BGH 12. Zivilsenat, Beschluss vom 11.05.2022, AZ XII ZB 129/21, ECLI:DE:BGH:2022:110522BXIIZB129.21.0
§ 1896 Abs 2 S 2 BGB, § 1897 Abs 1 BGB, § 1897 Abs 4 S 1 BGB, § 278 Abs 4 FamFG
Leitsatz
1. Hört das Landgericht nur den Betroffenen an und ist sein Verfahrenspfleger damit einverstanden, ist das verfahrensfehlerfrei.
2. Der rechtzeitig vom Termin unterrichtete Verfahrenspfleger kann selbst entscheiden, ob er an dem Termin teilnimmt.
Verfahrensgang
vorgehend LG Oldenburg (Oldenburg), 15. Februar 2021, Az: 8 T 225/20
vorgehend AG Vechta, 20. März 2020, Az: 14 XVII G 542
Tenor
Die Rechtsbeschwerde des weiteren Beteiligten zu 1 gegen den Beschluss der 8. Zivilkammer des Landgerichts Oldenburg vom 15. Februar 2021 wird zurückgewiesen.
Das Verfahren der Rechtsbeschwerde ist gerichtskostenfrei. Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.
Eine Festsetzung des Beschwerdewerts (§ 36 Abs. 3 GNotKG) ist nicht veranlasst.
Gründe
I.
1
Der Beteiligte zu 1 wendet sich als Sohn der Betroffenen gegen die Einrichtung einer Betreuung für sie.
2
Die 1950 geborene Betroffene hat zwei Kinder, die Tochter M. (Beteiligte zu 4) und ihren Sohn, den Beschwerdeführer und Beteiligten zu 1.
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Die Betroffene errichtete am 22. Oktober 2017 eine Vorsorgevollmacht zu Gunsten beider Kinder, die sie am 28. Juli 2018 widerrief. Sie erteilte dem Beteiligten zu 1 sodann am 29. Juli 2018 eine Vorsorgevollmacht. Aufgrund dieser und einer Bankvollmacht verwaltete der Beteiligte zu 1 die Konten der Betroffenen. Die Betroffene lebte zunächst allein in ihrem Wohnhaus in V. Nach einem Hirnstamminfarkt Anfang 2020 zog sie am 14. Februar 2020 in eine Pflegeeinrichtung um.
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Nach Eingang eines Schreibens der Beteiligten zu 4 vom 28. Oktober 2019 zur „Anfechtung“ der Vorsorgevollmacht vom 29. Juli 2018 hat das Amtsgericht den Beteiligten zu 2 zum berufsmäßigen Betreuer mit dem Aufgabenkreis Sorge für die Gesundheit, Aufenthaltsbestimmung, Vermögenssorge sowie Rechts-, Antrags- und Behördenangelegenheiten bestellt.
5
Hiergegen hat der Beteiligte zu 1 Beschwerde eingelegt. Das Landgericht hat nach Bestellung eines Verfahrenspflegers, Einholung eines Sachverständigengutachtens und erneuter Anhörung der Betroffenen die Beschwerde zurückgewiesen. Hiergegen wendet sich der Beteiligte zu 1 mit seiner Rechtsbeschwerde.
II.
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Die Rechtsbeschwerde hat keinen Erfolg.
1. Das Landgericht hat seine Entscheidung wie folgt begründet:
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Die Voraussetzungen für die Bestellung eines Betreuers lägen vor. Die Betroffene leide an einer frontotemporalen Demenz mit progredienter Sprachstörung und einem Zustand nach einem Schlaganfall (Hirnstamminfarkt) im Februar 2020. Sie könne aufgrund dieser Erkrankung für ihre Angelegenheiten nicht selbst sorgen.
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Anlässlich der Anhörung durch den Berichterstatter sei deutlich geworden, dass die Betroffene aufgrund ihrer Erkrankung völlig orientierungslos sei. Ein Gespräch sei nicht möglich gewesen. Im Hinblick auf die vollständig aufgehobene Fähigkeit der Betroffenen, für sich selbst zu sorgen, seien zumindest die vom Amtsgericht festgelegten Aufgabenbereiche erforderlich, um die Interessen der Betroffenen wahrzunehmen. Sämtliche Bereiche würden benötigt, um den Aufenthalt der Betroffenen in einer geeigneten Pflegeeinrichtung zu organisieren.
