BVerwG 9. Senat, Beschluss vom 21.08.2025, AZ 9 A 14.25, 9 A 14.25 (9 A 9.23), ECLI:DE:BVerwG:2025:220825B9A14.25.0
§ 67 Abs 4 S 1 VwGO, § 152a Abs 1 S 1 VwGO, § 17e Abs 3 S 1 FStrG, § 17e Abs 3 S 2 FStrG
Leitsatz
1. Mit der Pflicht zur fristgemäßen Klagebegründung nach § 17e Abs. 3 Satz 1 FStrG geht nach § 67 Abs. 4 Satz 1 VwGO die Pflicht des Prozessbevollmächtigten zur Sichtung und rechtlichen Einordnung der Tatsachen einher, auf die die Klage gestützt werden soll. Eine Bezugnahme auf der Klagebegründung beigefügte Gutachten und deren wörtliche Wiedergabe oder stichwortartige Zusammenfassung werden dieser Anforderung nicht gerecht (wie BVerwG, Urteile vom 11. Juli 2019 – 9 A 13.18 – Buchholz 451.91 Europ. Umweltrecht Nr. 76 Rn. 133 ff. <insoweit in BVerwGE 166, 132 nicht abgedruckt>, vom 3. November 2020 – 9 A 12.19 – BVerwGE 170, 33 Rn. 89 und vom 7. Juli 2022 – 9 A 1.21 – BVerwGE 176, 94 Rn. 15).
2. Die nicht fristgerechte Angabe von Tatsachen und Beweismitteln ist nicht allein deshalb nach § 17e Abs. 3 Satz 2 FStrG als genügend entschuldigt zuzulassen, weil ein Akteneinsichtsgesuch nicht zeitnah oder nicht vor Ablauf der Klagebegründungsfrist erfüllt worden ist. Dadurch verursachte Verzögerungen können nur insoweit entschuldigt sein, als sich die Klagebegründung auf Umstände stützt, die sich nur aus den Verwaltungsvorgängen ergeben. Der Kläger muss insoweit konkret aufzeigen, an welchem Vortrag er gehindert gewesen sein könnte (wie BVerwG, Beschlüsse vom 5. Juli 2023 – 9 B 7.23 – NVwZ 2023, 1664 Rn. 9 ff. und vom 5. Juli 2023 – 9 B 8.23 – juris Rn. 9 ff.).
Tenor
Die Anhörungsrüge der Kläger gegen das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 19. Februar 2025 wird zurückgewiesen.
Die Kläger tragen die Kosten des Anhörungsrügeverfahrens je zur Hälfte.
Gründe
1
Die Anhörungsrüge der Kläger hat keinen Erfolg. Das mit dem angefochtenen Urteil abgeschlossene Klageverfahren ist nicht nach § 152a Abs. 1 Satz 1 VwGO fortzuführen. Weder hat das Bundesverwaltungsgericht den Anspruch der Kläger auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise verletzt (1.), noch kommt eine Fortführung des Verfahrens wegen anderer Verfahrensmängel in Betracht (2.).
2
1. Eine entscheidungserhebliche Verletzung des Anspruchs der Kläger auf rechtliches Gehör nach Art. 103 Abs. 1 GG und § 108 Abs. 2 VwGO, wie sie § 152a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 VwGO voraussetzt, lässt sich der Anhörungsrüge nicht entnehmen.
