Beschluss des BVerwG 2. Wehrdienstsenat vom 11.07.2024, AZ 2 WA 7/23

BVerwG 2. Wehrdienstsenat, Beschluss vom 11.07.2024, AZ 2 WA 7/23, ECLI:DE:BVerwG:2024:110724B2WA7.23.0

Verfahrensgang

vorgehend Truppendienstgericht Nord, 7. Februar 2024, Az: N 5 GL 4/22

Tenor

Dem Kläger wird für das Verfahren 2 WA 7.23 Prozesskostenhilfe bewilligt.

Dem Kläger wird aufgegeben, binnen zwei Wochen nach Zustellung dieses Beschlusses einen zur Vertretung bereiten Rechtsanwalt zu benennen, der ihm in dem Verfahren beigeordnet werden soll, oder zu erklären, keinen zur Vertretung bereiten Rechtsanwalt gefunden zu haben.

Tatbestand

1

1. Der Kläger war Soldat auf Zeit und ist nach § 55 Abs. 4 SG aus dem Dienstverhältnis entlassen worden.

2

2. In dem vor dem Truppendienstgericht … durch Beschluss desselben vom 18. August 2022 unanfechtbar abgeschlossenen Disziplinarverfahren, in dem der Kläger sich gegen eine mit der Feststellung eines Dienstvergehens verbundene Absehensverfügung gerichtet hatte, hat er unter dem 10. und 12. Mai 2022 und ausdrücklich gestützt auf § 198 GVG beantragt, ihm wegen unangemessener Dauer des disziplinaren Vorermittlungsverfahrens eine Entschädigung zuzusprechen.

3

3. Nachdem das Truppendienstgericht die Sache insoweit am 7. Februar 2024 an das Bundesverwaltungsgericht verwiesen und dieses den anwaltlich nicht vertretenen Kläger auf die Notwendigkeit hingewiesen hat, sich vor dem Bundesverwaltungsgericht durch einen Rechtsanwalt vertreten zu lassen, hat er beantragt, ihm für das Entschädigungsverfahren Prozesskostenhilfe zu bewilligen und einen Rechtsanwalt als Prozessbevollmächtigten beizuordnen.

Entscheidungsgründe

4

Die Voraussetzungen für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe liegen vor.

5

1. Die persönlichen und wirtschaftlichen Voraussetzungen für eine Prozesskostenhilfebewilligung liegen nach Sichtung der vom Kläger übermittelten Dokumente vor (§ 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i. V. m. § 115 ZPO); weiterer Unterlagen bedarf es nicht.

6

2. Die beabsichtigte Rechtsverfolgung ist zudem weder mutwillig (§ 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i. V. m. § 114 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 ZPO) noch fehlt es ihr an der hinreichenden Erfolgsaussicht (§ 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i. V. m. § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO).

7

a) Der hinreichenden Erfolgsaussicht steht nicht von vornherein entgegen, dass der Kläger seinen auf § 198 GVG gestützten Entschädigungsanspruch nicht aus einer unangemessen langen Dauer des gerichtlichen, sondern des disziplinaren Vorermittlungsverfahrens (nach § 92 Abs. 1 WDO) ableitet. Zwar finden gemäß § 91 Abs. 1 Satz 3 Halbs. 2 WDO die Vorschriften des Siebzehnten Titels des Gerichtsverfassungsgesetzes, mithin die Regelungen über Entschädigungsansprüche bei unangemessen langen Gerichts- (§ 198 GVG) und insbesondere Strafermittlungsverfahren (§ 199 GVG), auf das Verfahren des Wehrdisziplinaranwalts vor Vorlage der Anschuldigungsschrift beim Truppendienstgericht keine Anwendung (vgl. Dau/Schütz, Wehrdisziplinarordnung, Kommentar, 8. Aufl. 2022, § 91 Rn. 23, § 101 Rn. 7). In einem etwaigen, noch rechtswirksam vom Kläger einzuleitenden Hauptsacheverfahren würde der Senat jedoch unter Umständen die rechtlich schwierige, bislang ungeklärte und somit einer Klärung im summarischen PKH-Verfahren entzogene (vgl. BVerfG, Beschluss vom 30. Oktober 2023 – 1 BvR 687/22 – NVwZ-RR 2024, 169 Rn. 19) Rechtsfrage klären müssen, ob die Regelung rechtsmethodisch zulässig einer teleologischen Reduktion bedarf (vgl. etwa BVerwG, Urteil vom 9. Februar 2012 – 5 C 10.11 – BVerwGE 142, 10 Rn. 15). Dies ist deshalb in Betracht zu ziehen, weil der Gesetzgeber des Gesetzes über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren davon ausgegangen ist, dass die Verfahrensordnungen nach der VwGO, dem SGG und der FGO und der WBO Rechtsbehelfe für den Fall enthalten, dass ein solches Vorverfahren ohne zureichenden Grund nicht in angemessener Zeit abgeschlossen worden ist. Auf eine etwaige Verzögerung im Vorverfahren könne und müsse daher auf diesem Weg (§ 16 Abs. 2, § 17 Abs. 1 Satz 2 WBO) reagiert werden, so dass für eine Entschädigungsregelung insoweit kein Bedarf bestehe (vgl. BT-Drs. 17/3802, S. 17 <zu Vorverfahren> sowie S. 30 <zu Art. 19> des Gesetzentwurfs über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren).

