BGH 5. Zivilsenat, Urteil vom 20.12.2024, AZ V ZR 243/23, ECLI:DE:BGH:2024:201224UVZR243.23.0
§ 18 Abs 2 WoEigG, § 22 WoEigG, § 242 BGB
Leitsatz
1. Grundsätzlich kann jeder Wohnungseigentümer von der Gemeinschaft der Wohnungseigentümer die erstmalige Errichtung des Gemeinschaftseigentums verlangen. Bei einem sogenannten steckengebliebenen Bau werden wohnungseigentumsrechtliche Ansprüche dieser Art allerdings erst begründet, wenn mindestens ein Erwerber die Stellung eines (werdenden) Wohnungseigentümers erlangt hat.
2. § 22 WEG ist auf den Anspruch auf erstmalige Errichtung des Gemeinschaftseigentums nicht analog anwendbar.
3. Begrenzt wird der Anspruch auf erstmalige Errichtung des Gemeinschaftseigentums auch im Fall des sogenannten steckengebliebenen Baus durch den Grundsatz von Treu und Glauben. Danach entfällt der Anspruch, wenn seine Erfüllung den übrigen Wohnungseigentümern nach den Umständen des Einzelfalls nicht zuzumuten ist.
4. In einem von einem bauwilligen Wohnungseigentümer gegen die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer angestrengten Beschlussersetzungsverfahren ist es Sache des Tatgerichts, unter umfassender Würdigung der Umstände des Einzelfalls im Rahmen einer Gesamtabwägung über die Unzumutbarkeit der erstmaligen Errichtung zu entscheiden.
Verfahrensgang
vorgehend LG Koblenz, 20. November 2023, Az: 2 S 29/22 WEG
vorgehend AG Koblenz, 18. Mai 2022, Az: 133 C 1875/21 WEG
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil der 2. Zivilkammer des Landgerichts Koblenz vom 20. November 2023 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als zum Nachteil der Beklagten entschieden worden ist.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
1
Die Klägerin ist Mitglied der beklagten Gemeinschaft der Wohnungseigentümer (GdWE) und hält 290/1000 Miteigentumsanteile. Zum Zeitpunkt der Entstehung der GdWE im Jahr 2013 war das Grundstück mit einer Abbruchimmobilie bebaut; gemäß der Teilungserklärung sollte ein aus elf Einheiten bestehendes Wohn- und Geschäftshaus errichtet werden. Zu diesem Zweck schlossen die Wohnungseigentümer jeweils mit einer GmbH als Generalbauunternehmerin Werkverträge. Bereits während der Abrissarbeiten an der Bestandsimmobilie kam das Vorhaben zum Stillstand. Die übrigen Wohnungseigentümer – mit Ausnahme der Klägerin – machen gegen die Generalbauunternehmerin Ansprüche aus den Werkverträgen gerichtlich geltend. Gegenstand weiterer gerichtlicher Verfahren sind mit circa 500.000 € bezifferte Ansprüche der Eigentümer von zwei Nachbargebäuden, deren Giebelwände im Zuge der Abrissarbeiten freigelegt wurden. Mittlerweile ist die Generalbauunternehmerin insolvent. Die Klägerin möchte nunmehr erreichen, dass die Anlage durch die GdWE errichtet wird. In einer Eigentümerversammlung vom 16. September 2021 wurden die von der Klägerin gestellten Beschlussanträge, die Verwalterin zu beauftragen, Angebote für die restlichen Abbruch- und Räumungsarbeiten und die Erstellung der Ausführungspläne für das Objekt einzuholen, die Aufträge zu vergeben und die Arbeiten unter Beachtung zwischenzeitlich ergangener Bauordnungsverfügungen durchführen zu lassen sowie eine Sonderumlage in Höhe von 50.000 € zu erheben, abgelehnt.
2
Das Amtsgericht hat – soweit noch von Interesse – die auf gerichtliche Ersetzung der beantragten Beschlüsse gerichtete Klage abgewiesen. Auf die Berufung der Klägerin hat das Landgericht den Beschluss ersetzt, dass ein Sachverständigengutachten zu den voraussichtlichen Kosten für den Abriss des Bestandsgebäudes und die Errichtung des Gemeinschaftseigentums eingeholt, die Verwalterin mit der Einholung von Angeboten für das Gutachten beauftragt und die Beklagte zur Beschlussfassung über die Vergabe des Auftrags und dessen Finanzierung verpflichtet wird. Dagegen wendet sich die beklagte GdWE mit der von dem Landgericht zugelassenen Revision, deren Zurückweisung die Klägerin beantragt.
Entscheidungsgründe
I.
3
Das Berufungsgericht, dessen Entscheidung u.a. in ZMR 2024, 152 veröffentlicht ist, ist der Ansicht, dass die Klägerin im zugesprochenen Umfang Beschlussersetzung verlangen kann. Ein Wohnungseigentümer habe grundsätzlich einen Anspruch auf Ersterrichtung des Gemeinschaftseigentums gegen die GdWE. Dies folge aus der Unauflöslichkeit der Gemeinschaft. Es entspreche ordnungsmäßiger Verwaltung, zumindest das Gemeinschaftseigentum zu errichten; für die Errichtung der Sondereigentumseinheiten seien die Wohnungseigentümer anschließend selbst verantwortlich. Eine Ausnahme bestehe allerdings, wenn die Ersterrichtung im Sinne von § 242 BGB unzumutbar sei. Vorliegend fehle für eine sachgerechte Entscheidung über die Unzumutbarkeit jedoch die Tatsachengrundlage. Zunächst müssten die voraussichtlichen Kosten für den Abriss des Bestandsgebäudes und die Errichtung des Gemeinschaftseigentums durch Einholung eines Sachverständigengutachtens ermittelt werden. Zur Wahrung des Selbstorganisationsrechts der Wohnungseigentümer sei nur ein Beschluss über die Einholung des Gutachtens zu ersetzen. Nach dessen Erstellung könnten die Wohnungseigentümer dann selbst sachgerecht darüber entscheiden, ob die Errichtung der Anlage ausnahmsweise unzumutbar sei.