3
Das Gebot der Gewährung rechtlichen Gehörs verpflichtet das Gericht, den Vortrag der Verfahrensbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und bei der Entscheidungsfindung in Erwägung zu ziehen. Das Gericht ist aber weder gehalten, dem Tatsachenvortrag oder der Rechtsansicht eines Beteiligten auch inhaltlich zu folgen, noch muss es sich in den Entscheidungsgründen mit jedem Vorbringen ausdrücklich befassen. Es kann sich vielmehr auf die Darstellung und Würdigung derjenigen rechtlichen Gesichtspunkte beschränken, auf die es nach seinem Rechtsstandpunkt entscheidungserheblich ankommt. Der Anspruch auf rechtliches Gehör schützt nicht davor, dass ein Gericht den Vortrag eines Beteiligten aus Gründen des formellen oder materiellen Rechts ganz oder teilweise unberücksichtigt lässt. Geht ein Gericht auf einzelne Teile des Vorbringens nicht ein, dokumentiert es damit in der Regel zugleich, dass es sie aus verfahrens- oder materiell-rechtlichen Gründen für rechtlich irrelevant hält (stRspr, vgl. Beschlüsse vom 15. Januar 2025 – 5 B 1.25 – juris Rn. 7 und vom 1. Juli 2025 – 9 A 13.25 – juris Rn. 2 jeweils m. w. N.). Allerdings ist das rechtliche Gehör jedenfalls dann verletzt, wenn die Anwendung einer gesetzlichen Präklusionsvorschrift offenkundig unrichtig ist (BVerwG, Beschlüsse vom 5. Juli 2023 – 9 B 7.23 – NVwZ 2023, 1664 Rn. 5 und vom 5. Juli 2023 – 9 B 8.23 – juris Rn. 5 m. w. N.). Danach ist ein Gehörsverstoß nicht ersichtlich.
4
a) Das Bundesverwaltungsgericht hat den Anspruch auf rechtliches Gehör nicht verletzt, soweit es eine erhebliche Beeinträchtigung der Erhaltungsziele des FFH-Gebiets Flöhatal durch die Anlegung einer Baustraße auf der Flöhainsel mit der Begründung verneint hat, die betroffene Aufforstungsfläche sei nicht dem Lebensraumtyp (LRT) 91E0* zuzuordnen.
5
aa) Soweit die Kläger rügen, das Gericht habe den wesentlichen Inhalt eines in der mündlichen Verhandlung gezeigten Videos zur nahezu vollständigen Überflutung der Flöhainsel während des einem zweijährigen Hochwasser (HQ 2) vergleichbaren Hochwassers im Dezember 2023 gänzlich außer Acht gelassen, ist eine Verletzung des rechtlichen Gehörs nicht ersichtlich.
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Der Sache nach richten sich die Ausführungen der Kläger lediglich dagegen, dass das Bundesverwaltungsgericht ihrer Auffassung inhaltlich nicht gefolgt ist. Denn anders als die Kläger ist das Gericht zu dem Ergebnis gelangt, dass die betreffenden Videos und Fotos den Schluss, die Flöhainsel werde bereits bei einem zweijährigen Hochwasser (HQ 2) vollständig überflutet, nicht rechtfertigen, weil die einem solchen Hochwasserereignis vergleichbaren Wasserabflüsse Teil eines einheitlichen fünfjährigen Hochwassers (HQ 5) waren.
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bb) Die Rüge, das Bundesverwaltungsgericht habe nicht berücksichtigt, dass das Vorbringen zum Vorhandensein lebensraumtypischer Pflanzengesellschaften und Bodenverhältnisse und zur periodischen Überflutung in der Gesamtschau die Annahme eines LRT 91E0* rechtfertige, und den Vortrag zu Vegetation und Bodenverhältnissen nicht einmal ergänzend herangezogen, zeigt ebenfalls keinen Gehörsverstoß auf.
8
Vegetation und Bodenbeschaffenheit waren nach der Rechtsauffassung des Bundesverwaltungsgerichts nicht entscheidungserheblich, weil der vorhandene Erlen- und Weidenbestand bereits mangels Überflutung mit dem jährlichen Anstieg des Flusspegels im Wechsel der Jahreszeiten keinen LRT 91E0* darstellt. Soweit die Kläger auf die Erforderlichkeit einer Gesamtschau hinweisen, kritisieren sie wiederum lediglich die Rechtsauffassung des Gerichts.
