Beschluss des BVerwG 7. Senat vom 09.07.2024, AZ 7 B 2/24

BVerwG 7. Senat, Beschluss vom 09.07.2024, AZ 7 B 2/24, ECLI:DE:BVerwG:2024:090724B7B2.24.0

Verfahrensgang

vorgehend Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, 10. November 2023, Az: 7 A 1553/22, Urteil
vorgehend VG Aachen, 31. Mai 2022, Az: 6 K 868/18

Tenor

Die Beschwerde der Beigeladenen gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 10. November 2023 wird zurückgewiesen.

Die Beigeladene trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Wert des Streitgegenstands wird für das Beschwerdeverfahren auf 358 361,35 € festgesetzt.

Gründe

I

1

Die Beteiligten streiten um den Antrag der Klägerin auf Erteilung einer immissionsschutzrechtlichen Genehmigung für die Errichtung und den Betrieb von drei Windenergieanlagen im Gemeindegebiet der Beigeladenen. Die Klägerin hat gegen den ablehnenden Bescheid des Beklagten Anfechtungsklage erhoben und begründet. Rund 14 Monate nach Klageerhebung hat die Klägerin erklärt, sie stelle das Begehren dahin klar bzw. erkläre hilfsweise dessen Änderung dahin, dass die Verpflichtung zur Erteilung der beantragten Genehmigung und hilfsweise die Neubescheidung des Genehmigungsantrags unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts begehrt werde.

2

Das Verwaltungsgericht hat der Klage mit dem hilfsweise gestellten Bescheidungsantrag stattgegeben und sie im Übrigen abgewiesen. Auf die Berufung der Beigeladenen hat das Oberverwaltungsgericht den Beklagten zur Neubescheidung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Oberverwaltungsgerichts verpflichtet und die Klage im Übrigen abgewiesen. Die Umstellung des Klagebegehrens von einer Anfechtungs- zur Verpflichtungsklage sei keine Klarstellung, sondern eine Klageänderung, die wegen Sachdienlichkeit zuzulassen sei. Auch der Sache nach sei die Bescheidungsklage erfolgreich. Das Oberverwaltungsgericht hat die Revision nicht zugelassen. Hiergegen wendet sich die Beschwerde der Beigeladenen.

II

3

Die auf den Zulassungsgrund nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO gestützte Beschwerde hat keinen Erfolg. Die Rechtssache hat nicht die ihr von der Beschwerde beigemessene grundsätzliche Bedeutung. Grundsätzlich bedeutsam ist eine Rechtssache dann, wenn in dem angestrebten Revisionsverfahren die Klärung einer bisher höchstrichterlich ungeklärten, in ihrer Bedeutung über den der Beschwerde zugrundeliegenden Einzelfall hinausgehenden, klärungsbedürftigen und entscheidungserheblichen Rechtsfrage des revisiblen Rechts (§ 137 Abs. 1 VwGO) zu erwarten ist. In der Beschwerdebegründung muss gemäß § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO dargelegt werden, dass und inwiefern diese Voraussetzungen vorliegen (stRspr, vgl. BVerwG, Beschluss vom 7. Oktober 2022 – 7 B 6.22 – juris Rn. 5). Daran fehlt es hier.

4

Die Beschwerde wirft die Rechtsfrage auf:

„Hindert eine (offensichtlich) unstatthafte und deswegen (offensichtlich) unzulässige Anfechtungsklage den Eintritt der Bestandskraft des angefochtenen Ablehnungsbescheids, gegen den die Verpflichtungsklage gemäß § 42 Abs. 1 Var. 2 VwGO die statthafte Klageart ist?“.

5

Die Rechtsfrage ist nicht klärungsbedürftig. Das Bundesverwaltungsgericht geht in Übereinstimmung mit der ganz überwiegenden obergerichtlichen Rechtsprechung (VGH Kassel, Beschluss vom 8. August 2023 – 6 B 762/23 – juris; OVG Bautzen, Beschluss vom 16. Juni 2023 – 6 B 377/21 – juris Rn. 73; VGH München, Beschluss vom 18. November 2019 – 4 CS 19.1839 – NVwZ-RR 2020, 619; VGH Mannheim, Urteil vom 1. Februar 1996 – 8 S 1961/95 – NVwZ 1997, 594 <597> und Beschlüsse vom 13. Dezember 2016 – 6 S 346/16 – VBlBW 2017, 203 und vom 6. Juli 1987 – 3 S 1381/87 – juris; OVG Bremen, Beschluss vom 1. November 2013 – 2 B 174/13 – juris Rn. 4; OVG Münster, Beschluss vom 24. September 2009 – 8 B 1343.09.AK – juris Rn. 30; OVG Hamburg, Beschluss vom 25. August 1987 – Bs VI 31/87 – NVwZ 1987, 1002; a. A. VGH München, Beschluss vom 1. August 2018 – 22 BV 17.059 – NVwZ-RR 2019, 205 Rn. 27, 35) und einem großen Teil der Literatur (Hoppe, in: Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 80 Rn. 20; Buchheister, in: Wysk, VwGO, 3. Aufl. 2020, § 80 Rn. 7; W.-R. Schenke, in: Kopp/​Schenke, VwGO, 29. Aufl. 2023, § 80 Rn. 50; Redeker, in: Redeker/​von Oertzen, VwGO, 17. Aufl. 2022, § 80 Rn. 11) davon aus, dass (nur) ein offensichtlich unzulässiger Rechtsbehelf den Suspensiveffekt des § 80 Abs. 1 VwGO nicht auslöst und damit den Eintritt der Bestandskraft des angegriffenen Bescheids nicht hindert (BVerwG, Beschluss vom 10. Januar 2018 – 1 VR 14.17 – NVwZ 2018, 1485 Rn. 23). Diese Entscheidung bezieht sich auf eine nach Ablauf der Klagefrist erhobene Klage, deren Unzulässigkeit das Gericht wegen der Fristüberschreitung als offensichtlich einschätzte. In ähnlicher Weise – wenn auch ohne Verwendung des Begriffs der Offensichtlichkeit – hat der Senat bei einer Drittanfechtung entschieden, bei der für den Dritten keine Möglichkeit der Verletzung in eigenen Rechten bestand (BVerwG, Urteil vom 30. Oktober 1992 – 7 C 24.92 – DVBl 1993, 256 <258>).