II.
4
Das hält rechtlicher Nachprüfung nicht vollen Umfangs stand.
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1. Zutreffend ist allerdings der rechtliche Ausgangspunkt des Berufungsgerichts. Grundsätzlich kann jeder Wohnungseigentümer von der GdWE die erstmalige Errichtung des Gemeinschaftseigentums verlangen; die Errichtung des Sondereigentums ist nicht Gegenstand des Revisionsverfahrens.
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a) Bei einem sogenannten steckengebliebenen Bau werden wohnungseigentumsrechtliche Ansprüche dieser Art allerdings erst dann begründet, wenn mindestens ein Erwerber die Stellung eines (werdenden) Wohnungseigentümers erlangt hat. Zwar entsteht die GdWE im Regelfall einer Aufteilung durch den Bauträger bereits mit Anlegung der Wohnungsgrundbücher (§ 9a Abs. 1 Satz 2 WEG) zunächst als Ein-Personen-Gemeinschaft (vgl. BT-Drucks. 19/18791 S. 29). Im Verhältnis zu den Erwerbern findet das Wohnungseigentumsgesetz aber erst dann Anwendung, wenn die Erwerber entweder als Wohnungseigentümer in das Grundbuch eintragen worden sind oder gemäß § 8 Abs. 3 WEG als werdende Wohnungseigentümer gelten. Bei einem Bauträgervertrag erfolgt die Grundbuchumschreibung regelmäßig erst nach Errichtung des Gebäudes, weil der Kaufpreis nur sukzessive mit dem Baufortschritt fällig wird, während Auflassung und Eigentumsumschreibung erst nach vollständiger Bezahlung des Kaufpreises geschuldet sind (vgl. Senat, Beschluss vom 5. Juni 2008 – V ZB 85/07, BGHZ 177, 53 Rn. 12). Unterbleibt die Umschreibung im Grundbuch aus diesen Gründen, gilt ein Erwerber gemäß § 8 Abs. 3 WEG erst dann als werdender Wohnungseigentümer, wenn u.a. die Übergabe der Räume erfolgt ist. Infolgedessen entstehen wohnungseigentumsrechtliche Errichtungsansprüche der Erwerber in aller Regel erst bei einem fortgeschrittenen Bautenstand (vgl. auch Vogel, IMR 2024, 247). Solange die Erwerber nicht (werdende) Wohnungseigentümer sind, beschränken sich ihre Rechte auf vertragliche Ansprüche gegen den Bauträger; in diesem Stadium bestehen Rechtsbeziehungen weder zwischen den Erwerbern untereinander noch zwischen den Erwerbern und der GdWE (vgl. Hogenschurz in Jennißen, WEG, 8. Aufl., § 22 Rn. 11).
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b) Der hier gegebene Fall liegt demgegenüber besonders: Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts besteht eine GdWE, und die von dem teilenden Eigentümer personenverschiedenen Erwerber sind bereits Wohnungseigentümer, obwohl das – nicht von dem teilenden Eigentümer, sondern von einer Generalbauunternehmerin auf der Grundlage mit den Erwerbern geschlossener Werkverträge – zu errichtende Gebäude nicht einmal ansatzweise fertiggestellt, sondern das Grundstück noch mit einer zunächst abzureißenden Immobilie bebaut ist. Weil die GdWE schon vor Errichtung des Gebäudes entsteht und die Erwerber bereits Wohnungseigentümer sind, findet das Wohnungseigentumsgesetz Anwendung.
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c) Ist also das Binnenverhältnis zwischen den Erwerbern und der GdWE entstanden, kann nach ständiger Senatsrechtsprechung jeder Wohnungseigentümer im Rahmen der ordnungsmäßigen Verwaltung (§ 18 Abs. 2 Nr. 1 WEG) verlangen, dass das Gemeinschaftseigentum erstmals in einen der Teilungserklärung entsprechenden – mithin plangerechten – Zustand versetzt wird (vgl. Senat, Urteil vom 14. November 2014 – V ZR 118/13, NJW 2015, 2027 Rn. 20; Urteil vom 20. November 2015 – V ZR 284/14, BGHZ 208, 29 Rn. 7, 24; Urteil vom 22. März 2018 – V ZR 65/17, NJW-RR 2018, 776 Rn. 25; Urteil vom 4. Mai 2018 – V ZR 203/17, NJW 2018, 3238 Rn. 10, 18). Ob die erstmalige Errichtung bzw. Fertigstellung des Gemeinschaftseigentums (auch) als ordnungsmäßige Erhaltung, also gemäß § 13 Abs. 2 WEG als Instandhaltung oder Instandsetzung des gemeinschaftlichen Eigentums im Sinne von § 19 Abs. 2 Nr. 2 WEG zu verstehen ist und damit unter einen der gesetzlich normierten Beispielsfälle für eine ordnungsmäßige Verwaltung fällt, kann mangels rechtlicher Auswirkungen offenbleiben (bejaht etwa von Bärmann/Dötsch, WEG, 15. Aufl., § 20 Rn. 35; Fichtner in Müller/Fichtner, Praktische Fragen des Wohnungseigentums, 7. Aufl., § 18 Rn. 97, 99; verneint dagegen von Schmidt, ZWE 2017, 238; Rix, Der stecken gebliebene Bau, 1991, S. 59; „nicht mehr notwendig“ nach Lehmann-Richter/Wobst, WEG-Reform 2020, Rn. 979). Die erstmalige plangerechte Errichtung bzw. Fertigstellung des Gemeinschaftseigentums ist auch keine bauliche Veränderung im Sinne von § 20 Abs. 1 WEG (zur erstmaligen plangerechten Herstellung des Gemeinschaftseigentums und § 22 WEG aF Senat, Urteil vom 14. November 2014 – V ZR 118/13, NJW 2015, 2027 Rn. 20; Urteil vom 20. November 2015 – V ZR 284/14, BGHZ 208, 29 Rn. 7).