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Die Erforderlichkeit der Betreuungseinrichtung entfalle auch nicht aufgrund der dem Beschwerdeführer erteilten Vorsorgevollmacht, weil die Betroffene bei Erteilung der Vollmacht am 29. Juli 2018 bereits geschäftsunfähig im Sinne von § 104 Nr. 2 BGB gewesen sei.
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Zudem sei der Beteiligte zu 1 zur Ausübung der Vollmacht nicht geeignet, da dringende Anhaltspunkte dafür bestünden, dass er die Vollmacht nicht zum Wohle der Betroffenen ausübe. Er habe umfangreiche Verfügungen über das Girokonto der Betroffenen getroffen, die ersichtlich seinem eigenen und dem Lebensunterhalt seiner Ehefrau gedient hätten.
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Es sei nicht festzustellen, dass die Betroffene selbstständig diese Verfügungen vorgenommen habe. Ihre umfangreichen Defizite ließen dies nicht zu. Vor dem Hintergrund der missbräuchlichen Verfügungen über das Konto der Betroffenen sei der Wunsch des Beteiligten zu 1, für seine Mutter eine Pflege im eigenen Wohnhaus zu organisieren, kritisch zu bewerten, denn für die Betroffene sei eine 24-Stunden-Pflege erforderlich.
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Angesichts der finanziellen Situation des Beteiligten zu 1 und der Tatsache, dass er die Rückabwicklung der Schenkung des Wohnhauses an seine Schwester anstrebe, erscheine der Wunsch, die Betroffene im eigenen Wohnhaus zu betreuen, nicht am Wohl der Betroffenen orientiert. Der Beteiligte zu 1 sei daher insgesamt nicht geeignet, die Versorgung der Betroffenen aufgrund der Vorsorgevollmacht sicher zu stellen. Weder die Einrichtung einer Kontrollbetreuung noch einer ausschließlich auf die Vermögenssorge beschränkten Betreuung seien hier ausreichend, um das Wohl der Betroffenen zu gewährleisten.
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2. Diese Ausführungen halten einer rechtlichen Nachprüfung stand.
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a) Entgegen der Rüge der Rechtsbeschwerde ist der Betroffenen das vom Landgericht eingeholte Sachverständigengutachten bereits im November 2020 und damit rechtzeitig vor der Anhörung der Betroffenen am 11. Januar 2021 übersandt worden.
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b) Ebenso ist es rechtsbedenkenfrei, dass die Anhörung wegen der Covid-19-Pandemie in Abwesenheit des Verfahrenspflegers stattgefunden hat. Denn der Verfahrenspfleger hat ausdrücklich geäußert, dass seinerseits keine Bedenken gegen die alleinige Anhörung durch das Gericht bestünden.
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Die Bestellung eines Verfahrenspflegers in einer Betreuungssache gemäß § 276 Abs. 1 Satz 1 FamFG soll die Wahrung der Belange des Betroffenen in dem Verfahren gewährleisten. Er soll, wenn es im Hinblick auf die einzurichtende Betreuung erforderlich ist, nicht alleinstehen, sondern fachkundig beraten und begleitet werden. Der Verfahrenspfleger ist daher vom Gericht im selben Umfang wie der Betroffene an den Verfahrenshandlungen zu beteiligen. Dies gebietet es zumindest dann, wenn das Betreuungsgericht bereits vor der Anhörung des Betroffenen die Erforderlichkeit einer Verfahrenspflegerbestellung erkennen kann, den Verfahrenspfleger schon vor der abschließenden Anhörung des Betroffenen zu bestellen. Das Betreuungsgericht muss durch die rechtzeitige Bestellung eines Verfahrenspflegers und dessen Benachrichtigung vom Anhörungstermin sicherstellen, dass dieser an der Anhörung des Betroffenen teilnehmen kann. Außerdem steht dem Verfahrenspfleger ein eigenes Anhörungsrecht zu (Senatsbeschluss vom 21. Juni 2017 – XII ZB 45/17 – FamRZ 2017, 1610 Rn. 11 mwN).