9
b) Es verstößt auch nicht gegen das rechtliche Gehör, dass das Bundesverwaltungsgericht das Vorbringen der Kläger in der Replik, der LRT 91E0* werde durch das geplante Brückenbauwerk und die Behelfsbrücke weitergehend beeinträchtigt, nach § 17e Abs. 3 Satz 2 FStrG (damals § 17e Abs. 5 Satz 2 FStrG; im Folgenden: § 17e Abs. 5 Satz 2 FStrG a. F.) unberücksichtigt gelassen hat. Denn dies beruht nicht auf einer offenkundig unrichtigen Anwendung von Präklusionsvorschriften.
10
Nach § 17e Abs. 3 Satz 1 FStrG (§ 17e Abs. 5 Satz 1 FStrG a. F.) hat der Kläger die zur Begründung der Klage dienenden Tatsachen und Beweismittel innerhalb von zehn Wochen ab Klageerhebung anzugeben. Erklärungen und Beweismittel, die erst nach Ablauf dieser Frist vorgebracht werden, sind nach § 17e Abs. 3 Satz 2 FStrG (§ 17e Abs. 5 Satz 2 FStrG a. F.) nur zuzulassen, wenn der Kläger die Verspätung genügend entschuldigt. Die Kläger haben daher fristgerecht fundiert die zur Begründung der Klage dienenden Tatsachen zu benennen und den Prozessstoff dergestalt substantiiert darzulegen, dass für das Gericht und die übrigen Beteiligten klar und unverwechselbar feststeht, unter welchen tatsächlichen Gesichtspunkten eine behördliche Entscheidung angegriffen wird. Dies schließt allerdings einen späteren, lediglich vertiefenden Tatsachenvortrag nicht aus (BVerwG, Urteile vom 27. November 2018 – 9 A 8.17 – BVerwGE 163, 380 Rn. 14 und vom 3. November 2020 – 9 A 12.19 – BVerwGE 170, 33 Rn. 89, jeweils m. w. N.). Um einen lediglich vertiefenden Vortrag geht es jedoch vorliegend nicht.
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Die Klagebegründung kritisierte, dass der FFH-Verträglichkeitsprüfung nicht die besten wissenschaftlichen Erkenntnisse zugrunde gelegt worden seien, weil die Planfeststellungsbehörde die Auswirkungen der Talbrücke nicht anhand von Straub und Trautner, Die Querung des FFH-Lebensraumtyps „Auwald“ (91E0*) durch Brückenbauwerke, Endbericht Juli 2012 mit ergänzender Vorbemerkung Dezember 2013 (Straub und Trautner), und Garniel und Mierwald, Arbeitshilfe Vögel und Straßenverkehr, Ausgabe 2010 (Garniel und Mierwald), beurteilt habe. Dementsprechend beschränkte sich der Tatsachenvortrag auf die Größe der danach beeinträchtigten Fläche des LRT 91E0* sowie dessen Gesamtfläche im FFH-Gebiet Flöhatal, den prozentualen Anteil der beeinträchtigten Fläche an der Gesamtfläche und die aus Sicht der Kläger maßgeblichen charakteristischen Arten.
12
Tatsachen zur Begründung dafür, dass unabhängig von einer Beurteilung nach Straub und Trautner bzw. Garniel und Mierwald eine weitergehende erhebliche Beeinträchtigung vorliege oder die vorgesehenen Vermeidungsmaßnahmen ungeeignet seien, führte die Klagebegründung nicht an. Dass der Planfeststellungsbeschluss auch insoweit angegriffen werden sollte, war daher erst nach Ablauf der Klagebegründungsfrist aus der Replik ersichtlich.
