Verbot der „United Tribuns Northside“ als Teilorganisation des Vereins „United Tribuns“ (Urteil des BVerwG 6. Senat)

BVerwG 6. Senat, Urteil vom 24.07.2024, AZ 6 A 5/22, ECLI:DE:BVerwG:2024:240724U6A5.22.0

Leitsatz

Eine vorgebliche Teilorganisation eines verbotenen Vereins kann im Rahmen einer von ihr gegen die Verbotsverfügung erhobenen Anfechtungsklage grundsätzlich nur geltend machen, zum entscheidungserheblichen Zeitpunkt des Verbotserlasses habe der verbotene Gesamtverein nicht (mehr) existiert, es habe an ihrer Eigenschaft als Teilorganisation dieses Hauptvereins gefehlt oder es sei – insbesondere aus Gründen der Verhältnismäßigkeit – geboten gewesen, sie gemäß § 3 Abs. 3 Satz 1 Halbs. 2 VereinsG von dem Vereinsverbot auszunehmen (Bestätigung der Rechtsprechung, vgl. BVerwG, Urteil vom 19. September 2023 – 6 A 12.21 – NVwZ-RR 2024, 591 Rn. 122).

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.

Tatbestand

1

Der Kläger wendet sich gegen sein Verbot als Teilorganisation des Vereins „United Tribuns“.

2

Mit Verbotsverfügung vom 2. August 2022 stellte das Bundesministerium des Innern und für Heimat (BMI) unter Berufung auf Art. 9 Abs. 2 GG i. V. m. § 3 Abs. 1 VereinsG ohne vorherige Anhörung der Bescheidadressaten in Ziffer 1 des Verfügungstenors fest, dass der Zweck und die Tätigkeit des Vereins „United Tribuns“ einschließlich seiner Teilorganisationen „World“, „Deutschland“, „Heidenheim“, „Northside“, „Sin City“, „Kiel MC“, „Elbdistrict“, „Remscheid“, „South West MC“, „Rhein District“, „Westside“, „Augsburg MC“, „Ingolstadt“, „Nürnberg“ und „München“ den Strafgesetzen zuwiderliefen. In Ziffer 2 des Tenors wurde bestimmt, dass der Verein „United Tribuns“ einschließlich der Teilorganisationen im Inland „Deutschland“, „Heidenheim“, „Northside“, „Sin City“, „Kiel MC“, „Elbdistrict“, „Remscheid“, „South West MC“, „Rhein District“, „Westside“, „Augsburg MC“, „Ingolstadt“, „Nürnberg“ und „München“ verboten ist und aufgelöst wird. Nach Ziffer 3 des Verfügungstenors dürfen die Kennzeichen des Vereins „United Tribuns“ einschließlich seiner unter 1. genannten Teilorganisationen weder verbreitet noch veröffentlicht oder in einer Versammlung verwendet werden, wobei das Verbot insbesondere die grafische Verwendung im Einzelnen abgebildeter Kennzeichen des Vereins betrifft. Ziffer 4 des Verfügungstenors bestimmt, dass dem Verein „United Tribuns“ und seiner vorgenannten Teilorganisationen im Inland sowie seiner Teilorganisation in Bosnien-Herzegowina „United Tribuns World“ jede Tätigkeit im Geltungsbereich des Vereinsgesetzes untersagt und dass die Bildung oder Fortführung von Ersatzorganisationen verboten ist. Gemäß Ziffer 5 bis 7 des Tenors werden das im Geltungsbereich des Vereinsgesetzes vorhandene Vermögen des Vereins „United Tribuns“ einschließlich seiner unter 1. genannten Teilorganisationen sowie näher bezeichnete Forderungen und Sachen Dritter beschlagnahmt und eingezogen. In Ziffer 8 des Tenors wurde die sofortige Vollziehung der Verfügung mit Ausnahme der Einziehungsanordnungen angeordnet. Die Verbotsverfügung war adressiert an den Verein „United Tribuns“ einschließlich seiner im Rubrum der Verbotsverfügung aufgeführten Teilorganisationen, darunter die „United Tribuns Northside“, hierbei zu Händen von Herrn H. und Herrn Sch. Diesen wurde der Bescheid am 14. September 2022 zugestellt. Am gleichen Tag wurde das Verbot im Bundesanzeiger bekanntgemacht.

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Zur Begründung führte das BMI aus: Bei den United Tribuns handele es sich um einen nicht eingetragenen Verein im Sinne des § 2 Abs. 1 VereinsG. Es handele sich um eine rockerähnliche Gruppierung, deren Aufbau und Struktur einem Motorradclub gleiche. Zu den Führungsfunktionären gehörten neben dem Weltvorstand, dem der „World-President“ A. C. („Boki“) und der „World-Vicepresident“ N. C. angehörten, der Vorstand des Deutschland-Chapters um dessen „President“ O. und die Vorstände der einzelnen regionalen Chapter. Bei Letzteren handele es sich um den President, Vicepresident, Sergeant at Arms, Secretary und Captain des jeweiligen Chapters. Des Weiteren seien in der Gruppierung Vollmitglieder und Member sowie Prospects (Anwärter auf eine Mitgliedschaft) vertreten. Durch besonderes Engagement für den Club könnten sich Vollmitglieder unter ihrem Rückenpatch den Zusatz „forever“ verdienen. Das Patch könne nur durch den Weltvorstand vergeben werden. Als Unterstützer fungierten Hangarounds und Supporter. Die Verteilung der Funktionen entspreche der Struktur einer „Outlaw Motorcycle Gang“ (OMCG), ohne diese konsequent einzuhalten. Die einzelnen Rollen würden in der Regel vom Präsidenten eines Chapters vergeben. Die jeweiligen Chapter müssten mindestens einmal monatlich ein Meeting abhalten, bei dem eine Anwesenheitspflicht für alle Clubangehörigen bestehe. Jeder Präsident eines Chapters entscheide eigenständig über den anfallenden Monatsbeitrag für die jeweiligen Mitglieder, der ausschließlich für Clubzwecke verwendet werden dürfe.

4

Dass es sich bei den United Tribuns um einen freiwilligen Zusammenschluss handele, werde nach außen durch gemeinsame Veranstaltungen, die Anfertigung von Gruppenfotos sowie durch gemeinsame Aufmärsche dokumentiert. Die Mitglieder demonstrierten ihre Zugehörigkeit zur Gruppierung insbesondere durch das Tragen von gemeinsamen Clubinsignien, die hauptsächlich als sog. „Patches“ auf Kutten, daneben aber auch auf T-Shirts, Jacken, Kapuzenpullovern sowie Accessoires wie Bauch- und Gürteltaschen oder Schmuck abgebildet seien. Das Patch zeige zwei verschränkte und muskulöse Arme unter dem Schriftzug „United Tribuns“.

5

Die Chapter seien als gebietliche Teilorganisationen der United Tribuns dem Verein derart eingegliedert, dass sie nach dem Gesamtbild der tatsächlichen Verhältnisse als Gliederung dieses Vereins erschienen. Chaptermitglieder seien immer auch Mitglied der United Tribuns und somit unmittelbar Teil des Gesamtvereins. Darüber hinaus würden die Chapter durch den Gesamtverein gelenkt. Es gebe überregionale Treffen und Meetings, an denen Mitglieder unterschiedlicher Chapter teilnähmen. Hervorzuheben seien in diesem Zusammenhang die deutschlandweiten Präsidententreffen der United Tribuns am 20. November 2021 in Remscheid, am 26. März 2022 in Augsburg und am 25. Juni 2022 in Aalen. Neue Chapter müssten sich beim Weltpräsidenten A. C. in Bosnien-Herzegowina vorstellen.

6

Die United Tribuns seien eine hierarchisch aufgebaute Gruppierung unter der strikten Führung des selbsternannten „Weltpräsidenten“ A. C. und des „Vizepräsidenten“ N. C. Obwohl er sich seiner Festnahme in einem Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts des schweren Menschenhandels im Sommer 2009 durch die Flucht nach Bosnien-Herzegowina entzogen habe, lenke A. C. die Handlungen der Gruppierung in Deutschland von dort aus weiter. Er sei in alle wichtigen Entscheidungen des Clubs eingebunden und stelle regelmäßig die letzte Entscheidungsinstanz bei bedeutenden Clubangelegenheiten dar. Innerhalb der Gruppierung bestünden interne Club- und Verhaltensregeln, die alle Mitglieder und Funktionsträger ausnahmslos einzuhalten hätten. Diese zeigten, wie weit die Loyalität innerhalb der Gruppierung ausgeprägt sei und dass die Mitglieder bedingungslos zu ihrem Club stehen müssten. Die besondere Stellung von A. C. werde durch die Regel hervorgehoben, dass alle Entscheidungen des Vorstands immer mit Boki besprochen und von Boki genehmigt würden. Ferner existiere eine „Elite-Abteilung“, deren „Einsätze“ von einer übergeordneten Ebene („Abteilungsleiter“) angeordnet würden und deren Angehörige kampfsportaffin und für mögliche Auseinandersetzungen mit Kontrahenten jederzeit körperlich vorbereitet sein müssten. Die Vorgaben zur Ausrüstung mit Sturmmaske und Waffen zeigten, dass im Zuge von Auseinandersetzungen auch die Begehung von Straftaten mit Waffen grundsätzlich in Kauf genommen werde und durch Vermummung eine mögliche Strafverfolgung erschwert werden solle.

7

Zweck und Tätigkeit der United Tribuns liefen im Sinne des § 3 Abs. 1 VereinsG den Strafgesetzen zuwider. Der tatsächliche Zweck der United Tribuns liege in der gewalttätigen Gebiets- und Machtentfaltung sowie in der Selbstbehauptung gegenüber konkurrierenden rockerähnlichen Gruppierungen innerhalb des jeweiligen Einflussbereichs. Hierdurch könnten weitere Märkte u. a. im Bereich des Sicherheitsdienstes bzw. Türsteherbereich oder der Zuhälterei übernommen und weitere Verdienstmöglichkeiten generiert werden. Von dem Verein gehe eine schwerwiegende Gefährdung für individuelle Rechtsgüter und die Allgemeinheit aus. Bei ihren Machtdemonstrationen träten die United Tribuns in Gruppenstärke auf und führten häufig gefährliche Gegenstände mit. Dies führe mitunter auch zu gewalttätigen Auseinandersetzungen. Derartige Machtdemonstrationen habe es etwa am 9. Dezember 2015 in Balingen und am 29. März 2015 in Stuttgart gegeben. Dabei zeige das Auftreten der Mitglieder, dass dieses auf einem gemeinsamen Willen beruht habe und dass der Angriff auf ein Mitglied der Gruppierung als Clubangelegenheit angesehen werde.

