BGH 6a. Zivilsenat, Urteil vom 24.07.2024, AZ VIa ZR 10/22, ECLI:DE:BGH:2024:240724UVIAZR10.22.0
Verfahrensgang
vorgehend OLG Oldenburg (Oldenburg), 7. Dezember 2021, Az: 6 U 64/21
vorgehend LG Osnabrück, 5. Februar 2021, Az: 3 O 2357/20
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird der Beschluss des 6. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Oldenburg vom 7. Dezember 2021 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als das Berufungsgericht den Berufungsantrag zu 1 in Höhe von 50.816,51 € nebst Rechtshängigkeitszinsen Zug um Zug gegen Übereignung und Herausgabe des streitgegenständlichen Fahrzeugs und die Berufungsanträge zu 2 und 3 zurückgewiesen hat.
Die Sache wird im Umfang der Aufhebung zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Der Streitwert für das Revisionsverfahren wird auf bis 65.000 € festgesetzt.
Von Rechts wegen
Tatbestand
1
Der Kläger nimmt die Beklagte wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in einem Kraftfahrzeug auf Schadensersatz in Anspruch.
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Der Kläger erwarb im Februar 2015 von einem Dritten einen neuen BMW X5. Das Fahrzeug ist mit einem Dieselmotor der Baureihe N57 (Schadstoffklasse Euro 6) ausgestattet. Fahrzeug und Motor sind von der Beklagten hergestellt worden.
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Das Landgericht hat die im Wesentlichen auf Rückabwicklung des Kaufvertrags gerichtete Klage abgewiesen. Die Berufung, mit welcher der Kläger die Verurteilung der Beklagten zur Zahlung von 50.816,51 € nebst Rechtshängigkeitszinsen und zur Zahlung von ausgerechneten Deliktszinsen Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs (Berufungsantrag zu 1), die Feststellung des Annahmeverzugs (Berufungsantrag zu 2) und die Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten (Berufungsantrag zu 3) begehrt hat, ist ohne Erfolg geblieben. Mit seiner vom Senat zugelassenen Revision verfolgt der Kläger – mit Ausnahme der Deliktszinsen – seine zweitinstanzlich gestellten Anträge weiter.
Entscheidungsgründe
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Die Revision des Klägers hat Erfolg.
I.
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Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung wie folgt begründet:
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Dem Kläger stehe weder aus § 826 BGB noch aus einem anderen Rechtsgrund ein Anspruch zu. Es könne wegen der Tatbestandswirkung der gültigen EG-Typgenehmigung bereits nicht festgestellt werden, dass das Fahrzeug des Klägers von der Beklagten mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestattet worden sei. Die Beklagte könnte sich zwar auf die Tatbestandswirkung nicht berufen, wenn sie sich die EG-Typgenehmigung erschlichen und das KBA getäuscht hätte. Eine solche Ausnahmesituation liege hier aber nicht vor. Weder stehe auf Grund einer bestandskräftigen Entscheidung des KBA fest, dass eine unzulässige Abschalteinrichtung in dem konkret erworbenen Fahrzeug installiert sei, noch bestehe auf der Grundlage des Vorbringens des Klägers die Möglichkeit, dass das KBA künftig eine solche Entscheidung treffen werde. Vielmehr habe das KBA den Fahrzeugtyp bereits untersucht und dabei keine unzulässigen Abschalteinrichtungen festgestellt. Das vom Kläger erworbene Fahrzeug unterfalle keinem Rückruf. Damit stehe zugleich fest, dass sich das KBA nicht getäuscht sehe, sondern an der erteilten Typgenehmigung festhalte. Unter diesen Umständen könne dem Kläger auch kein Schaden in Gestalt einer drohenden Betriebsuntersagung des Fahrzeugs entstanden sein oder entstehen. Unabhängig von dem Fehlen einer unzulässigen Abschalteinrichtung begründe die Implementierung eines Thermofensters keine sittenwidrige Schädigung, selbst wenn man eine unzulässige Abschalteinrichtung unterstellen würde.
II.
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Diese Erwägungen halten der Überprüfung im Revisionsverfahren nicht in allen Punkten stand.
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1. Es begegnet im Ergebnis allerdings keinen revisionsrechtlichen Bedenken, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten aus §§ 826, 31 BGB verneint hat.
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Zwar kann die Tatbestandswirkung einer EG-Typgenehmigung einem Anspruch des Klägers auf Schadensersatz aus §§ 826, 31 BGB nicht entgegengehalten werden (BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 – VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 10 ff.). Doch hat das Berufungsgericht selbständig tragend und zutreffend eine Haftung der Beklagten nach §§ 826, 31 BGB zusätzlich mit dem Hinweis verneint, es fehle an schlüssigem bzw. prozessual beachtlichem Vortrag des Klägers zu seiner sittenwidrigen vorsätzlichen Schädigung.
