Urteil des BGH 6a. Zivilsenat vom 28.10.2025, AZ VIa ZR 287/22

BGH 6a. Zivilsenat, Urteil vom 28.10.2025, AZ VIa ZR 287/22, ECLI:DE:BGH:2025:281025UVIAZR287.22.0

Verfahrensgang

vorgehend OLG Karlsruhe, 26. Januar 2022, Az: 6 U 137/20
vorgehend LG Karlsruhe, 7. August 2020, Az: 20 O 63/20

Tenor

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 6. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Karlsruhe vom 26. Januar 2022 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als das Berufungsgericht im Verhältnis zur Beklagten zu 2 zum Nachteil des Klägers entschieden hat.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Der Streitwert für die Revision wird auf bis 22.000 € festgesetzt.

Von Rechts wegen

Tatbestand

1

Der Kläger nimmt die Beklagte zu 2 (im Folgenden: Beklagte) wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in einem Kraftfahrzeug auf Schadensersatz in Anspruch.

2

Er erwarb im August 2016 von einer Händlerin, der vormaligen Beklagten zu 1, einen gebrauchten Mercedes-Benz Vito 114 CDI, der mit einem Dieselmotor des Typs OM 651 (Schadstoffklasse Euro 5) ausgestattet ist.

3

Der Kläger verlangt im Wesentlichen, ihn im Wege des Schadensersatzes so zu stellen, als habe er den Kaufvertrag nicht abgeschlossen. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung, mit welcher der Kläger gegenüber der Beklagten die Feststellung der Schadensersatzpflicht für aus der Manipulation des Fahrzeugs entstandene Schäden, hilfsweise die Erstattung des Kaufpreises nebst Zinsen Zug um Zug gegen Übereignung und Herausgabe des Fahrzeugs und abzüglich einer Nutzungsentschädigung, sowie die Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten begehrt hat, ist erfolglos geblieben. Mit der vom Senat zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seine gegen die Beklagte gerichteten Anträge weiter.

Entscheidungsgründe

4

Die Revision hat Erfolg.

I.

5

Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung – soweit für das Revisionsverfahren von Interesse – im Wesentlichen wie folgt begründet:

6

Der Kläger habe keinen Anspruch aus § 826 BGB, weil die Voraussetzungen einer objektiv sittenwidrigen Schädigung durch die Beklagte nicht dargelegt seien. Es könne unterstellt werden, dass die temperaturabhängige Steuerung des Emissionskontrollsystems (Thermofenster) und die Kühlmittel-Solltemperatur-Regelung (KSR) unzulässige Abschalteinrichtungen gemäß Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 darstellten. Der Kläger habe aber weder einen Prüfstandsbezug dieser Einrichtungen dargelegt noch, dass die für die Beklagte handelnden Personen bei der Entwicklung oder Verwendung dieser Einrichtungen in dem Bewusstsein gehandelt hätten, eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden, und den darin liegenden Gesetzesverstoß billigend in Kauf genommen hätten. Es fehle zudem an dem subjektiven Tatbestand eines Sittenverstoßes sowie dem Schädigungsvorsatz. Der geltend gemachte Schadensersatzanspruch lasse sich auch nicht aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV herleiten, da es sich bei den letztgenannten Vorschriften nicht um Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB handele.

II.

7

Diese Erwägungen halten der Überprüfung im Revisionsverfahren nicht in allen Punkten stand.

8

1. Es begegnet allerdings keinen revisionsrechtlichen Bedenken, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten aus §§ 826, 31 BGB verneint hat. Die seitens der Revision erhobenen Verfahrensrügen hat der Senat geprüft und für nicht durchgreifend erachtet. Von einer Begründung wird gemäß § 564 Satz 1 ZPO abgesehen.

9

2. Die Revision wendet sich jedoch mit Erfolg dagegen, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV aus Rechtsgründen verneint hat. Wie der Senat nach Erlass des Berufungsurteils entschieden hat, sind die Bestimmungen der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB, die das Interesse des Fahrzeugkäufers gegenüber dem Fahrzeughersteller wahren, nicht durch den Kaufvertragsabschluss eine Vermögenseinbuße im Sinne der Differenzhypothese zu erleiden, weil das Fahrzeug entgegen der Übereinstimmungsbescheinigung eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 aufweist (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 – VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 29 bis 32).

10

Das Berufungsgericht hat daher zwar zu Recht einen Anspruch des Klägers auf die Gewährung sogenannten „großen“ Schadensersatzes verneint (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 – VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 22 bis 27). Es hat jedoch nicht berücksichtigt, dass dem Kläger nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV ein Anspruch auf Ersatz eines erlittenen Differenzschadens zustehen kann (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023, aaO, Rn. 28 bis 32; ebenso BGH, Urteile vom 20. Juli 2023 – III ZR 267/20, NJW 2024, 361 Rn. 21 ff.; – III ZR 303/20, juris Rn. 16 f.; Urteil vom 12. Oktober 2023 – VII ZR 412/21, juris Rn. 20). Demzufolge hat das Berufungsgericht – von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig – weder dem Kläger Gelegenheit zur Darlegung eines solchen Schadens gegeben, noch hat es Feststellungen zu einer deliktischen Haftung der Beklagten wegen des zumindest fahrlässigen Einbaus einer unzulässigen Abschalteinrichtung getroffen.

III.

11

Die angefochtene Entscheidung ist im tenorierten Umfang aufzuheben, § 562 Abs. 1 ZPO, weil sie sich insoweit nicht aus anderen Gründen als richtig darstellt, § 561 ZPO. Der Senat kann nicht in der Sache selbst entscheiden, weil diese nicht zur Endentscheidung reif ist, § 563 Abs. 3 ZPO. Sie ist daher im Umfang der Aufhebung zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO.

12

Das Berufungsgericht wird auf der Grundlage der mit Urteil des Senats vom 26. Juni 2023 in der Sache VIa ZR 335/21 aufgestellten Grundsätze die erforderlichen Feststellungen zu einer Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV zu treffen haben, nachdem es dem Kläger Gelegenheit gegeben hat, den Differenzschaden zu berechnen und dazu vorzutragen.

C. Fischer                         
Möhring                         
Messing

                   
F. Schmidt                         
Pastohr

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