8

Die strafgesetzwidrige Prägung der United Tribuns und ihrer Teilorganisationen sowie deren Gefährlichkeit werde durch die Tatsache belegt, dass Straftaten auch durch die Entscheidungsträger der United Tribuns geduldet, gebilligt, gefördert oder angewiesen werden würden. In einigen Fällen seien Führungsmitglieder des Vereins selbst an der Tatbegehung beteiligt gewesen. Einige Straftaten seien bewusst unter Ausnutzung der Clubstrukturen bzw. Vereinsressourcen begangen worden. Einen großen Raum nähmen Gewalttaten – wie Körperverletzung oder versuchter Totschlag – u. a. gegen verfeindete Gruppen und sonstige Konkurrenten im Milieu ein. In engem Zusammenhang damit stünden Taten des unerlaubten Waffenbesitzes. Ferner seien Tatbestände des Menschenhandels, der Zwangsprostitution und Bedrohung sowie der Handel mit Betäubungsmitteln bekannt geworden. Vereinsinterne Sanktionen nach Auseinandersetzungen seien nicht zu verzeichnen. Sanktioniert würden lediglich clubinterne Verstöße wie die nicht bewilligte Herstellung von Kleidungsstücken mit Clubinsignien. Mitglieder, die eine Prostituierte im Namen der United Tribuns führten und durch diese Straftat Einnahmen generierten, seien seitens der Führungsebene mit der Verleihung des „Redlight“-Patches belohnt worden. Gegenüber straffällig gewordenen Clubmitgliedern erfolge keine Distanzierung, sondern diese würden in Befolgung der Clubregeln uneingeschränkt unterstützt.

9

Das Vereinsverbot sei geeignet, erforderlich und verhältnismäßig im engeren Sinne. Die dem Verein entstehenden Nachteile wögen geringer im Verhältnis zu der Gefahr für die öffentliche Sicherheit, die bestünde, wenn der Verein strafgesetzwidrig weiterwirken könnte.

10

Von einer Anhörung des Vereins sei abzusehen gewesen, da eine vorherige behördliche Anhörung einen unerwünschten „Ankündigungseffekt“ gehabt und dem Verein die Möglichkeit eröffnet hätte, seine Infrastruktur, sein Vermögen und Beweismittel dem behördlichen Zugriff zu entziehen.

11

Der in Nr. 1 und 2 des Verfügungstenors als Teilorganisation genannte Kläger hat am 14. Oktober 2022 Anfechtungsklage erhoben. Er macht im Wesentlichen geltend, in Bezug auf die United Tribuns fehle es an den Voraussetzungen eines Vereins im Sinne des Vereinsgesetzes. Vielmehr handele es sich um eine Ansammlung mehrerer Vereine. Selbst wenn es einen Hauptverein gäbe, sei der Kläger jedenfalls nicht dessen Teilorganisation. Weder die Zusammensetzung noch die Ziele, die Finanzierung, eine Verflechtung bei der Willensbildung oder eine Weisungsgebundenheit belegten eine Identität mit dem Hauptverein. Die Voraussetzungen für ein Verbot lägen in seinem Fall nicht vor. Die in der Verfügung aufgeführten Handlungen könnten ihm und seinen Mitgliedern nicht zugerechnet werden.

12

Der Kläger beantragt,

den Bescheid (Verfügung) des Bundesministeriums des Innern und für Heimat vom 2. August 2022 insoweit aufzuheben, als er den Kläger als angebliche Teilorganisation betrifft.

13

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

14

Sie tritt der Klage entgegen und verteidigt die Verbotsverfügung.

15

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Streitakte und die beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

16

Die zulässige Klage, über die das Bundesverwaltungsgericht nach § 50 Abs. 1 Nr. 2 VwGO erst- und letztinstanzlich entscheidet, ist unbegründet. Die Verbotsverfügung vom 2. August 2022 ist, soweit sie den Kläger betrifft, rechtmäßig und verletzt ihn nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Die Voraussetzungen für das Verbot des Klägers als Teilorganisation des Vereins „United Tribuns“ liegen vor.

17

Maßgeblich für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit einer vereinsrechtlichen Verbotsverfügung ist nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt des Verfügungserlasses. Dabei können – wie auch sonst im Gefahrenabwehrrecht – zurückliegende Umstände herangezogen werden, soweit sie zu diesem Zeitpunkt noch aussagekräftig sind (BVerwG, Urteile vom 7. Januar 2016 – 1 A 3.15 – BVerwGE 154, 22 Rn. 17, vom 26. Januar 2022 – 6 A 7.19 – Buchholz 402.45 VereinsG Nr. 77 Rn. 25 und vom 19. September 2023 – 6 A 12.21 – NVwZ-RR 2024, 591 Rn. 34). Der Zeitpunkt des Erlasses der Verbotsverfügung vom 2. August 2022 ist der 14. September 2022, das Datum ihrer Zustellung und Bekanntmachung im Bundesanzeiger. Das Gesetz zur Regelung des öffentlichen Vereinsrechts (Vereinsgesetz – VereinsG) vom 5. August 1964 (BGBl. I S. 593) findet hiernach i. d. F. des Art. 5 des Gesetzes vom 30. November 2020 (BGBl. I S. 2600) Anwendung.

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Die den Kläger betreffenden Regelungen in der Verbotsverfügung finden ihre Grundlage in den Bestimmungen des Vereinsgesetzes (1.). Am Maßstab dieser Bestimmungen ist die angefochtene Verbotsverfügung weder formell (2.) noch materiell (3.) zu beanstanden.

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1. Rechtsgrundlage für das Verbot und die Auflösung des Klägers ist § 3 Abs. 3 VereinsG. Nach dessen Satz 1 erstreckt sich das Verbot eines Vereins, wenn es nicht ausdrücklich beschränkt wird, auf alle Organisationen, die dem Verein derart eingegliedert sind, dass sie nach dem Gesamtbild der tatsächlichen Verhältnisse als Gliederung dieses Vereins erscheinen (Teilorganisationen). Die in der angefochtenen Verfügung in Bezug auf den Kläger getroffenen weiteren Entscheidungen beruhen auf § 9 Abs. 1 VereinsG (Kennzeichenverbot), § 3 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 i. V. m. §§ 10 und 11 VereinsG (Vermögensbeschlagnahme und -einziehung) sowie § 3 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 und 3 i. V. m. § 12 Abs. 1 und 2 VereinsG (Einziehung bestimmter Forderungen und Sachen Dritter).

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2. Die angefochtene Verfügung ist in formeller Hinsicht rechtmäßig. Dies gilt insbesondere für die Zuständigkeit des BMI (a) und das Absehen von der Anhörung der Betroffenen vor dem Verfügungserlass (b).

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a) Die Zuständigkeit des BMI für den Erlass der Verbotsverfügung ergibt sich aus § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 VereinsG. Danach ist das BMI Verbotsbehörde für Vereine und Teilvereine, deren Organisation oder Tätigkeit sich über das Gebiet eines Landes hinaus erstreckt. Für die Beurteilung dieser Voraussetzungen ist bei dem Verbot einer Vereinigung als Gesamtverein auf die Organisation oder Tätigkeit dieser Vereinigung einschließlich der von der Verbotsbehörde nach § 3 Abs. 3 VereinsG als Teilorganisationen in Anspruch genommenen Vereinigungen abzustellen (BVerwG, Urteile vom 7. Juli 2023 – 6 A 2.21 – NVwZ-RR 2024, 285 Rn. 21 und – 6 A 4.21 – BVerwGE 179, 284 Rn. 29 sowie vom 19. September 2023 – 6 A 12.21 – NVwZ-RR 2024, 591 Rn. 38). In dem Zusammenschluss der United Tribuns sind nach der Begründung der Verbotsverfügung neben den übergeordneten Ebenen „World“ und „Deutschland“ örtliche Chapter aus Baden-Württemberg („Heidenheim“), Bayern („Augsburg MC“, „Ingolstadt“, „Nürnberg“ und „München“), Nordrhein-Westfalen („Remscheid“, „South West MC“, „Rhein District“, „Westside“) und Schleswig-Holstein („Northside“, „Sin City“, „Kiel MC“, „Elbdistrict“) organisiert. Die in der Verbotsverfügung im Einzelnen aufgeführten Aktivitäten des Vereins „United Tribuns“ erstrecken sich ebenfalls über die Gebiete mehrerer Bundesländer. Ob die gesetzlichen Begriffsmerkmale des Vereins erfüllt sind, ist entgegen der Auffassung des Klägers für die formelle Rechtmäßigkeit der Verbotsverfügung ohne Bedeutung.

22

b) Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesverwaltungsgerichts kann die Verbotsbehörde von der Anhörung des von einer Verbotsverfügung Betroffenen nach § 28 Abs. 2 Nr. 1 VwVfG absehen, wenn Anhaltspunkte für die Annahme bestehen, aufgrund des mit der Anhörung verbundenen Ankündigungseffekts könnten Beweismittel oder Vermögenswerte beiseitegeschafft und dem behördlichen Zugriff entzogen werden. Die Ermessensentscheidung hierüber, die im Hinblick auf das Verbot einer Vereinigung als Gesamtverein mitsamt Teilorganisationen nur einheitlich mit Blick auf den Gesamtverein getroffen werden kann (BVerwG, Urteile vom 7. Juli 2023 – 6 A 2.21 – NVwZ-RR 2024, 285 Rn. 23 und – 6 A 4.21 – BVerwGE 179, 284 Rn. 31 sowie vom 19. September 2023 – 6 A 12.21 – NVwZ-RR 2024, 591 Rn. 39), bedarf einer Begründung, die erkennen lässt, auf welchen Erwägungen das Absehen von der Anhörung beruht (BVerfG, Beschluss vom 13. Juli 2018 – 1 BvR 1474/12 u. a. – BVerfGE 149, 160 Rn. 161; BVerwG, Urteile vom 26. Januar 2022 – 6 A 7.19 – Buchholz 402.45 VereinsG Nr. 77 Rn. 36, vom 14. Dezember 2022 – 6 A 6.21 – DVBl 2023, 598 Rn. 20 und vom 19. September 2023 – 6 A 12.21 – NVwZ-RR 2024, 591 Rn. 39). Bestehen nach dem gesamten Inhalt des Bescheids Anhaltspunkte dafür, dass sonst Beweismittel und Vermögenswerte beiseitegeschafft würden, reicht dies jedoch regelmäßig schon aus, um das Absehen von der Anhörung zu rechtfertigen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 13. Juli 2018 – 1 BvR 1474/12 u. a. – BVerfGE 149, 160 Rn. 161). Nur in atypischen Fällen muss die Begründung des Bescheids darüber hinaus eine Abwägung aller für und gegen den Verzicht sprechenden Gesichtspunkte enthalten (strenger noch: BVerwG, Urteile vom 26. Januar 2022 – 6 A 7.19 – NVwZ 2023, 423 Rn. 36 und vom 14. Dezember 2022 – 6 A 6.21 – BVerwGE 177, 259 Rn. 20; Beschluss vom 9. Juni 2022 – 6 VR 2.21 – juris Rn. 15).

