BGH 6a. Zivilsenat, Urteil vom 24.07.2024, AZ VIa ZR 10/23, ECLI:DE:BGH:2024:240724UVIAZR10.23.0
Verfahrensgang
vorgehend OLG Hamm, 28. November 2022, Az: I-2 U 250/20
vorgehend LG Münster, 8. Juli 2020, Az: 2 O 117/19
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 2. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Hamm vom 28. November 2022 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als der Berufungsantrag zu 1 in Höhe von 61.518,81 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 14. August 2018 abzüglich einer Nutzungsentschädigung in Höhe von 12.821,96 € Zug um Zug gegen Rückgabe und Übereignung des erworbenen Fahrzeugs sowie die Berufungsanträge zu 2 und zu 3 zurückgewiesen worden sind.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Der Streitwert für das Revisionsverfahren wird auf bis 50.000 € festgesetzt.
Von Rechts wegen
Tatbestand
1
Der Kläger nimmt die Beklagte wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in einem Kraftfahrzeug auf Schadensersatz in Anspruch.
2
Der Kläger kaufte am 18. August 2015 von einem Händler zum Preis von 61.518,81 € einen von der Beklagten hergestellten neuen Mercedes-Benz V 250, der mit einem Dieselmotor der Baureihe OM 651 (Schadstoffklasse Euro 6) und einem SCR-System ausgerüstet ist.
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Der Kläger hat zuletzt den Ersatz des Kaufpreises und von Reparaturkosten nebst Verzugszinsen abzüglich einer bezifferten Nutzungsentschädigung Zug um Zug gegen Rückgabe und Übereignung des Fahrzeugs (Berufungsantrag zu 1), die Feststellung des Annahmeverzugs der Beklagten (Berufungsantrag zu 2) sowie die Erstattung von außergerichtlichen Rechtsverfolgungskosten nebst Verzugszinsen (Berufungsantrag zu 3) begehrt. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers ist erfolglos geblieben. Mit seiner vom Senat insoweit zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seine Berufungsanträge mit Ausnahme der mit dem Berufungsantrag zu 1 ersetzt verlangten Reparaturkosten weiter.
Entscheidungsgründe
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Die Revision des Klägers hat Erfolg.
I.
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Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet:
6
Der Kläger könne die geltend gemachten Ansprüche nicht aus §§ 826, 31 BGB ableiten. Zu seinen Gunsten könne unterstellt werden, dass im Fahrzeug eine unzulässige Abschalteinrichtung in Gestalt des Thermofensters, der Kühlmittel-Solltemperatur-Regelung oder der unterschiedlichen Betriebsmodi des SCR-Systems verbaut worden sei. Der Kläger habe jedoch weder greifbare Anhaltspunkte dafür aufgezeigt, dass die Einrichtungen auf die Bedingungen des Prüfstands ausgerichtet seien, noch sonstige Umstände dargelegt, die auf ein Bewusstsein der für die Beklagte handelnden Personen von der Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung hindeuten könnten. Der Kläger könne die geltend gemachten Ansprüche auch nicht aus § 823 Abs. 2 BGB, § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV ableiten. Der Anspruch scheitere bereits daran, dass die Vorschriften der EG-FGV nicht als Schutzgesetze einzuordnen seien.
II.
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Diese Erwägungen halten der Überprüfung im Revisionsverfahren nicht in allen Punkten stand.
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1. Allerdings begegnet es keinen revisionsrechtlichen Bedenken, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten aus §§ 826, 31 BGB verneint hat, weil es dem Vortrag des Klägers keine greifbaren Anhaltspunkte für ein sittenwidriges Verhalten der Beklagten entnommen hat. Die von der Revision erhobene Verfahrensrüge, das Berufungsgericht habe die Anforderungen an die schlüssige und substantiierte Darlegung eines Rechtswidrigkeitsbewusstseins der für die Beklagte verantwortlich Tätigen – insbesondere in Form einer Prüfstandserkennungssoftware – überspannt, hat der Senat geprüft und nicht für durchgreifend erachtet. Von einer Begründung wird gemäß § 564 Satz 1 ZPO abgesehen.
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2. Die Revision wendet sich jedoch mit Erfolg dagegen, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV aus Rechtsgründen abgelehnt hat. Wie der Senat nach Erlass des Berufungsurteils entschieden hat, sind die Bestimmungen der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB, die das Interesse des Fahrzeugkäufers gegenüber dem Fahrzeughersteller wahren, nicht durch den Kaufvertragsabschluss eine Vermögenseinbuße im Sinne der Differenzhypothese zu erleiden, weil das Fahrzeug entgegen der Übereinstimmungsbescheinigung eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 aufweist (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 – VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 29 bis 32).
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Das Berufungsgericht hat daher zwar zu Recht einen Anspruch des Klägers auf die Gewährung sogenannten „großen“ Schadensersatzes verneint (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 – VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 22 bis 27). Es hat jedoch nicht berücksichtigt, dass dem Kläger nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV ein Anspruch auf Ersatz eines erlittenen Differenzschadens zustehen kann (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023, aaO, Rn. 28 bis 32; ebenso BGH, Urteile vom 20. Juli 2023 – III ZR 267/20, NJW 2024, 361 Rn. 21 ff.; – III ZR 303/20, juris Rn. 16 f.; Urteil vom 12. Oktober 2023 – VII ZR 412/21, juris Rn. 20). Demzufolge hat das Berufungsgericht – von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig – weder dem Kläger Gelegenheit zur Darlegung eines solchen Schadens gegeben, noch hat es Feststellungen zu einer deliktischen Haftung der Beklagten wegen des zumindest fahrlässigen Einbaus einer unzulässigen Abschalteinrichtung getroffen.
III.
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Das angefochtene Urteil ist in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang aufzuheben, § 562 Abs. 1 ZPO, weil es sich insoweit nicht aus anderen Gründen als richtig darstellt, § 561 ZPO. Der Senat kann im Umfang der Aufhebung nicht in der Sache selbst entscheiden, weil diese nicht zur Endentscheidung reif ist, § 563 Abs. 3 ZPO. Sie ist daher insoweit zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO.
12
Im wiedereröffneten Berufungsverfahren wird der Kläger Gelegenheit haben, einen Differenzschaden darzulegen. Das Berufungsgericht wird sodann nach den näheren Maßgaben des Urteils des Senats vom 26. Juni 2023 (VIa ZR 335/21, BGHZ 245, 237) die erforderlichen Feststellungen zu der Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung sowie gegebenenfalls zu den weiteren Voraussetzungen und zum Umfang einer Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV zu treffen haben.
- C. Fischer
- Möhring
- Krüger
- Wille
- Liepin