne, seien nicht ersichtlich und auch auf entsprechende gerichtliche Hinweise von den Beteiligten zu 1 und 2 nicht weiter vorgetragen worden.
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Die Einrichtung einer Betreuung scheitere auch an der mangelnden Erforderlichkeit im Sinne von § 1896 Abs. 2 BGB, da der Betroffene durch Erteilung einer Vorsorgevollmacht für eine ausreichende rechtliche Vertretung gesorgt habe. Gegen die wirksame Erteilung der Vollmacht bestünden im Hinblick auf die Geschäftsfähigkeit des Betroffenen keine Bedenken.
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2. Diese Ausführungen halten rechtlicher Überprüfung stand. Soweit die Rechtsbeschwerde rügt, das Landgericht habe weitere Sachverhaltsermittlungen anstellen und insbesondere ein Sachverständigengutachten zur Frage des Vorliegens eines freien Willens i.S.v. § 1896 Abs. 1a BGB einholen müssen, kann sie damit keinen Erfolg haben.
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a) § 280 Abs. 1 Satz 1 FamFG verpflichtet nach seinem Wortlaut das Gericht nur dann zur Einholung eines Sachverständigengutachtens, wenn das Verfahren mit einer Betreuerbestellung oder der Anordnung eines Einwilligungsvorbehalts endet. Wird davon abgesehen, ist die Einholung eines Gutachtens nach § 280 Abs. 1 Satz 1 FamFG nicht zwingend erforderlich. Das Gericht hat daher vor der Anordnung der Gutachtenserstattung zu prüfen, ob es das Verfahren im Hinblick auf eine Betreuerbestellung oder die Anordnung eines Einwilligungsvorbehalts weiter betreiben will. Dies setzt hinreichende Anhaltspunkte voraus, dass Betreuungsbedarf besteht oder die Anordnung eines Einwilligungsvorbehalts in Betracht kommt, zumal bereits die Beauftragung eines Sachverständigen zur Prüfung einer möglichen Betreuungsbedürftigkeit eine stigmatisierende Wirkung haben kann, wenn Dritte von ihr Kenntnis erlangen (Senatsbeschlüsse vom 18. März 2015 – XII ZB 370/14 – FamRZ 2015, 844 Rn. 13 mwN und vom 6. September 2017 – XII ZB 180/17 – FamRZ 2017, 1962 Rn. 7).
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Anhaltspunkte für das Vorliegen der Voraussetzungen einer Betreuerbestellung können sich etwa aus der gemäß § 279 Abs. 2 FamFG obligatorischen Anhörung der Betreuungsbehörde ergeben, die – wie sich aus § 280 Abs. 2 Satz 2 FamFG ergibt – möglichst vor der Gutachtenserstellung erfolgen soll. Hinweise auf die Erforderlichkeit einer Betreuerbestellung oder der Anordnung eines Einwilligungsvorbehalts können sich zudem daraus ergeben, dass das Gericht den Betroffenen zur Wahrung des rechtlichen Gehörs vor der Einholung des Gutachtens über die beabsichtigte Einholung informieren und ihm Gelegenheit zur Stellungnahme geben muss (Senatsbeschluss vom 18. März 2015 – XII ZB 370/14 – FamRZ 2015, 844 Rn. 14 mwN).
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In welchem Umfang Tatsachen zu ermitteln sind, bestimmt sich nach § 26 FamFG. Das Gericht hat danach von Amts wegen die zur Feststellung der entscheidungserheblichen Tatsachen erforderlichen Ermittlungen durchzuführen und die geeignet erscheinenden Beweise zu erheben. Dabei muss dem erkennenden Gericht die Entscheidung darüber vorbehalten sein, welchen Weg es innerhalb der ihm vorgegebenen Verfahrensordnung für geeignet hält, um zu den für seine Entscheidung notwendigen Erkenntnissen zu gelangen. Dem Rechtsbeschwerdegericht obliegt lediglich die Kontrolle auf Rechtsfehler, insbesondere die Prüfung, ob die Tatsachengerichte alle maßgeblichen Gesichtspunkte in Betracht gezogen haben und die Würdigung auf einer ausreichenden Sachaufklärung beruht (Senatsbeschluss vom 18. März 2015 – XII ZB 370/14 – FamRZ 2015, 844 Rn. 15 mwN).
