Eilantrag gegen das Verbot einer Dauermahnwache in Berlin abgelehnt (Pressemeldung des BVerfG)

Anlässlich eines von der zuständigen Versammlungsbehörde verfügten Verbots einer in Berlin auf der Straße des 17. Juni für den Zeitraum zwischen dem 30. August und dem 14. September 2020 geplanten Dauermahnwache zum Protest gegen staatliche Maßnahmen zur Bekämpfung der Covid-19-Pandemie hat die 1. Kammer des Ersten Senats heute einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt. Zuvor hatte schon das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg das Verbot der Dauermahnwache bestätigt.

1. Der Antrag ist bereits unzulässig.

Er genügt nicht dem auch im verfassungsgerichtlichen Eilrechtsschutzverfahren geltenden Grundsatz der Subsidiarität, wonach vor einer Anrufung des Bundesverfassungsgerichts zunächst fachgerichtliche Rechtsschutzmöglichkeiten auszuschöpfen sind.

Der Antragsteller trägt vor, er habe seine ursprüngliche Anmeldung der Dauermahnwache vom 22. August 2020 nach der Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg am 29. August 2020 konkretisiert. Damit beruft sich der Antragsteller auf einen in wesentlicher Hinsicht neuen Sachverhalt, den das Oberverwaltungsgericht bei seiner Entscheidung noch nicht berücksichtigen konnte. Der Antragsteller war deshalb gehalten, vor dem Hintergrund der veränderten Umstände zunächst erneut um fachgerichtlichen Eilrechtsschutz nachzusuchen.

2. Der Antrag ist überdies auch unbegründet.

Entgegen der Einschätzung des Antragstellers sind die Erfolgsaussichten einer Verfassungsbeschwerde nicht derart offensichtlich, dass hier allein schon deshalb in der Nichtgewährung von Rechtsschutz ein schwerer Nachteil für das gemeine Wohl im Sinne von § 32 Abs. 1 BVerfGG läge.

Das hier in Rede stehende Verbot des Protestcamps wurde auf § 15 Abs. 1 VersG gestützt. Nach der von dem Oberverwaltungsgericht bestätigten Einschätzung der Versammlungsbehörde stünde bei Durchführung des Camps eine unmittelbare Gefährdung der öffentlichen Sicherheit im Wesentlichen deshalb zu befürchten, weil die Veranstaltungsteilnehmer aus Gründen des Infektionsschutzes gebotene Mindestabstände nicht einhalten würden. Im Vergleich zu einem Verbot mildere, zur Gefahrenabwehr ebenso geeignete Maßnahmen stünden nach den gegebenen Umständen nicht zu Verfügung. Diese Einschätzung ist nach dem gegenwärtigen Verfahrensstand jedenfalls nicht offensichtlich unzutreffend.

Es steht im Grundsatz außer Zweifel, dass ein Eingriff in die Versammlungsfreiheit des Art. 8 Abs. 1 GG zum Schutz des Grundrechts Dritter auf Leben und körperliche Unversehrtheit gemäß Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG gerechtfertigt werden kann. Unter strikter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit können zum Zweck des Schutzes vor Infektionsgefahren auch versammlungsbeschränkende Maßnahmen ergriffen werden. Dazu gehören grundsätzlich auch Versammlungsverbote, die allerdings nur verhängt werden dürfen, wenn mildere Mittel nicht zur Verfügung stehen und soweit der hierdurch bewirkte tiefgreifende Eingriff in das Grundrecht aus Art. 8 Abs. 1 GG insgesamt nicht außer Verhältnis steht zu den jeweils zu bekämpfenden Gefahren. In Betracht kommen namentlich Auflagen mit der Verpflichtung zur Einhaltung bestimmter Mindestabstände, aber auch Beschränkungen der Teilnehmerzahl, um eine Unterschreitung notwendiger Mindestabstände zu verhindern. Darüber hinaus kommt auch in Betracht, im Wege einer Auflage im Sinne von § 15 Abs. 1 VersG eine Verpflichtung der Versammlungsteilnehmer zum Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung anzuordnen, die nach Einschätzung des Robert-Koch-Instituts jedenfalls zu einer Verlangsamung des Infektionsgeschehens beitragen kann. Als weitere Regelungen der Modalitäten einer Versammlung kommen etwa die Durchführung als ortsfeste Kundgebung anstelle eines Aufzugs oder die Verlegung an einen aus infektionsschutzrechtlicher Sicht vorzugswürdigen Alternativstandort in Betracht.