13
Auf die Verteilung der materiellen Beweislast für die nach Ablauf der Klagebegründungsfrist vorgebrachten Tatsachen kam es dabei nicht an. § 17e Abs. 3 Satz 1 FStrG (§ 17e Abs. 5 Satz 1 FStrG a. F.) verlangt nach seinem Wortlaut die Angabe der zur Begründung dienenden Tatsachen unabhängig davon, ob der Kläger dafür die Beweislast trägt. Dies entspricht seinem Zweck, zur Straffung des Gerichtsverfahrens beizutragen, indem der Prozessstoff zu einem frühen Zeitpunkt handhabbar gehalten wird (BVerwG, Urteil vom 27. November 2018 – 9 A 8.17 – BVerwGE 163, 380 Rn. 14 m. w. N.). Denn nur so steht für das Gericht und die Beteiligten in allen Fällen frühzeitig klar und unverwechselbar fest, unter welchen tatsächlichen Gesichtspunkten eine behördliche Entscheidung angegriffen wird.
14
c) Eine offenkundig unrichtige Anwendung von Präklusionsvorschriften liegt auch nicht vor, soweit das Bundesverwaltungsgericht das Vorbringen der Kläger in der Replik, nach der Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 12. September 2024 – C-66/23 [ECLI:EU:C:2024:733] – seien neben dem Großen Mausohr auch die Anhang-II-Arten Mopsfledermaus und Bechsteinfledermaus als Erhaltungsziel und die Arten Große Bartfledermaus, Großer Abendsegler, Rauhautfledermaus und Wasserfledermaus als charakteristische Arten des LRT 91E0* zu berücksichtigen gewesen, als nach § 17e Abs. 3 Satz 1 FStrG (§ 17e Abs. 5 Satz 1 FStrG a. F.) verspätet und unsubstantiiert zurückgewiesen hat.
15
aa) Die Zurückweisung als verspätet war nicht offenkundig unrichtig. Es handelte sich nicht um lediglich vertiefenden Tatsachenvortrag. Die zur Begründung der Klage dienenden Tatsachen waren in der Klagebegründung nicht substantiiert benannt.
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Die Ausführungen in der Klagebegründung beschränkten sich darauf, dass die Fledermäuse als charakteristische Arten des LRT 91E0* unzureichend geprüft worden seien, weil zwar nur das Große Mausohr als eigenständiges Erhaltungsziel im Gebiet gelistet sei, die übrigen Arten aber als charakteristische Arten habitatschutzrechtlich zu beachten seien und dass passiv ortende Arten wie die Bechsteinfledermaus als charakteristische Art des LRT 3260 durch verlärmte Bereiche im Umfeld von Straßen bei der Nahrungssuche erheblich beeinträchtigt würden. Dies reichte zu einer substantiierten Darlegung der klagebegründenden Tatsachen nicht aus.
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Benannt wurden schon nicht die Fledermausarten, die nach Ansicht der Kläger als charakteristische Arten in die FFH-Verträglichkeitsprüfung für den LRT 91E0* hätten einbezogen werden müssen. Soweit die Bechsteinfledermaus erwähnt wurde, wurde sie nicht dem LRT 91E0*, sondern dem LRT 3260 als charakteristische Art zugeordnet.
18
Dass hinsichtlich der nachgewiesenen Arten auf das als Anlage K 15 beigefügte Fachgutachten verwiesen wurde, genügte nicht den Substantiierungsanforderungen nach § 17e Abs. 3 Satz 1 FStrG (§ 17e Abs. 5 Satz 1 FStrG a. F.) und § 67 Abs. 4 Satz 1 VwGO. Mit der Pflicht zur fristgemäßen Klagebegründung geht danach die Pflicht des Prozessbevollmächtigten zur Sichtung und rechtlichen Einordnung der Tatsachen einher, auf die die Klage gestützt werden soll. Dabei muss das Klagevorbringen aus sich heraus ohne Weiteres verständlich sein. Eine Bezugnahme auf der Klagebegründung beigefügte Gutachten und deren wörtliche Wiedergabe oder stichwortartige Zusammenfassung werden dieser Anforderung nicht gerecht. Sie lassen die erforderliche Sichtung und rechtliche Einordnung der Tatsachen durch den Klägerbevollmächtigten nicht erkennen und unterlaufen den Vertretungszwang nach § 67 Abs. 4 Satz 1 VwGO (vgl. BVerwG, Urteile vom 11. Juli 2019 – 9 A 13.18 – Buchholz 451.91 Europ. Umweltrecht Nr. 76 Rn. 133 ff. <insoweit in BVerwGE 166, 132 nicht abgedruckt>, vom 3. November 2020 – 9 A 12.19 – BVerwGE 170, 33 Rn. 89 und vom 7. Juli 2022 – 9 A 1.21 – BVerwGE 176, 94 Rn. 15).