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d) Die ordnungsmäßiger Verwaltung grundsätzlich entsprechende erstmalige Herstellung des Gemeinschaftseigentums erfasst – schon zur Vermeidung von Abgrenzungsschwierigkeiten – nicht nur die Beseitigung anfänglicher Mängel, die Erfüllung öffentlich-rechtlicher Anforderungen oder die Behebung von Abweichungen zwischen der tatsächlichen Bauausführung und der Teilungserklärung bzw. dem Aufteilungsplan, sondern auch die erstmalige Errichtung bzw. Fertigstellung des Gemeinschaftseigentums bei einem steckengebliebenen Bau (ebenso MüKoBGB/Rüscher, 9. Aufl., § 22 WEG Rn. 29; BeckOGK/Müller, WEG [1.9.2024], § 2 Rn. 36; BeckOGK/Kempfle, WEG [1.9.2024], § 22 Rn. 23). Die Pflicht zur ordnungsmäßigen Verwaltung beginnt mit Entstehung der gemäß § 11 WEG unauflöslichen GdWE (§ 9a Abs. 1 Satz 2 WEG); sie endet auch dann nicht, wenn das geplante Gebäude, gleich aus welchen Gründen, nicht errichtet wird. Denn das Wohnungseigentum besteht – wenngleich der Substanz nach als Miteigentumsanteil – auf Dauer (zu sog. „Geisterwohnungen“ Senat, Urteil vom 18. Januar 2019 – V ZR 72/18, NJW-RR 2019, 909 Rn. 22 f. mwN; s.a. Staudinger/Jacoby, BGB [2023], § 22 WEG Rn. 9).
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2. Weiter zutreffend geht das Berufungsgericht davon aus, dass der Anspruch auf erstmalige Errichtung des Gemeinschaftseigentums grundsätzlich unabhängig vom Fertigstellungsgrad des Gebäudes besteht. § 22 WEG, wonach der Wiederaufbau eines zu mehr als der Hälfte seines Wertes zerstörten Gebäudes nicht verlangt werden kann, wenn der Schaden nicht durch eine Versicherung oder in anderer Weise gedeckt ist, ist auf den steckengebliebenen Bau weder unmittelbar noch analog anwendbar.
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a) Ob § 22 WEG (analog) auf den steckengebliebenen Bau anwendbar ist, war schon vor dem Inkrafttreten des Wohnungseigentumsmodernisierungsgesetzes (WEMoG) zum 1. Dezember 2020 umstritten. Rechtsprechung und Literatur hielten die gleichlautenden Vorgängerregelungen zu § 22 WEG – § 22 Abs. 4 WEG idF vom 1. Juli 2007 bzw. § 22 Abs. 2 WEG idF vom 1. Januar 1964 (nachfolgend aF) – überwiegend für analog anwendbar, und zwar sowohl in Bezug auf einen Anspruch aus § 21 Abs. 4, Abs. 5 Nr. 2 WEG aF als auch in Bezug auf einen Beschluss nach § 21 Abs. 3 WEG aF (vgl. BayObLG, ZMR 1983, 419, 421; ZWE 2000, 214, 215; NJW 2003, 2323, 2324; OLG Frankfurt a.M., OLGZ 1991, 293; OLG Celle, ZInsO 2005, 818, 819; BeckOK WEG/Elzer [42. Ed. 1.8.2020], § 22 Rn. 344; Erman/Grziwotz, BGB, 16. Aufl. 2020, § 22 WEG Rn. 12; Hogenschurz in Jennißen, WEG, 6. Aufl. 2019, § 22 Rn. 83; NK-BGB/Schultzky, 4. Aufl. 2016, § 22 WEG Rn. 43; Röll, NJW 1978, 1507, 1508; ders., NJW 1981, 467; Weitnauer, DNotZ 1977, Sonderheft, 31, 45 f.). Ein Teil der Literatur lehnte eine analoge Anwendung des § 22 WEG aF dagegen ab und begrenzte den Erstherstellungsanspruch durch das in § 242 BGB verankerte Kriterium der Unzumutbarkeit bzw. finanziellen Überforderung (vgl. Bärmann/Merle, WEG, 14. Aufl. 2018, § 22 Rn. 394 f.; MüKoBGB/Engelhardt, 8. Aufl. 2020, § 22 WEG Rn. 90; Ott, NZM 2003, 134, 136). Innerhalb dieser Ansicht wurde teilweise vertreten, dass die Ersterrichtung unzumutbar sei, wenn deren Kosten den im Erwerbsvertrag vereinbarten Preis um 50 % überstiegen (vgl. Staudinger/Lehmann-Richter, BGB [2018], § 21 WEG Rn. 163, § 22 WEG Rn. 147; Sauren, WEG, 6. Aufl. 2014, § 22 Rn. 77, 80; Rix, Der stecken gebliebene Bau, 1991, S. 35 ff., 79 ff.; Riesenberger in Festschrift Deckert, 2002, S. 395, 409 ff.). Der Senat hat die Frage offengelassen (vgl. Senat, Urteil vom 15. Oktober 2021 – V ZR 225/20, NJW 2022, 326 Rn. 31).
