Beschluss des BVerwG 8. Senat vom 09.07.2024, AZ 8 B 46/23

BVerwG 8. Senat, Beschluss vom 09.07.2024, AZ 8 B 46/23, ECLI:DE:BVerwG:2024:090724B8B46.23.0

Verfahrensgang

vorgehend Oberverwaltungsgericht für das Land Mecklenburg-Vorpommern, 10. Mai 2023, Az: 2 LB 14/20, Beschluss
vorgehend VG Schwerin, 20. November 2019, Az: 7 A 4644/17

Tenor

Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Beschluss des Oberverwaltungsgerichts Mecklenburg-Vorpommern vom 10. Mai 2023 wird zurückgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 15 000 € festgesetzt.

Gründe

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Die Klägerin begehrt die Erteilung einer glücksspielrechtlichen Erlaubnis für den Betrieb einer bereits bestehenden Spielhalle. Die Beklagte lehnte dies ab, weil die Spielhalle sich in einem Abstand von weniger als 500 Metern zu einer Schule oberhalb des Primarbereichs befinde. Das Verwaltungsgericht hat die auf Erteilung der Genehmigung gerichtete Klage abgewiesen; das Oberverwaltungsgericht hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen und die Revision nicht zugelassen.

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Die allein auf den Revisionszulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) gestützte Beschwerde bleibt ohne Erfolg. Eine Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung setzt voraus, dass die Rechtssache eine Frage des revisiblen Rechts aufwirft, die der – gegebenenfalls erneuten oder weitergehenden – höchstrichterlichen Klärung bedarf, sofern diese Klärung in dem angestrebten Revisionsverfahren zu erwarten steht und dies zu einer Fortentwicklung der Rechtsprechung über den Einzelfall hinaus führen wird. Der Rechtsmittelführer hat darzulegen, dass diese Voraussetzungen vorliegen (§ 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO). Dem wird die Beschwerde nicht gerecht.

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1. Die Fragen,

ob die Abstandsgebote gemäß § 25 Abs. 1 Satz 1 GlüStV 2021 i. V. m. § 11 Abs. 2 Satz 2 GlüStVAG MV 2021 und das Verbundverbot gemäß § 25 Abs. 2 GlüStV 2021 aufgrund des neu eingeführten, zentralen, bundesweiten und spielformübergreifenden Sperrsystems „OASIS“ gemäß § 8 GlüStV 2021 noch geeignet, erforderlich und angemessen und diese beschränkenden Regelungen unionsrechtswidrig sind,

und

ob die Mindestabstandsgebote empirisch nachweisbar sind,

wäre, soweit sie die Abstandsregelungen zwischen Spielhallen und das Verbundverbot zum Gegenstand hat, im angestrebten Revisionsverfahren nicht entscheidungserheblich und damit nicht klärungsfähig, weil das angegriffene Urteil sich nicht auf die darauf bezogenen Regelungen stützt. Überdies ist die Frage nach der empirischen Nachweisbarkeit eine Tatsachen- und keine revisible Rechtsfrage.

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Die von der Beschwerde daneben angegriffene Norm des § 11 Abs. 2 Satz 2 GlüStVAG MV, die den Mindestabstand zu Schulen oberhalb des Primarbereichs regelt, gehört zum nicht revisiblen Landesrecht. Insoweit käme eine Revisionszulassung nur in Betracht, wenn der verfassungs- und unionsrechtliche Maßstab für die Interpretation der Norm klärungsbedürftig wäre. Dies ist nicht der Fall.