19
bb) Auch soweit das Bundesverwaltungsgericht das Vorbringen in der Replik als unsubstantiiert zurückgewiesen hat, ist eine unrichtige Anwendung von Präklusionsvorschriften nicht ersichtlich.
20
Selbst wenn entsprechend der Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 12. September 2024 – C-66/23 – zu Vogelschutzgebieten auch in FFH-Gebieten für alle schutzwürdigen Arten, die dort in erheblichem Umfang vorkommen, Erhaltungsziele festzulegen wären (vgl. EuGH, Urteil vom 12. September 2024 – C-66/23 – Rn. 48 f.), war der Vortrag, Mopsfledermaus und Bechsteinfledermaus seien bei der FFH-Verträglichkeitsprüfung als Erhaltungsziele zu berücksichtigen gewesen, nicht hinreichend substantiiert. Denn die Kläger haben nicht vorgetragen, dass diese Fledermausarten im FFH-Gebiet Flöhatal in erheblichem Umfang vorkämen.
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Außerdem sind nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, an der es auch angesichts der Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 12. September 2024 – C-66/23 – ausdrücklich festgehalten hat, für die FFH-Verträglichkeitsprüfung diejenigen charakteristischen Arten auszuwählen, die einen deutlichen Vorkommensschwerpunkt im Lebensraumtyp aufweisen oder deren Populationserhaltung unmittelbar an dessen Erhalt gebunden ist und die für das Erkennen und Bewerten von Beeinträchtigungen des Lebensraumtyps relevant sind (BVerwG, Urteil vom 3. November 2020 – 9 A 12.19 – BVerwGE 170, 33 Rn. 394 m. w. N.). Tatsachen, aus denen sich ergibt, dass diese Voraussetzungen für die Arten Große Bartfledermaus, Großer Abendsegler, Rauhautfledermaus und Wasserfledermaus erfüllt wären, haben die Kläger nicht vorgetragen.
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d) Auch bei der Beurteilung der Variantenprüfung hat das Bundesverwaltungsgericht den Anspruch der Kläger auf rechtliches Gehör nicht verletzt.
23
aa) Mit der Rüge der Nichtberücksichtigung ihres Vorbringens, die Planfeststellungsbehörde habe entgegen ihrer eigenen Bewertung, dass der Schwerpunkt der Trassenwahl eindeutig im Umweltbereich liege, die Überholsichtweite höher gewichtet als alle Eingriffe in naturschutzfachlich äußerst hochwertige Schutzgüter, machen die Kläger der Sache nach nur geltend, dass das Bundesverwaltungsgericht ihrer Auffassung inhaltlich nicht gefolgt sei. Denn das Bundesverwaltungsgericht hat die Gewichtung der naturschutzfachlichen Auswirkungen des Vorhabens und des verkehrlichen Belangs der Überholsichtweite überprüft und anders als die Kläger als nicht zu beanstanden erachtet. Dabei durfte es sich auf die Darstellung der seine Entscheidung tragenden Gesichtspunkte beschränken.