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Die in den Gründen der Verbotsverfügung enthaltene Rechtfertigung des BMI für den Anhörungsverzicht wird den dargelegten Anforderungen noch gerecht. Das BMI verweist darauf, dass eine vorherige behördliche Anhörung einen unerwünschten „Ankündigungseffekt“ gehabt und dem Verein die Möglichkeit eröffnet hätte, seine Infrastruktur, sein Vermögen und Beweismittel dem behördlichen Zugriff zu entziehen. Dies ist vor dem Hintergrund der in der Begründung der Verbotsverfügung im Einzelnen aufgeführten Strukturen und Aktivitäten der United Tribuns ohne Weiteres plausibel. Es sind keine Besonderheiten erkennbar, die die Annahme rechtfertigen könnten, dass der unerwünschte „Ankündigungseffekt“, dessen Annahme durch die Verbotsbehörde das Bundesverwaltungsgericht insbesondere auch bei Vereinen aus dem Rockermilieu bisher nie beanstandet hat, gerade in dem Fall der United Tribuns nicht zu befürchten ist.

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3. Die angefochtene Verbotsverfügung steht, soweit sie den Kläger betrifft und ihn als Teilorganisation der United Tribuns verbietet, auch im Einklang mit dem materiellen Recht. Da der Kläger die Verbotsverfügung allein wegen seiner Inanspruchnahme als gebietliche Teilorganisation des verbotenen Vereins angreift, ist das gerichtliche Prüfprogramm eingeschränkt (a). Hiervon ausgehend sind zum maßgeblichen Zeitpunkt des Verbotserlasses sowohl die Vereinseigenschaft des Hauptvereins United Tribuns (b) als auch die Eigenschaft des Klägers als Teilorganisation dieses Hauptvereins zu bejahen (c). Eine Herausnahme des Klägers aus dem Verbot kommt nicht in Betracht (d).

25

a) Nach § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO orientiert sich die gerichtliche Kontrolle eines Vereinsverbots in ihrem Umfang an den inmitten stehenden subjektiven Rechten des jeweiligen Klägers (BVerwG, Urteil vom 29. Januar 2020 – 6 A 1.19 – BVerwGE 167, 293 Rn. 25). Hier greift der Kläger die Verbotsverfügung vom 2. August 2022 allein wegen seiner Inanspruchnahme als gebietliche Teilorganisation des verbotenen Vereins United Tribuns an. Dies führt zu einem eingeschränkten, der Rechtsstellung des Klägers angepassten gerichtlichen Prüfprogramm.

26

Stellt eine Vereinigung eine gebietliche Teilorganisation eines verbotenen Vereins dar, wird sie nach § 3 Abs. 3 Satz 1 VereinsG, ohne selbst einen Verbotsgrund erfüllen zu müssen, allein aufgrund ihrer Identität mit dem Gesamtverein von dessen Verbot erfasst. Vor dem Hintergrund der hiernach eingeschränkten Berechtigung aus Art. 9 Abs. 1 GG kann eine vorgebliche Teilorganisation eines verbotenen Vereins im Rahmen einer von ihr gegen die Verbotsverfügung erhobenen Anfechtungsklage nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts grundsätzlich nur geltend machen, zum entscheidungserheblichen Zeitpunkt des Verbotserlasses habe der verbotene Gesamtverein nicht (mehr) existiert, es habe an ihrer Eigenschaft als Teilorganisation dieses Hauptvereins gefehlt oder es sei – insbesondere aus Gründen der Verhältnismäßigkeit – geboten gewesen wäre, sie gemäß § 3 Abs. 3 Satz 1 Halbs. 2 VereinsG von dem Vereinsverbot auszunehmen (BVerwG, Urteil vom 19. September 2023 – 6 A 12.21 – NVwZ-RR 2024, 591 Rn. 122 m. w. N.).

27

b) Die auf der ersten Stufe dieses Prüfprogramms in den Blick zu nehmende Eigenschaft der United Tribuns als Verein im Sinne des § 2 Abs. 1 VereinsG liegt vor. Danach ist ein Verein ohne Rücksicht auf die Rechtsform jede Vereinigung, zu der sich eine Mehrheit natürlicher oder juristischer Personen für längere Zeit zu einem gemeinsamen Zweck freiwillig zusammengeschlossen und einer organisierten Willensbildung unterworfen hat.

28

Die Begriffsmerkmale des § 2 Abs. 1 VereinsG sind entsprechend der gefahrenabwehrrechtlichen Zwecksetzung des Vereinsgesetzes und im Einklang mit dem Schutz der Vereinigungsfreiheit weit auszulegen. Ein Zusammenschluss setzt allerdings schon nach seinem Wortlaut ein bewusstes und gewolltes Handeln voraus. Auch bei einer extensiven Interpretation des Vereinsbegriffs kann ein Zusammenschluss von Personen nur angenommen werden, wenn sich diese durch einen konstitutiven Akt verbunden haben. Dabei dürfen an die Qualität dieses Aktes aber keine hohen Anforderungen gestellt werden; eine stillschweigende Übereinkunft reicht aus. Auch hinsichtlich des gemeinsamen Zwecks genügt eine faktische Übereinstimmung über die wesentlichen Ziele des Zusammenschlusses. Die von dem Willen der einzelnen Mitglieder losgelöste und organisierte Gesamtwillensbildung, der sich die Mitglieder kraft der Verbandsdisziplin prinzipiell unterordnen müssen bzw. die sie kraft eigenen Entschlusses als prinzipiell beachtlich werten, erfordert weder eine Satzung noch spezifische Vereinsorgane. Ausreichend ist eine Organisationsstruktur, die faktisch auf eine organisierte Willensbildung schließen lässt. Das Vorliegen sämtlicher Begriffsmerkmale kann aus Indizien hergeleitet werden (zusammenfassend BVerwG, Urteil vom 29. Januar 2020 – 6 A 1.19 – BVerwGE 167, 293 Rn. 38 f. unter Verweis auf BVerwG, Urteile vom 14. Mai 2014 – 6 A 3.13 – Buchholz 402.45 VereinsG Nr. 62 Rn. 25, vom 4. November 2016 – 1 A 5.15 – Buchholz 402.45 VereinsG Nr. 71 Rn. 17 und vom 13. Dezember 2018 – 1 A 14.16 – Buchholz 402.45 VereinsG Nr. 75 Rn. 22; bestätigt durch BVerfG, Kammerbeschluss vom 2. Juli 2019 – 1 BvR 1099/16 – NVwZ 2020, 224 Rn. 16 f.).

29

Nach diesen Maßgaben handelt es sich bei den United Tribuns um einen Verein im Sinne des § 2 Abs. 1 VereinsG. Wesentlicher Beleg für das Bestehen eines freiwilligen Zusammenschlusses einer Mehrheit natürlicher oder juristischer Personen für längere Zeit zu einem gemeinsamen Zweck bei gleichzeitiger Unterwerfung unter eine organisierte Gesamtwillensbildung ist das aus Clubgesetzen, Verhaltensregeln, Aufgabenzuweisungen, Wertebekenntnissen und Begriffserklärungen bestehende Regelwerk der United Tribuns. Von den einzelnen Dokumenten dieses Regelwerks liegen dem Senat zwar keine Originale, sondern nur fotografische Abbildungen vor. Auf diesen Fotos ist jedoch erkennbar, dass die abgebildeten Originaldokumente auf Papierbögen gedruckt waren, die – offenbar als Wasserzeichen – den Schriftzug „United Tribuns forever“ mit dem aus zwei verschränkten muskulösen Armen bestehenden Symbol im Zentrum aufweisen. Nach den Angaben der Beklagten ist das Regelwerk im Rahmen der Auswertung von Mobiltelefonen in zwei polizeilichen Ermittlungsverfahren – zum einen des Polizeipräsidiums Mittelfranken wegen des Verdachts des versuchten Totschlags im Jahr 2017 und zum anderen des Polizeipräsidiums Offenburg wegen des Verdachts des Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz im Jahr 2014 – festgestellt worden. Diese plausiblen Angaben der Beklagten hat der Kläger nicht substantiiert bestritten. Der Umstand, dass die genannten Fotos im Umfeld von Straftaten mit einem unmittelbaren Bezug zu den United Tribuns aufgefunden worden sind, belegt die Authentizität der fotografierten Dokumente. Es bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass es sich bei den vorliegenden Clubgesetzen, Verhaltensregeln und Aufgabenzuweisungen der United Tribuns um eine bloße Erfindung oder Fälschung der Behörden oder Dritter handeln könnte. Vielmehr ergibt sich aus einer Vielzahl von im Verwaltungsvorgang der Beklagten und in der Gerichtsakte enthaltenen Unterlagen, dass das Regelwerk auch in der Praxis wirksam geworden ist.

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(aa) Mitglieder der United Tribuns sind nach dem genannten Regelwerk natürliche Personen, die in der Regel zugleich Mitglieder eines der so genannten Chapter der United Tribuns sind.

31

Dies folgt schon aus Nr. 1 der Clubgesetze, der neben Funktionen und Organen – „World-President (Boki)“, „Vorstand“, „Präsident“, „Vize Präsident“, „Sergeant“, „Secretary“, „Captain“ – unter anderem „Vollmitglieder (forever)“ und „Mitglieder (ohne forever)“ aufzählt („Es gibt …“). Dass die Mitglieder ohne Bezug zu einem bestimmten Chapter genannt werden, belegt, dass sie jedenfalls auch unmittelbar den United Tribuns zugeordnet sind. Dies folgt auch aus Nr. 4 der Clubgesetze, wonach die Mindestfrist für eine Beförderung von Mitgliedern sechs Monate beträgt. Gemäß Nr. 5 der Clubgesetze ist das Mindestalter für ein Vollmitglied 21 Jahre. Nach Nr. 12 der Clubgesetze ist jedem Mitglied der Kassenstand bei den Clubtreffen und Nachfrage offen zu legen. Nr. 16 der Clubgesetze bestimmt, dass jedes Mitglied im Besitz einer Kutte sein muss. In mehreren Bestimmungen der Clubgesetze ist ausdrücklich von Pflichten der „Clubmitglieder“ die Rede. So ist nach Nr. 19 der Clubgesetze jedes „Clubmitglied“ dazu verpflichtet, „seinem Club Bruder, in einer Notsituation Beizustehen, ihn vor Schaden zu bewahren und ihm zu helfen“. Entsprechend ist gemäß Nr. 20 der Clubgesetze jedes „Clubmitglied“, das „von einem Vorstandsmitglied, oder seinem Präsidenten, Vize-Präsident, oder Sergeant zu einem Notfall gerufen wird“, dazu verpflichtet, unverzüglich zu erscheinen. Dass sich der Begriff „Clubmitglied“ in diesem Zusammenhang nicht auf einzelne Chapter, sondern auf den Zusammenschluss der United Tribuns insgesamt bezieht, ergibt sich deutlich auch aus Nr. 17 der Clubgesetze, wonach es das Jahresfest gibt, bei dem „alle Mitglieder in Clubfarben“ zur Teilnahme verpflichtet sind.

