BGH 10. Zivilsenat, Urteil vom 28.01.2025, AZ X ZR 67/22, ECLI:DE:BGH:2025:280125UXZR67.22.0
Verfahrensgang
vorgehend LG Frankfurt, 19. Mai 2022, Az: 2-24 S 247/21
vorgehend AG Frankfurt, 26. November 2021, Az: 383 C 131/21 (43)
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil der 24. Zivilkammer des Landgerichts Frankfurt am Main vom 19. Mai 2022 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
1
Die Kläger beanspruchen von der Beklagten die Rückzahlung einer Anzahlung für eine Pauschalreise.
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Im Januar 2020 buchten die Kläger bei der Beklagten eine Pauschalreise „Schätze der Seidenstraße 2020“, die vom 4. bis 16. Oktober 2020 stattfinden und insgesamt 3.348 Euro kosten sollte. Die Kläger leisteten eine Anzahlung in Höhe von 669,60 Euro.
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Mit Schreiben vom 30. Juni 2020 erklärten die Kläger den Rücktritt von der Reise. Die Beklagte stellte ihnen eine Stornierungsgebühr in Höhe von 167,40 Euro in Rechnung, die die Kläger bezahlten.
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Die Beklagte sagte die Reise später ab. Dem Begehren der Kläger auf Rückzahlung der geleisteten Zahlungen in Höhe von insgesamt 837 Euro kam sie nicht nach.
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Das Amtsgericht hat die Beklagte, soweit für das Revisionsverfahren von Interesse, zur Rückzahlung von 837 Euro nebst Zinsen verurteilt. Das Berufungsgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Mit ihrer vom Berufungsgericht zugelassenen Revision begehrt die Beklagte weiterhin die vollständige Abweisung der Klage. Die Kläger treten dem Rechtsmittel entgegen.
Entscheidungsgründe
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Die zulässige Revision ist begründet und führt zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
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I. Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet:
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Das Amtsgericht habe die Beklagte zu Recht zur Rückzahlung der geleisteten Zahlungen verurteilt. Die Beklagte könne gegenüber den Klägern keinen Entschädigungsanspruch geltend machen, da die Voraussetzungen des § 651h Abs. 3 BGB erfüllt seien.
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Der Ausbruch der Corona-Pandemie habe im Frühjahr 2020 zu einer nahezu weltweiten Abschottung und zur Annullierung sämtlicher internationaler Flüge geführt und stelle einen unvermeidbaren, außergewöhnlichen Umstand im Sinne von § 651h Abs. 3 BGB dar.
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Die Kläger schuldeten gemäß § 651h Abs. 3 BGB keine Entschädigungsleistung. Dies gelte unabhängig davon, ob im Zeitpunkt der Rücktrittserklärung nach einer ex-ante-Betrachtung bereits hinreichende Anhaltspunkte bestanden hätten, dass die vom Reiseveranstalter geplante Reise infolge der Corona-Pandemie nicht stattfinden kann. Eine ex-ante-Betrachtung sei jedenfalls dann nicht maßgeblich, wenn der Reiseveranstalter die Reise vor deren Beginn selbst aufgrund eines unvermeidbaren, außergewöhnlichen Umstandes abgesagt habe.
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II. Dies hält der revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand.
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1. Die Beklagte hat gemäß § 651h Abs. 1 Satz 2 BGB ihren Anspruch auf den Reisepreis verloren, weil die Kläger nach § 651h Abs. 1 Satz 1 BGB wirksam vom Pauschalreisevertrag zurückgetreten sind. Damit ist die Beklagte zur Rückzahlung der geleisteten Anzahlung an die beiden Kläger verpflichtet.
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2. Mit der vom Berufungsgericht gegebenen Begründung kann ein Entschädigungsanspruch aus § 651h Abs. 1 Satz 3 BGB, den die Beklagte dem Anspruch der Kläger entgegenhalten könnte, nicht ausgeschlossen werden.
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a) Zu Recht hat das Berufungsgericht allerdings angenommen, dass die Covid-19-Pandemie im vorgesehenen Reisezeitraum einen unvermeidbaren und außergewöhnlichen Umstand im Sinne von § 651h Abs. 3 Satz 2 BGB darstellt.
15
Wie der Senat bereits mehrfach entschieden hat, ist es in der Regel nicht zu beanstanden, dass ein Tatrichter die Covid-19-Pandemie als Umstand wertet, der grundsätzlich geeignet ist, die Durchführung der Pauschalreise erheblich zu beeinträchtigen (vgl. BGH, Urteil vom 28. März 2023 – X ZR 78/22, NJWRR 2023, 828 = RRa 2023, 118 Rn. 21; Urteil vom 14. November 2023 – X ZR 115/22, NJWRR 2024, 193 Rn. 18; Urteil vom 23. Januar 2024 – X ZR 4/23, NJWRR 2024, 466 Rn. 17; Urteil vom 23. April 2024 – X ZR 58/23 Rn. 21). Dies steht in Einklang mit der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (vgl. EuGH, Urteil vom 8. Juni 2023 – C-407/21, RRa 2023, 183 Rn. 45 – UFC; Urteil vom 29. Februar 2024 – C-584/22, RRa 2024, 62 Rn. 48 – Kiwi Tours) und gilt auch für den im Streitfall maßgeblichen Reisezeitraum im Oktober 2020.
