BGH 6a. Zivilsenat, Urteil vom 16.07.2024, AZ VIa ZR 1116/22, ECLI:DE:BGH:2024:160724UVIAZR1116.22.0
Verfahrensgang
vorgehend OLG Stuttgart, 5. Juli 2022, Az: 24 U 280/22
vorgehend LG Stuttgart, 30. Dezember 2021, Az: 20 O 443/21
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 24. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 5. Juli 2022 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als in Bezug auf die mit dem Anschlussberufungsantrag zu I begehrte Zahlung in Höhe von 20.191,38 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz jährlich seit 12. April 2021 Zug um Zug gegen Übereignung und Herausgabe des Pkw Daimler E-Klasse, FIN: WDD2073021F098389 sowie die mit dem Anschlussberufungsantrag zu III begehrte Feststellung des Verzugs mit der Annahme des vorbezeichneten Fahrzeugs und die mit dem Anschlussberufungsantrag zu IV begehrte Freistellung von Kosten der außergerichtlichen Rechtsverfolgung in Höhe von 1.491,07 € die Klage ab- und die Anschlussberufung des Klägers zurückgewiesen worden sind.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Der Streitwert für das Revisionsverfahren wird auf bis 22.000 € festgesetzt.
Von Rechts wegen
Tatbestand
1
Der Kläger nimmt die Beklagte wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in einem Kraftfahrzeug auf Schadensersatz in Anspruch.
2
Der Kläger erwarb am 8. Juni 2017 von dritter Seite ein von der Beklagten hergestelltes gebrauchtes Kraftfahrzeug Mercedes-Benz E 220 CDI, das mit einem Dieselmotor der Baureihe OM 651 (Schadstoffklasse Euro 5) ausgerüstet ist.
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Der Kläger hat zuletzt die Zahlung von Schadensersatz in Höhe des Kaufpreises abzüglich des Werts der gezogenen Nutzungen – und damit in Höhe von 20.416,99 € – nebst Zinsen Zug um Zug gegen Übereignung und Herausgabe des Fahrzeugs (Anschlussberufungsantrag zu I), die Zahlung von Deliktszinsen Zug um Zug gegen Übereignung und Herausgabe des Fahrzeugs (Anschlussberufungsantrag zu II), die Feststellung des Verzugs der Beklagten mit der Annahme des Fahrzeugs (Anschlussberufungsantrag zu III) und die Freistellung von außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten (Anschlussberufungsantrag zu IV) begehrt. Das Landgericht hat der Klage überwiegend stattgegeben. Das Berufungsgericht hat die Klage unter Zurückweisung der weitergehenden Anschlussberufung des Klägers abgewiesen. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seine Anschlussberufungsanträge mit Ausnahme des Anschlussberufungsantrags zu II sowie mit der Maßgabe weiter, dass die mit dem Anschlussberufungsantrag zu I geltend gemachte Hauptforderung nur noch 20.191,38 € beträgt.
Entscheidungsgründe
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Die Revision des Klägers hat Erfolg.
I.
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Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung – soweit für das Revisionsverfahren von Bedeutung – im Wesentlichen wie folgt begründet:
6
Ein Schadensersatzanspruch aus § 826 BGB bestehe nicht. Eine sittenwidrige vorsätzliche Schädigung durch die Beklagte könne nicht festgestellt werden. Ein Anspruch des Klägers aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV oder mit Art. 5 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 scheide aus, weil diese Normen keine Schutzgesetze im Sinne von § 823 Abs. 2 BGB seien und nicht bezweckten, das Interesse individueller Personen zu schützen, kein Kraftfahrzeug zu erwerben, das mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestattet ist, zumal die Schaffung eines solchen Schadensersatzanspruchs im Lichte des haftungsrechtlichen Gesamtsystems weder sinnvoll noch tragbar sei.
II.
7
Diese Erwägungen halten der Überprüfung im Revisionsverfahren teilweise nicht stand.
8
1. Es begegnet keinen revisionsrechtlichen Bedenken, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten aus §§ 826, 31 BGB verneint hat. Die Revision erhebt insoweit auch keine Einwände.
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2. Die Revision wendet sich jedoch mit Erfolg dagegen, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV aus Rechtsgründen abgelehnt hat. Wie der Senat nach Erlass des angefochtenen Urteils entschieden hat, sind die Bestimmungen der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB, die das Interesse des Fahrzeugkäufers gegenüber dem Fahrzeughersteller wahren, nicht durch den Kaufvertragsabschluss eine Vermögenseinbuße im Sinne der Differenzhypothese zu erleiden, weil das Fahrzeug entgegen der Übereinstimmungsbescheinigung eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 aufweist (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 – VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 29 bis 32).
10
Das Berufungsgericht hat daher zwar im Ergebnis zu Recht einen Anspruch des Klägers auf die Gewährung sogenannten „großen“ Schadensersatzes verneint (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 – VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 22 bis 27). Es hat jedoch nicht berücksichtigt, dass dem Kläger nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV ein Anspruch auf Ersatz eines erlittenen Differenzschadens zustehen kann (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023, aaO, Rn. 28 bis 32; ebenso BGH, Urteile vom 20. Juli 2023 – III ZR 267/20, WM 2023, 1839 Rn. 21 ff.; – III ZR 303/20, juris Rn. 16 f.; Urteil vom 12. Oktober 2023 – VII ZR 412/21, juris Rn. 20). Demzufolge hat das Berufungsgericht – von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig – weder dem Kläger Gelegenheit zur Darlegung eines solchen Schadens gegeben, noch hat es Feststellungen zu einer deliktischen Haftung der Beklagten wegen des zumindest fahrlässigen Einbaus einer unzulässigen Abschalteinrichtung getroffen.
III.
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Die angefochtene Entscheidung ist demnach im tenorierten Umfang aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO), weil sie sich insoweit auch nicht aus anderen Gründen als richtig darstellt (§ 561 ZPO). Die Sache ist zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Das Berufungsgericht wird auf der Grundlage der mit Urteil des Senats vom 26. Juni 2023 in der Sache VIa ZR 335/21 aufgestellten Grundsätze die erforderlichen Feststellungen zu einer Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV zu treffen haben, nachdem es dem Kläger Gelegenheit gegeben hat, den Differenzschaden zu berechnen und dazu vorzutragen.
- C. Fischer
- Krüger
- Rensen
- Wille
- Katzenstein