24
bb) Auf das Vorbringen, die Variantenprüfung leide an Ermittlungs- und Bewertungsfehlern, weil sie hinsichtlich des LRT 91E0* von einer veralteten Kartierung auf dem Stand von 2010 ausgegangen sei, die sich zentral von der dem Planfeststellungsbeschluss zugrunde gelegten Kartierung aus dem Jahr 2014 unterscheide, ist das Bundesverwaltungsgericht mangels Entscheidungserheblichkeit nicht eingegangen. Denn der geltend gemachte Abwägungsfehler wäre nicht von Einfluss auf das Abwägungsergebnis und deshalb nach § 75 Abs. 1a Satz 1 VwVfG nicht erheblich gewesen.
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Der Planfeststellungsbeschluss geht entsprechend der Kartierung von 2014 davon aus, dass sämtliche geprüften Varianten den LRT 91E0* beeinträchtigen, eine erhebliche Beeinträchtigung aber jeweils durch Vermeidungs- und Minimierungsmaßnahmen ausgeschlossen werden kann. Entscheidend für das Abwägungsergebnis waren daher nicht die Auswirkungen der verschiedenen Varianten auf den LRT 91E0*, sondern andere Gesichtspunkte wie die Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs, Lärmwirkungen und die Beeinträchtigung von Gewerbegebieten.
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cc) Mangels Entscheidungserheblichkeit bedurfte es auch keiner Auseinandersetzung mit dem Vorbringen, die Variantenprüfung sei nicht ergebnisoffen durchgeführt worden, weil die Variante 820 trotz ihrer fachplanerischen Beurteilung als keinesfalls schlechter als die Vorzugsvariante 100 opt. von der Planfeststellungsbehörde als sehr hohe Beeinträchtigung des LRT 91E0* bewertet worden sei und ihre erst auf Druck des Staatsministeriums für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr erfolgte Optimierung in der Variantenprüfung nicht weiterverfolgt worden sei.
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Ein darin liegender Abwägungsmangel hätte ebenfalls keinen Einfluss auf das Abwägungsergebnis gehabt. Denn auch für die Variante 820 ist der Planfeststellungsbeschluss davon ausgegangen, dass mit den entsprechenden Vermeidungsmaßnahmen eine FFH-Verträglichkeit gewährleistet sein werde, so dass für das Abwägungsergebnis auch insoweit andere Gesichtspunkte maßgeblich waren.
28
e) Die Rüge, das Bundesverwaltungsgericht habe die Einwände der Kläger gegen die in der mündlichen Verhandlung im Wege einer Protokollerklärung erteilten Erlaubnisse zur Versickerung der Straßenabwässer nicht gewürdigt, lässt keinen Gehörsverstoß erkennen.
29
aa) Mit dem Vorbringen, das Gericht habe sich mit dem Einwand, dass die Anhörungsrechte nach § 6 Abs. 3 i. V. m. § 6 Abs. 2 SächsWG sowie § 66 Abs. 1 und § 73 VwVfG vor Erteilung der Erlaubnisse in der mündlichen Verhandlung zu wahren gewesen wären, nicht auseinandergesetzt, machen die Kläger lediglich geltend, das Gericht sei ihrer Rechtsansicht nicht gefolgt. Denn im angefochtenen Urteil ist ausgeführt, dass sich bei der Erteilung der wasserrechtlichen Erlaubnisse durch die Planfeststellungsbehörde nach § 19 Abs. 1 WHG das Verfahren insgesamt nach den Vorschriften des jeweils einschlägigen Planfeststellungsrechts richtet. Das Gericht ging dabei davon aus, dass die in der mündlichen Verhandlung erlaubten Versickerungen Gegenstand des Antrags auf Planfeststellung und des den Anforderungen des Gesetzes über die Umweltverträglichkeitsprüfung genügenden Planfeststellungsverfahrens waren. Nach seiner Rechtsauffassung waren damit die verfahrensrechtlichen Voraussetzungen für die Erlaubniserteilung und die Beteiligungsrechte der Kläger gewahrt.
