Urteil des BGH 6a. Zivilsenat vom 13.11.2024, AZ VIa ZR 1431/22

BGH 6a. Zivilsenat, Urteil vom 13.11.2024, AZ VIa ZR 1431/22, ECLI:DE:BGH:2024:131124UVIAZR1431.22.0

Verfahrensgang

vorgehend Oberlandesgericht des Landes Sachsen-Anhalt, 2. September 2022, Az: 7 U 10/22
vorgehend LG Halle (Saale), 24. Januar 2022, Az: 3 O 123/21

Tenor

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 7. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Naumburg vom 2. September 2022 mit Ausnahme der Zurückweisung des Berufungsantrags zu 2 aufgehoben.

Die Sache wird im Umfang der Aufhebung zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Der Streitwert für die Revision wird auf bis 35.000 € festgesetzt.

Von Rechts wegen

Tatbestand

1

Der Kläger nimmt die Beklagte wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in einem Kraftfahrzeug auf Schadensersatz in Anspruch.

2

Er erwarb am 19. Oktober 2016 ein von der Beklagten hergestelltes, gebrauchtes Kraftfahrzeug BMW 530d, das mit einem ebenfalls von der Beklagten hergestellten Dieselmotor der Baureihe N57 (Schadstoffklasse Euro 6) ausgerüstet ist.

3

Das Landgericht hat die auf Zahlung von Schadensersatz nebst Zinsen Zug um Zug gegen Übereignung und Übergabe des Kraftfahrzeugs, Zahlung von Deliktszinsen, Feststellung Annahmeverzugs der Beklagten und Freistellung von Rechtsanwaltskosten gerichtete Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers, mit der er seine Klageanträge weiterverfolgt hat, ist erfolglos geblieben. Mit der vom Senat in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang zugelassenen Revision verfolgt er – abgesehen von dem die Zahlung von Deliktszinsen betreffenden Berufungsantrag zu 2 – seine im zweiten Rechtszug gestellten Anträge weiter.

Entscheidungsgründe

4

Die Revision des Klägers hat Erfolg.

I.    

5

Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet:

6

Die Beklagte hafte nicht gemäß §§ 826, 31 BGB auf Schadensersatz. Denn der objektive Tatbestand der Sittenwidrigkeit sei nicht erfüllt. Die Verwendung eines Thermofensters reiche dafür allein nicht aus.

7

Ein Schadensersatzanspruch gemäß § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV komme nicht in Betracht, weil die genannten Bestimmungen der EG-FGV das geltend gemachte Interesse nicht schützten.

II.    

8

Diese Erwägungen des Berufungsgerichts halten der rechtlichen Überprüfung im Revisionsverfahren nicht in allen Punkten stand.

9

1.    Es begegnet allerdings keinen revisionsrechtlichen Bedenken, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten aus §§ 826, 31 BGB verneint hat. Die seitens der Revision hiergegen erhobenen Einwände greifen nicht durch.

10

2.    Die Revision wendet sich jedoch mit Erfolg dagegen, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV abgelehnt hat. Wie der Senat nach Erlass des angefochtenen Urteils entschieden hat, sind die Bestimmungen der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB, die das Interesse des Fahrzeugkäufers gegenüber dem Fahrzeughersteller wahren, nicht durch den Kaufvertragsabschluss eine Vermögenseinbuße im Sinne der Differenzhypothese zu erleiden, weil das Fahrzeug entgegen der Übereinstimmungsbescheinigung eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 aufweist (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 – VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 29 bis 32).

11

Das Berufungsgericht hat daher zwar zu Recht einen Anspruch des Klägers auf die Gewährung sogenannten „großen“ Schadensersatzes verneint (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 – VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 22 bis 27). Es hat jedoch nicht berücksichtigt, dass dem Kläger nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV ein Anspruch auf Ersatz eines erlittenen Differenzschadens zustehen kann (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023, aaO, Rn. 28 bis 32; ebenso BGH, Urteile vom 20. Juli 2023 – III ZR 267/20, WM 2023, 1839 Rn. 21 ff.; – III ZR 303/20, juris Rn. 16 f.; Urteil vom 12. Oktober 2023 – VII ZR 412/21, juris Rn. 20). Demzufolge hat das Berufungsgericht – von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig – weder dem Kläger Gelegenheit zur Darlegung eines solchen Schadens gegeben, noch hat es Feststellungen zu einer deliktischen Haftung der Beklagten wegen des zumindest fahrlässigen Einbaus einer unzulässigen Abschalteinrichtung getroffen.

III.    

12

Die angefochtene Entscheidung ist demnach im tenorierten Umfang aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO), weil sie sich insoweit auch nicht aus anderen Gründen als richtig darstellt (§ 561 ZPO). Die Sache ist deshalb im Umfang der Aufhebung zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO).

13

Im wiedereröffneten Berufungsverfahren wird der Kläger Gelegenheit haben, einen Differenzschaden darzulegen. Das Berufungsgericht wird sodann nach den näheren Maßgaben des Urteils des Senats vom 26. Juni 2023 (VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245) die erforderlichen Feststellungen zu den Vor­aussetzungen und zum Umfang einer Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV zu treffen haben.

C. Fischer            Krüger            Götz

            Rensen            Katzenstein

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