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b) Sie ist durch das WEMoG nicht geklärt worden (vgl. Lehmann-Richter/Wobst, WEG-Reform 2020, Rn. 1273). Der Erstherstellungsanspruch ist nicht gesetzlich geregelt worden. Auch die Vorschrift zum Wiederaufbau gemäß § 22 WEG ist – trotz der im Gesetzgebungsverfahren im Zusammenhang mit der Frage der Beendigung der GdWE diskutierten Thematik sogenannter „Problemimmobilien“ (näher Senat, Urteil vom 15. Oktober 2021 – V ZR 225/20, NJW 2022, 326 Rn. 35) – inhaltlich unverändert geblieben.
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c) Vor diesem Hintergrund wird teilweise weiterhin eine Analogie zu § 22 WEG und damit ein Erstherstellungsanspruch im Fall des steckengebliebenen Baus nur bejaht, wenn das Gebäude bereits mindestens zur Hälfte seines Wertes errichtet bzw. fertiggestellt ist (vgl. BeckOGK/Müller, WEG [1.9.2024], § 2 Rn. 37; BeckOK WEG/Leidner [29.3.2024], § 3 Rn. 36; BeckOK WEG/Elzer [15.7.2024], § 22 Rn. 16; NK-BGB/Brücher/Schultzky, 5. Aufl., § 22 WEG Rn. 4; Weber in Würzburger Notarhandbuch, 6. Aufl., Teil 2 Kapitel 4 Rn. 286; Pauli, ZMR 2024, 195, 197). Die Gegenauffassung, der das Berufungsgericht folgt, lehnt eine analoge Anwendung von § 22 WEG ab (vgl. Bärmann/Dötsch, WEG, 15. Aufl., § 22 Rn. 42 f.; MüKoBGB/Rüscher, 9. Aufl., § 22 WEG Rn. 27; Staudinger/Jacoby, BGB [2023], § 22 WEG Rn. 35; Marquardt in Elzer, StichwortKommentar Wohnungseigentumsrecht, 1. Aufl. Ed. 2, Steckengebliebener Bau Rn. 16; Basty, Der Bauträgervertrag, 11. Aufl., Kapitel 4 Rn. 45; Lehmann-Richter/Wobst, WEG-Reform 2020, Rn. 1276; Pramataroff/Bordt, FD-MietR 2024, 807719).
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d) Der Senat entscheidet die Frage im Sinne der zuletzt genannten Ansicht. § 22 WEG ist auf den Anspruch auf erstmalige Errichtung des Gemeinschaftseigentums (sogenannter steckengebliebener Bau) nicht analog anwendbar.
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aa) Eine unmittelbare Anwendung von § 22 WEG scheidet offenkundig aus. Denn zerstört im Sinne dieser Vorschrift ist ein Gebäude nur dann, wenn seine Nutzbarkeit nachträglich durch ein punktuelles Ereignis (wie Brand, Überflutung oder Explosion) wesentlich beeinträchtigt oder aufgehoben ist (vgl. Senat, Urteil vom 15. Oktober 2021 – V ZR 225/20, NJW 2022, 326 Rn. 26 zu § 22 Abs. 4 WEG aF). Bei einem steckengebliebenen Bau ist die (geplante) Anlage dagegen von Anfang nicht (vollständig) errichtet und aus diesem Grund nicht oder nur eingeschränkt nutzbar; die Nutzbarkeit entfällt nicht erst später durch ein punktuelles Ereignis.
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bb) Eine analoge Anwendung des § 22 WEG, bei dem es sich um eine eng begrenzte Ausnahmevorschrift handelt (vgl. Senat, Urteil vom 15. Oktober 2021 – V ZR 225/20, NJW 2022, 326 Rn. 26 zu § 22 Abs. 4 WEG aF), kommt ebenfalls nicht in Betracht. Das Gesetz enthält zwar keine Regelung über die Erstherstellungs- bzw. Fertigstellungspflicht bei einem steckengebliebenen Bau. Da der Gesetzgeber aber in Kenntnis der langjährigen Diskussion (s.o. Rn. 12) – weiterhin – keine Regelung getroffen hat, kann nicht davon ausgegangen werden, dass diese Regelungslücke planwidrig ist. Zudem ist ein steckengebliebener Bau auch nicht – wie es eine Analogie neben einer planwidrigen Regelungslücke weiter voraussetzte (vgl. z.B. Senat, Beschluss vom 14. Juni 2007 – V ZB 102/06, NJW 2007, 3124 Rn. 11 mwN) – mit einem zerstörten Gebäude zu vergleichen. Denn anders als bei einem zerstörten Gebäude haben die Erwerber bei einem steckengebliebenen Bau den Erwerbspreis in der Regel noch nicht vollständig, sondern allenfalls anteilig nach Baufortschritt gezahlt (vgl. für den Werkvertrag § 632a BGB). § 22 WEG soll die Wohnungseigentümer davor schützen, für ein bereits finanziertes Objekt erneut erhebliche Vermögensopfer aufbringen zu müssen; bei einem steckengebliebenen Bau kann von den Wohnungseigentümern dagegen grundsätzlich erwartet werden, dass sie noch nicht auf die Herstellung verwendetes Kapital in die Fertigstellung investieren (ebenso MüKoBGB/Rüscher, 9. Aufl., § 22 WEG Rn. 27; Staudinger/Jacoby, BGB [2023], § 22 WEG Rn. 35; Marquardt in Elzer, StichwortKommentar Wohnungseigentumsrecht, 1. Aufl. Ed. 2, Steckengebliebener Bau Rn. 16; Rix, Der stecken gebliebene Bau, 1991, S. 36, 77 f.). Dementsprechend sind auch die starren Kriterien des § 22 WEG nicht sachgerecht. Sie sind – wie etwa die Abhängigkeit der Wiederaufbaupflicht von der Deckung durch eine Versicherung zeigt – auf die (teilweise) Zerstörung eines Gebäudes zugeschnitten und daher auf den Fall des steckengebliebenen Baus nicht übertragbar; allenfalls der Rechtsgedanke des § 22 WEG lässt sich – an anderer Stelle – fruchtbar machen (s.u. Rn. 34 ff.).
