Urteil des BGH 6a. Zivilsenat vom 16.10.2025, AZ VIa ZR 1186/22

BGH 6a. Zivilsenat, Urteil vom 16.10.2025, AZ VIa ZR 1186/22, ECLI:DE:BGH:2025:161025UVIAZR1186.22.0

Verfahrensgang

vorgehend Oberlandesgericht des Landes Sachsen-Anhalt, 7. Juli 2022, Az: 3 U 27/21, Urteil
vorgehend LG Magdeburg, 17. Juni 2021, Az: 10 O 168/19

Tenor

Auf die Revision der Klägerin wird das Schlussurteil des 3. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Naumburg vom 7. Juli 2022 mit Ausnahme der Verurteilung der Beklagten in die Kosten ihrer Säumnis aufgehoben.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Der Streitwert für das Revisionsverfahren wird auf bis 16.000 € und für das Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren auf bis 25.000 € festgesetzt.

Von Rechts wegen

Tatbestand

1

Die Klägerin nimmt die Beklagte wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in einem Kraftfahrzeug auf Schadensersatz in Anspruch. Sie erwarb im Februar 2015 von der nicht mehr am Rechtsstreit beteiligten früheren Beklagten zu 1 einen von der Beklagten hergestellten neuen Porsche Cayenne, der mit einem von der AUDI AG hergestellten Dieselmotor des Typs 3.0 l V6 TDI (Schadstoffklasse Euro 6) ausgerüstet ist. Im April 2019 veräußerte die Klägerin das Fahrzeug.

2

Das Landgericht hat die ursprünglich im Wesentlichen auf Rückabwicklung des Kaufvertrages gerichtete Klage – gegen die ehemalige Beklagte zu 1 rechtskräftig – abgewiesen. Auf die auf
Zahlung von Schadensersatz in Höhe von 60.087,14 € nebst Zinsen, Feststellung der Schadensersatzpflicht für weitergehende Schäden, Feststellung des Annahmeverzugs und Freistellung von vorgerichtlichen Anwaltskosten gerichtete Berufung der Klägerin hat das Berufungsgericht ihr durch Teilversäumnis- und Schlussurteil einen Betrag von 22.098,58 € nebst Zinsen zugesprochen und die weitergehende Berufung – rechtskräftig – zurückgewiesen.
Nach Einspruch der Beklagten hat das Berufungsgericht die Berufung durch Schlussurteil – mit Ausnahme der Kosten der Säumnis der Beklagten – insgesamt zurückgewiesen.

3

Nachdem die Klägerin in ihrer Nichtzulassungsbeschwerdebegründung zunächst den Antrag angekündigt hatte, das angefochtene Urteil aufzuheben unddas gegen die Beklagte ergangene Teilversäumnisurteil wiederherzustellen, hat sie mit Schriftsatz vom 27. Februar 2023 den Rechtsstreit für erledigt erklärt. Zur Begründung hat sie vorgetragen, dass die von ihr gesondert in Anspruch genommene AUDI AG nach Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde einen Hauptsachebetrag in Höhe 22.571,16 € sowie Zinsen in Höhe von 1.080,25 € gezahlt habe, womit die streitgegenständliche Forderung der Klägerin gegen die Beklagte erloschen sei. Die Beklagte hat sich der Erledigungserklärung nicht angeschlossen und darauf verwiesen, dass die Klage von Anfang an unbegründet gewesen sei. Daraufhin begehrt die Klägerin nunmehr die Feststellung, dass sich der Rechtsstreit in der Hauptsache erledigt habe.

Entscheidungsgründe

4

Die Revision hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

I.

5

Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet:

6

Ein Schadensersatzanspruch der Klägerin aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV, Art. 5 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 scheitere daran, dass diese Vorschriften keinen drittschützenden Charakter hätten. Einem Anspruch aus §§ 826, 31 BGB stehe entgegen, dass die Beklagte, die unstreitig nicht Herstellerin des streitgegenständlichen Motors sei, weder sittenwidrig noch vorsätzlich gehandelt habe.

II.

7

Diese Erwägungen halten der Überprüfung im Revisionsverfahren nicht in allen Punkten stand.