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bb) Auf den Einwand der Kläger, die zu Protokoll erteilten Erlaubnisse seien in zeitlicher Hinsicht unbestimmt, musste das Bundesverwaltungsgericht in den Entscheidungsgründen nicht ausdrücklich eingehen. Das Fehlen einer Befristung hatte offensichtlich nicht die Unbestimmtheit der Erlaubnis zur Folge. Ein unbefristeter Verwaltungsakt bleibt vielmehr nach § 43 Abs. 2 VwVfG wirksam, solange und soweit er nicht zurückgenommen, widerrufen oder anderweitig aufgehoben ist.
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Den weitergehenden Einwand, Erlaubnisse seien stets zu befristen, haben die Kläger ebenso erstmals in der Anhörungsrüge angesprochen wie die Fragen, ob die in der mündlichen Verhandlung erteilten Erlaubnisse von der Befristung der übrigen wasserrechtlichen Erlaubnisse im Planfeststellungsbeschluss erfasst würden und ob die sich aus dieser Befristung ergebende Gültigkeitsdauer unzulässig wäre.
32
cc) Es liegt auch keine das rechtliche Gehör verletzende Überraschungsentscheidung vor, mit der auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter nicht hätte rechnen müssen (vgl. dazu nur BVerfG, Urteil vom 14. Juli 1998 – 1 BvR 1640/97 – BVerfGE 98, 218 <263>). Denn die Frage der Versickerungserlaubnisse haben die Kläger selbst in ihrer Klagebegründung aufgeworfen. Zwar war Gegenstand der Klagebegründung und der mündlichen Verhandlung zunächst nur die Erforderlichkeit dieser Erlaubnisse. Nachdem die Kläger jedoch die Rechtmäßigkeit der durch Protokollerklärung des Beklagten nachträglich erteilten Erlaubnisse noch während der mündlichen Verhandlung in Zweifel gezogen hatten, mussten sie auch insoweit mit einer Befassung im Urteil rechnen. Dass der angefochtene Planfeststellungsbeschluss noch im Laufe der mündlichen Verhandlung durch Protokollerklärungen ergänzt bzw. fehlende Nebenbestimmungen, Erlaubnisse etc. nachgeholt werden, entspricht im Übrigen der üblichen Praxis in planfeststellungsrechtlichen Verfahren (s. dazu noch genauer unter 2.).
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f) Weitere Gehörsverstöße durch eine offenkundig unrichtige Anwendung der Präklusionsvorschrift des § 17e Abs. 3 Satz 2 FStrG (§ 17e Abs. 5 Satz 2 FStrG a. F.) haben die Kläger nicht in einer den Anforderungen von § 152a Abs. 2 Satz 6 i. V. m. § 152a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 VwGO entsprechenden Weise dargelegt.
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Sie rügen zwar, dass die Klagebegründungsfrist durch die späte Vorlage unübersichtlicher und unvollständiger Akten unzumutbar verkürzt worden und eine fristgerechte Stellungnahme zu sonstigen, erst mit der Klageerwiderung vorgelegten Unterlagen nicht möglich gewesen sei. Die nicht fristgerechte Angabe von Tatsachen und Beweismitteln ist aber nach § 17e Abs. 3 Satz 2 FStrG (§ 17e Abs. 5 Satz 2 FStrG a. F.) nicht allein deshalb als genügend entschuldigt zuzulassen, weil ein Akteneinsichtsgesuch nicht zeitnah oder nicht vor Ablauf der Klagebegründungsfrist erfüllt worden ist. Dadurch verursachte Verzögerungen sind als solche kein Entschuldigungsgrund, sondern können nur insoweit entschuldigt sein, als sich die Klagebegründung auf Umstände stützt, die sich nur aus den Verwaltungsvorgängen ergeben. Die Kläger müssen insoweit konkret aufzeigen, an welchem Vortrag sie durch eine verzögerte Versendung des Verwaltungsvorgangs gehindert gewesen sein könnten (BVerwG, Beschlüsse vom 5. Juli 2023 – 9 B 7.23 – NVwZ 2023, 1664 Rn. 9 ff. und vom 5. Juli 2023 – 9 B 8.23 – juris Rn. 9 ff.). Derartige Ausführungen haben die Kläger weder im Laufe des Klageverfahrens gemacht noch sind sie der Anhörungsrüge zu entnehmen.