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Dass die einzelnen „Tribuns“ nicht durch ihre jeweiligen Chapter mediatisiert werden, sondern unmittelbar Mitglieder des als „United Tribuns“ bezeichneten Zusammenschlusses sind, wird durch den überwiegenden Teil der Verhaltensregeln bestätigt. So schreibt Nr. 4 dieser Regeln vor, dass jeder Tribun „seine Clubbrüder“ respektvoll behandeln muss. Entsprechend sind gemäß Nr. 5 der Verhaltensregeln gewaltvolle Auseinandersetzungen „zwischen Clubmitgliedern verboten“, gemäß Nr. 6 Frauen und Freundinnen „von Brüdern“ unerreichbar und tabu. Nach Nr. 7 der Verhaltensregeln wird mit dem Clubausschluss bestraft, wer versucht, „ein Clubmitglied“ zu betrügen, um sich an ihm zu bereichern. Dieselbe Rechtsfolge zieht nach der Regel Nr. 8 das „Verraten von Brüdern oder Clubgeheimnissen“ nach sich. In allen diesen Bestimmungen kommt zum Ausdruck, dass das Band der Zugehörigkeit der angesprochenen Personen über die jeweiligen Chapter hinausreicht und sich auf den gesamten Zusammenschluss der United Tribuns erstreckt. Nur dieser übergeordnete Zusammenschluss wird durch den Begriff des „Clubs“ bezeichnet. In diesem Sinne schreibt z. B. Nr. 10 der Verhaltensregeln vor, dass das „Leugnen der Zugehörigkeit des Clubs“ verboten ist. Das unbetitelte weitere Dokument, in dem unter dem Schriftzug United Tribuns und dem Kennzeichen der verschränkten muskulösen Arme die „Werte in unserer Bruderschaft“ als „Pflicht für alle Mitglieder“ bezeichnet sowie „absoluter Respekt gegenüber allen Mitgliedern“ gefordert wird, wendet sich ebenfalls offensichtlich nicht nur an Mitglieder eines einzelnen Chapters, sondern an die Mitglieder der Vereinigung der United Tribuns insgesamt.

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Der Annahme, dass es sich bei den United Tribuns entsprechend den Vorgaben des Regelwerks um einen freiwilligen Zusammenschluss von natürlichen Personen handelt, die jedenfalls ganz überwiegend zugleich Mitglieder der einzelnen Chapter sind, steht nicht entgegen, dass der Verwaltungsvorgang keine Mitgliederlisten oder -karteien enthält und sich sowohl die Verteilung der Chapter als auch die Anzahl der Mitglieder ständig verändert haben. Denn die auch in der Praxis wirksame Zugehörigkeit zu dem als „United Tribuns“ bezeichneten Zusammenschluss wird hinreichend durch die Verwendung einheitlicher Kennzeichen und Symbole auf Kleidungsstücken und weiteren Gegenständen sowie die Durchführung regelmäßiger chapterübergreifender Treffen dokumentiert.

34

Aus einer Vielzahl von im Verwaltungsvorgang enthaltenen Gruppenbildern und anderen Fotos sowie polizeilicher Feststellungen ergibt sich, dass die Zugehörigkeit zu den United Tribuns in erster Linie durch die Verwendung so genannter Patches zum Ausdruck gebracht wird, die auf den „Kutten“ – ärmellosen Westen – aufgenäht sind. Zu unterscheiden ist hierbei zwischen dem dreiteiligen Rücken-Patch („Color“) und den Front-Patches. Das Rücken-Patch besteht aus der Abbildung zweier verschränkter muskulöser Arme (sog. Center-Patch), um die herum bogenförmig die beiden Schriftzüge „United Tribuns“ (sog. Top-Rocker) und „forever“ (sog. Bottom-Rocker), jeweils in schwarzen Buchstaben auf weißem Grund, angeordnet sind. Alternativ findet sich unterhalb der Abbildung der beiden verschränkten muskulösen Arme als Bottom-Rocker der Ortsname des jeweiligen Chapters. Das ebenfalls dreiteilige Front-Patch setzt sich zusammen aus der in den Chaptern verwendeten Funktionsbeschreibung („President“, „Vice-Pres.“, „Sgt at Arms“, „Secretary“, „Captain“ und „Prospect“), dem Ortsnamen des Chapters und der Bezeichnung „Germany“, wobei die einzelnen Patches jeweils in schwarzen Buchstaben auf weißem Grund in einem schwarz umrandeten Rechteck ausgeführt und auf der rechten Brustseite der Kutte untereinander angeordnet sind. Der Schriftzug „United Tribuns“ findet sich in der genannten oder nur geringfügig variierten (z. B. weiße Schrift auf schwarzem Grund) Gestaltung sowie zumeist in der Verbindung mit der Abbildung der verschränkten muskulösen Arme auch auf Kapuzen-Sweat Shirts, Stoffjacken, Pullovern, T-Shirts, Mützen, Gürteltaschen, Hiebwaffen sowie ferner bei der Gestaltung von Facebook- und Instagram-Seiten einzelner Chapter. Sämtliche verwendete Bezeichnungen sind durchgehend in einer gebrochenen Schriftart (Fraktur) ausgeführt.

35

Die auf der kollektiven Verwendung der genannten Kennzeichen beruhende Einheitlichkeit des Erscheinungsbildes der betreffenden Personen und die dadurch dokumentierte Zugehörigkeit zu dem als United Tribuns bezeichneten Zusammenschluss wird entgegen der Auffassung des Klägers nicht durch die chapterbezogenen Ortsbezeichnungen auf einem Teil der verwendeten Patches in Frage gestellt. Denn Größe, Gestaltung und Platzierung der Patches mit den unterschiedlichen Ortsbezeichnungen sind weitestgehend identisch. Es handelt sich – wie bereits erwähnt – zum einen um ein kleines Patch, das jeweils auf der rechten Brustseite der Kutten unterhalb der Bezeichnung der Funktion der betreffenden Person und oberhalb der Bezeichnung „Germany“ aufgenäht ist, und zum anderen um den sog. „Bottom-Rocker“, sofern dieser bei Vollmitgliedern nicht ohnehin aus dem Schriftzug „forever“ besteht, sowie den sog. „Side-Rocker“. In der Gesamtbetrachtung lassen die unterschiedlichen Ortsbezeichnungen den „Top-Rocker“ mit dem Vereinsnamen „United Tribuns“ und das „Center Patch“ der verschränkten muskulösen Arme nicht in den Hintergrund treten und überlagern nicht die mit Namen und Kennzeichen bekundete Zusammengehörigkeit zu den United Tribuns als einheitlichem Verein, als dessen Niederlassungen die einzelnen Chapter begriffen werden. Die von dem Vorsitzenden des Klägers in der mündlichen Verhandlung hervorgehobenen Unterschiede bei der Ausführung einzelner Buchstaben der Frakturschrift, die bei dem Vergleich der Fotos zweier von ihm getragener Kutten erkennbar waren, sind so geringfügig, dass sie das Gesamtbild der Einheitlichkeit ebenfalls nicht in Frage stellen.

36

Die Zusammengehörigkeit der als „United Tribuns“ verbundenen Personen kommt auch in der regelmäßigen Durchführung chapterübergreifender Treffen zum Ausdruck, bei denen die einheitlich gestalteten Kutten getragen werden. Auch insoweit kann beispielhaft auf die im Verwaltungsvorgang enthaltenen Gruppenbilder und weiteren Fotos verwiesen werden, die etwa im Rahmen der Präsidententreffen am 20. November 2021 in Remscheid, am 26. März 2022 in Augsburg („Germanymeeting“) sowie am 25. Juni 2022 in Aalen, aber auch bei anderen Gelegenheiten entstanden sind. Dass immer wieder chapterübergreifende Treffen stattfanden, ist darüber hinaus den zahlreichen im Verwaltungsvorgang enthaltenen Personendossiers zu entnehmen. So nahm etwa der „President“ des Klägers, H., nach polizeilichen Feststellungen in einer entsprechend gekennzeichneten Kutte an chapterübergreifenden Treffen von Mitgliedern der United Tribuns am 6. September 2019, 11. September 2020 und 3. August 2021 in Lübeck teil. Auch Sch., der zuletzt die Funktion des „Vice-President“ des Klägers innehatte, wurde z. B. im Rahmen von Kontrollmaßnahmen am Clubheim der „United Tribuns Sin City“ in Lübeck am 1. August 2020 und 11. September 2020 als Teilnehmer an chapterübergreifenden Zusammenkünften festgestellt, wobei er jeweils eine Kutte der United Tribuns trug.

37

Da § 2 Abs. 1 VereinsG auch so genannte gemischte Vereine erfasst (vgl. BVerwG, Urteil vom 19. September 2023 – 6 A 12.21 – NVwZ-RR 2024, 591 Rn. 46), kann dahingestellt bleiben, ob die einzelnen Chapter der United Tribuns als juristische Personen neben den in ihnen zusammengeschlossenen natürlichen Personen ebenfalls Mitglieder der United Tribuns sind. Das Regelwerk enthält hierfür allerdings keinen Anhaltspunkt. Im Gegenteil werden die Chapter dort lediglich als „Niederlassungen“ bezeichnet.

38

(bb) Aus dem Begriff der „Bruderschaft“, der zur Beschreibung des Zusammenschlusses in dem erwähnten Dokument über die „Werte“ der United Tribuns mehrfach verwendet wird, sowie der organisatorischen Verfestigung, die in der Gesamtheit der Clubgesetze und Verhaltensregeln ihren normativen Niederschlag gefunden hat, wird auch ohne Weiteres erkennbar, dass sich die United Tribuns nicht nur vorübergehend und für kurze Zeit, sondern mit einer grundsätzlich auf Dauer angelegten Zielrichtung zusammengeschlossen haben. Dies kommt außerdem in der Vorgabe bestimmter Bewährungszeiten oder der periodischen Durchführung bestimmter Veranstaltungen zum Ausdruck. So beträgt gemäß Nr. 4 der Clubgesetze die Mindestfrist für eine Beförderung von Mitgliedern sechs Monate. Nach Nr. 7 der Clubgesetze muss mindestens ein Pflichttreffen im Monat gehalten werden. Nr. 17 der Clubgesetze bestimmt für alle Mitglieder die Pflicht zur Teilnahme an einem „Jahresfest“, bei dem u. a. „die Neuen Vollmitglieder und Mitglieder mit besonderen Auszeichnungen Vorgestellt und Geehrt“ werden (Nr. 18 der Clubgesetze).

39

(cc) Gemeinsamer Zweck des Zusammenschlusses der United Tribuns ist die auch gewalttätige Geltendmachung räumlicher Herrschaftsansprüche gegenüber konkurrierenden Gruppierungen, die letztlich auch der Einnahmeerzielung im Rotlicht- und Türstehermilieu dient und in den Bereich der Kriminalität hineinreicht.