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b) Danach ist es aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden, dass das Landgericht von weiteren Ermittlungen abgesehen hat und auf Grund der bislang getroffenen Feststellungen davon ausgegangen ist, dass der Betroffene über einen freien Willen i.S.d. § 1896 Abs. 1a BGB verfügt.
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Das Landgericht hat sich bei seiner Entscheidung insbesondere auf den Eindruck von dem Betroffenen bei der zeitnah erfolgten Anhörung durch das Amtsgericht gestützt. Darüber hinaus hat es bei seinen Erwägungen berücksichtigt, dass der Notar, der am 23. April 2020 die Vorsorgevollmacht beurkundet hat, von der Geschäftsfähigkeit des Betroffenen überzeugt war und eine Mitarbeiterin der Betreuungsbehörde nach einem Hausbesuch bei dem Betroffenen ebenfalls kein Bedürfnis für die Einrichtung einer Betreuung gesehen hat. Diese Feststellungen, die auch von der Rechtsbeschwerde nicht angegriffen werden, tragen die Annahme des Landgerichts, dass der Betroffene über einen freien Willen i.S.v. § 1896 Abs. 1a BGB verfügt und daher gegen seinen Willen eine Betreuerbestellung nicht möglich ist.
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Hinreichende Anhaltspunkte für eine Fortführung der Ermittlungen ergaben sich auch nicht aus den schriftlichen Stellungnahmen seiner Geschwister in den beiden Vorinstanzen. Die Beteiligten zu 1 und 2 haben in ihren Schreiben im Wesentlichen auf einen frühkindlichen Hirnschaden des Betroffenen sowie auf dessen weitere Erkrankungen hingewiesen, die zur Pflegebedürftigkeit des Betroffenen führten und damit dessen besondere Schutzbedürftigkeit belegen sollten. Mit diesen Ausführungen haben die Beteiligten zu 1 und 2 allerdings lediglich eine mögliche Betreuungsbedürftigkeit des Betroffenen dargelegt. Konkrete Anhaltspunkte dafür, dass der Betroffene aufgrund seiner Erkrankung nicht mehr zur Bildung eines freien Willens i.S.v. § 1896 Abs. 1a BGB in der Lage ist, ergeben sich daraus nicht.
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c) Hinzu kommt, dass die Ausführungen der Beteiligten zu 1 und 2 nicht aufzeigen, welche Angelegenheiten der Betroffene aufgrund seiner Erkrankung nicht selbst besorgen könnte. Auch aus dem Umstand, dass sich der Betroffene von seiner Familie abgewandt hat und er deshalb nicht mehr wie bisher von familiärer Fürsorge begleitet wird, ergeben sich keine hinreichenden Anhaltspunkte für die Durchführung weiterer Ermittlungen. Denn insoweit wurden von den Beteiligten zu 1 und 2 ebenfalls keine konkreten Angelegenheiten benannt, die der Betroffene nicht selbst besorgen könnte.
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Zudem ist auf Grund der von dem Betroffenen erteilten notariellen Vorsorgevollmacht eine Betreuerbestellung derzeit auch nicht erforderlich (§ 1896 Abs. 2 BGB). Zwar steht eine Vorsorgevollmacht der Bestellung eines Betreuers dann nicht entgegen, wenn Bedenken gegen die Wirksamkeit der Vollmacht bestehen oder der Bevollmächtigte ungeeignet ist, die Angelegenheiten des Betroffenen zu besorgen, insbesondere weil zu befürchten ist, dass die Wahrnehmung der Interessen des Betroffenen durch jenen eine konkrete Gefahr für das Wohl des Betroffenen begründet, etwa weil erhebliche Bedenken an der Redlichkeit des Vorsorgebevollmächtigten bestehen. Anhaltspunkte für eine Geschäftsunfähigkeit des Betroffenen zum Zeitpunkt der notariellen Vollmachterteilung hat das Landgericht jedoch ebenso wenig festgestellt wie konkrete Umstände, die auf die Unredlichkeit der derzeitigen Bevollmächtigten schließen lassen. Solche Umstände werden auch von der Rechtsbeschwerde nicht geltend gemacht.
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3. Von einer weiteren Begründung der Entscheidung wird abgesehen, weil sie nicht geeignet wäre, zur Klärung von Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung, zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung beizutragen (§ 74 Abs. 7 FamFG).
- Guhling
- Klinkhammer
- Schilling
- Günter
- Krüger