Urteil des BGH 6a. Zivilsenat vom 20.11.2024, AZ VIa ZR 296/21

BGH 6a. Zivilsenat, Urteil vom 20.11.2024, AZ VIa ZR 296/21, ECLI:DE:BGH:2024:201124UVIAZR296.21.0

Verfahrensgang

vorgehend OLG München, 30. August 2021, Az: 21 U 1665/21
vorgehend LG Ingolstadt, 15. März 2021, Az: 61 O 2102/20

Tenor

Auf die Revision des Klägers wird der Beschluss des 21. Zivilsenats des Oberlandesgerichts München vom 30. August 2021 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als die Berufung des Klägers – mit Ausnahme der begehrten Freistellung von Zinsen auf die außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten im Berufungsantrag zu 3 – zurückgewiesen worden ist.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Der Streitwert für das Revisionsverfahren wird auf bis 45.000 € festgesetzt.

Von Rechts wegen

Tatbestand

1

Der Kläger nimmt die Beklagte wegen der Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung in einem Kraftfahrzeug auf Schadensersatz in Anspruch. Er erwarb im August 2018 von einem Händler einen von der Beklagten hergestellten gebrauchten (Erstzulassung 2017) Audi A6 Avant 3.0 TDI competition, der mit einem V6-Dieselmotor (Schadstoffklasse Euro 6) ausgerüstet ist. In die Motorsteuerungssoftware in diesem Fahrzeug war eine schadstoffmindernde Aufheizstrategie implementiert. Das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) ordnete insoweit einen verpflichtenden Rückruf der betroffenen Fahrzeuge an. Bereits vor dem Erwerb des Fahrzeugs durch den Kläger hatte das KBA hierzu am 23. Januar 2018 eine Pressemitteilung veröffentlicht.

2

Das Landgericht hat die auf Zahlung von Schadensersatz in Höhe des Kaufpreises abzüglich einer Nutzungsentschädigung nebst Prozesszinsen Zug um Zug gegen Übereignung und Übergabe des Fahrzeugs, Feststellung des Annahmeverzugs und Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten nebst Zinsen gerichtete Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers ist erfolglos geblieben. Hiergegen richtet sich die vom Senat mit Ausnahme der begehrten Freistellung von Zinsen auf die außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten im Berufungsantrag zu 3 zugelassene Revision des Klägers, mit der er seine Berufungsanträge im Umfang der Zulassung weiterverfolgt.

Entscheidungsgründe

3

Die Revision des Klägers hat Erfolg.

I.

4

Das Berufungsgericht, das einen Anspruch aus § 823 Abs. BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV nicht geprüft hat, hat seine Entscheidung – soweit für das Revisionsverfahren von Interesse – im Wesentlichen wie folgt begründet:

5

Die Berufung sei unbegründet. Ein Anspruch aus § 826 BGB bestehe nicht. Es könne unterstellt werden, dass die Beklagte beim Inverkehrbringen des Fahrzeugs mit der vom KBA als unzulässig gerügten Abschalteinrichtung sittenwidrig gehandelt habe. Zum maßgeblichen Zeitpunkt des Erwerbs des Fahrzeugs durch den Kläger habe die Beklagte jedoch ihr Verhalten geändert gehabt und treffe sie deswegen kein Sittenwidrigkeitsvorwurf mehr.

II.

6

Diese Erwägungen halten der Überprüfung im Revisionsverfahren nicht in allen Punkten stand.

7

1. Es begegnet allerdings keinen revisionsrechtlichen Bedenken, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten aus §§ 826, 31 BGB verneint hat (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 – VIa ZR 533/21, NJW 2023, 2270 Rn. 12-20). Die Revision erhebt insoweit auch keine konkreten Einwendungen.

8

2. Die Revision wendet sich jedoch mit Erfolg dagegen, dass das Berufungsgericht es rechtsfehlerhaft unterlassen hat, auf mögliche Ansprüche des Klägers aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV einzugehen. Wie der Senat nach Erlass des angefochtenen Beschlusses entschieden hat, sind die Bestimmungen der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB, die das Interesse des Fahrzeugkäufers gegenüber dem Fahrzeughersteller wahren, nicht durch den Kaufvertragsabschluss eine Vermögenseinbuße im Sinne der Differenzhypothese zu erleiden, weil das Fahrzeug entgegen der Übereinstimmungsbescheinigung eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 aufweist (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 – VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 29 bis 32).

9

Das Berufungsgericht hat daher zwar im Ergebnis zu Recht einen Anspruch des Klägers auf die Gewährung des sogenannten „großen“ Schadensersatzes verneint (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 – VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 22 bis 27). Es hat jedoch nicht berücksichtigt, dass dem Kläger nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV ein Anspruch auf Ersatz eines erlittenen Differenzschadens zustehen kann (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023, aaO, Rn. 28 bis 32; ebenso BGH, Urteile vom 20. Juli 2023 – III ZR 267/20, WM 2023, 1839 Rn. 21 ff.; – III ZR 303/20, juris Rn. 16 f.; Urteil vom 12. Oktober 2023 – VII ZR 412/21, juris Rn. 20). Demzufolge hat das Berufungsgericht – von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig – weder dem Kläger Gelegenheit zur Darlegung eines solchen Schadens gegeben, noch hat es Feststellungen zu einer deliktischen Haftung der Beklagten wegen des zumindest fahrlässigen Einbaus einer unzulässigen Abschalteinrichtung getroffen.

III.

10

Der angefochtene
Beschluss ist im tenorierten Umfang aufzuheben, § 562 ZPO, weil er sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig darstellt, § 561 ZPO. Der Senat kann nicht in der Sache selbst entscheiden, weil sie nicht zur Endentscheidung reif ist, § 563 Abs. 3 ZPO. Sie ist daher zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO.

11

Im wiedereröffneten Berufungsverfahren wird der Kläger Gelegenheit ha­ben, einen Differenzschaden darzulegen. Das Berufungsgericht wird sodann nach den näheren Maßgaben des Urteils des Senats vom 26. Juni 2023 (VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245) die erforderlichen Feststellungen zu der Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung sowie gegebenenfalls zu den weiteren Voraussetzungen und zum Umfang einer Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV zu treffen haben.

C. Fischer            
Möhring            
Wille

              
Liepin            
Katzenstein

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