40

Dieser Vereinszweck lässt sich – wie bei strafgesetzwidrig agierenden Vereinigungen nicht anders zu erwarten – dem genannten Regelwerk zwar nicht unmittelbar entnehmen, ergibt sich jedoch aus einer Gesamtbetrachtung der Clubgesetze sowie vereinsbezogener Verhaltensweisen der Mitglieder der United Tribuns. Die festgelegten Regeln lassen zum einen die hohe Bedeutung erkennen, die die United Tribuns der Herstellung und Bewahrung eines einheitlichen Erscheinungsbildes zumessen, das vor allem in dem kollektiven Tragen von einheitlich durch aufgenähte Patches gestalteten Kutten seinen Ausdruck findet und damit typische Elemente von Rockergruppen aufgreift. Gemäß Nr. 16 der Clubgesetze muss dementsprechend „jedes Mitglied (…) im Besitz einer Kutte sein“, auf der der „jeweilige Status“ erkennbar ist. Nr. 13 und 14 der Clubgesetze bestimmen, dass „die Schrift und Logo von United Tribuns (…) nicht verändert werden“ und „die Jacken (…) nicht anders als gehabt beschriftet werden“ dürfen. Die besondere Bedeutung des einheitlichen Erscheinungsbildes wird auch an der in Nr. 17 der Clubgesetze geregelten Verpflichtung aller Mitglieder deutlich, „in Clubfarben“ an dem „Jahresfest“ teilzunehmen. Zudem wird in einem weiteren, mit „Begriffs Erklärung“ überschriebenen und ebenfalls zum Regelwerk der United Tribuns gehörenden Dokument die „Kuttenpflicht“ aufgeführt, d. h. die Pflicht, „die Kutte bei Ausfahrten und Treffen zu tragen“.

41

In den Nr. 19 bis 21 der Clubgesetze sind zum anderen den Zusammenschluss der United Tribuns prägende Verhaltenspflichten verankert, die sich ebenfalls an dem Vorbild von Rockergruppierungen orientieren. So ist nach Nr. 19 der Clubgesetze „jedes Clubmitglied (…) dazu Verpflichtet seinem Club Bruder (…) in einer Notsituation Beizustehen, ihn vor Schaden zu bewahren und ihm zu helfen“. Gemäß Nr. 20 der Clubgesetze ist „jedes Clubmitglied, das von einem Vorstandsmitglied (…) oder seinem Präsidenten, Vize-Präsident (…) oder Sergeant zu einem Notfall gerufen wird (…) dazu verpflichtet unverzüglich zu erscheinen“, und zwar „Ohne Ausnahme“. Nr. 21 der Clubgesetze bestimmt, dass „jedes Mitglied (…) immer für seinen Präsidenten, Vize-Präsidenten, und Sergeant erreichbar sein“ muss.

42

Das durch Kutten und Patches geprägte, an Rockergruppierungen orientierte Erscheinungsbild sowie die unbedingte Pflicht zu gegenseitigem Beistand und ständiger Einsatzbereitschaft sind dazu bestimmt, den United Tribuns die Möglichkeit einer auch gewalttätigen Geltendmachung räumlicher Herrschaftsansprüche gegenüber konkurrierenden Gruppierungen zu eröffnen. Dieser Zweck steht in unmittelbarer Verbindung mit dem letztlich übergeordneten Ziel der Erzielung von Einnahmen im Rotlicht- und Türstehermilieu, das in den Bereich der Kriminalität hineinreicht. Dies ergibt sich aus den in der Verbotsverfügung und im Verwaltungsvorgang als Belege für die Verwirklichung des Verbotsgrunds der Strafgesetzwidrigkeit durch die United Tribuns enthaltenen Angaben zu einer Vielzahl von Strafverfahren, die gegen Funktionäre und weitere Mitglieder einzelner Chapter der United Tribuns geführt worden sind. Die maßgeblichen Straftaten betreffen vor allem die Bereiche Schutzgelderpressung, Prostitution bzw. Zuhälterei, den Handel mit Betäubungsmitteln sowie die typische Begleitkriminalität. Sie sind dem Zusammenschluss der United Tribuns auf der Grundlage von § 3 Abs. 3 Satz 1 VereinsG unmittelbar zuzurechnen, da es sich bei deren Chaptern, wie noch auszuführen sein wird, um Teilorganisationen des Vereins „United Tribuns“ handelt. Diesen sind wiederum die Straftaten ihrer führenden Funktionäre nach § 3 Abs. 5 VereinsG zuzurechnen.

43

In diesem Zusammenhang ist zum einen das Urteil des Landgerichts Wuppertal vom 3. August 2021 – 21 KLs 27/20 (StA Wuppertal 10 Js 56/20) – hervorzuheben, das gegen den seinerzeitigen Vizepräsidenten des später aufgelösten Chapters „United Tribuns Borderland“, S., und den seinerzeitigen Präsidenten dieses Chapters, D., ergangen ist. S. wurde wegen schwerer Zwangsprostitution in Tateinheit mit Zuhälterei in zwei Fällen, der versuchten schweren Zwangsprostitution in zwei Fällen, der versuchten räuberischen Erpressung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung sowie der unerlaubten Abgabe von Betäubungsmitteln als eine Person über 21 Jahren an eine Person unter 18 Jahren zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von acht Jahren und acht Monaten verurteilt. D. wurde wegen erpresserischen Menschenraubs in Tateinheit mit versuchter schwerer räuberischer Erpressung und vorsätzlicher Körperverletzung sowie der schweren Zwangsprostitution zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und drei Monaten verurteilt. Aus den in dem Urteil enthaltenen Feststellungen ergibt sich unter anderem, dass die dortige Nebenklägerin durch die Behauptung zur Ausübung der Prostitution veranlasst worden war, sie habe Schulden in Höhe von 6 000 € aus einer gegenüber den United Tribuns bestehenden Verpflichtung zur Zahlung von Steuern für ihren Schutz.

44

Ferner sind die Urteile des Landgerichts Augsburg vom 22. April 2020 – 1 KLs 309 Js 120391/19 – und des Amtsgerichts Heilbronn vom 7. September 2018 – 13 Ls 65 Js 3959/15 <2> – zu erwähnen. Durch das erstgenannte Urteil wurden der Captain des Chapters „United Tribuns Augsburg“, T., wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit unerlaubtem Herstellen von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren und vier Monaten und der Präsident des Chapters, V., wegen Beihilfe zum unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt. In dem Urteil wird festgestellt, dass V. im Frühjahr 2019 die Rauschgiftgeschäfte von T. unterstützte und hierfür unter anderem seine Kontakte zu nicht näher bekannten Mitgliedern eines anderen Chapters der United Tribuns nutzte, die zuvor mit dem Angebot, ins Drogengeschäft einzusteigen, an ihn herangetreten waren. Durch das zuletzt genannte Urteil wurde der Präsident des inzwischen aufgelösten Chapters „United Tribuns Heilbronn“, J., wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge sowie unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und fünf Monaten verurteilt. In dem Urteil wird festgestellt, J. habe am 15. Dezember 2014 für die Beschaffung von mindestens einem Kilogramm Marihuana im Wert von 4 000 € zum gewinnbringenden Weiterverkauf seine Kontakte als Präsident des genannten Chapters zu dem Präsidenten des Duisburger Chapters der United Tribuns genutzt.

45

Ein aussagekräftiger Beleg dafür, dass die gewalttätige Gebiets- und Machtentfaltung zu den von dem Zusammenschluss der United Tribuns verfolgten Zwecken gehört, findet sich schließlich in den Feststellungen des rechtskräftigen Urteils des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 11. Dezember 2018 – 5 Ks 371 Js 24568/17 -, auf das im Zusammenhang mit der Qualifizierung der Chapter als Teilorganisationen noch näher einzugehen sein wird. Das Tatgeschehen, das zu der Verurteilung mehrerer Mitglieder der „United Tribuns Italy“ geführt hat, bestand im Wesentlichen darin, dass die ohne Genehmigung des „Weltpräsidenten“ (Boki) erfolgte Gründung eines neuen Chapters der United Tribuns in Schw. zur Sicherung der bestehenden Machtstrukturen unter Anwendung massiver körperlicher Gewalt unterbunden wurde.

46

Neben den genannten strafrichterlichen Urteilen sind bei der Bestimmung des gemeinsamen Zwecks des Zusammenschlusses der United Tribuns auch die chronologischen Übersichten der Straftaten und Aktionen der United Tribuns heranzuziehen, die in dem an das BMI gerichteten Schreiben des Bundeskriminalamts (BKA) vom 5. August 2019 enthalten und später mehrfach – etwa in den Schreiben vom 30. März 2020 und vom 12. November 2021 – aktualisiert worden sind. Bei diesen Übersichten handelt es sich um Behördenzeugnisse, auf deren Inhalt sich der Senat bei seiner Überzeugungsbildung stützen kann. Der Umfang der Beweiskraft dieser sog. sekundären Beweismittel bedarf einer Prüfung im Einzelfall. Sie gestatten dem Gericht eine eingeschränkte tatrichterliche Würdigung. Werden die in ihnen enthaltenen Tatsachen substantiiert bestritten, können sie allein für die gerichtliche Überzeugungsbildung nicht ausschlaggebend sein. Es bedarf dann einer weitergehenden Sachverhaltsaufklärung oder anderer Erkenntnisse, die die in den Behördenzeugnissen enthaltenen Angaben bestätigen (stRspr, vgl. BVerwG, Urteil vom 26. Januar 2022 – 6 A 7.19 – Buchholz 402.45 VereinsG Nr. 77 Rn. 55 m. w. N.). Der Vortrag des Klägers in der Klagebegründung vom 10. August 2023 und in dem Schriftsatz vom 18. März 2024 genügt indes den Anforderungen an ein substantiiertes Bestreiten des Inhalts der von dem BKA gefertigten Übersichten nicht ansatzweise.

47

Von den in den Übersichten des BKA genannten Straftaten, an denen Funktionäre örtlicher Chapter der United Tribuns beteiligt waren, sind die folgenden hervorzuheben: In der Nacht zum 9. Mai 2015 kam es zu einer Ansammlung von ca. 30 Mitgliedern der United Tribuns aus verschiedenen Chaptern Süddeutschlands vor einem durch die Führung des „Blue Rock Machine MC“ betriebenen Bordellbetrieb in Ulm, in deren Verlauf aus den Reihen der United Tribuns Schüsse in Richtung der Angehörigen des „Blue Rock Machine MC“ abgegeben wurden. Am 15. März 2016 gab der Präsident der United Tribuns Ulm/Heidenheim, O., vier Schüsse aus einer Gas- bzw. Schreckschusswaffe auf den in einem Fahrzeug sitzenden Weltpräsidenten der mit den United Tribuns konkurrierenden Gruppierung „Black Jackets“ ab. Am 22. Januar 2017 besorgte der Vizepräsident der United Tribuns München, Z., über den genannten O. qualitativ hochwertige 500 €-Falsifikate, welche in der Folge durch United Tribuns-Mitglieder ausgegeben wurden. Am 26. Februar 2017 betraten mehrere Mitglieder des Chapters Ulm/Heidenheim der United Tribuns unter Führung ihres Präsidenten, O., eine Diskothek in Heidenheim, warfen eine mitgeführte Motorkettensäge an, spielten an dieser bedrohlich mit dem Gas und bedrohten Sicherheitskräfte und Besucher der Lokalität. Am 12. Mai 2020 soll der Präsident des Chapters „United Tribuns Sin City“ (Lübeck), K., zusammen mit einer weiteren Person einen Geschädigten mit einem Teleskopschlagstock angegriffen haben. Am 14. August 2020 griff eine den „United Tribuns Sin City“ zuzuordnende größere Personenanzahl in Lübeck mit diversen Schlag- und Stichwaffen (Machete, Äxte, Messer, Axtstiele etc.) eine den Hells Angels zuzuordnende Gruppe von ca. 10 bis 20 Personen an, von denen mindestens zwei verletzt wurden. Am 13. November 2020 beging ein Mitglied des Chapters „United Tribuns Sin City“ in Anwesenheit von dessen Präsidenten eine Körperverletzung zum Nachteil eines Gastronomen, von dem es zuvor die Zahlung eines monatlichen Schutzgeldes von 1 500 € gefordert hatte. Am 24. Juli 2021 kam es unter Beteiligung des Vizepräsidenten und des Sergeants des – in der Verbotsverfügung nicht erwähnten – Chapters „United Tribuns Emsland“ zu einem Angriff auf eine Gruppe von vier Personen.