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a) Das Berufungsgericht hat den Einbau eines „Thermofensters“ im Einklang mit der höchstrichterlichen Rechtsprechung (vgl. BGH, Urteil vom 16. September 2021 – VII ZR 190/20, NJW 2021, 3721 Rn. 12 ff.; Urteil vom 26. Juni 2023 – VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 48; Urteil vom 20. Juli 2023 – III ZR 267/20, WM 2023, 1839 Rn. 12; Beschluss vom 19. Januar 2021 – VI ZR 433/19, NJW 2021, 921 Rn. 16 ff.) nicht als Anknüpfungspunkt einer Haftung der Beklagten nach §§ 826, 31 BGB gewählt. Durchgreifende Einwendungen erhebt die Revision insoweit nicht.
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b) Soweit der Kläger eine prüfstandsbezogene Abschalteinrichtung in der Form eines „hard cycle beating“ behauptet hat, hat das Berufungsgericht schon den Einbau im Fahrzeug des Klägers verneint. Die insoweit von der Revision erhobenen Verfahrensrügen hat der Senat geprüft und nicht für durchgreifend erachtet (§ 564 Satz 1 ZPO).
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2. Die Revision wendet sich jedoch mit Erfolg dagegen, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen abgelehnt hat. Mit der von ihm gegebenen Begründung kann ein Schadensersatzanspruch aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV nicht verneint werden.
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a) Wie der Senat nach Erlass des angegriffenen Beschlusses entschieden hat, sind die Bestimmungen der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB, die das Interesse des Fahrzeugkäufers gegenüber dem Fahrzeughersteller wahren, nicht durch den Kaufvertragsabschluss eine Vermögenseinbuße im Sinne der Differenzhypothese zu erleiden, weil das Fahrzeug entgegen der Übereinstimmungsbescheinigung eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 aufweist (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 – VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 29 bis 32). Zwar besteht insoweit kein Anspruch des Klägers auf die Gewährung sogenannten „großen“ Schadensersatzes (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023, aaO, Rn. 22 bis 27). Dem Kläger kann jedoch nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV ein Anspruch auf Ersatz eines erlittenen Differenzschadens zustehen (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023, aaO, Rn. 28 bis 32; ebenso BGH, Urteile vom 20. Juli 2023 – III ZR 267/20, ZIP 2023, 1903 Rn. 21 ff.; – III ZR 303/20, juris Rn. 16 f.; Urteil vom 12. Oktober 2023 – VII ZR 412/21, juris Rn. 20).
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b) Mit Recht hat das Berufungsgericht für einen Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV verlangt, dass das Kraftfahrzeug mit einer gemäß Art. 3 Nr. 10, Art. 5 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 unzulässigen Abschalteinrichtung ausgerüstet ist. Doch auch insoweit kann das Vorliegen unzulässiger Abschalteinrichtungen nicht unter Hinweis auf die Tatbestandswirkung der EG-Typgenehmigung verneint werden (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 – VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 10 ff., 33 f.; Urteil vom 6. Februar 2024 – VIa ZR 796/22, juris Rn. 11).
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c) Die Haftung der Beklagten kann auch nicht mit der Begründung abgelehnt werden, es fehle an einem Schaden, weil dem vom Kläger erworbenen Fahrzeug weder eine Stilllegung noch eine sonstige Betriebsbeschränkung drohe. Vielmehr hat der Senat sowohl entschieden, dass eine Verringerung des objektiven Werts des Kraftfahrzeugs infolge seiner Ausrüstung mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung im Vergleich zu einem Kraftfahrzeug der betreffenden Baureihe und Motorisierung ohne unzulässige Abschalteinrichtung nicht ohne Verstoß gegen § 287 ZPO verneint werden kann, als auch die für die Schätzung des Schadens geltenden Maßstäbe geklärt (BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 – VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245, Rn. 41 und 71 ff.; Urteil vom 19. März 2024 – VIa ZR 1318/22, juris Rn. 15).
III.
16
Der Zurückweisungsbeschluss ist demnach in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang aufzuheben, § 562 ZPO, weil er sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig darstellt, § 561 ZPO. Der Senat kann im Umfang der Aufhebung nicht in der Sache selbst entscheiden, weil sie nicht zur Endentscheidung reif ist, § 563 Abs. 3 ZPO. Sie ist daher in diesem Umfang zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO.
17
Im wiedereröffneten Berufungsverfahren wird der Kläger Gelegenheit haben, einen Differenzschaden darzulegen. Das Berufungsgericht wird sodann nach den näheren Maßgaben des Urteils des Senats vom 26. Juni 2023 (VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 ff.) die erforderlichen Feststellungen zu den Voraussetzungen und gegebenenfalls dem Umfang einer Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV zu treffen haben.
- C. Fischer
- Möhring
- Krüger
- Wille
- Liepin