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3. Begrenzt wird der Anspruch auf erstmalige Errichtung des Gemeinschaftseigentums vielmehr auch im Fall des steckengebliebenen Baus, wie das Berufungsgericht zutreffend sieht, durch den Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB). Danach entfällt der Anspruch, wenn seine Erfüllung den übrigen Wohnungseigentümern nach den Umständen des Einzelfalls nicht zuzumuten ist.
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a) Dass der Anspruch auf erstmalige plangerechte Herstellung des Gemeinschaftseigentums nach Treu und Glauben ausgeschlossen sein kann, wenn seine Erfüllung den übrigen Wohnungseigentümern nach den Umständen des Einzelfalls nicht zuzumuten ist, entspricht ständiger Senatsrechtsprechung (vgl. Senat, Urteil vom 14. November 2014 – V ZR 118/13, NJW 2015, 2027 Rn. 21; Urteil vom 20. November 2015 – V ZR 284/14, BGHZ 208, 29 Rn. 21 f.) und findet auch Zustimmung in der Literatur (vgl. Bärmann/Dötsch, WEG, 15. Aufl., § 22 Rn. 42 f.; Basty, Der Bauträgervertrag, 11. Aufl., Kapitel 4 Rn. 45; Pramataroff/Bordt, FD-MietR 2024, 807719). Zwar können die Wohnungseigentümer die Beseitigung anfänglicher Mängel des plangerecht hergestellten Gemeinschaftseigentums nicht mit der Begründung verweigern, dass ihnen die damit einhergehenden Kosten nicht zuzumuten seien; eine „Opfergrenze“ ist insoweit nicht anzuerkennen (vgl. etwa Senat, Urteil vom 17. Oktober 2014 – V ZR 9/14, BGHZ 202, 375 Rn. 12 ff.; Urteil vom 4. Mai 2018 – V ZR 203/17, NJW 2018, 3238 Rn. 20 ff.; Urteil vom 15. Oktober 2021 – V ZR 225/20, NJW 2022, 326 Rn. 20). Darum geht es bei einem steckengebliebenen Bau aber nicht, denn es fehlt, soweit die erstmalige Errichtung begehrt wird, schon an dem – den Vorgaben der Teilungserklärung entsprechenden – Gemeinschaftseigentum (zur Abgrenzung der Fallgruppen näher Senat, Urteil vom 4. Mai 2018 – V ZR 203/17 aaO Rn. 17 ff.).
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b) Eine Begrenzung des Anspruchs durch das Kriterium der Unzumutbarkeit ist auch sachgerecht. Denn im Rahmen von § 242 BGB können die Umstände des Einzelfalls im Rahmen einer Gesamtabwägung angemessen berücksichtigt und die Interessen der nicht bauwilligen mit den Interessen der bauwilligen Wohnungseigentümer abgewogen werden.
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4. Von diesen Grundsätzen geht zwar auch das Berufungsgericht aus. Rechtsfehlerhaft unterlässt es aber eine eigene Entscheidung über die Unzumutbarkeit der Ersterrichtung und überantwortet die Ermittlung der Tatsachengrundlage sowie die anschließende Entscheidung über die Unzumutbarkeit der GdWE, indem es (nur) einen Beschluss über die Einholung eines Sachverständigengutachtens ersetzt.
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a) Richtig ist zwar, dass die Wohnungseigentümer hinsichtlich der Maßnahmen zur Verwaltung des gemeinschaftlichen Eigentums gemäß § 18 Abs. 2 Nr. 1 WEG grundsätzlich ein (Entschließungs- und Auswahl-)Ermessen haben. Die (Rechts-)Frage, ob der Anspruch auf erstmalige Errichtung des Gemeinschaftseigentums wegen Unzumutbarkeit (§ 242 BGB) ausgeschlossen ist, hängt aber nicht von einer Ermessensentscheidung ab; vielmehr bedarf es einer rechtlichen Wertung. In einem von einem bauwilligen Wohnungseigentümer gegen die GdWE angestrengten Beschlussersetzungsverfahren ist es deshalb Sache des Tatgerichts, unter umfassender Würdigung der Umstände des Einzelfalls im Rahmen einer Gesamtabwägung (vgl. näher unten Rn. 31 ff.) über die Unzumutbarkeit der erstmaligen Errichtung zu entscheiden.
