Urteil des BGH 6a. Zivilsenat vom 18.12.2024, AZ VIa ZR 174/23

BGH 6a. Zivilsenat, Urteil vom 18.12.2024, AZ VIa ZR 174/23, ECLI:DE:BGH:2024:181224UVIAZR174.23.0

Verfahrensgang

vorgehend OLG Köln, 13. Januar 2023, Az: 19 U 227/21
vorgehend LG Köln, 28. Oktober 2021, Az: 15 O 125/21

Tenor

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 19. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Köln vom 13. Januar 2023 aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Der Streitwert für die Revision wird auf bis 22.000 € festgesetzt.

Von Rechts wegen

Tatbestand

1

Der Kläger nimmt die Beklagte wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in einem Kraftfahrzeug auf Schadensersatz in Anspruch.

2

Er erwarb am 2. Juni 2015 von einem Händler einen von der Beklagten hergestellten Gebrauchtwagen des Typs Mercedes-Benz GLK 220 CDI mit einem Dieselmotor OM 651 der Schadstoffklasse Euro 5. Das Landgericht hat die auf Schadensersatz nebst Zinsen, auf Feststellung des Annahmeverzugs der Beklagten, auf Feststellung der Haftung der Beklagten aus unerlaubter Handlung, auf Freistellung von Rechtsanwaltskosten und – hilfsweise – auf Feststellung der Schadensersatzhaftung der Beklagten gerichtete Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers, mit der er seine Anträge aus dem ersten Rechtszug im Wesentlichen weiterverfolgt hat, ist erfolglos geblieben. Mit der vom Senat zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seine Berufungsanträge weiter.

Entscheidungsgründe

3

Die Revision des Klägers hat Erfolg.

I.

4

Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet:

5

Die Voraussetzungen eines Schadensersatzanspruchs aus §§ 826, 31 BGB lägen nicht vor. Da die vom Kläger behaupteten Abschalteinrichtungen Thermofenster und Kühlmittel-Solltemperatur-Regelung auf dem Prüfstand und im normalen Fahrbetrieb grundsätzlich in gleicher Weise funktionierten und der Kläger darüber hinausreichende Umstände nicht dargetan habe, lägen weder die subjektiven Voraussetzungen der Sittenwidrigkeit noch ein Schädigungsvorsatz der Beklagten vor. Dem Kläger stehe auch kein Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV zu, weil die zuletzt genannten Vorschriften jedenfalls nicht das Interesse des Fahrzeugkäufers schützten, nicht zur Eingehung einer ungewollten Verbindlichkeit veranlasst zu werden. Zudem liege in Bezug auf das Thermofenster ein unvermeidbarer Verbotsirrtum vor. Denn es sei gerichts- und allgemeinbekannt, dass das Kraftfahrt-Bundesamt bei einer Vielzahl eingehender Fahrzeuguntersuchungen Thermofenster der hier in Rede stehenden Art nicht beanstandet habe. Auch sei die rechtliche Bewertung der hier maßgebenden Bestimmungen in Art. 3 Nr. 10, Art. 5 Abs. 2 VO (EG) Nr. 715/2007 mit erheblichen Unsicherheiten behaftet gewesen.

II.

6

Diese Erwägungen halten der Überprüfung im Revisionsverfahren nicht in allen Punkten stand.

7

1. Allerdings begegnet es keinen revisionsrechtlichen Bedenken, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten aus §§ 826, 31 BGB verneint hat. Die seitens der Revision erhobenen Einwände greifen nicht durch.

8

2. Die Revision wendet sich jedoch mit Erfolg dagegen, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV abgelehnt hat.

9

a) Rechtsfehlerhaft hat das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV mit Blick auf den Schutzzweck der vorgenannten Bestimmungen der EG-FGV verneint.

10

Wie der Senat nach Erlass des angefochtenen Urteils entschieden hat, sind die Bestimmungen der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB, die das Interesse des Fahrzeugkäufers gegenüber dem Fahrzeughersteller wahren, nicht durch den Kaufvertragsabschluss eine Vermögenseinbuße im Sinne der Differenzhypothese zu erleiden, weil das Fahrzeug entgegen der Übereinstimmungsbescheinigung eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 aufweist (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 – VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 29 bis 32).

11

b) Entgegen der Revisionserwiderung sind auch die Erwägungen des Berufungsgerichts zum Vorliegen eines unvermeidbaren Verbotsirrtums in Bezug auf die behauptete Abschalteinrichtung eines Thermofensters mit Rechtsfehlern behaftet.