48

Neben den aufgeführten Straftaten enthalten die Übersichten auch Angaben zu weiteren Aktionen der United Tribuns, die zwar strafrechtlich möglicherweise weniger relevant, jedoch als Ausdruck von Machtdemonstrationen zu sehen sind und damit jedenfalls das gemeinsame Ziel der Geltendmachung räumlicher Herrschaftsansprüche gegenüber konkurrierenden Gruppierungen belegen. So kam es am 3. Februar 2015 zu einer Ansammlung von 50 Mitgliedern in der Stuttgarter Innenstadt, die vermutlich als Machtdemonstration gegenüber der konkurrierenden „Red Legion“ dienen sollte. Am 5. Februar 2015 begaben sich 50 Mitglieder der United Tribuns gemeinsam nach Reutlingen, um gegenüber dem Hells Angels MC ihre Stärke zu demonstrieren. Am 9. März 2015 kamen in der Innenstadt von Stuttgart 24 Mitglieder der United Tribuns zusammen, bei denen unter anderem Schlagstöcke, Reizgas sowie Messer aufgefunden wurden. Am 9. März 2015 versammelten sich nach einem Übergriff auf ein Mitglied der United Tribuns andere Mitglieder in der Ludwigsburger Innenstadt, um gegenüber der „Red Legion“ Stärke zu demonstrieren. Am 29. März 2015 fanden sich in Stuttgart und Ludwigsburg bis zu 140 Mitglieder aus allen Teilen Deutschlands sowie benachbarten Ländern zu einer Machtdemonstration wegen einer verbrannten Kutte zusammen. Am 9. Dezember 2015 kam es in Balingen zu einer Machtdemonstration gegenüber dem „Osmanen Germania BC“. Am 10. September 2016 fand in Leipzig ein Trauermarsch für einen Prospect der United Tribuns statt, der am 25. Juni 2016 bei einer Auseinandersetzung mit Mitgliedern des Hells Angels MC getötet worden war. Am 1. August 2020 erfolgte eine Machtdemonstration in Lübeck im Zusammenhang mit der gemeinsam mit mehreren auswärtigen Chaptern begangenen Feier des einjährigen Bestehens der „United Tribuns Sin City“. Am 14. August 2020 kam es ebenfalls in Lübeck zu einer Auseinandersetzung zwischen den United Tribuns und den Hells Angels.

49

Das von den United Tribuns verfolgte Ziel einer gewalttätigen Geltendmachung räumlicher Herrschaftsansprüche gegenüber konkurrierenden Gruppierungen zur Erschließung und Verteidigung von Einnahmequellen, die in den Bereich der Kriminalität hineinreichen, wird schließlich auch an der Existenz einer als „Elite“ bezeichneten Gruppe erkennbar. Nach einem im Rahmen von Durchsuchungsmaßnahmen am 13. Januar 2016 beim damaligen Vizepräsidenten des Chapters Offenburg der United Tribuns sichergestellten Dokument bestehen für die Mitgliedschaft in der „United Tribuns Elite – Abteilung Stress“ die Voraussetzungen eines Mindestalters von 22 Jahren und regelmäßigen Kampfsporttrainings. Als „Utensilien“ werden Sturmmaske, Kampfhandschuhe, Schlagstock etc. genannt. Die Aufgaben der „Elite Tribuns“ werden mit „Inkasso Aufträge“, „Gefahr für Brüder“, „Gefahr von außen beseitigen“, „Schutz für Gläubiger“ und „Personenschutz“ beschrieben. Ferner heißt es: „Ist ein Bruder in Gefahr wird ihm sofort und unverzüglich geholfen, egal ob man sein Leben verlieren könnte, dann sterben wir eben zusammen.“ Die Existenz der „Elite“ als eines besonderen Instruments zur Verwirklichung der genannten Vereinszwecke wird durch die WhatsApp-Kommunikation zwischen P. S., dem Präsidenten der „United Tribuns Italy“, und F. S., dem Vizepräsidenten der „United Tribuns Italy“ bestätigt, die in dem dem bereits erwähnten Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 11. Dezember 2018 zugrundeliegenden Ermittlungsverfahren ausgewertet wurde. So heißt es in einer WhatsApp-Sprachnachricht vom 3. März 2017: „[…] Nomads Italy ja, gehört zu der Elite. So, weil die Elite-Schilder kriegen unsere ganzen Member drauf. Das heißt, Elite ist dafür Ordnung, für Zucht und Ordnung. […] Pass auf: Andere kommen, haben Stress. Dann müsst ihr raus, weil wir sind ein Vorstandschapter. […] Weil ich habe die letzte Zeit sehr viele Anfragen, glaub mir das. Wo mich Leute anrufen: ‚P. wir haben Stress. Kannst du von dir mal 2 Leute schicken? Wir brauchen die zur Präsenz. […]'“.

50

(dd) Die United Tribuns verfügen schließlich auch über eine von dem Willen der einzelnen Mitglieder losgelöste und organisierte Gesamtwillensbildung. Dieser liegt das genannte Regelwerk zugrunde, das zwischen den Leitungen der Chapter und dem Vorstand als Organisationsebenen unterscheidet sowie Organe und Funktionen mit bestimmten Aufgaben und Befugnissen festlegt. Diese Vorgaben sind auch im Wesentlichen umgesetzt worden.

51

Die Existenz der Chapter als unterste Organisationsebene des Zusammenschlusses wird unter anderem in Nr. 2, 9 und 10 der Clubgesetze sowie Nr. 1 und 3 der Aufgaben des Vorstands vorausgesetzt (vgl. zu der für Rockervereinigungen typischen Chapter-Struktur: BVerwG, Urteil vom 4. November 2016 – 1 A 5.15 – Buchholz 402.45 VereinsG Nr. 71 Rn. 20). Nr. 1 der Clubgesetze legt die im Zusammenschluss der United Tribuns vorgesehenen Organe und Funktionen fest. Danach gibt es „den World President (Boki), den Vorstand, den Präsident, Vize Präsident, Sergeant, Secretary, Captain, Vollmitglieder (forever), Mitglieder (ohne forever), Prospekt (ohne Arme), Supporter“. Nach Nr. 2 der Clubgesetze muss ein Chapter „aus mindestens Fünf Vollmitgliedern bestehen!! Aus einem Präsident, einem Vize-Präsident, Secretary, Sergeant, und Captain!!“. Mit Ausnahme des World President und des Vorstands beziehen sich die genannten Funktionen auf die einzelnen Chapter. Vor allem die Aufgaben der Präsidenten und Vize-Präsidenten der einzelnen Chapter sind detailliert geregelt. Sie umfassen unter anderem die „Aufnahme und Beförderung von Mitgliedern in der jeweiligen Stadt“ (Nr. 6 der Clubgesetze sowie Nr. 2 und 3 des Katalogs der Aufgaben von „President und Vize-President“) sowie die – gemeinsam mit ihren Mitgliedern zu treffende – Entscheidung über den Monatsbeitrag (Nr. 10 der Clubgesetze). Ferner haben die Präsidenten beispielsweise „die Mitglieder einer Niederlassung zu führen und zu koordinieren“ (Nr. 1 des genannten Aufgabenkatalogs), über die „Entlassung“ von Mitgliedern zu entscheiden (Nr. 4 des Aufgabenkatalogs) oder die Einhaltung von Verhaltensregeln und Clubgesetzen zu kontrollieren (Nr. 5 des Aufgabenkatalogs). Entscheidungen mit grundsätzlichem Charakter sind nach dem Regelwerk dem Vorstand vorbehalten. Dies betrifft unter anderem die Entscheidungen über die Entstehung einer neuen Niederlassung bzw. eines Chapters (Nr. 1 des Katalogs der „Aufgaben des Vorstands“), über ein Patchover, d. h. den Übertritt eines Chapters zu einem anderen Club (Nr. 2 dieses Aufgabenkatalogs), über die „Wahl des Präsidenten und Vize-Präsidenten eines Chapters“ (Nr. 3 des Aufgabenkatalogs) und über das Ändern und Erweitern der Clubgesetze und Verhaltensregeln (Nr. 8 des Aufgabenkatalogs). Dem in Nr. 1 der Clubgesetze als erstes genannten „World President (Boki)“ werden zwar keine konkreten Aufgaben zugeordnet. Allerdings enthält das Dokument „Aufgaben des Vorstands“ in Fettdruck und deutlich hervorgehobener Schriftgröße den Satz: „Alle Entscheidungen des Vorstands werden immer mit Boki besprochen und von Boki genehmigt!!!“ Oberste Entscheidungsinstanz der United Tribuns ist folglich der „World President (Boki)“.

52

Die im Regelwerk der United Tribuns enthaltenen Vorgaben zur Bildung eines Gesamtwillens wurden in der Praxis ungeachtet einzelner Abweichungen im Wesentlichen umgesetzt. Aus einer Vielzahl von im Verwaltungsvorgang enthaltenen Unterlagen ergibt sich, dass die im Regelwerk als „Chapter“ bezeichneten Ortsgruppen als untere Ebene des Zusammenschlusses der United Tribuns bis zum Erlass der Verbotsverfügung tatsächlich bestanden und dabei jeweils die im Regelwerk vorgesehene Organisationsstruktur aufwiesen. Beispielhaft kann auf die im Rahmen der so genannten Präsidententreffen am 20. November 2021 in Remscheid, am 26. März 2022 in Augsburg („Germanymeeting“) sowie am 25. Juni 2022 in Aalen entstandenen Fotos verwiesen werden, zu denen die Beklagte jeweils Übersichtslisten erstellt hat, aus denen die Identität der abgebildeten Personen unter Angabe der Chapter und Funktion ersichtlich ist.

