BAG 8. Senat, Beschluss vom 30.07.2024, AZ 8 AZB 2/24, ECLI:DE:BAG:2024:300724.B.8AZB2.24.0
§ 99 Abs 1 ZPO, § 91a Abs 1 ZPO, § 91a Abs 2 ZPO, § 78 S 1 ArbGG
Verfahrensgang
vorgehend ArbG Osnabrück, 2. November 2022, Az: 2 Ca 348/21 Ö, Urteil
vorgehend Landesarbeitsgericht Niedersachsen, 18. Dezember 2023, Az: 4 Sa 913/22, Urteil
Tenor
1. Auf die Rechtsbeschwerde des beklagten Landes wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen vom 18. Dezember 2023 – 4 Sa 913/22 – im Kostenpunkt aufgehoben und insoweit wie folgt neu gefasst:
Von den Kosten des Rechtsstreits erster und zweiter Instanz haben die Klägerin 3/4 und das beklagte Land 1/4 zu tragen.
2. Die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens werden gegeneinander aufgehoben.
Gründe
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I. Die Parteien streiten nach übereinstimmender Teilerledigungserklärung noch über die Kostenverteilung. Die Klägerin begehrte ursprünglich in ein Auswahlverfahren hinsichtlich der Besetzung einer sachgrundlos befristeten Stelle einbezogen zu werden.
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Die Klägerin verfügt über einen Bachelor- und Masterabschluss im Fach Soziale Arbeit. Während ihres Studiums schloss sie im Zeitraum von Oktober 2016 bis Juli 2020 insgesamt sieben befristete und auf die jeweilige Vorlesungszeit von vier bis fünf Monaten begrenzte Arbeitsverträge mit dem beklagten Land. Im Rahmen dieser befristeten Arbeitsverträge war sie als Tutorin an der Universität V eingesetzt.
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Ende Juli 2021 schrieb das beklagte Land ua. für die M in B eine Stelle für eine sozialpädagogische Fachkraft in der sozialen Arbeit in schulischer Verantwortung ab dem 1. Oktober 2021 aus. In der Ausschreibung heißt es unter „Befristungsart“ nur „befristet bis 31.07.2023“, ohne einen Hinweis, dass eine sachgrundlose Befristung beabsichtigt sei. Die Klägerin bewarb sich auf die ausgeschriebene Stelle. Am 2. September 2021 meldete sich das Regionale Landesamt für Schule und Bildung bei der Klägerin und teilte ihr mit, dass sie aufgrund der Beschäftigungen als studentische Hilfskraft während ihres Studiums „bewerbungsunfähig“ sei.
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Die Klägerin hat mit ihrer Klage ua. die Berücksichtigung ihrer Bewerbung im Auswahlverfahren um die Stelle an der M erstrebt. Nachdem der Zeitraum der vorgesehenen Befristung abgelaufen war, haben die Parteien den Antrag auf Berücksichtigung der Klägerin im Auswahlverfahren in der Berufung übereinstimmend für erledigt erklärt und wechselseitige Kostenanträge gestellt. Die weiteren Klageanträge, festzustellen, dass das beklagte Land nicht berechtigt sei, sie von einer (sachgrundlos) befristeten Tätigkeit als sozialpädagogische Fachkraft von vornherein mit dem Hinweis auf ihre Vorbeschäftigungen auszuschließen, hat das Landesarbeitsgericht abgewiesen und insoweit die Revision zugelassen. Der Senat hat mit Urteil vom 25. Juli 2024
(- 8 AZR 24/24 -) die Revision der Klägerin zurückgewiesen und ihr die Kosten der Revision auferlegt.
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Hinsichtlich des erledigten Teils hat das Landesarbeitsgericht dem beklagten Land die Kosten des Rechtsstreits im Berufungsurteil nach § 91a Abs. 1 ZPO auferlegt. Das beklagte Land habe die Klägerin nicht aufgrund ihrer Vorbeschäftigungen vom Auswahlverfahren ausschließen dürfen. Es habe nicht hinreichend dokumentiert, dass eine sachgrundlose Befristung beabsichtigt gewesen sei und Bewerberinnen und Bewerber mit Vorbeschäftigungen vom Auswahlverfahren ausgenommen würden. In Bezug auf die Teilkostengrundentscheidung nach § 91a Abs. 1 ZPO hat das Landesarbeitsgericht die Rechtsbeschwerde zugelassen.
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Mit dieser verfolgt das beklagte Land sein Ziel weiter, der Klägerin die Kosten des erledigten Teils des Rechtsstreits auferlegen zu lassen.
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II. Die zulässige Rechtsbeschwerde ist teilweise begründet.