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b) Eine abschließende gerichtliche Entscheidung über die (Un-)Zumutbarkeit des Errichtungsanspruchs entspricht auch dem Interesse der Wohnungseigentümer. Denn bei einem laufenden Bauvorhaben ist es von besonderer Bedeutung, dass alsbald Rechtssicherheit über das weitere Vorgehen herrscht. Demgegenüber bestünde bei einer Ermittlung der Tatsachengrundlage und anschließender Beschlussfassung durch die Mehrheit der Wohnungseigentümer die Gefahr weiterer Beschlussanfechtungs- bzw. Beschlussersetzungsverfahren.
III.
23
1. Das Berufungsurteil kann daher keinen Bestand haben; es ist im Umfang der Anfechtung – soweit der Beschlussersetzungsklage stattgegeben worden ist – aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO). Insoweit ist die Sache mangels Entscheidungsreife zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO), da weitere Feststellungen zu treffen sind (§ 563 Abs. 3 ZPO).
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2. Für das weitere Verfahren weist der Senat auf Folgendes hin:
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a) Das Berufungsgericht wird zu erwägen haben, ob der Errichtungsanspruch bereits wegen rechtlicher Unmöglichkeit gemäß § 275 Abs. 1 BGB ausgeschlossen ist. Das von der Beklagten nach dem Revisionsvorbringen behauptete Fehlen einer Baugenehmigung allein dürfte hierfür allerdings nicht genügen; vielmehr dürfte es grundsätzlich darauf ankommen, ob das Bauvorhaben – ohne wesentliche Änderungen – genehmigungsfähig ist (vgl. Senat, Urteil vom 20. September 2019 – V ZR 258/18, NJW-RR 2020, 72 Rn. 34 mwN). Im Übrigen verweist die Klägerin in ihrer Revisionserwiderung auf eine näher bezeichnete Baugenehmigung; träfe dieses Vorbringen zu und wäre die Baugenehmigung bestandskräftig, käme es auf die weiteren Zweifel der Beklagten an der Erschließung nicht an (vgl. Senat, Urteil vom 13. Mai 2022 – V ZR 4/21, NJW-RR 2022, 1100 Rn. 10).
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b) Ferner wird der Stand des Insolvenzverfahrens der Generalbauunternehmerin in den Blick zu nehmen sein. Denn die auf Erstherstellung gerichtete Inanspruchnahme der Beklagten durch die Klägerin wäre mit Rücksicht auf das Mitgliedschaftsverhältnis schon dann treuwidrig, wenn die Klägerin im Ergebnis gleichgerichtete vertragliche Ansprüche gegen die Generalbauunternehmerin bzw. deren Insolvenzverwalter erfolgversprechend geltend machen könnte (vgl. BeckOGK/Kempfle, WEG [1.9.2024], § 22 Rn. 23; ähnlich Bärmann/Dötsch, WEG, 15. Aufl., § 22 Rn. 44; aA Hügel/Elzer, WEG, 3. Aufl., § 19 Rn. 61; zur Treuepflicht allg. etwa Senat, Urteil vom 12. April 2013 – V ZR 103/12, NJW 2013, 1962 Rn. 11; Urteil vom 10. Februar 2017 – V ZR 166/16, ZWE 2017, 360 Rn. 10 f.). Es wäre Sache der insoweit darlegungsbelasteten Beklagten, hierzu weiter vorzutragen; sollte der Klägerin – im Gegensatz zu der Beklagten – näherer Vortrag möglich und zumutbar sein, fänden insoweit die Grundsätze der sekundären Darlegungslast Anwendung (vgl. Senat, Urteil vom 19. Juli 2017 – V ZR 255/17, NJW 2019, 3147 Rn. 49 mwN).
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c) Ist der Errichtungsanspruch nicht bereits aus den vorgenannten Gründen ausgeschlossen, wird es auf die von der GdWE darzulegende und ggf. zu beweisende Unzumutbarkeit der Erstherstellung ankommen.
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aa) Insoweit ist erneut herauszustellen, dass die Eintragung der Erwerber in das Grundbuch vor Errichtung des Gebäudes eher eine Ausnahme darstellen dürfte (s.o. Rn. 7).
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(1) Im typischen Fall des Abverkaufs von noch zu errichtenden Wohnungen durch einen Bauträger, der gemäß § 8 Abs. 1 WEG die Teilung erklärt, erfolgt die Grundbuchumschreibung regelmäßig erst nach Errichtung des Gebäudes. Damit ein noch nicht in das Grundbuch eingetragener Erwerber vorab die Stellung eines werdenden Wohnungseigentümers erlangt und wohnungseigentumsrechtliche Ansprüche entstehen, muss ihm u.a. der Besitz an den zum Sondereigentum gehörenden Räumen übergeben worden sein (§ 8 Abs. 3 WEG); jedenfalls diese Räume müssen also bereits hergestellt sein (s.o. Rn. 6). Auch in einem solchen eher fortgeschrittenen Stadium kann der Anspruch der werdenden Wohnungseigentümer auf plangerechte (restliche) Fertigstellung des Gebäudes nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) ausgeschlossen sein. Das kommt nach der gefestigten Senatsrechtsprechung etwa dann in Betracht, wenn die Erstherstellung (bzw. hier: Fertigstellung des Baus) Kosten verursacht, die auch unter Berücksichtigung der berechtigten Belange der von der abweichenden Bauausführung betroffenen Wohnungseigentümer unverhältnismäßig sind, sodass ein vernünftiger Wohnungseigentümer unter den gegebenen Umständen die plangerechte Herstellung nicht verlangen würde (vgl. Senat, Urteil vom 14. November 2014 – V ZR 118/13, NJW 2015, 2027 Rn. 21; Urteil vom 20. November 2015 – V ZR 284/14, BGHZ 208, 29 Rn. 21 f.). Je weiter fortgeschritten das Vorhaben ist, desto eher wird es den schon vorhandenen werdenden Wohnungseigentümern vernünftigerweise zuzumuten sein, den steckengebliebenen Bau fertig zu stellen. Auch in diesem Fall können aber weitere Kriterien zu einer Unzumutbarkeit der Ersterrichtung bzw. Fertigstellung führen (s.u. Rn. 31 ff.).