53

Von der Existenz des nach dem Regelwerk auf übergeordneter, zentraler Ebene für Entscheidungen mit grundsätzlichem Charakter zuständigen Vorstands der United Tribuns ist der Senat aufgrund der vorliegenden Erkenntnisse ebenfalls überzeugt. Bei dem in der Aufzählung der Organe und Funktionen in Nr. 1 der Clubgesetze genannten „World President (Boki)“ der United Tribuns handelt es sich danach um A. C. Dessen hervorgehobene Stellung innerhalb des Zusammenschlusses der United Tribuns wird äußerlich daran erkennbar, dass er die Patches „World Pres“ und „Gründer“ auf seiner Kutte trägt. Dass A. C. („Boki“) die Funktion des Weltpräsidenten tatsächlich innehatte und von den damit nach dem Regelwerk der United Tribuns verbundenen weitreichenden Entscheidungsbefugnissen Gebrauch gemacht hat, ergibt sich unter anderem aus den Feststellungen des Landgerichts Nürnberg-Fürth in dem bereits erwähnten Strafurteil vom 11. Dezember 2018 gegen mehrere Mitglieder der „United Tribuns Italy“. Danach benötigte der spätere Geschädigte, Os., für die Eröffnung des von ihm geplanten neuen Chapters in Schw. die Genehmigung des Präsidenten der United Tribuns. Deshalb reiste er Mitte August 2017 nach Massa in Italien, dem Aufenthaltsort des Präsidenten der „United Tribuns Italy“, um dort mit diesem über die Neugründung eines Chapters in Schw. zu sprechen. Bei diesem Gespräch blieb offen, ob das Chapter genehmigt würde, zumal noch die Entscheidung des Weltpräsidenten (A. C., genannt „Boki“) eingeholt werden musste. Ein zusätzlicher Beleg für die weitreichende Entscheidungsbefugnis des Vorstands bzw. des „World President (Boki)“ der United Tribuns ist zum Beispiel auch in einem bei Vollzug des Vereinsverbots beim Präsidenten des Chapters „United Tribuns Sin City“ aufgefundenen, mit „Presimeeting 01.08.“ überschriebenen Dokument zu sehen, in dem es unter anderem heißt: „3D Rückenpatch muss von Boki genehmigt werden“ sowie „Fighterpatches müssen angemeldet werden und durch Vorstand genehmigt werden.“

54

c) Zum maßgeblichen Zeitpunkt des Verbotserlasses ist auch die Eigenschaft des Klägers als Teilorganisation des Hauptvereins der United Tribuns im Sinne des § 3 Abs. 3 Satz 1 VereinsG zu bejahen.

55

Nach der genannten Bestimmung erstreckt sich das Verbot, wenn es nicht ausdrücklich beschränkt wird, auf alle Organisationen, die dem Verein derart eingegliedert sind, dass sie nach dem Gesamtbild der tatsächlichen Verhältnisse als Gliederung dieses Vereins erscheinen (Teilorganisationen). Die Identität zwischen dem Verein als Ganzem und seiner Gliederung, die von § 3 Abs. 3 Satz 1 VereinsG für eine Qualifikation der Gliederung als Teilorganisation vorausgesetzt wird, ist nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts gegeben, wenn die Gliederung tatsächlich in die Gesamtorganisation eingebunden ist. Dabei ist eine totale organisatorische Eingliederung etwa in dem Sinne, dass ausschließlich Mitglieder oder Sympathisanten der Gesamtorganisation der Teilorganisation angehören dürfen, nicht erforderlich. Die Gliederung muss zudem im Wesentlichen von der Gesamtorganisation beherrscht werden. Anhaltspunkte für die Einbindung und Beherrschung können, müssen aber nicht in den Satzungen der betroffenen Organisationen enthalten sein. Weitere Indizien können sich aus der personellen Zusammensetzung der Vereinigungen, ihrer Geschichte, ihrem Selbstverständnis und ihren Zielen, ihrer Tätigkeit und Finanzierung sowie aus Verflechtungen bei der Willensbildung und aus Weisungsgegebenheiten, respektive aus hierarchischen Strukturen ergeben. Anhaltspunkte für derartige Strukturen können Berichtspflichten sowie eine ständige Begleitung und Betreuung durch Vertreter des Gesamtvereins sein. Es ist eine Gesamtwürdigung aller Umstände vorzunehmen, wobei sich die jeweilige Aussagekraft der Indizien nach den tatsächlichen Umständen des Einzelfalls richtet. Nicht notwendig ist daher zum einen, dass die Annahme einer Teilorganisation von sämtlichen genannten Indizien nach dem Gesamtbild getragen wird. Zum anderen können auch Indizien, die für sich genommen als nicht zwingend erscheinen mögen, in ihrer Summe eine Qualifikation als Teilorganisation rechtfertigen. Entscheidend ist stets das spezifische Gepräge der zur Beurteilung stehenden verbandlichen Struktur (BVerwG, Urteil vom 19. September 2023 – 6 A 12.21 – NVwZ-RR 2024, 591 Rn. 127 m. w. N.).

56

Nach diesen Maßgaben gehört der Kläger – wie sämtliche örtlichen Chapter der United Tribuns – dem Gesamtverein „United Tribuns“ als gebietliche Teilorganisation an. Dies folgt vor allem aus der streng hierarchischen Struktur des Gesamtvereins, die den örtlichen Chaptern als nachgeordneten Ebenen lediglich stark begrenzte Entscheidungsspielräume überlässt und deren Vorgaben sich die einzelnen Mitglieder kraft der Verbandsdisziplin prinzipiell unterordnen müssen. Die Chapter müssen sich in diese Struktur einfügen, da sie vom Hauptverein existentiell abhängig sind.

57

Wie bereits ausgeführt, sind zentrale Entscheidungs- und Steuerungsinstanz der „World President“ („Boki“) sowie der Vorstand, dem nach dem Regelwerk alle grundsätzlichen Entscheidungen innerhalb der United Tribuns obliegen. Durch seine ausschließliche Zuständigkeit für die Eröffnung neuer Chapter, für den Übertritt eines Chapters zu einem anderen Club (sog. Patchover), für die Bestimmung der Präsidenten und Vize-Präsidenten der Chapter und das Ändern und Erweitern der Clubgesetze und Verhaltensregeln hat der Vorstand einen beherrschenden Einfluss sowohl auf die Entstehung der Chapter und deren fortdauernde Zugehörigkeit zu den United Tribuns als auch auf deren organisatorische Struktur und personelle Zusammensetzung sowie auf die inhaltliche Ausrichtung ihrer Aktivitäten. Die Präsidenten und Vize-Präsidenten der einzelnen Chapter dürfen zwar unter anderem über die Aufnahme, Beförderung und Entlassung von Mitgliedern entscheiden. Durch die Befugnis, die Mitglieder der Niederlassung, d. h. des Chapters „zu führen und zu koordinieren“ sowie in einem „Notfall“ das unverzügliche Erscheinen von Mitgliedern anzuordnen, haben die Präsidenten und Vize-Präsidenten der einzelnen Chapter zudem auch eine weitreichende Befehlsgewalt über die Mitglieder ihres Chapters. Da die Präsidenten und Vize-Präsidenten selbst ausschließlich durch den Vorstand ausgewählt werden und damit durch diesen auch jederzeit wieder abberufen werden können, ist es jedoch ausgeschlossen, dass sie wesentliche personelle oder inhaltliche Entscheidungen ohne zumindest grundsätzliche Billigung des Vorstands treffen. Zudem müssen sie für die Einhaltung der vom Vorstand erlassenen und dessen jederzeitiger Änderungsbefugnis unterliegenden Clubgesetze und Verhaltensregeln sorgen. Hieraus folgt, dass die Präsidenten und Vize-Präsidenten als wesentliche Organe der Chapter und damit die Chapter selbst praktisch nicht unabhängig vom Vorstand agieren können. Schließlich hängen – wie erwähnt – sogar die Entstehung und der Fortbestand eines Chapters innerhalb der United Tribuns von der Entscheidung des Vorstands und damit des „World President (Boki)“ ab, so dass eine existentielle Abhängigkeit der Chapter von dem Gesamtverein der United Tribuns besteht.

58

Die in den genannten Vorgaben des Regelwerks der United Tribuns angelegte existentielle Abhängigkeit und umfassende Unterordnung der Chapter unter den Vorstand der United Tribuns wird auch daran deutlich, dass die Chapter keine Beteiligungsrechte auf der Ebene des Vorstands haben. Zwar gehört zu den Aufgaben der Präsidenten und Vize-Präsidenten der Chapter auch die „Teilnahme an regelmäßigen Pflichttreffen mit dem Vorstand“ (Nr. 11 des Katalogs der Aufgaben von „President und Vize-President“) und ihnen steht der Vorstand als „Ansprechpartner“ zur Verfügung (Nr. 9 des Katalogs der „Aufgaben des Vorstands“). Dem Regelwerk ist jedoch kein Anhaltspunkt dafür zu entnehmen, dass der durch diese Regelungen organisatorisch verankerte Informationsaustausch zwischen Vorstand und Chaptern zumindest auch der Interessenwahrnehmung der Chapter und der Möglichkeit einer Einflussnahme auf die Entscheidungen des Vorstands dient. Vielmehr ist nach dem Gesamtzusammenhang des Regelwerks davon auszugehen, dass durch die Pflichttreffen lediglich sichergestellt werden soll, dass der Vorstand möglichst regelmäßig und unmittelbar die zur umfassenden Wahrnehmung seiner Entscheidungsbefugnisse erforderlichen Informationen erhält.

59

Die durch das Regelwerk vorgezeichnete streng hierarchische Struktur der United Tribuns mit dem Vorstand als übergeordneter und den Chaptern als untergeordneter Ebene findet auch in der Vereinspraxis ihren deutlichen Niederschlag. Aus mehreren im Verwaltungsvorgang enthaltenen Unterlagen ergibt sich, dass der Vorstand bzw. der „World President (Boki)“ als zentrale Leitungsinstanz des Gesamtvereins, wie im Regelwerk vorgesehen, tatsächlich die grundsätzlichen Entscheidungen über die Entstehung der örtlichen Chapter und deren fortdauernde Zugehörigkeit zu den United Tribuns, die Auswahl des Leitungspersonals der Chapter sowie die von allen Mitgliedern einzuhaltenen Regeln trifft. Darüber hinaus ist der Vorstand bzw. der „World President (Boki)“ auch unmittelbar in einzelne Aktivitäten der Chapter eingebunden.

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Hervorzuheben sind hier insbesondere die Feststellungen in dem bereits erwähnten rechtskräftigen Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 11. Dezember 2018 – 5 Ks 371 Js 24568/17 – in dem Strafverfahren gegen drei Mitglieder der „United Tribuns Nomads Italy“, nämlich F. S., P. S. und L. Z., im Zusammenhang mit der gewaltsamen Verhinderung des geplanten Chapters in Schw. F. S. und P. S. waren zum Tatzeitpunkt Vize-Präsident bzw. Präsident der „United Tribuns Italy“.

