BGH 6a. Zivilsenat, Urteil vom 31.07.2024, AZ VIa ZR 340/21, ECLI:DE:BGH:2024:310724UVIAZR340.21.0
Verfahrensgang
vorgehend OLG Frankfurt, 9. September 2021, Az: 16 U 87/20
vorgehend LG Wiesbaden, 5. März 2020, Az: 3 O 265/19
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 16. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 9. September 2021 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als die Berufung des Klägers betreffend den Berufungsantrag zu 1 in Höhe von 22.483,64 € nebst Prozesszinsen Zug um Zug gegen Übereignung und Herausgabe des Fahrzeugs sowie hinsichtlich der Berufungsanträge zu 3 bis 6 insgesamt zurückgewiesen worden ist.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
1
Der Kläger nimmt die Beklagte wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in einem Kraftfahrzeug auf Schadensersatz in Anspruch.
2
Der Kläger erwarb im Februar 2017 von einem Händler einen von der Beklagten hergestellten gebrauchten Mercedes-Benz GLK 220 CDI 4-Matic, der mit einem Dieselmotor der Baureihe OM 651 (Schadstoffklasse Euro 5) ausgerüstet ist. Den Kaufpreis finanzierte der Kläger teilweise durch ein Darlehen. Nach vollständiger Tilgung des Darlehens gab die finanzierende Bank das ihr übertragene Sicherungseigentum an dem Fahrzeug frei.
3
In dem Fahrzeug wird die Abgasrückführung unter Einsatz eines sogenannten „Thermofensters“ temperaturabhängig gesteuert. Zudem verfügt das Fahrzeug über eine Kühlmittel-Solltemperatur-Regelung (KSR).
4
Der Kläger, dessen Klage in den Vorinstanzen erfolglos geblieben ist, hat zuletzt beantragt, die Beklagte zur Zahlung von 27.330 € (Kaufpreis und Finanzierungskosten) nebst Prozesszinsen Zug um Zug gegen Herausgabe des Fahrzeugs, Übertragung des Anwartschaftsrechts an dem Fahrzeug, Abtretung etwaiger Ansprüche gegen die finanzierende Bank auf Herausgabe des Fahrzeugs und Nutzungsersatz in Höhe von 4.846,36 € (Antrag zu 1) sowie zur Zahlung von Deliktszinsen (Antrag zu 2) zu verurteilen. Hilfsweise hat der Kläger auf Feststellung der Pflicht der Beklagten zum Ersatz sämtlicher durch die Ausstattung des Fahrzeugs mit einer manipulierten Motorsoftware resultierender Schäden angetragen (Antrag zu 3). Daneben hat er die Feststellung des Annahmeverzugs der Beklagten (Antrag zu 4), die Feststellung des Herrührens des Zahlungsanspruches aus einer vorsätzlichen unerlaubten Handlung (Antrag zu 5) sowie die Freistellung von außergerichtlichen Rechtsverfolgungskosten (Antrag zu 6) begehrt. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seine Schlussanträge aus der Berufungsinstanz zu 1 und zu 3 bis 6 – nach entsprechender Änderung vor der mündlichen Revisionsverhandlung – mit der Maßgabe weiter, dass er betreffend den Berufungsantrag zu 1 die Verurteilung der Beklagten zur Zahlung von 22.483,64 € (27.330 € – 4.846,36 €) nebst Prozesszinsen Zug um Zug gegen Übereignung und Herausgabe des Fahrzeugs begehrt. Hilfsweise verfolgt er auch den bisherigen Berufungsantrag zu 1 unverändert weiter.
Entscheidungsgründe
5
Die auch mit Blick auf den geänderten Berufungsantrag zu 1 (vgl. BGH, Urteil vom 18. Juni 1998 – IX ZR 311/95, NJW 1998, 2969 unter B.II.1.; Urteil vom 4. August 2022 – III ZR 228/20, NJW-RR 2022, 1288 Rn. 11) zulässige Revision hat Erfolg.
I.