12

Das Verschulden des Fahrzeugherstellers wird innerhalb des § 823 Abs. 2 BGB im Fall des objektiven Verstoßes gegen § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGVvermutet. Dementsprechend muss der nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV in Anspruch genommene Fahrzeughersteller, wenn er eine Übereinstimmungsbescheinigung trotz der Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgegeben und dadurch die § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV zugrundeliegenden Pflichten
verletzt hat, Umstände darlegen und beweisen, die sein Verhalten ausnahmsweise nicht als fahrlässig erscheinen lassen. Beruft sich der Fahrzeughersteller auf einen unvermeidbaren Verbotsirrtum, muss er sowohl den Verbotsirrtum als solchen als auch die Unvermeidbarkeit des Verbotsirrtums darlegen und erforderlichenfalls beweisen. Das setzt zunächst die Darlegung und erforderlichenfalls den Nachweis eines Rechtsirrtums seitens des Fahrzeugherstellers voraus. Der Fahrzeughersteller muss darlegen und beweisen, dass sich sämtliche seiner verfassungsmäßig berufenen Vertreter im Sinne des § 31 BGBüber die Rechtmäßigkeit der vom Käufer dargelegten und erforderlichenfalls nachgewiesenen Abschalteinrichtung mit allen für die Prüfung nach Art. 5 Abs. 2 der VO (EG) Nr. 715/2007bedeutsamen Einzelheiten im Irrtum befanden oder im Falle einer Ressortaufteilung den damit verbundenen Pflichten genügten. Beruft sich der Fahrzeughersteller weder auf eine tatsächliche oder hypothetische Genehmigung der zuständigen Behörde noch auf den qualifizierten Rechtsrat eines hinzugezogenen Externen, sondern auf selbst angestellte Erwägungen, ist ihm eine Entlastung verwehrt, wenn mit Rücksicht auf die konkret verwendete Abschalteinrichtung eine nicht im Sinne des Fahrzeugherstellers geklärte Rechtslage hinreichend Anlass zur Einholung eines Rechtsrats bot. Ebenso scheitert eine Entlastung, wenn sich der Hersteller mit Rücksicht auf eine nicht in seinem Sinn geklärte Rechtslage erkennbar in einem rechtlichen Grenzbereich bewegte, schon deshalb eine abweichende rechtliche Beurteilung seines Vorgehens in Betracht ziehen und von der eventuell rechtswidrigen Verwendung der Abschalteinrichtung absehen musste. Eine Entlastung ohne Rücksicht auf die aus den vorstehenden Erwägungen folgenden Sorgfaltspflichten, etwa mit Rücksicht auf den Umstand, dass der Verwendung von Thermofenstern ein allgemeiner Industriestandard zugrunde lag oder dass nach den vom Berufungsgericht zitierten Angaben des Kraftfahrt-Bundesamts (KBA) rechtlich von ihm so bewertete unzulässige Abschalteinrichtungen auch nach umfangreichen Untersuchungen nicht festgestellt worden seien, kommt dagegen nach dem gesetzlichen Fahrlässigkeitsmaßstab nicht in Betracht (BGH, Urteil vom 25. September 2023 – VIa ZR 1/23, NJW 2023, 3796 Rn. 13 f.).

13

Das Berufungsgericht hat weder die nach den vorstehenden Ausführungen gebotenen Feststellungen zu einem konkreten Irrtum der nach § 31 BGB Verantwortlichen der Beklagten getroffen, noch hat das Berufungsgericht seinen Ausführungen zur Unvermeidbarkeit eines Irrtums die erläuterten Maßstäbe zugrunde gelegt.

14

c) Das Berufungsgericht hat daher zwar zu Recht einen Anspruch des Klägers auf die Gewährung sogenannten „großen“ Schadensersatzes verneint (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 – VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 22 bis 27). Es hat jedoch rechtsfehlerhaft einen Anspruch des Klägers nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV auf Ersatz eines erlittenen Differenzschadens (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023, aaO, Rn. 28 bis 32; ebenso BGH, Urteile vom 20. Juli 2023 – III ZR 267/20, WM 2023, 1839 Rn. 21 ff.; – III ZR 303/20, juris Rn. 16 f.; Urteil vom 12. Oktober 2023 – VII ZR 412/21, juris Rn. 20) abgelehnt.

III.

15

Die Berufungsentscheidung ist
daher aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO). Sie stellt sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig dar (§ 561 ZPO). Die Sache ist zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Das Berufungsgericht wird auf der Grundlage insbesondere der mit Urteil des Senats vom 26. Juni 2023 in der Sache VIa ZR 335/21 aufgestellten Grundsätze die erforderlichen Feststellungen zu einer Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV zu treffen haben, nachdem es dem Kläger Gelegenheit gegeben hat, den Differenzschaden zu berechnen und dazu vorzutragen.

C. Fischer                             Krüger                             Götz

                        Wille                            Katzenstein

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