6

Anders als die Beschwerde meint, gelten diese Grundsätze auch für unstatthafte Klagen. Schon sprachlich bezieht sich die erstgenannte Entscheidung nicht allein auf das Versäumen der Klagefrist, sondern allgemein auf offensichtlich („evident“) unzulässige Rechtsbehelfe.

7

Die Beschwerde meint darüber hinaus, dass aus den beiden Beispielsfällen in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts herzuleiten sei, dass seine Annahmen nur in solchen Fällen gölten, in denen bei der Klageerhebung bereits die Bestandskraft eingetreten war. Das trifft nicht zu. Zwar war in den konkreten Beispielsfällen die Bestandskraft bereits eingetreten. Das Bundesverwaltungsgericht hat seine Aussage über die (Nicht-)Wirkung offensichtlich unzulässiger Rechtsbehelfe aber nicht darauf beschränkt. Indem es formuliert, dass ein evident unzulässiger Rechtsbehelf den Suspensiveffekt des § 80 Abs. 1 VwGO nicht auszulösen vermag, bringt es zugleich zum Ausdruck, dass ein zulässiger oder ein nicht evident unzulässiger Rechtsbehelf diesen Effekt noch haben könnte. Das wäre aber nicht der Fall, wenn die Aussage nur Fälle beträfe, bei denen die Bestandskraft bereits eingetreten war.

8

Auch die Praktikabilitätserwägungen der Beschwerde führen nicht zur Klärungsbedürftigkeit der aufgeworfenen Frage. Nach der Beschwerde müsse eindeutig erkennbar sein, ob der angefochtene Verwaltungsakt weiterhin vollziehbar ist oder nicht. Aus diesem Grund hat das Bundesverwaltungsgericht entschieden, dass der Suspensiveffekt nur bei „offensichtlich“ unzulässigen Rechtsbehelfen entfällt. Auch insoweit ist keine weitere Klärungsbedürftigkeit durch die Beschwerde dargelegt worden.

9

Abgesehen davon würde die Frage auch dann nicht die Revisionszulassung rechtfertigen, wenn man mit einer in der Literatur vertretenen Auffassung nicht auf die Offensichtlichkeit der Unzulässigkeit eines Rechtsbehelfs abstellt, sondern nach Zulässigkeitsvoraussetzungen differenziert. Auch dieser Ansicht nach kommt einem Rechtsbehelf gegen einen wegen Fristversäumnis bestandskräftigen Verwaltungsakt keine aufschiebende Wirkung zu (Schoch, in: Schoch/​Schneider, VwGO, Stand Januar 2024, § 80 Rn. 84; Funke-Kaiser, in: Bader u. a., VwGO, 8. Aufl. 2021, § 80 Rn. 19; Puttler, in: Sodan/​Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 80 Rn. 32).

10

Offenbleiben kann, ob das Oberverwaltungsgericht davon ausgegangen ist, dass auch die offensichtlich unzulässige Klage den Eintritt der Bestandskraft verhindert. Das Oberverwaltungsgericht verhält sich hierzu nicht. Es hat – ohne dieses Thema auch nur zu erwähnen – lediglich die von ihm angenommene Klageänderung für sachdienlich erachtet. Sollte dieser Erwägung unausgesprochen die Annahme zugrunde gelegen haben, dass auch die offensichtlich unstatthafte bzw. die offensichtlich unzulässige Klage aufschiebende Wirkung entfaltete, führte auch dies nicht zur Annahme einer grundsätzlichen Bedeutung. Denn dann stünde allenfalls eine falsche Rechtsanwendung im Einzelfall im Raum.

11

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertentscheidung beruht auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1 GKG.

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