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In der Rechtsprechung sind die Vorgaben, die sich für örtliche Beschränkungen der Zulässigkeit von Spielhallen aus den Grundrechten auf Berufsfreiheit aus Art. 12 Abs. 1 GG und auf Gleichbehandlung aus Art. 3 Abs. 1 GG ergeben, bereits geklärt (BVerfG, Beschluss vom 7. März 2017 – 1 BvR 1314/12 u. a. – BVerfGE 145, 20 Rn. 119 ff.; BVerwG, Urteil vom 16. Dezember 2016 – 8 C 6.15 – BVerwGE 157, 126 Rn. 34 ff.). Das Grundgesetz enthält danach kein Gebot konsequenter Glücksspielregulierung. Aus ihm lässt sich weder ein Konsistenzgebot jenseits des aus ordnungsrechtlichen Gründen beim Staat monopolisierten Glücksspielangebots noch ein sektorübergreifendes Gebot der Kohärenz glücksspielrechtlicher Regelungen ableiten (BVerwG, Urteil vom 16. Dezember 2016 – 8 C 6.15 – BVerwGE 157, 126 Rn. 51). Unterschiedliche Regelungen verschiedener Glücksspielformen sind zulässig, sofern der Gesetzgeber eine angemessene Suchtprävention nicht außer Acht lässt (BVerwG, Beschluss vom 1. August 2022 – 8 B 15.22 – juris Rn. 6).

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Ebenso geklärt sind die hier einschlägigen Vorgaben des Unionsrechts für die Glücksspielregulierung (vgl. BVerfG, Beschluss vom 7. März 2017 – 1 BvR 1314/12 u. a. – BVerfGE 145, 20 Rn. 124; BVerwG, Urteile vom 16. Dezember 2016 – 8 C 6.15 – BVerwGE 157, 126 Rn. 83 ff. und vom 26. Oktober 2017 – 8 C 18.16 – BVerwGE 160, 193 Rn. 38 ff.). Dabei kann offen bleiben, ob und inwieweit das unionsrechtliche Kohärenzgebot außerhalb des Monopolsektors anwendbar ist. Es verlangt allenfalls, glücksspielrechtliche Regelungen zur Suchtprävention und zum Spielerschutz nicht durch eine gegenläufige Regulierung anderer Glücksspielbereiche mit gleich hohem oder höherem Suchtpotenzial in einer Weise zu konterkarieren, die ihre Eignung zur Zielerreichung aufhebt (BVerwG, Beschluss vom 1. August 2022 – 8 B 15.22 – juris Rn. 6). Dies kann insbesondere der Fall sein, wenn die zuständigen Behörden eine Politik verfolgen, die zur Teilnahme an Glücksspielen, die dem staatlichen Monopol unterliegen, anregt (vgl. zuletzt EuGH, Beschluss vom 18. Mai 2021 – C-920/19 [ECLI:​EU:​C:​2021:​395], Fluctus – Rn. 32). Darüber hinausgehenden Klärungsbedarf hinsichtlich einer Norm des Bundesrechts zeigt die Beschwerdebegründung nicht auf.

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Das Beschwerdevorbringen zur fehlenden empirischen Nachweisbarkeit des Abkühlungseffekts von Abstandsregelungen und die Behauptung der Klägerin, durch die Einführung des Einlasskontrollsystems werde dieser Abkühlungseffekt ebenso erreicht, stellt die tatsächliche Geeignetheit der irrevisiblen Regelung in Abrede, ohne Klärungsbedarf hinsichtlich des bundesrechtlichen Maßstabs aufzuzeigen. Außerdem betrifft es nicht die Regelung über den Mindestabstand zu Schulen, weil diese keinen Abkühlungseffekt bezweckt. Im Übrigen geht es von Tatsachenfeststellungen aus, die das Oberverwaltungsgericht nicht getroffen hat, ohne dass insoweit Verfahrensrügen erhoben worden wären. Zudem ist in der Rechtsprechung geklärt, dass die gegenteilige Annahme des Gesetzgebers, Abstandsregelungen hätten einen Abkühlungseffekt, innerhalb seines Einschätzungs- und Prognosespielraums liegt (BVerfG, Beschluss vom 7. März 2017 – 1 BvR 1314/12 u. a. – BVerfGE 145, 20 Rn. 137).

