BGH 6a. Zivilsenat, Urteil vom 20.11.2024, AZ VIa ZR 710/21, ECLI:DE:BGH:2024:201124UVIAZR710.21.0
Verfahrensgang
vorgehend Oberlandesgericht des Landes Sachsen-Anhalt, 9. November 2021, Az: 1 U 168/19
vorgehend LG Halle (Saale), 24. Juni 2019, Az: 4 O 27/19
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 1. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Naumburg vom 9. November 2021 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als das Berufungsgericht in Bezug auf das Prozessrechtsverhältnis zur Beklagten zu 2 zum Nachteil des Klägers entschieden hat.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Der Streitwert für das Revisionsverfahren wird auf bis 35.000 € festgesetzt.
Von Rechts wegen
Tatbestand
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Der Kläger nimmt die Beklagte zu 2 wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in einem Kraftfahrzeug auf Schadensersatz in Anspruch. Er erwarb im Februar 2017 von der ehemaligen Beklagten zu 1 einen von der Beklagten zu 2 hergestellten gebrauchten Mercedes-Benz X2 104 GLK 350, der mit einem Dieselmotor der Baureihe OM 642 (Schadstoffklasse Euro 5) ausgerüstet ist.
2
Der Kläger hat die Beklagten mit verschiedenen Leistungs- und Feststellungs-, Haupt- und Hilfsanträgen auf Schadensersatz in Anspruch genommen. In Bezug auf die Beklagte zu 2 hat er zuletzt die Feststellung ihrer Ersatzpflicht für Schäden, die aus der Manipulation des Fahrzeugs resultieren, sowie die Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten verlangt. Für den Fall der Unzulässigkeit des Feststellungsantrags hat der Kläger hilfsweise beantragt, die Beklagte zu 2 zur Zahlung von 39.430 € nebst Zinsen Zug um Zug gegen Herausgabe und Übereignung des Fahrzeugs sowie abzüglich einer von der Beklagten zu 2 darzulegenden Nutzungsentschädigung für die Nutzung des Fahrzeugs zu verurteilen und festzustellen, dass die Beklagte zu 2 verpflichtet sei, ihm Schadensersatz zu zahlen für weitere Schäden, die daraus resultierten, dass sie in dem Fahrzeug näher bezeichnete unzulässige Abschalteinrichtungen verbaut und ein nicht den gesetzlichen Anforderungen entsprechendes On-Board-Diagnosesystem eingesetzt habe. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers ist erfolglos geblieben. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision beantragt der Kläger, im Verhältnis zur Beklagten zu 2 nach seinen Schlussanträgen in der Berufungsinstanz zu erkennen, wobei er den Hilfsfeststellungsantrag nur in Bezug auf die „Kühlmittel-Solltemperatur-Regelung“ weiterverfolgt.
Entscheidungsgründe
3
Die Revision des Klägers hat Erfolg.
I.
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Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung – soweit für das Revisionsverfahren von Bedeutung – im Wesentlichen wie folgt begründet:
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Die gegen die Beklagte zu 2 gerichteten Feststellungsanträge seien unzulässig. Dem Kläger fehle das erforderliche Interesse an der Feststellung der Schadensersatzpflicht, weil ihm die Leistungsklage möglich und zumutbar sei. Die Aufwendungen für den Abschluss des Kaufvertrags aus dem Februar 2017, deren Ausgleich der Kläger verlangen könne, seien bei Einreichung der Klage vollständig zu beziffern gewesen und habe der Kläger im hilfsweise gestellten Leistungsantrag auch beziffert.
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Die hilfsweise erhobene Leistungsklage sei unbegründet. Eine Haftung des Herstellers gegenüber dem Käufer eines mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestatteten Gebrauchtfahrzeugs komme ausschließlich nach § 826 BGB in Betracht. Die Beklagte zu 2 habe allerdings nicht objektiv sittenwidrig gehandelt, weil sie keine unzulässige Abschalteinrichtung verwendet habe beziehungsweise davon habe ausgehen können, dass die vom Kläger beanstandeten Emissionsstrategien oder Konstruktionsteile keine unzulässigen Abschalteinrichtungen enthielten beziehungsweise darstellten.
II.
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Diese Erwägungen halten der Überprüfung im Revisionsverfahren nicht in allen Punkten stand.
8
1. Der Hauptfeststellungsantrag ist entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts zulässig.
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a) Der Antrag genügt den Bestimmtheitsanforderungen des § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO, weil sich das Feststellungsbegehren anhand des Klagevorbringens dahin deuten lässt, von der Ersatzpflicht der Beklagten sollten Schäden erfasst sein, die daraus resultierten, dass die Beklagte in das Fahrzeug die vom Kläger angeführten, als unzulässige Abschalteinrichtungen angesehenen technischen Einrichtungen eingebaut und das so ausgestattete Fahrzeug in den Verkehr gebracht habe (vgl. BGH, Urteil vom 6. Februar 2024 – VIa ZR 764/22, juris Rn. 13). Der Klageschrift lässt sich entnehmen, dass der Kläger den Begriff der Manipulation mit demjenigen einer dem Kraftfahrt-Bundesamt bewusst verschwiegenen unzulässigen Abschalteinrichtung gleichgesetzt hat. In diesem Zusammenhang hat er verschiedene in seinem Fahrzeug verbaute technische Einrichtungen angeführt. Damit hat er klargestellt, auf welche Funktionen er die Schadensersatzpflicht der Beklagten stützt. Ob diese Funktionen durchweg als Abschalteinrichtungen im Sinne von Art. 3 Nr. 10 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 zu qualifizieren sind, berührt die Bestimmtheit des Feststellungsbegehrens des Klägers nicht, sondern betrifft seine Begründetheit (vgl. BGH, Urteil vom 6. Februar 2024, aaO).