Weil danach nach den vorliegenden Umständen nicht offenkundig ist, dass das hier in Rede stehende Verbot die Versammlungsfreiheit des Antragstellers unverhältnismäßig beschränkt, ist eine Folgenabwägung geboten, die zum Nachteil des Antragstellers ausgeht.

Wenn die einstweilige Anordnung nicht erginge, sich nach Durchführung eines Hauptsacheverfahrens jedoch herausstellte, dass das Verbot des Camps verfassungswidrig ist, wäre der Antragsteller in seinem Grundrecht auf Versammlungsfreiheit gemäß Art. 8 Abs. 1 GG verletzt. Diese Grundrechtsverletzung wäre von erheblichem Gewicht nicht nur im Hinblick auf den Antragsteller, sondern angesichts der Bedeutung der Versammlungsfreiheit für eine freiheitliche Staatsordnung auch im Hinblick auf das demokratische Gemeinwesen insgesamt. Erginge demgegenüber eine einstweilige Anordnung und würde sich später herausstellen, dass das Verbot des Camps rechtmäßig ist, wären grundrechtlich durch Art. 2 Abs. 2 GG geschützte Interessen einer großen Anzahl Dritter von hohem Gewicht betroffen.

Die gebotene Abwägung der jeweils berührten Interessen geht zum Nachteil des Antragstellers aus. Anders wäre dies allenfalls, wenn eine Durchführung des Camps unter Bedingungen gewährleistet wäre, die ein hinreichendes Maß an Schutz vor möglichen Infektionsgefahren sicherstellten. Hierzu bedürfte es eines geeigneten Hygienekonzepts. Das von dem Antragsteller anlässlich einer bereits gestern von ihm angemeldeten und durchgeführten Kundgebung vorgelegte Hygienekonzept setzt unter Verzicht auf das Tragen von Mund-Nasen-Bedeckungen auf eine konsequente Einhaltung der gebotenen Mindestabstände, die insbesondere durch den Einsatz von Ordnern und Deeskalationsteams sichergestellt werden soll. Mit Blick auf nach Durchführung der gestrigen Versammlung nunmehr vorliegende Erfahrungen musste sich der Antragsteller dazu veranlasst sehen, die praktische Eignung seines Konzepts zu bewerten und dieses erforderlichenfalls anzupassen. Dass dies geschehen ist, ist indes weder dargelegt noch sonst ersichtlich. Im Übrigen ist das Konzept auf eine an einem einzelnen Tag stattfindende Versammlung zugeschnitten. Der Antragsteller hat nicht dargelegt, dass es auch für das nunmehr über einen Zeitraum von 14 Tagen geplante Camp realisierbar ist.

Erfolgloser Eilantrag gegen Verbot einer Versammlung in Form einer „Dauermahnwache“ gegen staatliche Corona-Eindämmungsmaßnahmen – Unzulässigkeit des Antrags wegen Subsidiarität – Gefahrenprognose der Versammlungsbehörde nicht offenkundig unzutreffend – Folgenabwägung (Ablehnung einstweilige Anordnung des BVerfG 1. Senat 1. Kammer)

Ablehnung einstweilige Anordnung vom 30.08.2020, AZ 1 BvQ 94/20, ECLI:DE:BVerfG:2020:qk20200830.1bvq009420Art 8 Abs 1 GG, Art 8 Abs 2 GG, § 32 Abs 1 BVerfGG, § 4 CoronaVV BE 3, § 15 Abs 1 VersammlG

Unzulässige Eilanträge im Zusammenhang mit Demonstrationen in Berlin (Pressemeldung des BVerfG)

Im Zusammenhang mit an diesem Wochenende in Berlin veranstalteten Demonstrationen gegen staatliche Maßnahmen zur Bekämpfung der Covid-19-Pandemie hat das Bundesverfassungsgericht am heutigen Tag drei Entscheidungen getroffen. Mit ihren Beschlüssen hat die 1. Kammer des Ersten Senats Anträge auf Erlass einstweiliger Anordnungen als unzulässig abgelehnt.

Der Beschwerdeführer im Verfahren 1 BvR 2038/20 meldete für den 29. August 2020 um 10.30 Uhr eine Versammlung an, die von der Versammlungsbehörde mit Bescheid vom 26. August 2020 verboten wurde. Am 29. August 2020 um 1.34 Uhr stellte er deswegen bei dem Verwaltungsgericht Berlin einen Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz. Gegen 10.30 Uhr erhob er beim Bundesverfassungsgericht Verfassungsbeschwerde und stellte einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung, weil das Verwaltungsgericht über den dort gestellten Eilantrag noch nicht entschieden habe. Das Bundesverfassungsgericht hat den Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt, weil der Beschwerdeführer nicht dargelegt hat, aus welchen Gründen er sich erst so spät um verwaltungsgerichtlichen Eilrechtsschutz bemüht hat.