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1. Die Kostengrundentscheidung im Urteil des Landesarbeitsgerichts kann ungeachtet von § 99 Abs. 1 ZPO isoliert angefochten werden. Haben die Parteien die Hauptsache übereinstimmend für erledigt erklärt, kann die auf § 91a Abs. 1 ZPO beruhende Kostengrundentscheidung nach § 91a Abs. 2 ZPO ausnahmsweise isoliert angegriffen werden. Handelt es sich – wie vorliegend – um eine gemischte Kostengrundentscheidung, die durch Urteil ausgesprochen worden ist, kann auch die hierin enthaltene Teilkostengrundentscheidung nach § 91a Abs. 1 ZPO isoliert angegriffen werden
(BGH 28. Februar 2007 – XII ZB 165/06 – Rn. 7 ff.; BeckOK ZPO/Jaspersen Stand 1. Juli 2024 ZPO § 91a Rn. 40).
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2. Die Rechtsbeschwerde ist aufgrund ihrer Zulassung durch das Landesarbeitsgericht statthaft. Zwar ist es – auch im Rechtsbeschwerdeverfahren – nicht Zweck einer Kostenentscheidung nach § 91a ZPO, Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung zu klären oder das Recht fortzubilden. Die Zulassung der Rechtsbeschwerde kommt in solchen Fällen nur in Betracht, soweit es um die Klärung prozessualer Fragen zu § 91a ZPO geht
(BGH 25. Oktober 2022 – VIII ZB 58/21 – Rn. 6; 10. April 2018 – KVZ 37/17 – Rn. 12; vgl. auch BAG 8. November 2022 – 6 AZR 133/20 – Rn. 28,BAGE 179, 200). Die erfolgte Zulassung bindet den Senat jedoch nach § 78 Satz 1 ArbGG iVm. § 574 Abs. 3 Satz 2 ZPO, obwohl sie vorliegend nicht der Klärung prozessualer Fragen zu § 91a ZPO dient
(vgl. BAG 10. Juli 2015 – 10 AZB 23/15 – Rn. 4).
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3. Die Rechtsbeschwerde des beklagten Landes ist teilweise begründet. Die Kosten für den für erledigt erklärten Klageantrag, die Klägerin in das Auswahlverfahren um die bis zum 31. Juli 2023 befristete Stelle als sozialpädagogische Fachkraft an der M einzubeziehen, sind nicht allein dem beklagten Land aufzuerlegen, sondern gleichmäßig auf beide Parteien zu verteilen.
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a) Das Verfahren ist in Bezug auf diesen Antrag in der Hauptsache erledigt. Davon ist ohne nähere Prüfung auszugehen, wenn beide Parteien dies übereinstimmend erklärt haben. Wird die Hauptsache erst in der Rechtsmittelinstanz für erledigt erklärt, ist dies allerdings nur beachtlich, wenn das Rechtsmittel zulässig war
(BAG 22. Januar 2004 – 1 AZR 495/01 – zu II 1 der Gründe). Beide Voraussetzungen sind erfüllt. Die Parteien haben den Rechtsstreit in der Berufungsinstanz übereinstimmend für erledigt erklärt. An der Zulässigkeit der Berufung bestehen keine Bedenken.
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b) Der Senat hat in Bezug auf den für erledigt erklärten Antrag nur noch über die Kosten des Verfahrens nach § 91a Abs. 1 Satz 1 ZPO unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstands nach billigem Ermessen zu entscheiden. Es ist demnach vornehmlich darauf abzustellen, wer die Kosten hätte tragen müssen, wenn die Hauptsache nicht übereinstimmend für erledigt erklärt worden wäre
(BGH 27. April 2021 – VIII ZB 44/20 – Rn. 12 mwN). Es ist jedoch – wie unter Rn. 9 ausgeführt – nicht Zweck einer Entscheidung nach § 91a ZPO, Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung zu klären oder das Recht fortzubilden. Grundlage der Entscheidung ist lediglich eine summarische Prüfung, bei der das Gericht davon absehen kann, in einer rechtlich schwierigen Sache nur wegen der Verteilung der Kosten alle für den hypothetischen Ausgang bedeutsamen Rechtsfragen zu klären
(BAG 8. November 2022 – 6 AZR 133/20 – Rn. 28, BAGE 179, 200; BGH 30. April 2020 – VII ZB 23/19 – Rn. 7).
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c) Der Senat sieht sich deshalb nicht veranlasst, im summarischen Verfahren die Frage abschließend zu klären, ob das beklagte Land die Organisationsentscheidung, die Stelle sachgrundlos befristet auszuschreiben, hinreichend dokumentiert hat.
