Urteil des BGH 6a. Zivilsenat vom 12.11.2024, AZ VIa ZR 114/21

BGH 6a. Zivilsenat, Urteil vom 12.11.2024, AZ VIa ZR 114/21, ECLI:DE:BGH:2024:121124UVIAZR114.21.0

Verfahrensgang

vorgehend OLG Stuttgart, 16. Juli 2021, Az: 16a U 363/19
vorgehend LG Stuttgart, 17. Oktober 2019, Az: 9 O 168/19

Tenor

Auf die Revision der Kläger wird der Beschluss des 16a. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 16. Juli 2021 – jedoch nicht, soweit mit dem Berufungsantrag zu 1 Deliktszinsen geltend gemacht worden sind – im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als die Berufung der Kläger betreffend ihre deliktische Schädigung durch das Inverkehrbringen des erworbenen Fahrzeugs zurückgewiesen worden ist.

Die Sache wird insoweit zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand

1

Die Kläger nehmen die Beklagte wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in einem Kraftfahrzeug auf Schadensersatz in Anspruch.

2

Die Kläger erwarben
im Oktober 2016 einen von der Beklagten hergestellten gebrauchten Mercedes-Benz C 220d, der mit einem Dieselmotor der Baureihe OM 651 (Schadstoffklasse Euro 6) ausgerüstet ist.

3

Die Kläger haben zuletzt die Erstattung des Kaufpreises abzüglich einer Nutzungsentschädigung nebst Deliktszinsen Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs, die Feststellung des Verzugs der Beklagten mit der Annahme des Fahrzeugs
und der Teilerledigung des Rechtsstreits im Hinblick auf zwischenzeitlich aufgelaufene Nutzungen begehrt. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung der Kläger ist erfolglos geblieben. Mit ihrer vom Senat insoweit zugelassenen Revision verfolgen die Kläger ihre Berufungsanträge, soweit sie sie auf ihre deliktische Schädigung durch das Inverkehrbringen des Fahrzeugs stützen, mit der Maßgabe weiter, dass Deliktszinsen nicht weiter geltend gemacht werden.

Entscheidungsgründe

4

Die Revision der Kläger hat Erfolg, wobei der Senat sich von der Zulässigkeit der Berufung der Kläger insbesondere anhand des Transfervermerks des Fristverlängerungsgesuchs und der Verfügung vom 2. Januar 2020 überzeugt hat.

I.

5

Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung – soweit für das Revisionsverfahren von Bedeutung – im Wesentlichen wie folgt begründet:

6

Den Klägern stehe ein deliktischer Schadensersatzanspruch nicht zu. Eine sittenwidrige vorsätzliche Schädigung durch die Beklagte könne nicht festgestellt werden, so dass ein Schadensersatzanspruch aus § 826 BGB nicht bestehe.
Der geltend gemachte Anspruch lasse sich auch nicht aus § 823 Abs. 2BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV herleiten, weil diese Normen keine Schutzgesetze seien.

II.

7

Diese Erwägungen halten der Überprüfung im Revisionsverfahren teilweise nicht stand.

8

1.
Allerdings begegnet es keinen revisionsrechtlichen Bedenken, dass dasBerufungsgericht eine Haftung der Beklagten aus §§ 826, 31 BGB verneint hat. Die Revision erhebt insoweit auch keine Einwände.

9

2.
Die Revision wendet sich jedoch mit Erfolg dagegen, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindungmit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV aus Rechtsgründen abgelehnt hat. Wie der Senat nach Erlass des angefochtenen Beschlusses entschieden hat, sind die Bestimmungen der § 6 Abs. 1, § 27Abs. 1 EG-FGV Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB, die das Interesse des Fahrzeugkäufers gegenüber dem Fahrzeughersteller wahren, nichtdurch den Kaufvertragsabschluss eine Vermögenseinbuße im Sinne der Differenzhypothese zu erleiden, weil das Fahrzeug entgegen der Übereinstimmungsbescheinigung eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 aufweist (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni2023 – VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245
Rn. 29 bis 32).

10

Das Berufungsgericht hat daher zwar im Ergebnis zu Recht einen Anspruch der Kläger auf die Gewährung sogenannten „großen“ Schadensersatzes verneint (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 – VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 22 bis 27). Es hat jedoch nicht berücksichtigt, dass den Klägern nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV ein Anspruch auf Ersatz eines erlittenen Differenzschadens zustehen kann (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023, aaO, Rn. 28 bis 32; ebenso BGH, Urteile vom 20. Juli 2023 – III ZR 267/20, WM 2023, 1839 Rn. 21 ff.; – III ZR 303/20, juris Rn. 16 f.; Urteil vom 12. Oktober 2023 – VII ZR 412/21, juris Rn. 20). Demzufolge hat das Berufungsgericht – von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig – weder den Klägern Gelegenheit zur Darlegung eines solchen Schadens gegeben, noch hat es Feststellungen zu einer deliktischen Haftung der Beklagten wegen des zumindest fahrlässigen Einbaus einer unzulässigen Abschalteinrichtung getroffen.

III.

11

Der angefochtene Beschluss ist im tenorierten Umfang aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO), weil er sich insoweit auch nicht aus anderen Gründen als richtig darstellt (§ 561 ZPO). Die Sache ist insoweit zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Das Berufungsgericht wird auf der Grundlage der mit Urteil des Senats vom 26. Juni 2023 in der Sache VIa ZR 335/21 aufgestellten Grundsätze die
erforderlichen Feststellungen zu der Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtungsowie gegebenenfalls zu den weiteren Voraussetzungen und zum Umfang einerHaftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27Abs. 1 EG-FGV zu treffen haben, nachdem es den Klägern Gelegenheit gegeben hat, den Differenzschaden zu berechnen und dazu vorzutragen.

C. Fischer                 
Krüger                 
Götz

                 
Rensen                 
Katzenstein

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