Urteil des BGH 6a. Zivilsenat vom 26.11.2024, AZ VIa ZR 143/21

BGH 6a. Zivilsenat, Urteil vom 26.11.2024, AZ VIa ZR 143/21, ECLI:DE:BGH:2024:261124UVIAZR143.21.0

Verfahrensgang

vorgehend OLG Oldenburg (Oldenburg), 7. Juli 2021, Az: 14 U 152/20
vorgehend LG Osnabrück, 18. Juni 2020, Az: 11 O 3465/19

Tenor

Auf die Revision des Klägers wird der Beschluss des 14. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Oldenburg vom 7. Juli 2021 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als das Berufungsgericht die Berufungsanträge zu 1, 2 und 3 zurückgewiesen hat.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand

1

Der Kläger nimmt die Beklagte wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in einem Kraftfahrzeug auf Schadensersatz in Anspruch.

2

Er erwarb im Juni 2012 bei einem Dritten einen gebrauchten Mercedes-Benz E 220 CDI, der mit einem Dieselmotor der Baureihe OM 651 (Schadstoffklasse Euro 5) ausgestattet ist.

3

Der Kläger verlangt von der Beklagten, ihn im Wege des Schadensersatzes so zu stellen, als habe er den Kaufvertrag nicht abgeschlossen. Er hat zuletzt Zahlung Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs (Berufungsantrag zu 1), Feststellung des Annahmeverzugs (Berufungsantrag zu 2), die Erstattung bzw. Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten sowie die Feststellung der Erledigung hinsichtlich der ursprünglich beantragten Deliktszinsen (Berufungsantrag zu 4) verlangt. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers ist ohne Erfolg geblieben. Mit seiner insoweit vom Senat zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seine zuletzt gestellten Berufungsanträge mit Ausnahme des Berufungsantrags zu 4 weiter.

Entscheidungsgründe

4

Die Revision des Klägers hat Erfolg.

I.

5

Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung – soweit für das Revisionsverfahren von Bedeutung – im Wesentlichen wie folgt begründet:

6

Ein Anspruch gemäß §§ 826, 31 BGB bestehe nicht. Das Vorbringen des Klägers zum Thermofenster rechtfertige nicht den Vorwurf der Sittenwidrigkeit. Hinsichtlich der Kühlmittel-Solltemperatur-Regelung fehle es an hinreichender Darlegung, dass diese nur auf dem Prüfstand in Betrieb sei. Auch ein Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV sei nicht gegeben. Das Interesse, nicht zur Eingehung einer ungewollten Verbindlichkeit veranlasst zu werden, liege nicht im Aufgabenbereich der Normen der EG-FGV.

II.

7

Diese Erwägungen halten der Überprüfung im Revisionsverfahren nicht in allen Punkten stand.

8

1. Es begegnet keinen revisionsrechtlichen Bedenken, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten aus §§ 826, 31 BGB verneint hat. Die Revision erhebt insoweit auch keine konkreten Einwände.

9

2. Die Revision wendet sich jedoch mit Erfolg dagegen, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV aus Rechtsgründen abgelehnt hat. Wie der Senat nach Erlass des angefochtenen Beschlusses entschieden hat, sind die Bestimmungen der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB, die das Interesse des Fahrzeugkäufers gegenüber dem Fahrzeughersteller wahren, nicht durch den Kaufvertragsabschluss eine Vermögenseinbuße im Sinne der Differenzhypothese zu erleiden, weil das Fahrzeug entgegen der Übereinstimmungsbescheinigung eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 aufweist (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 – VIa ZR 335/21,
BGHZ 237, 245 Rn. 29 bis 32).

10

Das Berufungsgericht hat daher zwar zu Recht einen Anspruch des Klägers auf die Gewährung sogenannten „großen“ Schadensersatzes verneint (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 – VIa ZR 335/21,
BGHZ 237, 245 Rn. 22 bis 27). Es hat jedoch nicht berücksichtigt, dass dem Kläger nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV ein Anspruch auf Ersatz eines erlittenen Differenzschadens zustehen kann (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023, aaO, Rn. 28 bis 32; ebenso BGH, Urteile vom 20. Juli 2023 – III ZR 267/20, WM 2023, 1839 Rn. 21 ff.; – III ZR 303/20, juris Rn. 16 f.; Urteil vom 12. Oktober 2023 – VII ZR 412/21, juris Rn. 20). Demzufolge hat das Berufungsgericht weder dem Kläger Gelegenheit zur Darlegung eines solchen Schadens gegeben, noch hat es Feststellungen zu einer deliktischen Haftung der Beklagten wegen des zumindest fahrlässigen Einbaus einer unzulässigen Abschalteinrichtung getroffen.

III.

11

Der angefochtene Beschluss ist in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang aufzuheben, § 562 Abs. 1 ZPO, weil er sich insoweit nicht aus anderen Gründen als richtig darstellt, § 561 ZPO. Der Senat kann im Umfang der Aufhebung nicht in der Sache selbst entscheiden, weil diese nicht zur Endentscheidung reif ist, § 563 Abs. 3 ZPO. Sie ist daher insoweit zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO.

12

Im wiedereröffneten Berufungsverfahren wird der Kläger Gelegenheit haben, einen Differenzschaden darzulegen. Das Berufungsgericht wird sodann nach den näheren Maßgaben des Urteils des Senats vom 26. Juni 2023 (VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245) die erforderlichen
Feststellungen zu der – bislang lediglich unterstellten – Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung sowie gegebenenfalls zu den weiteren Voraussetzungen und zum Umfang einer Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV zu treffen haben.

C. Fischer            
Möhring            
Götz

              
Rensen            
Vogt-Beheim

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