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b) Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts darf eine erhebliche Beeinträchtigung im Streitfall jedoch nicht schon deshalb bejaht werden, weil die Reise nach der Rücktrittserklärung abgesagt worden ist.
17
Nach der auf Vorlage des Senats ergangenen Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union ist Art. 12 Abs. 2 der Richtlinie (EU) 2015/2302 dahin auszulegen, dass für die Feststellung, ob unvermeidbare, außergewöhnliche Umstände aufgetreten sind, die im Sinne dieser Bestimmung die Durchführung der Pauschalreise oder die Beförderung von Personen an den Bestimmungsort erheblich beeinträchtigen, nur die Situation zu berücksichtigen ist, die zu dem Zeitpunkt bestand, zu dem der Reisende vom Reisevertrag zurückgetreten ist (EuGH, Urteil vom 29. Februar 2024 – C-584/22, RRa 2024, 62 Rn. 28 ff. – Kiwi Tours).
18
III. Die Sache ist nicht zur Endentscheidung reif (§ 563 Abs. 3 ZPO).
19
1. Entgegen der Auffassung der Revision ist die Klage nicht schon deshalb unbegründet, weil die Kläger die geforderte Stornierungsgebühr vorbehaltlos gezahlt haben.
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a) Die vorbehaltlose Zahlung der Stornierungsgebühr stellt auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen weder ein Anerkenntnis noch einen sonstigen Rechtsgrund dar.
21
Der Umstand, dass eine Rechnung vorbehaltlos beglichen wird, enthält über seinen Charakter als Erfüllungshandlung (§ 363 BGB) hinaus grundsätzlich keine Erklärung des Schuldners, zugleich den Bestand der erfüllten Forderungen insgesamt oder in einzelnen Beziehungen außer Streit stellen zu wollen. Eine Wirkung als Anerkenntnis kommt nur dann in Betracht, wenn zusätzliche Umstände vorliegen, die geeignet sind, eine derartige Wertung zu tragen (BGH, Urteil vom 11. November 2008 – VIII ZR 265/07, NJW 2009, 580 Rn. 12).
22
Solche Umstände sind im Streitfall nicht festgestellt.
23
b) Aus denselben Gründen kann der vorbehaltlosen Zahlung nicht die Erklärung entnommen werden, auf die Rückzahlung der einbehaltenen Anzahlung zu verzichten.
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c) Den bislang getroffenen Feststellungen lassen sich auch keine Anhaltspunkte dafür entnehmen, dass die Zahlung der Stornierungsgebühr in Kenntnis der Nichtschuld (§ 814 BGB) erfolgt ist.
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2. Das Berufungsgericht hat – von seinem rechtlichen Standpunkt aus folgerichtig – keine Feststellungen dazu getroffen, inwieweit bereits zum Zeitpunkt des Rücktritts der Kläger konkrete Umstände absehbar waren, die eine erhebliche Wahrscheinlichkeit einer erheblichen Beeinträchtigung der jeweiligen Reise nach § 651h Abs. 3 Satz 1 BGB begründen.
26
Die Sache ist deshalb an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, damit dieses die erforderlichen Feststellungen treffen kann.
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Hierbei wird das Berufungsgericht insbesondere auch zu berücksichtigen haben, dass eine im Zeitpunkt des Rücktritts begründete Ungewissheit über die weitere Entwicklung ein starkes Indiz dafür bilden kann, dass die Durchführung der Reise schon aus damaliger Sicht nicht zumutbar war. Hierbei sind gegebenenfalls auch individuelle Gesundheitsrisiken zu berücksichtigen, denen die Reisenden bei Durchführung der Reise ausgesetzt wären (BGH, Urteil vom 30. August 2022 – X ZR 66/21, NJW 2022, 3707 = RRa 2022, 283 Rn. 62 ff.; Urteil vom 23. Januar 2024 – X ZR 4/23, NJW-RR 2024, 466 Rn. 31 ff.). Wie der Senat bereits im Hinblick auf den auch hier von der Revision eingewandten verfrühten Rücktritts entschieden hat, ist dem Reisenden auch nicht ohne weiteres zuzumuten, mit einer Entscheidung über den Rücktritt bis kurz vor Reisebeginn zuzuwarten (BGH, Urteil vom 15. Oktober 2024 – X ZR 79/22, MDR 2024, 1570 Rn. 43 ff.).
28
Entgegen der Auffassung der Revision wird es nicht zwingend des Vortrags belastbarer Tatsachen bedürfen, aufgrund derer im Rücktrittszeitpunkt am Bestimmungsort der Reise mit einer höheren Ansteckungsgefahr als am Heimatort zu rechnen war. Wie der Senat bereits entschieden hat, ist § 651h Abs. 3 BGB auch dann anwendbar, wenn dieselben oder vergleichbare Beeinträchtigungen im vorgesehenen Reisezeitraum auch am Heimatort des Reisenden vorliegen (BGH, Beschluss vom 30. August 2022 – X ZR 3/22 Rn. 22).
Bacher Hoffmann Deichfuß
Marx von Pückler