Urteil des BGH 6a. Zivilsenat vom 24.07.2024, AZ VIa ZR 280/23

BGH 6a. Zivilsenat, Urteil vom 24.07.2024, AZ VIa ZR 280/23, ECLI:DE:BGH:2024:240724UVIAZR280.23.0

Verfahrensgang

vorgehend BGH, 27. Februar 2024, Az: VIa ZR 280/23, Beschluss
vorgehend OLG München, 9. Februar 2023, Az: 24 U 6935/21

vorgehend LG Memmingen, 6. September 2021, Az: 25 O 99/21

Tenor

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 24. Zivilsenats des Oberlandesgerichts München vom 9. Februar 2023 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als die Berufung des Klägers betreffend seine deliktische Schädigung durch das Inverkehrbringen des erworbenen Fahrzeugs zurückgewiesen worden ist
.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Der Streitwert für das Revisionsverfahren wird auf bis 30.000 € festgesetzt.

Von Rechts wegen

Tatbestand

1

Der Kläger nimmt die Beklagte wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in einem Kraftfahrzeug auf Schadensersatz in Anspruch.

2

Der Kläger erwarb am 4. März 2017 von der Beklagten einen von ihr hergestellten gebrauchten Mercedes-Benz C 300 T h, der mit einem Dieselmotor der Baureihe OM 651 (Schadstoffklasse Euro 6) mit SCR-Katalysator ausgerüstet ist.

3

Der Kläger hat die Beklagte unter den Gesichtspunkten kaufrechtlicher Gewährleistung und seiner deliktischen Schädigung durch das Inverkehrbringen des Fahrzeugs in Anspruch genommen. Er hat zuletzt den Ersatz von 27.539,75 € (Kaufpreis abzüglich einer zuletzt in der Berufungsverhandlung bezifferten Nutzungsentschädigung) nebst Verzugszinsen Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs und die Feststellung der Erledigung des ursprünglich weitergehenden Antrags begehrt. Ferner hat er die Feststellung des Annahmeverzugs der Beklagten sowie die Erstattung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten nebst Prozesszinsen und die Freistellung von weiteren vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten verlangt.

4

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers ist erfolglos geblieben. Mit seiner vom Senat nur insoweit zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seine Berufungsanträge weiter, soweit er diese auf seine deliktische Schädigung durch das Inverkehrbringen des erworbenen Fahrzeugs stützt.

Entscheidungsgründe

5

Die Revision des Klägers hat Erfolg.

I.

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Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung – soweit für das Revisionsverfahren von Interesse – im Wesentlichen wie folgt begründet:

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Dem Kläger stehe ein Anspruch aus §§ 826, 31 BGB nicht zu. Es bestünden weder Anhaltspunkte für die Verwendung einer Prüfstandserkennungssoftware noch lägen sonstige Umstände vor, die auf eine arglistige Täuschung des Kraftfahrt-Bundesamts (KBA) schließen ließen. Ein Schadensersatzanspruch aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV komme nicht in Betracht. Das Interesse, nicht zur Eingehung einer ungewollten Verbindlichkeit veranlasst zu werden, liege nicht im Aufgabenbereich der Vorschriften der EG-FGV. Im Übrigen bedürfe es nicht ihrer Einordnung als Schutzgesetze, um das Interesse der Käufer mit unzulässigen Abschalteinrichtungen ausgestatteter Fahrzeuge angemessen zu schützen.

II.

8

Diese Erwägungen halten der Überprüfung im Revisionsverfahren nicht in allen Punkten stand.

9

1. Allerdings begegnet es keinen revisionsrechtlichen Bedenken, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten aus §§ 826, 31 BGB verneint hat. Die von der Revision erhobene Verfahrensrüge, das Berufungsgericht habe verkannt, dass der Kläger hinsichtlich der unterschiedlichen Dosierung des in den SCR-Katalysator einzudüsenden „AdBlue“ greifbare Anhaltspunkte für eine prüfstandsbezogene Funktionsweise sowie für eine arglistige Täuschung des KBA aufgezeigt habe, hat der Senat geprüft und nicht für durchgreifend erachtet. Von einer Begründung wird gemäß § 564 Satz 1 ZPO abgesehen.

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2. Die Revision wendet sich jedoch mit Erfolg dagegen, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV aus Rechtsgründen abgelehnt hat. Wie der Senat nach Erlass des Berufungsurteils entschieden hat, sind die Bestimmungen der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB, die das Interesse des Fahrzeugkäufers gegenüber dem Fahrzeughersteller wahren, nicht durch den Kaufvertragsabschluss eine Vermögenseinbuße im Sinne der Differenzhypothese zu erleiden, weil das Fahrzeug entgegen der Übereinstimmungsbescheinigung eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 aufweist (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 – VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 29 bis 32).

11

Das Berufungsgericht hat daher zwar zu Recht einen Anspruch des Klägers auf die Gewährung sogenannten „großen“ Schadensersatzes verneint (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 – VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 22 bis 27). Es hat jedoch nicht berücksichtigt, dass dem Kläger nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV ein Anspruch auf Ersatz eines erlittenen Differenzschadens zustehen kann (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023, aaO, Rn. 28 bis 32; ebenso BGH, Urteile vom 20. Juli 2023 – III ZR 267/20, NJW 2024, 361 Rn. 21 ff.; – III ZR 303/20, juris Rn. 16 f.; Urteil vom 12. Oktober 2023 – VII ZR 412/21, juris Rn. 20). Demzufolge hat das Berufungsgericht – von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig – weder dem Kläger Gelegenheit zur Darlegung eines solchen Schadens gegeben, noch hat es Feststellungen zu einer deliktischen Haftung der Beklagten wegen des zumindest fahrlässigen Einbaus einer unzulässigen Abschalteinrichtung getroffen.

III.

12

Das angefochtene Urteil ist in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang aufzuheben, § 562 Abs. 1 ZPO, weil es sich insoweit nicht aus anderen Gründen als richtig darstellt, § 561 ZPO. Der Senat kann im Umfang der Aufhebung nicht in der Sache selbst entscheiden, weil diese nicht zur Endentscheidung reif ist, § 563 Abs. 3 ZPO. Sie ist daher insoweit zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO.

13

Im wiedereröffneten Berufungsverfahren wird der Kläger Gelegenheit haben, einen Differenzschaden darzulegen. Das Berufungsgericht wird sodann nach den näheren Maßgaben des Urteils des Senats vom 26. Juni 2023 (VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245) die erforderlichen Feststellungen zur Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung sowie gegebenenfalls zu den weiteren Voraussetzungen und zum Umfang einer Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV zu treffen haben.

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