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Nach den Feststellungen des Landgerichts war Auslöser des Tatgeschehens der Mitte des Jahres 2017 gefasste Entschluss des Os., der zuvor Mitglied bei dem Chapter Nürnberg der United Tribuns war, in Schw. ein eigenes Chapter der United Tribuns zu eröffnen. Da er hierfür die Genehmigung des Präsidenten der United Tribuns benötigte, reiste er Mitte August 2017 gemeinsam mit einer weiteren Person nach Massa, Italien, um dort mit P. S., dem Präsidenten der „United Tribuns Italy“, über die Neugründung des Chapters in Schw. zu sprechen. Bei diesem Gespräch, an dem auch der Vizepräsident der „United Tribuns Italy“, F. S., teilnahm, blieb offen, ob das Chapter genehmigt würde, zumal noch die Entscheidung des Weltpräsidenten, A. C., genannt „Boki“, eingeholt werden musste. Os. musste versprechen, dass er bis zu der endgültigen Entscheidung über das Chapter keine Kleidungsstücke oder Aufnäher („Patches“) mit dem United Tribuns-Emblem drucken und verbreiten würde. Am 25. Oktober 2017 reisten vier Angehörige der „United Tribuns Italy“, darunter F. S. und L. Z., nach Schw., um den Mitgliedern des dortigen Chapters mitzuteilen, dass die von ihnen geplante Ortsgruppe der Vereinigung vom Weltvorstand der United Tribuns nicht genehmigt wurde. Der Präsident der „United Tribuns Italy“ hatte die vier Mitglieder der Gruppierung zuvor beauftragt, diese Nachricht zu überbringen, sämtliche in Schw. verfügbaren Utensilien der United Tribuns mitzunehmen und eine endgültige Schließung der Ortsgruppe vorzunehmen. In Schw. kam es unter Einsatz eines Golfschlägers zu körperlichen Übergriffen auf Os. und mehrere Mitglieder der Schw. Ortsgruppe. Die Geschädigten wurden dabei nicht unerheblich verletzt.

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Aus den Feststellungen des Landgerichts geht zum einen hervor, dass für die Gründung eines neuen Chapters der United Tribuns die Entscheidung des Weltpräsidenten A. C. („Boki“) eingeholt werden muss. Dies belegt, dass „Boki“ trotz seines Aufenthaltes im Ausland für wichtige Entscheidungen des Clubs zuständig ist. Zum anderen lassen die Feststellungen des Landgerichts erkennen, dass der Vorstand der United Tribuns auch in die Ausführung vereinsrelevanter Aktivitäten auf der Ebene der Chapter unmittelbar eingebunden war und die Chapter ihm gegenüber rechenschaftspflichtig waren. So ließ P. S., der Präsident der „United Tribuns Italy“, durch seinen Verteidiger in der Hauptverhandlung erklären, er habe den nach Schw. reisenden Mitgliedern seines Chapters den Auftrag erteilt, Fotos und Videos von der Zerstörung der durch Os. ohne Genehmigung hergestellten Utensilien mit dem Logo der United Tribuns anzufertigen. Zur Begründung gab er an, diese habe er für den „Weltvorstand der United Tribuns“ gebraucht. Auf der Grundlage einer Auswertung der sichergestellten Mobiltelefone der Beteiligten sowie der Überwachung der Telefonanschlüsse der Angeklagten P. S. und F. S. hat das Landgericht weiter festgestellt, dass P. S. den F. S. vor dem Tatgeschehen am 25. Oktober 2017 per Sprachnachricht aufforderte: „Aha F., gibt mir da grad Bescheid. Macht von allen Bilder, war ihr mitnehmt. Des ist wichtig. Weil des brauch ich ja für den Vorstand.“ Daraufhin versicherte F. S., „durchzufunken“, wenn alles vorbei sei, bzw. Bilder zu schicken. Die Bedeutung der Bilddokumentation der Aktion als Erfolgsnachweis gegenüber dem Vorstand wird auch aus weiteren Sprachnachrichten des P. S. an F. S. am Tattag deutlich: „Okay super. Äh Bilder mache bitte? Brauch ich dann, weißt! Ist wichtig. Bis später F. Meld dich“ sowie „Äh tu mer ein Gefallen F., schick mir die Fotos, bitte.“ Und im Gruppenchat schrieb P. S.: „Äh Brüder, kleine Info. Die Videos, die Bilder werden nicht versendet. Habt ihr gehört? Ich hab sie zum Boki gesendet, des reicht … “ Ferner schickte P. S. im Gruppenchat u. a. eine Sprachnachricht folgenden Inhalts: „Tribuns, Tribuns – ey Männer. Ich bin stolz auf euch alle. Ich soll euch schöne Grüße sagen vom Boki. Passt, ist alles super. Ich lieb euch. Pass uff, Nomads Italy ist nicht zu brechen.“ Aus der Tatsache, dass P. S. kurz vor und während des Tatgeschehens fast durchgängig in Kontakt mit seinen Männern, insbesondere mit F. S. stand, hat das Landgericht geschlossen, dass es dem Angeklagten P. S. offenbar sehr wichtig war, dass alle United Tribuns-Utensilien mitgenommen bzw. unbrauchbar gemacht werden und dies für den Weltvorstand fotografisch dokumentiert wird. Dies belegt, dass eine Rechenschaftspflicht der Chapter gegenüber dem Vorstand der United Tribuns und insbesondere dem „World President“ (Boki) bestand.

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Die alleinige Zuständigkeit des Vorstands und damit dessen zentraler Figur, des „Weltpräsidenten“ A. C. („Boki“) für wichtige Entscheidungen wie der Besetzung von Führungspositionen oder die Neueröffnung von regionalen Chaptern wird durch die weitere WhatsApp-Kommunikation zwischen P. S., dem Präsidenten der „United Tribuns Italy“, und F. S., dem Vizepräsidenten der „United Tribuns Italy“ aus diesem Verfahren bestätigt. So heißt es in einer WhatsApp-Sprachnachricht vom 8. Januar 2017: „[…] Pass auf, der Boxer ist wahrscheinlich in Regensburg schon. Aber der Boki will mit mir da drüber noch mal reden wegen ihm, weil wir haben was vor mit ihm und zwar soll er wieder Regensburg machen. […]“. In einer weiteren Sprachnachricht von P. S. an F. S. wird im Zusammenhang mit der Neueröffnung von Chaptern im Ausland ausgeführt: „[…] Bis ich halt gesagt habe zu Boki: Pass auf, ich wohne in Italien und das Chapter kann eigentlich nur durch mich leben er hat gesagt: „Das wissen wir.“ Also ich mach Italien, Nomads Italy. Ich bau Italien auf. Da hat er gesagt „Ok.“ […]“.

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Darüber hinaus liegen polizeiliche Erkenntnisse vor, dass den Gründungen neuer Chapter der United Tribuns im Ausland dementsprechend stets ein Besuch der angehenden Mitglieder bei A. C. in Bosnien-Herzegowina vorausging. So waren kurz nach den Gründungen der Chapter „Nomads Bulgaria“ im September 2019 sowie „Nomads Hungary“ im Dezember 2019 entsprechende Bilder von deren Präsidenten mit A. C. sowie mit den neuen Kutten auf öffentlich einsehbaren Facebook-Profilen eingestellt worden. Im Rahmen einer informatorischen Befragung des Präsidenten der „Nomads Spain“ am 16. Januar 2020 in Palma de Mallorca erklärte dieser gegenüber Beamten des BKA, dass er vor Gründung seines eigenen Chapters zu A. C. nach Bosnien-Herzegowina reiste und dort auch die Patches für seine Kutte entgegennahm.

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Ein weiteres Indiz für die Identität zwischen dem Verein als Ganzem und seinen Gliederungen, die von § 3 Abs. 3 Satz 1 VereinsG für eine Qualifikation als Teilorganisation vorausgesetzt wird, kann nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts schließlich auch das einheitliche äußerliche Erscheinungsbild sein (vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 19. September 2023 – 6 A 12.21 – juris Rn. 133). Eine derartige Einheitlichkeit wird – wie bereits ausgeführt – durch das Regelwerk der United Tribuns vorgegeben und auch in der Praxis umgesetzt.

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d) Für das BMI bestand auch kein Anlass, den Kläger – insbesondere aus Gründen der Verhältnismäßigkeit – gemäß § 3 Abs. 3 Satz 1 Halbs. 2 VereinsG von dem Verbot der United Tribuns als Gesamtverein auszunehmen.

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Die in der genannten Vorschrift vorgesehene Möglichkeit der Ausnahme von einem Verbot des Gesamtvereins soll nach dem Willen des Gesetzgebers vor allem solchen Teilorganisationen zugutekommen, die sich von verfassungswidrigen Bestrebungen des Gesamtvereins distanzieren und einen grundsätzlich anderen, nicht verfassungswidrigen Kurs verfolgen (BVerwG, Urteil vom 19. September 2023 – 6 A 12.21 – NVwZ-RR 2024, 591 Rn. 147 m. w. N.). Eine solche Ausnahmekonstellation liegt im Fall des Klägers nicht vor. Vielmehr hat sich dieser – ebenso wie alle anderen örtlichen Chapter – in die streng hierarchische Organisationsstruktur der United Tribuns eingefügt. Dies zeigt sich zum einen daran, dass die Verteilung der Funktionen beim Kläger exakt den Vorgaben im Regelwerk der United Tribuns entspricht. So wurde die Funktion des „President“ bis zum Erlass der Verbotsverfügung durch H. wahrgenommen. Die Funktion des „Vice-President“ des Klägers füllte zuletzt Sch. aus, der in der Vergangenheit – wie sich aus Fotos ergibt, auf denen er Kutten mit entsprechenden Patches trägt – auch als „Sgt at Arms“ und „Secretary“ tätig war. Zum Zeitpunkt des Erlasses der Verbotsverfügung wurde die Funktion des „Sergeant at Arms“ ausweislich der Patches auf seiner Kutte durch A. O. wahrgenommen. Als „Secretary“ der „United Tribuns Nothside“ fungierte N. K. N. nahm nach eigenen, im Internet veröffentlichten Angaben bei dem Kläger zuletzt die Funktion eines „Captains“ wahr. A. ist auf mehreren Fotos mit entsprechender Kutte als „Member“ des Klägers identifiziert worden. C. S. , W. und G. hatten dort ausweislich der von ihnen getragenen Kutten den Status von Prospects inne.

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Zum anderen haben der Präsident und der Vize-Präsident des Klägers an den bereits mehrfach erwähnten deutschlandweiten Präsidententreffen der United Tribuns am 20. November 2021 in Remscheid, am 26. März 2022 in Augsburg und am 25. Juni 2022 in Aalen teilgenommen und damit die Zugehörigkeit des von ihnen geleiteten Chapters zu dem Gesamtverein der United Tribuns nach außen hin dokumentiert. Anhaltspunkte dafür, dass sie sich zu irgendeinem Zeitpunkt von den in der Verbotsverfügung aufgeführten, zum Teil schwere Straftaten umfassenden Aktivitäten von Angehörigen mehrerer Chapter der United Tribuns vor Erlass der Verbotsverfügung vom 2. August 2022 distanziert hätten, sind nicht ersichtlich. Ob eine derartige Herauslösung eines einzelnen Chapters aus dem streng hierarchischen System der United Tribuns überhaupt vorstellbar wäre, kann daher offenbleiben.

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4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.

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