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Der rechtzeitig vom Termin unterrichtete Verfahrenspfleger kann sodann selbst entscheiden, ob er an dem Termin teilnimmt. Hier hat der Verfahrenspfleger in Kenntnis des Anhörungstermins keine Bedenken geäußert, dass das Gericht wegen der Covid-19-Pandemie die Betroffene in seiner Abwesenheit anhören will.
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c) Es kann dahinstehen, ob die Betroffene bei dem Abschluss der Vollmachten geschäftsfähig war, da der Beteiligte zu 1 nach den vom Landgericht getroffenen Feststellungen jedenfalls nicht geeignet ist.
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aa) Gemäß § 1896 Abs. 2 Satz 1 BGB darf ein Betreuer zwar nur für Aufgabenkreise bestellt werden, in denen die Betreuung erforderlich ist. Eine Betreuung kann trotz Vorsorgevollmacht aber dann erforderlich sein, wenn der Bevollmächtigte ungeeignet ist, die Angelegenheiten des Betroffenen zu besorgen, insbesondere weil zu befürchten ist, dass die Wahrnehmung der Interessen des Betroffenen durch jenen eine konkrete Gefahr für das Wohl des Betroffenen begründet. Letzteres ist der Fall, wenn der Bevollmächtigte wegen erheblicher Bedenken an seiner Geeignetheit oder Redlichkeit als ungeeignet erscheint (Senatsbeschluss vom 21. April 2021 – XII ZB 164/20 – FamRZ 2021, 1236 Rn. 6 mwN).
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bb) Zutreffend weist die Rechtsbeschwerde darauf hin, dass die Betroffene den Beteiligten zu 1 in ihrer Vollmacht vom 29. Juli 2018 als mögliche Betreuungsperson benannt hat. Gleichwohl scheidet dieser als Betreuungsperson aus, weil er nach den getroffenen Feststellungen nicht geeignet ist, in dem gerichtlich bestimmten Aufgabenkreis die Angelegenheiten der Betreuten rechtlich zu besorgen und sie in dem hierfür erforderlichen Umfang persönlich zu betreuen.
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Die Vorschrift des § 1897 Abs. 4 Satz 1 BGB räumt dem Tatrichter bei der Auswahl des Betreuers kein Ermessen ein. Der Wille des Betroffenen kann nur dann unberücksichtigt bleiben, wenn die Bestellung der vorgeschlagenen Person seinem Wohl zuwiderläuft. Dies setzt voraus, dass sich aufgrund einer umfassenden Abwägung aller relevanten Umstände Gründe von erheblichem Gewicht ergeben, die gegen die Bestellung der vorgeschlagenen Person sprechen. Es muss die konkrete Gefahr bestehen, dass der Vorgeschlagene die Betreuung des Betroffenen nicht zu dessen Wohl führen kann oder will (Senatsbeschluss vom 18. August 2021 – XII ZB 151/20 – FamRZ 2021, 1822 Rn. 8 mwN).
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cc) Aus den vom Landgericht getroffenen Feststellungen ergibt sich, dass der Beteiligte zu 1 weder als Bevollmächtigter (§ 1896 Abs. 2) noch als Betreuer (§ 1897 Abs. 1 BGB) geeignet ist. Ausweislich dieser Feststellungen hat der Beteiligte zu 1 ersichtlich die Vollmacht dafür genutzt, sich Geld von der Betroffenen für eigene Zwecke zu verschaffen. Außerdem ist ihnen zu entnehmen, dass er die Betroffene wieder zu sich nach Hause holen will, damit er die Verwertung des auf seine Schwester übertragenen Grundbesitzes verhindern kann. Auch auf den Vorschlag der Betroffenen kann der Beteiligte zu 1 mithin nicht zu ihrem Betreuer bestellt werden, weil es dem Wohl der Betroffenen zuwiderlaufen würde (§ 1897 Abs. 4 Satz 1 BGB).
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d) Soweit die Rechtsbeschwerde rügt, die Betroffene habe noch einen weiteren Ersatzbetreuer angegeben, legt sie nicht dar, wer das sein soll. In der Vollmacht vom 29. Juli 2018 ist eine als Betreuer zu bestimmende Ersatzperson nicht benannt. Weder in der amtsgerichtlichen noch in der landgerichtlichen Anhörung hat die Betroffene erwähnt, von wem sie ersatzweise betreut werden wolle.
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