35
2. Das Verfahren ist auch nicht wegen der geltend gemachten Verletzungen des Rechts auf ein faires Verfahren nach Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 20 Abs. 3 GG und des Rechts auf den gesetzlichen Richter nach Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG fortzuführen.
36
Die Anhörungsrüge kann nach § 152a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 VwGO nur auf eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör, nicht aber auf die Verletzung anderer Verfassungs- oder Verfahrensgarantien gestützt werden. Insbesondere können Verstöße gegen das Recht auf den gesetzlichen Richter, die sich aus der Nichteinholung einer Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union ergeben sollen, und gegen das Recht auf ein faires Verfahren nicht mit der Anhörungsrüge geltend gemacht werden (stRspr, vgl. nur BVerwG, Beschlüsse vom 20. März 2013 – 7 C 3.13 – juris Rn. 4, vom 13. Oktober 2015 – 9 B 31.15 – juris Rn. 15, vom 8. Dezember 2016 – 3 C 9.16 – juris Rn. 1, vom 8. November 2018 – 4 BN 39.18 – juris Rn. 5 und vom 15. Januar 2025 – 5 B 1.25 – juris Rn. 10). Hiervon unabhängig ist das von den Klägern beanstandete gerichtliche Verfahren in Bezug auf die in der mündlichen Verhandlung nachträglich erteilten wasserrechtlichen Erlaubnisse (an den Beklagten gerichtete telefonische Bitte der Vorsitzenden, Vertreter der Wasserbehörde mitzubringen; Entgegennahme von Protokollerklärungen) keineswegs „beispiellos“, sondern entspricht den üblichen Gepflogenheiten der Planfeststellungssenate des Bundesverwaltungsgerichts in komplexen Verfahren. Die auf den Aufklärungs- und Hinweispflichten nach den §§ 86 und 87 VwGO beruhende Bitte, Behördenvertreter zur mündlichen Verhandlung mitzubringen, die sachkundig zu den aufgeworfenen Fragen Stellung nehmen können, ist regelmäßig notwendig, um den Rechtsstreit nach § 87 Abs. 1 Satz 1 VwGO möglichst in einer mündlichen Verhandlung erledigen zu können. Es kommt darüber hinaus in vielen Großverfahren vor, dass Planfeststellungsbehörden klägerischen oder gerichtlichen Hinweisen durch Protokollerklärungen in der mündlichen Verhandlung Rechnung tragen und so eine zunächst begründete Klage letztlich keinen Erfolg hat. Dabei darf das Gericht allerdings nicht als eine Art „Reparaturbetrieb“ der Verwaltung fungieren (vgl. im Einzelnen BVerwG, Urteil vom 7. Juli 2022 – 9 A 1.21 – BVerwGE 176, 94 Rn. 86; Beschluss vom 10. Oktober 2017 – 9 A 16.16 – Buchholz 310 § 54 VwGO Nr. 83 Rn. 6 ff.). Im vorliegenden Fall hatten die Kläger selbst in ihrer Klagebegründung das Fehlen der wasserrechtlichen Erlaubnisse gerügt. Hierdurch erklärt sich die Bitte der Vorsitzenden, einen Vertreter der Wasserbehörde zur mündlichen Verhandlung mitzubringen. Dass der Beklagte unter dem Eindruck der mündlichen Verhandlung seine zunächst abweichende Rechtsauffassung zur Erforderlichkeit der Erlaubnisse aufgegeben und diese nachträglich erteilt hat, entspricht damit letztlich dem klägerischen Begehren.
37
Einer Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Union bedurfte es im Übrigen aus den im Urteil genannten Gründen nicht.
38
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 und § 159 Satz 1 VwGO i. V. m. § 100 Abs. 1 ZPO.