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Schließlich begründet auch der Verweis der Beschwerde auf neuere Veröffentlichungen in der Literatur, die die Vereinbarkeit der Regelungen zu Abstandsgeboten mit Verfassungs- und Europarecht bezweifeln (Hartmann/​Schaaf, NVwZ 2022, 1241), keinen erneuten Klärungsbedarf. Zwar kann eine höchstrichterlich bereits entschiedene Rechtsfrage wieder klärungsbedürftig werden, wenn neue Gesichtspunkte von Gewicht vorgebracht werden. Dafür reicht es aber nicht, in einer Beschwerdebegründung auf Veröffentlichungen zu verweisen. Vielmehr muss die Beschwerdebegründung selbst diese gewichtigen Gesichtspunkte darlegen. Das ist hier nicht geschehen.

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2. Die weitere Frage,

ob eine Ungleichbehandlung zwischen terrestrischem Spiel und virtuellem Spiel noch verfassungsrechtlich geboten bzw. gerechtfertigt ist,

bedarf aus den vorgenannten Gründen ebenfalls keiner rechtsgrundsätzlichen Klärung. Weder Art. 3 Abs. 1 GG noch Art. 12 Abs. 1 GG oder das Unionsrecht hindern den Gesetzgeber, für terrestrisches und virtuelles Spiel verschiedene, den unterschiedlichen Zugangs- und Regulierungsmöglichkeiten Rechnung tragende Regelungen zur Suchtprävention und zum Spielerschutz zu treffen, sofern diese jeweils verhältnismäßig sind und – bei Anwendbarkeit der unionsrechtlichen Grundfreiheiten – das Kohärenzgebot im oben (Rn. 6) erläuterten Sinne wahren. Weiteren oder erneuten Klärungsbedarf legt die Beschwerdebegründung nicht dar. Sie setzt sich mit den zahlreichen im Glücksspielstaatsvertrag vorgesehenen Beschränkungen des virtuellen Spiels (§§ 6a – 6j GlüStV 2021) nicht auseinander und zeigt nicht auf, inwieweit das Schutzniveau im virtuellen Spiel jenes des terrestrischen in einem verfassungsrechtlich bedenklichen Maße unterschreitet.

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3. Die Frage,

ob eine Ungleichbehandlung zwischen Spielhallen und Spielbanken verfassungsrechtlich geboten bzw. gerechtfertigt ist,

würde sich im Revisionsverfahren nur stellen, soweit sie die Anforderungen an die Rechtfertigung betrifft. Insoweit ist sie bereits in der höchstrichterlichen Rechtsprechung geklärt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 7. März 2017 – 1 BvR 1314/12 u. a. – BVerfGE 145, 20 Rn. 122, 174). Ein Art. 3 Abs. 1 GG genügender hinreichender Sachgrund für die unterschiedliche Behandlung von Spielhallen und Spielbanken liegt in dem unterschiedlichen Gefährdungspotential beider Arten von Spielstätten und insbesondere in der sehr unterschiedlichen Verfügbarkeit der Spielmöglichkeiten (vgl. BVerfG, Beschluss vom 7. März 2017 – 1 BvR 1314/12 u. a. – BVerfGE 145, 20 Rn. 174). Erneuten Klärungsbedarf zeigt die Beschwerde nicht auf. Die Behauptung vorinstanzlich nicht festgestellter Tatsachen ist dazu ungeeignet. Im Übrigen wurde die Reduktion der Anzahl an Spielhallen in der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts bereits berücksichtigt (BVerfG, Beschluss vom 7. März 2017 – 1 BvR 1314/12 u. a. – BVerfGE 145, 20 Rn. 146). Feststellungen zu einer Ausweitung der Anzahl an Spielbanken, die gegebenenfalls die von der Klägerin angegriffene suchtpräventiv ausgerichtete staatliche Regulierung in Zweifel ziehen könnte, hat das Berufungsgericht nicht getroffen; Verfahrensrügen hat die Beschwerdebegründung auch insoweit nicht erhoben.

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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO; die Festsetzung des Streitwertes beruht auf §§ 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 i. V. m. § 52 Abs. 1 GKG.

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