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(2) Denkbar ist ein dem Regime des Wohnungseigentumsgesetzes unterfallender steckengebliebener Bau aber auch im Falle der vertraglichen Einräumung von Sondereigentum nach § 3 Abs. 1 WEG (Beispiele bei Fichtner in Müller/Fichtner, Praktische Fragen des Wohnungseigentums, 7. Aufl., § 5 Rn. 22). Hierbei ist allerdings vorrangig zu prüfen, welche Regelungen, ggf. auch für den steckengebliebenen Bau, das Verpflichtungsgeschäft (§ 4 Abs. 3 WEG) enthält (vgl. Vandenhouten in Niedenführ/Schmidt-Räntsch/Vandenhouten, WEG, 13. Aufl., § 3 Rn. 10); auf die Unzumutbarkeit wird es erst in zweiter Linie ankommen.
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bb) In der hier gegebenen Sonderkonstellation (s.o. Rn. 7), in der das Gebäude noch nicht bzw. nur ansatzweise errichtet und gleichwohl das Wohnungseigentumsgesetz anwendbar ist, muss die Unzumutbarkeit in tatrichterlicher Würdigung anhand der nachfolgenden – nicht abschließenden – Erwägungen beurteilt werden.
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(1) Zunächst wird der Fertigstellungsgrad der zu errichtenden Anlage und demgemäß der Umfang der von den Wohnungseigentümern in Angriff zu nehmenden Arbeiten und die Höhe der noch zu tätigenden Investitionen von erheblicher Bedeutung sein.
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(a) In diesem Zusammenhang wird in den Blick zu nehmen sein, wieviel die Wohnungseigentümer bereits investiert haben und wieviel sie voraussichtlich noch investieren müssen. Hierbei ist einerseits zu berücksichtigen, dass bereits erfolgte Investitionen verloren oder jedenfalls weniger werthaltig sein können, wenn die Fertigstellung des steckengebliebenen Baus unterbleibt; andererseits werden die noch aufzubringenden Kosten jedenfalls nach Ablauf einer nicht unerheblichen Zeit häufig dasjenige überschreiten, was anfänglich kalkuliert und wofür nicht selten Kreditmittel aufgenommen worden sind. Zu betrachten ist dies relativ: Entscheidend sind die noch aufzubringenden Investitionen im Verhältnis zu den vereinbarten Preisen (i.E. wohl ebenso Pramataroff/Bordt, FD-MietR 2024, 807719). Hierfür wird, soweit es darauf ankommen und insoweit eine Beweisaufnahme erforderlich sein sollte, eine Schätzung durch einen Sachverständigen anhand der bisherigen Planungen ausreichen. Eine ins Detail gehende Neuplanung bis zur Leistungsphase IV der HOAI oder die Einholung von Angeboten für die Bauausführung erscheint dagegen nicht erforderlich (anders aber Pauli, ZMR 2024, 195, 197), denn es handelt sich um eine im Rahmen der Prüfung von § 242 BGB anzustellende Prognose zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung, für die es einer mathematischen Genauigkeit nicht bedarf.
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(aa) Wenn die Wohnungseigentümer bei einer Zerstörung des Gebäudes von mehr als 50 Prozent für den Wiederaufbau nicht das investieren müssen, was sie schon einmal investiert haben, so kann das übertragen auf die Ersterrichtung bei einem steckengebliebenen Bau bedeuten, dass die Investition dessen, was ohnehin noch investiert werden sollte, grundsätzlich zumutbar ist. Kommt es aber zu Kostensteigerungen von über 50 Prozent des ursprünglich Kalkulierten, wird dies regelmäßig für eine Unzumutbarkeit der Ersterrichtung sprechen.
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(bb) Hierin liegt indes keine starre Grenze. Aufgrund der Umstände des Einzelfalls können auch schon Kostensteigerungen von weniger als 50 Prozent bei einer Gesamtabwägung zur Unzumutbarkeit führen, etwa wenn der noch herzustellende Rest des Vorhabens besonders komplex ist und/oder wenn hierfür keine Handwerker zu zumutbaren Konditionen und innerhalb eines angemessenen Zeitrahmens zu finden sind. In diesem Zusammenhang kann auch eine Rolle spielen, ob die Teilungserklärung in Anlehnung an § 22 WEG Regelungen mit Blick auf einen Wiederaufbau nach einer (teilweisen) Zerstörung des Gebäudes enthält, die für die Wertung im Rahmen der Gesamtabwägung fruchtbar gemacht werden können.
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(cc) Je weniger allerdings an Mehrinvestitionen für die Ersterrichtung erforderlich ist, desto eher wird, vorbehaltlich weiterer Besonderheiten des Einzelfalls, die plangerechte Herstellung zumutbar sein (s.o. Rn. 29).