6
Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet:
7
Der Kläger habe gegen die Beklagte keinen Anspruch aus § 826 BGB. Insoweit fehle es bereits an einer Sittenwidrigkeit des Verhaltens der Beklagten. Es sei nicht ersichtlich, dass die für die Beklagte handelnden Personen bei der Entwicklung und/oder Verwendung des Thermofensters in dem Bewusstsein gehandelt hätten, eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden, und den darin liegenden Gesetzesverstoß billigend in Kauf genommen hätten. Auch im Zusammenhang mit dem Einsatz der KSR habe die Beklagte nicht sittenwidrig gehandelt. Der Senat vermöge nicht zu erkennen, dass die Beklagte auf Grund einer strategischen unternehmerischen Entscheidung über Jahre hinweg beabsichtigt hätte, mit der KSR das Kraftfahrt-Bundesamt und die Käufer über die Einhaltung der Grenzwerte zu täuschen.
8
Auf § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV könne der Kläger seine Ansprüche ebenfalls nicht stützen, weil die genannten Vorschriften nicht das Interesse des Klägers schützten, nicht zur Eingehung einer ungewollten Verbindlichkeit veranlasst zu werden.
II.
9
Diese Erwägungen halten der Überprüfung im Revisionsverfahren nicht in allen Punkten stand.
10
1. Es begegnet keinen revisionsrechtlichen Bedenken, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten aus §§ 826, 31 BGB wegen sittenwidriger vorsätzlicher Schädigung verneint hat. Die darauf bezogene Verfahrensrüge der Revision, das Berufungsgericht habe die Substantiierungsanforderungen für die entscheidungserhebliche und unter Beweis gestellte Behauptung des Einsatzes der KSR als prüfstandsbezogener und damit auf Täuschung angelegter Abschalteinrichtung in offensichtlicher Weise überspannt, hat der Senat geprüft, aber nicht für durchgreifend erachtet. Von einer Begründung wird gemäß § 564 Satz 1 ZPO abgesehen.
11
2. Die Revision wendet sich jedoch mit Erfolg dagegen, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV aus Rechtsgründen abgelehnt hat. Wie der Senat nach Erlass des angefochtenen Urteils entschieden hat, sind die Bestimmungen der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB, die das Interesse des Fahrzeugkäufers gegenüber dem Fahrzeughersteller wahren, nicht durch den Kaufvertragsabschluss eine Vermögenseinbuße im Sinne der Differenzhypothese zu erleiden, weil das Fahrzeug entgegen der Übereinstimmungsbescheinigung eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 aufweist (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 – VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 29 bis 32).
12
Das Berufungsgericht hat daher zwar zu Recht einen Anspruch des Klägers auf die Gewährung sogenannten „großen“ Schadensersatzes verneint (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 – VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 22 bis 27). Es hat jedoch nicht berücksichtigt, dass dem Kläger nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV ein Anspruch auf Ersatz eines erlittenen Differenzschadens zustehen kann (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023, aaO, Rn. 28 bis 32; ebenso BGH, Urteile vom 20. Juli 2023 – III ZR 267/20, WM 2023, 1839 Rn. 21 ff.; – III ZR 303/20, juris Rn. 16 f.; Urteil vom 12. Oktober 2023 – VII ZR 412/21, juris Rn. 20). Demzufolge hat das Berufungsgericht – von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig – weder dem Kläger Gelegenheit zur Darlegung eines solchen Schadens gegeben, noch hat es Feststellungen zu einer deliktischen Haftung der Beklagten wegen des zumindest fahrlässigen Einbaus einer unzulässigen Abschalteinrichtung getroffen.
III.
13
Das Berufungsurteil ist in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang aufzuheben, §§ 561, 562 Abs. 1 ZPO. Der Senat kann nicht in der Sache selbst entscheiden, weil sie nicht zur Endentscheidung reif ist, § 563 Abs. 3 ZPO. Sie ist daher zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO.
14
Im wiedereröffneten Berufungsverfahren wird der Kläger Gelegenheit haben, einen Differenzschaden darzulegen. Das Berufungsgericht wird sodann nach den näheren Maßgaben des Urteils des Senats vom 26. Juni 2023 (VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245) die erforderlichen Feststellungen zu der – bislang lediglich unterstellten – Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung sowie gegebenenfalls zu den weiteren Voraussetzungen und zum Umfang einer Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV zu treffen haben.
- C. Fischer
- Möhring
- Krüger
- Wille
- Liepin