8

b) Ob diese Erwägung des Gesetzgebers auch für den Ausschluss nach § 91 Abs. 1 Satz 3 Halbs. 2 WDO zutrifft, ist zweifelhaft. Denn nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts fehlt für eine Beschwerde nach der Wehrbeschwerdeordnung gegen eine im Rahmen eines Verfahrens nach der Wehrdisziplinarordnung ergangene Maßnahme, wozu verzögerte Vorermittlungsmaßnahmen zählen könnten, regelmäßig das Rechtsschutzbedürfnis, weil diese ausschließlich nach Maßgabe der in der Wehrdisziplinarordnung vorgesehenen Rechtsbehelfe angefochten werden kann (BVerwG, Beschluss vom 16. Januar 2024 – 1 WNB 3.23 – juris Rn. 5, unter Hinweis auf den Beschluss vom 31. Januar 2007 – 1 WB 34.06 – juris Rn. 24 – NZWehrr 2007, 164 <165>). Für einen Untätigkeitsantrag fehlt es an einem in § 17 Abs. 1 WBO erwähnten Recht (BVerwG, Beschluss vom 15. Dezember 2020 – 2 WNB 9.20 – juris Rn. 7). Dem entspricht, dass der 2. Wehrdienstsenat des Bundesverwaltungsgerichts bei der Maßnahmebemessung eine unangemessen lange Verfahrensdauer vor Einleitung des disziplinargerichtlichen Verfahrens auch deshalb mildernd einstellt, weil dem Soldaten erst ab Einleitung desselben mit § 101 WDO ein spezifischer Rechtsbehelf zur Verfügung steht, eine unangemessene Verfahrensdauer abzuwehren (BVerwG, Urteil vom 18. Juli 2019 – 2 WD 19.18 – BVerwGE 166, 189 Rn. 42). Inwieweit die Möglichkeit eines Soldaten, gemäß § 95 Abs. 1 Satz 1 WDO von sich aus die Einleitung eines gerichtlichen Disziplinarverfahrens zu beantragen, eine andere rechtliche Bewertung nahelegt (vgl. BVerwG, Urteil vom 22. Juni 2023 – 2 WD 10.22 – juris Rn. 49), wäre ebenfalls erst im Hauptsacheverfahren zu klären. Dort würde – wenn die Ausschlussregelung des § 91 Abs. 1 Satz 3 Halbs. 2 WDO nicht zum Tragen käme – ebenso zu klären sein, ob der Kläger – wie von ihm in seiner E-Mail (über das BMVg) an die Wehrdisziplinaranwaltschaft vom 30. März 2022 behauptet – mit den Schriftsätzen seines früheren Prozessbevollmächtigten vom 10. März 2021 und 7. Oktober 2021 eine Verzögerungsrüge erhoben hat und die Klagefrist gewahrt wurde.

9

3. Da Prozesskostenhilfe zu bewilligen ist und in dem vom Kläger geführten Entschädigungsverfahren gemäß § 91 Abs. 1 Satz 3 Halbs. 1 WDO i. V. m. § 67 Abs. 4 Satz 1 VwGO Vertretungszwang besteht (BVerwG, Beschlüsse vom 8. März 2023 – 2 WA 4.22 – juris Rn. 4, sowie vom 6. November 2017 – 5 PKH 13.17 D – juris Rn. 6), wäre ihm gemäß § 121 Abs. 1 ZPO ein zur Vertretung bereiter Rechtsanwalt seiner Wahl beizuordnen. Dies setzt jedoch eine Benennung durch den Kläger voraus, die er entgegen seiner – ausweislich des Vermerks vom 1. Juli 2024 – abgegebenen Erklärung noch nicht vorgenommen hat. Ihm wird daher eine abschließende Frist von zwei Wochen nach Zustellung dieses Beschlusses gesetzt. Findet er erklärtermaßen binnen dieser Frist keinen zur Vertretung bereiten Rechtsanwalt, wird ihm der Vorsitzende – auf Antrag – einen solchen nach § 121 Abs. 5 ZPO beiordnen.

Kategorien: Allgemein