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(c) Des Weiteren können Ersatzansprüche Dritter wegen bereits entstandener Schäden an Nachbargebäuden zu berücksichtigen sein. Selbst wenn sich die Einstandspflicht gegenüber den Eigentümern der Nachbargrundstücke aus der Verantwortlichkeit der Wohnungseigentümer als (Mit)Eigentümer des Grundstücks ergibt (vgl. Senat, Urteil vom 1. April 2011 – V ZR 193/10, NJW-RR 2011, 739 Rn. 6; Urteil vom 9. Februar 2018 – V ZR 311/16, NJW 2018, 1542 Rn. 12) und daher nicht unmittelbar zu den künftig noch aufzuwendenden Kosten für die Errichtung der Wohnungseigentumsanlage zählt, können solche Ansprüche (wirtschaftlich) zu den ursprünglich kalkulierten und grundsätzlich für die Erstherstellung einzusetzenden Erwerbspreisen hinzuzurechnen sein und so im Ergebnis zu einer Unzumutbarkeit führen.
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(d) Steht die Zahlungsfähigkeit eines Teils der Wohnungseigentümer nach dem näheren Vorbringen der GdWE ernstlich in Frage – etwa weil bereits Sonderumlagen nicht bezahlt worden sind – und laufen die anderen Wohnungseigentümer Gefahr, die Kosten für die Fertigstellung jedenfalls vorschießen zu müssen und dadurch ggf. selbst in wirtschaftliche Schieflage zu geraten, kann dies ebenfalls eine Rolle spielen. Hierbei wird es unter anderem auch darauf ankommen, wie viele Mitglieder die GdWE insgesamt (bereits) hat und wie sich die Miteigentumsanteile verteilen.
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(e) Im Rahmen der Unzumutbarkeit können auch wirtschaftlich sinnvolle Alternativen zu betrachten sein. Findet sich etwa ein Investor, der bereit ist, alle Einheiten im derzeitigen „unfertigen“ Zustand zu einem den Umständen nach angemessenen Preis abzukaufen, mag den Interessen einzelner Bauwilliger im Vergleich zu den Interessen einer verkaufswilligen Mehrheit weniger Gewicht beizumessen sein.
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(f) Weiter wird das Gericht auch ein eventuelles Näheverhältnis zwischen dem gegen den Mehrheitswillen bauwilligen Eigentümer und dem – im Regelfall des steckengebliebenen Baus insolventen – Bauunternehmer mit Blick auf ein eventuelles kollusives Zusammenwirken zu würdigen haben.
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(2) In Anwendung dieser Grundsätze wird das Berufungsgericht vorbehaltlich eventuellen weiteren Vorbringens, zu dem den Parteien Gelegenheit zu geben ist, Folgendes zu berücksichtigen haben:
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(a) Die in Bezug genommene Teilungserklärung enthält eine Bestimmung zur Wiederaufbaupflicht, die bei Fehlen einer Versicherung nur bestehen soll, wenn die hierfür erforderlichen Mittel in angemessener Zeit zu zumutbaren Bedingungen aufzubringen sind. Vor diesem Hintergrund kann der Vortrag der Beklagten zu erheblich gestiegenen Kreditkosten von Bedeutung sein; weiter verweist die Beklagte auf Zusatzkosten für die Abfangung der Nachbargebäude. Ob hierzu nach ggf. ergänztem Vorbringen überhaupt Beweis zu erheben oder dies unstreitig bzw., was die gestiegenen Kreditkosten angeht, möglicherweise sogar offenkundig (§ 291 BGB) ist, wird das Berufungsgericht zu beurteilen haben. Beziffert sind außerdem Ersatzansprüche der Nachbarn, die Gegenstand anderer Gerichtsverfahren sind, deren Beweisergebnisse ggf. verwertet werden können (§ 411a ZPO). Fest steht weiter, dass es sich bei der Klägerin um die Ehefrau des Geschäftsführers der insolventen Generalbauunternehmerin handelt. Schließlich verweist die Beklagte auf das Angebot einer Sparkasse, die Einheiten insgesamt abzukaufen.
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(b) Angesichts des sehr frühen Stadiums des Steckenbleibens spricht daher, vorbehaltlich des weiteren Verlaufs des Verfahrens und des weiteren Parteivorbringens, auf erste Sicht manches dafür, dass die Errichtung sich als unzumutbar erweisen könnte. Dass dies jedenfalls in der vorliegenden Konstellation einen Anspruch auf Aufhebung der GdWE zur Folge haben kann, liegt zwar nicht fern, ist aber nicht Gegenstand dieses Verfahrens.
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(c) Sollte sich die Ersterrichtung dagegen nicht als unzumutbar erweisen, dürfte sich das Berufungsgericht jedenfalls hier – wie die Klägerin der Sache nach auch beantragt hat – nicht mit einer Beschlussersetzung über das „Ob“ der Errichtung begnügen. Vielmehr wäre bei der Beschlussersetzung zu berücksichtigen, dass die Wohnungseigentümer nunmehr als Bauherren tätig zu werden und auf der Grundlage der Teilungserklärung entsprechende Angebote im Zusammenhang mit dem Abriss des Bestandsgebäudes und der Planung und Errichtung des neuen Gebäudes einzuholen sowie Aufträge zu vergeben hätten. Dann wären auch die Leistungsphasen nach der HOAI in den Blick zu nehmen und es müsste über die Finanzierung entschieden werden.
Brückner Göbel Haberkamp
Laube Grau