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Anders als die Revisionserwiderung meint, ist das Begehren des Klägers nicht so zu verstehen, dass die „Manipulation“ andere als die im Hilfsfeststellungsantrag angeführten vermeintlichen unzulässigen Abschalteinrichtungen erfassen soll. Allein aus der Auflistung im Hilfsantrag ergibt sich nicht, dass der Kläger den Begriff anders verstanden wissen will als in der Klageschrift beschrieben. Dies gilt umso mehr, als der Kläger den Hilfsfeststellungsantrag erst in zweiter Instanz gestellt hat.
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b) Der Kläger verfügt auch über das nach § 256 Abs. 1 ZPO erforderliche Feststellungsinteresse. Nach seinem Vortrag ist die Schadensentwicklung noch nicht abgeschlossen, weil künftige Aufwendungen möglich erscheinen, die im Rahmen des vom Kläger gewählten sogenannten „großen“ Schadensersatzes ersatzfähig sein können (vgl. BGH, Urteil vom 21. Dezember 2021 – VI ZR 455/20, NJW 2022, 1093 Rn. 15 mwN; Urteil vom 10. Januar 2023 – VI ZR 67/20, ZIP 2023, 418 Rn. 20 ff.; Urteil vom 15. Februar 2024 – VII ZR 636/21, juris Rn. 7).
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2. Der Hauptfeststellungsantrag ist jedoch unbegründet. Einen Anspruch auf „großen“ Schadensersatz hat das Berufungsgericht rechtsfehlerfrei abgelehnt. In Übereinstimmung mit der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (vgl. nur BGH, Urteil vom 20. Juli 2023 – III ZR 303/20, juris Rn. 12 f.; BGH, Urteil vom 6. November 2023 – VIa ZR 535/21, WM 2024, 40 Rn. 10 ff. mwN) hat es eine Haftung der Beklagten zu 2 aus §§ 826, 31 BGB verneint, weil es dem Klägervorbringen keine greifbaren Anhaltspunkte für einen bewussten Gesetzesverstoß beziehungsweise eine bewusste Täuschung des Kraftfahrt-Bundesamtes entnommen hat. Die Rüge der Revision, das Berufungsgericht habe gehörsverletzend verkannt, dass der Kläger hinreichend substantiiert vorgetragen habe, dass es sich bei der in seinem Fahrzeug vorhandenen Kühlmittel-Solltemperatur-Regelung um eine unzulässige Abschalteinrichtung handle, welche im Sinne einer Umschaltlogik die Prüfstandsituation erkenne und entsprechend reagiere, hat der Senat geprüft und für nicht durchgreifend erachtet. Von einer Begründung wird gemäß § 564 Satz 1 ZPO abgesehen.
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3. Allerdings kann auf der Grundlage der bislang getroffenen Feststellungen nicht ausgeschlossen werden, dass dem Kläger nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV ein Anspruch gegen die Beklagte zu 2 auf Ersatz eines Differenzschadens zusteht. Wie der Senat nach Erlass des angefochtenen Urteils entschieden hat, sind die Bestimmungen der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB, die das Interesse des Fahrzeugkäufers gegenüber dem Fahrzeughersteller wahren, nicht durch den Kaufvertragsabschluss eine Vermögenseinbuße im Sinne der Differenzhypothese zu erleiden, weil das Fahrzeug entgegen der Übereinstimmungsbescheinigung eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 aufweist (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 – VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 29 bis 32). Die EG-Typgenehmigung steht der Annahme einer Verletzung dieser Schutzgesetze nicht entgegen (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023, aaO, Rn. 10 ff., 33 f.). Das Berufungsgericht hätte die Berufung des Klägers bei richtiger rechtlicher Bewertung mithin nicht zurückweisen dürfen, ohne ihm Gelegenheit zu geben, den von ihm geltend gemachten Schaden im Sinne des Differenzschadens zu berechnen.
III.
14
Das angefochtene Urteil ist danach in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang aufzuheben. Der Senat kann nicht in der Sache selbst entscheiden, weil sie insoweit nicht zur Endentscheidung reif ist, § 563 Abs. 3 ZPO. Sie ist daher insoweit zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO.
15
Im wiedereröffneten Berufungsverfahren wird der Kläger Gelegenheit haben,
einen Differenzschaden darzulegen. Dabei wird er zu beachten haben, dass bei Geltendmachung des Differenzschadens ein Feststellungsantrag wegen des Vorrangs der Leistungsklage mangels Feststellungsinteresses des Klägers (§ 256 Abs. 1 ZPO) unzulässig wäre und neben dem Ersatz des Differenzschadens eine Erstattung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten nicht in Betracht kommt (vgl. BGH, Urteil vom 18. Dezember 2023 – VIa ZR 1083/22, juris Rn. 16 mwN).
C. Fischer
Möhring
Wille
Liepin
Katzenstein