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aa) Zur Sachgrundbefristung hat der Senat entschieden, dass für die Organisationsentscheidung ein Nachweis zu fordern ist, der verhindert, dass die Grundlagen der Auswahlentscheidung nachträglich zulasten einzelner Bewerber verändert werden. Allerdings dürfen die Anforderungen an die diesbezügliche Dokumentation nicht überspannt werden. Ein Nachweis kann grundsätzlich auch durch einen entsprechenden Vermerk in den Akten des Auswahlverfahrens geführt werden, solange er die Funktion, eine nachträgliche Veränderung der Auswahlgrundlagen zu verhindern, erfüllt. Ein wegen der Organisationsentscheidung nicht in die Auswahl einbezogener Bewerber muss der Dokumentation die Gründe entnehmen können, die ihn von einer weiteren Betrachtung im Eignungs- und Leistungsvergleich ausschließen, sodass ihm eine sachgerechte Kontrolle der Organisationsentscheidung möglich ist
(BAG 29. Februar 2024 – 8 AZR 187/23 – Rn. 29 mwN).
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bb) Daraus mögen sich Hinweise für die Anforderungen an die Dokumentation der Organisationsentscheidung ergeben, wenn sich ein öffentlicher Arbeitgeber entschließt, eine Stelle sachgrundlos befristet auszuschreiben und Bewerberinnen und Bewerber mit einer Vorbeschäftigung von der Auswahlentscheidung auszunehmen. Es liegt insbesondere nahe, dass auch bei der sachgrundlosen Befristung durch die Dokumentation sichergestellt sein muss, dass keine nachträgliche Veränderung der Auswahlgrundlagen eintritt. Wie die Anforderungen an die Dokumentation bei einer Organisationsentscheidung zur Ausschreibung einer sachgrundlos befristeten Stelle jedoch im Einzelnen ausgestaltet sind, und ob diese Anforderungen vorliegend eingehalten sind, ist im Verfahren nach § 91a ZPO nicht zu klären.
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cc) Etwas anderes ergibt sich im Übrigen auch nicht aus dem neuen Vortrag des beklagten Landes im Rechtsbeschwerdeverfahren, es existiere ein interner Vermerk, aus dem sich ergebe, dass von Anfang an eine sachgrundlose Befristung vorgesehen gewesen sei. In der Rechtsbeschwerdeinstanz können grundsätzlich keine neuen Tatsachen und Beweise vorgebracht werden, § 577 Abs. 2 Satz 4 iVm. § 559 ZPO
(vgl. BAG 21. Januar 2019 – 9 AZB 23/18 – Rn. 29 mwN, BAGE 165, 61). Darüber hinaus ist im Verfahren nach § 91a ZPO auch nicht zu prüfen, ob ein solcher Vermerk vorliegend die – höchstrichterlich noch nicht abschließend geklärten – Anforderungen an die Dokumentation der Organisationsentscheidung erfüllt.
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d) Nachdem offenbleibt, ob das beklagte Land die Klägerin vom Auswahlverfahren um eine befristete Stelle für eine sozialpädagogische Fachkraft an der M ausnehmen durfte, sind die auf diesen Antrag entfallenden Kosten gleichmäßig auf beide Parteien zu verteilen
(vgl. BGH 19. September 2023 – VIII ZB 44/22 – Rn. 5). Im Ergebnis sind daher die Kosten des vorliegenden Rechtsbeschwerdeverfahrens, das lediglich die Kosten in Bezug auf den für erledigt erklärten Antrag zum Gegenstand hat, gegeneinander aufzuheben. Für die Kosten des Rechtsstreits erster und zweiter Instanz war dagegen nach dem Grundsatz der einheitlichen Kostenentscheidung auszusprechen, dass die Klägerin 3/4 und das beklagte Land 1/4 der Kosten zu tragen haben. Dabei ist zu berücksichtigen, dass in erster und zweiter Instanz neben dem für erledigt erklärten Antrag auch Feststellungsanträge gestellt waren, mit denen die Klägerin unterlegen war. Nachdem die Feststellungsanträge zusammen mit einem einheitlichen Streitwert zu bemessen waren, der dem Streitwert des für erledigt erklärten Antrags entspricht, errechnet sich daraus für die erste und zweite Instanz die aus dem Tenor ersichtliche Kostenverteilung. Über die Kosten des Revisionsverfahrens, in dem lediglich über die beiden Feststellungsanträge zu entscheiden war, war im Revisionsurteil zu erkennen
(vgl. BAG 25. Juli 2024 – 8 AZR 24/24 -).
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