Pressemitteilung Nr. 110/2022 vom 21. Dezember 2022
Beschluss vom 04. Oktober 2022
1 BvR 382/21
Mit heute veröffentlichtem Beschluss hat die 2. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts eine Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen. Die Beschwerdeführenden, das Land Berlin und eine Arbeitgebervereinigung, wendeten sich gegen zwei Urteile des Bundesarbeitsgerichts, in denen es um die Eingruppierung von Servicekräften eines Amtsgerichts in eine höhere Entgeltstufe des Tarifvertrags für den öffentlichen Dienst der Länder (TV-L) ging. Das Land Berlin kann sich jedoch nicht auf die hier in Betracht kommenden Grundrechte und grundrechtsgleiche Rechte berufen. Die Arbeitgebervereinigung ist nicht beschwerdebefugt, weil sie nicht Partei des fachgerichtlichen Verfahrens war; zudem hätte sie den Inhalt der tarifvertraglichen Regelung zunächst vor den Fachgerichten klären lassen müssen.
Sachverhalt:
Beschäftigte von Serviceeinheiten hatten letztlich erfolgreich die Eingruppierung in eine höhere Entgeltgruppe des TV-L und damit eine höhere Vergütung eingeklagt. Das Land Berlin und die tarifschließende Arbeitgebervereinigung wandten sich gegen die Urteile des Bundesarbeitsgerichts. Es habe die in Art. 9 Abs. 3 GG garantierte Tarifautonomie verletzt und die spezifischen Grenzen der zulässigen Auslegung von tarifvertraglichen Regelungen überschritten.
Wesentliche Erwägungen der Kammer:
Die Verfassungsbeschwerde ist insgesamt unzulässig.
1. Das beschwerdeführende Land Berlin ist nicht beschwerdeberechtigt. Es kann sich weder auf die Tarifautonomie (Art. 9 Abs. 3 GG) noch auf Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG berufen. Zwar ist das tarifvertragliche Handeln kollektiv ausgeübte Privatautonomie. Auch betätigt sich das Land als Privatrechtssubjekt, soweit es Personen auf arbeitsrechtlicher Grundlage beschäftigt. Doch ergibt sich daraus keine Ausnahme von dem Grundsatz, dass sich juristische Personen des öffentlichen Rechts nicht auf Grundrechte berufen können. Das Land ist hier keine eigenständige, vom Staat unabhängige oder jedenfalls distanzierte Einrichtung, die – wie etwa Rundfunkanstalten, Universitäten oder Kirchen – unmittelbar dem durch ein spezifisches Grundrecht geschützten Lebensbereich zuzuordnen wäre und in diesem Lebensbereich den Bürgerinnen und Bürgern zur Verwirklichung ihrer Grundrechte diente. Es wäre mit dem vorrangigen Sinn der Grundrechte, den Schutz der Einzelnen vor Eingriffen der staatlichen Gewalt zu gewährleisten, nicht mehr vereinbar, die Grundrechtsfähigkeit auf juristische Personen des öffentlichen Rechts weiter auszudehnen. Es könnte vielmehr dazu führen, dass die Grundrechte in ihr Gegenteil verkehrt werden, wenn Grundrechtsschutz zugunsten der öffentlichen Hand damit letztlich gegen die Bürgerinnen und Bürger gewendet wird.
2. Die beschwerdeführende Arbeitgebervereinigung ist nicht beschwerdebefugt. Sie ist durch die angegriffenen Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts nicht unmittelbar adressiert, da sie weder Partei noch Beteiligte des Ausgangsverfahrens war. Zwar hat sie den verfahrensgegenständlichen Tarifvertrag abgeschlossen, doch bindet die gerichtliche Entscheidung rechtlich nur im Verhältnis zwischen den Prozessparteien. Dass die hier angegriffenen Entscheidungen mittelbar auf das Tarifgeschehen einwirken, genügt für die Beschwerdebefugnis nicht.
Darüber hinaus genügt die Verfassungsbeschwerde der Arbeitgebervereinigung nicht dem Grundsatz der Subsidiarität. Danach müssen vor Einlegung einer Verfassungsbeschwerde alle zur Verfügung stehenden prozessualen Möglichkeiten ergriffen werden, um eine Korrektur der geltend gemachten Verfassungsverletzung zu erwirken oder eine Grundrechtsverletzung zu verhindern. Hier hätte die Arbeitgebervereinigung den Inhalt des Tarifvertrages gerichtlich verbindlich klären lassen können. So ist eine Verbandsklage auch dann zulässig, wenn sie lediglich die Gültigkeit oder Auslegung einer einzelnen Tarifnorm betrifft. Hier ist nicht erkennbar, weshalb dies unzumutbar sein sollte. Die Beschreitung des Rechtswegs würde auch verhindern, dass das Bundesverfassungsgericht über eine solche fachliche Frage auf ungesicherter Tatsachen- und Rechtsgrundlage entscheidet.