Der Beschwerdeführer im Verfahren 1 BvR 2039/20 wendet sich gegen eine Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg, mit der das Verbot einer Versammlung unter Auflagen außer Vollzug gesetzt wurde, die also die Durchführung der betreffenden Versammlung ermöglicht. Der Beschwerdeführer sieht sich hierdurch in seinem Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit aus Art. 2 Abs. 2 GG verletzt, weil die Teilnehmer der Versammlung unter anderem infektionsschützende Mindestabstände nicht einhielten. Den mit der Verfassungsbeschwerde verbundenen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung hat das Bundesverfassungsgericht wegen einer nicht hinreichend substantiierten Begründung abgelehnt.

Mangels substantiierter Begründung hatte schließlich auch der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung im Verfahren 1 BvQ 93/20 keinen Erfolg. Der Antragsteller wandte sich im Zusammenhang mit einer laufenden Versammlung gegen Maßnahmen der Polizei.

Erfolgloser, da evident unzureichend begründeter Eilantrag im Verfassungsbeschwerdeverfahren bzgl „des Verbots der Corona-Demo in Berlin“ – Unzulässigkeit bei mangelnder Bezeichnung oder zumindest inhaltlicher Wiedergabe der fachgerichtlichen Entscheidung (Ablehnung einstweilige Anordnung des BVerfG 1. Senat 1. Kammer)

Ablehnung einstweilige Anordnung vom 29.08.2020, AZ 1 BvR 2039/20, ECLI:DE:BVerfG:2020:rk20200829.1bvr203920§ 23 Abs 1 S 2 BVerfGG, § 32 Abs 1 BVerfGG, § 92 BVerfGG

Erfolgloser Eilantrag im Zusammenhang mit einer Demonstration gegen Corona-Eindämmungsmaßnahmen – Unzulässigkeit wegen Subsidiarität bei mangelnden Darlegungen zur rechtzeitigen Inanspruchnahme fachgerichtlichen Eilrechtsschutzes (Ablehnung einstweilige Anordnung des BVerfG 1. Senat 1. Kammer)

Ablehnung einstweilige Anordnung vom 29.08.2020, AZ 1 BvR 2038/20, ECLI:DE:BVerfG:2020:rk20200829.1bvr203820Art 8 Abs 1 GG, Art 8 Abs 2 GG, § 32 Abs 1 BVerfGG, § 90 Abs 2 S 1 BVerfGG, § 15 Abs 1 VersammlG

Nichtzulassungsbeschwerde – grundsätzlich bedeutsame Rechtssache – Schwerbehindertenrecht – GdB-Feststellung – Versorgungsmedizinische Grundsätze – psychische Störung – Unterscheidung zwischen mittelgradigen und schweren sozialen Anpassungsschwierigkeiten – Abgrenzungskriterien des Ärztlichen Sachverständigenbeirats Versorgungsmedizin – sozialgerichtliches Verfahren – Verfahrensfehler – Gehörsrüge – Tatsachenvortrag in der mündlichen Verhandlung – Sachaufklärungsrüge – Beweisangebot kein Beweisantrag – Darlegungsanforderungen (Beschluss des BSG 9. Senat)

Beschluss vom 27.08.2020, AZ B 9 SB 4/20 B, ECLI:DE:BSG:2020:270820BB9SB420B0Anlage Teil B Nr 3.7 VersMedV, § 2 VersMedV, § 152 Abs 1 S 1 SGB 9 2018, § 62 SGG, § 103 SGG

Mietshaus

Nichtzulassungsbeschwerde – grundsätzliche Bedeutung einer Rechtssache – soziales Entschädigungsrecht – Gewaltopfer – mittelbares Opfer – Schockschaden – Unmittelbarkeitszusammenhang – besondere persönliche Nähebeziehung – Darlegungsanforderungen (Beschluss des BSG 9. Senat)

Beschluss vom 27.08.2020, AZ B 9 V 5/20 B, ECLI:DE:BSG:2020:270820BB9V520B0§ 1 Abs 1 S 1 OEG, § 160a Abs 2 S 3 SGG, § 160 Abs 2 Nr 1 SGG, § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 SGG, § 163 SGG