8

1. Die Klage auf Feststellung der Erledigung ist zulässig. Eine einseitige Erledigungserklärung ist als privilegierte Klageänderung gemäß § 264 Nr. 2 ZPO im Revisionsverfahren jedenfalls dann zulässig, wenn das Ereignis, das die Hauptsache erledigt haben soll, außer Streit steht (st. Rspr., vgl. nur BGH, Urteil vom 18. Juni 2019 – VI ZR 80/18, BGHZ 222, 196 Rn. 16; Urteil vom 21. März 2024 – III ZR 70/23, NJW-RR 2024, 1170 Rn. 36; Urteil vom 18. September 2024 – VIa ZR 290/22, juris Rn. 6; Beschluss vom 15. Dezember 2017 – I ZR 258/14, MDR 2018, 423 Rn. 15; jew. mwN). So liegt es hier. Vorliegend steht außer Streit,
dass die AUDI AG an die Klägerin einen Hauptsachebetrag in Höhe 22.571,16 € sowie Zinsen in Höhe von 1.080,25 € gezahlt hat.

9

2. Zu prüfen ist dann, ob die Klage bis zum geltend gemachten erledigenden Ereignis zulässig und begründet war und – wenn das der Fall ist – ob sie durch dieses Ereignis unzulässig oder unbegründet geworden ist (BGH, Urteil vom 21. März 2024 – III ZR 70/23, NJW-RR 2024, 1170 Rn. 36; Beschluss vom 15. Dezember 2017 – I ZR 258/14, MDR 2018, 423 Rn. 15). Der Senat vermag dies vorliegend indessen auf der Grundlage der bisher getroffenen Feststellungen nicht zu beurteilen.

10

a) Allerdings begegnet es keinen revisionsrechtlichen Bedenken, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten aus §§ 826, 31 BGB abgelehnt hat. Die Revision erhebt insoweit auch keine konkreten Einwände.

11

b) Ob und in welchem Umfang die Klage ursprünglich zulässig und begründet war, hängt aber davon ab, ob und ggf. in welcher Höhe der Klägerin ein Anspruch auf den Differenzschaden zugestanden hat. Die Revision wendet sich nämlich mit Erfolg dagegen, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV aus Rechtsgründen abgelehnt hat. Wie der Senat nach Erlass des angefochtenen Schlussurteils entschieden hat, sind die Bestimmungen der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB, die das Interesse des Fahrzeugkäufers gegenüber dem Fahrzeughersteller wahren, nicht durch den Kaufvertragsabschluss eine Vermögenseinbuße im Sinne der Differenzhypothese zu erleiden, weil das Fahrzeug entgegen der Übereinstimmungsbescheinigung eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 aufweist (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 – VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 29 bis 32).

12

Das Berufungsgericht hat daher zwar zu Recht einen Anspruch der Klägerin auf die Gewährung sogenannten „großen“ Schadensersatzes verneint (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 – VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 22 bis 27). Es hat jedoch nicht berücksichtigt, dass der Klägerin nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV ein Anspruch auf Ersatz eines erlittenen Differenzschadens zustehen kann (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023, aaO, Rn. 28 bis 32; ebenso BGH, Urteile vom 20. Juli 2023 – III ZR 267/20, NJW 2024, 361 Rn. 21 ff.; – III ZR 303/20, juris Rn. 16 f.; Urteil vom 12. Oktober 2023 – VII ZR 412/21, juris Rn. 20). Demzufolge hat das Berufungsgericht – von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig – weder der Klägerin Gelegenheit zur Darlegung eines solchen Schadens gegeben, noch hat es Feststellungen zu einer deliktischen Haftung der Beklagten wegen des zumindest fahrlässigen Einbaus einer unzulässigen Abschalteinrichtung getroffen.

III.

13

Die angefochtene Entscheidung ist in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang
aufzuheben, § 562 Abs. 1 ZPO, weil sie sich insoweit auch nicht aus anderen Gründen als richtig darstellt, § 561 ZPO. Der Senat kann nicht in der Sache selbst entscheiden, weil diese im Umfang der Aufhebung
nicht zur Endentscheidung reif ist, § 563 Abs. 3 ZPO. Sie ist daher insoweit zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO.

14

Das Berufungsgericht wird unter Berücksichtigung der mit Urteil des Senats vom 26. Juni 2023 in der Sache VIa ZR 335/21 aufgestellten Grundsätze zu prüfen haben, ob die Klage ursprünglich zulässig und begründet war, nachdem es der Klägerin Gelegenheit gegeben hat, den Differenzschaden zu berechnen und dazu vorzutragen.

C. Fischer                         Möhring                         Katzenstein

                    
Ostwaldt                           
Tausch

Kategorien: Allgemein