Nichtannahmebeschluss: Erfolglose Verfassungsbeschwerde gegen Durchsuchungs- und Beschlagnahmeanordnung in einem Disziplinarverfahren – ua mangelnde Rechtswegerschöpfung (Nichtannahmebeschluss des BVerfG 2. Senat 1. Kammer)

BVerfG 2. Senat 1. Kammer, Nichtannahmebeschluss vom 05.07.2024, AZ 2 BvR 782/24, ECLI:DE:BVerfG:2024:rk20240705.2bvr078224

§ 90 Abs 2 S 1 BVerfGG, § 152 Abs 1 VwGO, § 311a StPO, § 30 Abs 1 S 3 DG HE

Verfahrensgang

vorgehend Hessischer Verwaltungsgerichtshof, 5. Juli 2024, Az: 28 E 818/23.D, Beschluss

Tenor

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.

Mit der Nichtannahme der Verfassungsbeschwerde wird der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gegenstandslos (§ 40 Abs. 3 GOBVerfG).

Gründe

I.

1

Der Beschwerdeführer wendet sich mit seiner Verfassungsbeschwerde, die er mit einem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung verbunden hat, gegen eine Durchsuchungs- und Beschlagnahmeanordnung durch Beschluss des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs vom 22. Februar 2024.

2

Das Land Hessen führt gegen den Beschwerdeführer, einen Polizeibeamten, ein Disziplinarverfahren. In diesem Zusammenhang stellte das Land beim Verwaltungsgericht Wiesbaden einen Antrag auf Erlass einer Durchsuchungs- und Beschlagnahmeanordnung, den das Verwaltungsgericht – wegen sonst drohender Zweckvereitelung ohne Anhörung des Beschwerdeführers (§ 30 Abs. 1 Satz 3 HDG i.V.m. § 33 Abs. 4 Satz 1 StPO) – ablehnte. Auf die Beschwerde des Landes hob der Hessische Verwaltungsgerichtshof – ebenfalls ohne Anhörung des Beschwerdeführers – die Ausgangsentscheidung auf und erließ den angegriffenen Beschluss, der am 13. Mai 2024 vollzogen und dem Beschwerdeführer bei dieser Gelegenheit bekannt gegeben wurde. Bei der Durchsuchung wurde unter anderem das Mobiltelefon des Beschwerdeführers vorläufig sichergestellt.

3

Mit seiner Verfassungsbeschwerde, die er mit dem Antrag verbunden hat, dem Land die Durchsicht der vorläufig sichergestellten Gegenstände einstweilen zu untersagen, rügt der Beschwerdeführer einen Verstoß gegen das Recht auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) und das Allgemeine Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG).

II.

4

Die Verfassungsbeschwerde ist nicht zur Entscheidung anzunehmen, weil die Annahmevoraussetzungen des § 93a Abs. 2 BVerfGG nicht vorliegen. Der Verfassungsbeschwerde kommt weder grundsätzliche Bedeutung zu, noch ist ihre Annahme zur Durchsetzung der Rechte des Beschwerdeführers angezeigt, weil sie unzulässig ist.

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1. Der Beschwerdeführer hat den Rechtsweg nicht erschöpft.

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a) Nach § 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG kann die Verfassungsbeschwerde grundsätzlich erst nach Erschöpfung des Rechtswegs erhoben werden. Der Rechtsweg ist so lange nicht erschöpft, wie der Beschwerdeführer die Möglichkeit hat, im Verfahren vor den Gerichten des zuständigen Gerichtszweigs die Beseitigung des Hoheitsaktes zu erreichen, dessen Grundrechtswidrigkeit er geltend macht (vgl. BVerfGE 8, 222 <225 f.>; 16, 1 <2>; stRspr). Nur auf offensichtlich aussichtslose Rechtsbehelfe kann ein Beschwerdeführer nicht verwiesen werden (vgl. BVerfGE 16, 1 <2 f.>; 55, 154 <157>).

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b) Der Beschwerdeführer hat es versäumt, vor Anrufung des Bundesverfassungsgerichts bei dem Hessischen Verwaltungsgerichtshof einen Antrag auf nachträgliche Anhörung und erneute Entscheidung zu stellen, obwohl ein solcher Antrag statthaft und auch im Übrigen nicht offensichtlich aussichtslos gewesen wäre.

8

aa) Ergeht eine verwaltungsgerichtliche Durchsuchungs- und Beschlagnahmeanordnung zur Sicherung des Zwecks der Maßnahme ohne vorherige Anhörung des Betroffenen, so ist nach der Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte die Anhörung nachzuholen (vgl. VGH BW, Beschluss vom 19. Juni 2018 – 1 S 2071/17 -, juris, Rn. 7; Nds. OVG, Beschluss vom 23. November 2022 – 13 ME 276/22 -, juris, Rn. 8; VG Leipzig, Beschluss vom 12. Oktober 2023 – 3 O 2/23 -, juris, Rn. 13). Für den Fall, dass die Durchsuchung und Beschlagnahme durch ein Oberverwaltungsgericht im Rahmen eines Beschwerdeverfahrens angeordnet wird, ist gegen diese nach § 152 Abs. 1 VwGO grundsätzlich unanfechtbare Entscheidung ein Antrag auf gerichtliche Überprüfung statthaft (vgl. Bay. VGH, Beschluss vom 10. Oktober 2017 – 4 C 17.878 -, juris, Rn. 8; Beschluss vom 22. Oktober 2021 – 16a DC 21.2500 -, BeckRS 2021, 33557, Rn. 2). Dies dient der von Rechtsstaats wegen gebotenen Nachholung rechtlichen Gehörs (vgl. BVerfGE 18, 399 <404>; 49, 329 <342>; Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 10. August 1999 – 2 BvR 184/99 -, Rn. 10; Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 14. Juni 2004 – 2 BvR 1136/03 -, Rn. 36). Ob sich die Statthaftigkeit dieses Nachverfahrens hier aus § 30 Abs. 1 Satz 3 HDG in Verbindung mit § 311a StPO (vgl. dazu im vereinsrechtlichen Zusammenhang Bay. VGH, Beschluss vom 10. Oktober 2017 – 4 C 17.878 -, juris, Rn. 8) oder in entsprechender Anwendung des § 152a VwGO (vgl. Bay. VGH, Beschluss vom 22. Oktober 2021 – 16a DC 21.2500 -, BeckRS 2021, 33557, Rn. 2) ergibt, ist eine Frage des einfachen Prozessrechts. Von Verfassungs wegen kommen beide Möglichkeiten in Betracht. Insbesondere steht auch eine entsprechende Anwendung des § 152a VwGO im Einklang mit dem Gebot der Rechtsmittelklarheit (vgl. BVerfGE 49, 148 <164>; 87, 48 <65>; 107, 395 <416 f.>). Mit der Anhörungsrüge nach § 152a VwGO stellt der Gesetzgeber ein prozessuales Instrument zur Durchsetzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör zur Verfügung. Unter Berücksichtigung des Charakters der Verfassungsbeschwerde als außerordentlicher, auf die Abwehr der Verletzung von Grundrechten und grundrechtsgleichen Rechten beschränkter Rechtsbehelf (vgl. BVerfGE 107, 395 <413>; 115, 81 <92>) muss es sich einem Betroffenen aufdrängen, dass er vor Erhebung einer Verfassungsbeschwerde jedenfalls von diesem Instrument Gebrauch machen kann und muss, um sein Gehörsrecht zunächst gegenüber der Fachgerichtsbarkeit einzufordern.

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bb) Vor diesem Hintergrund durfte sich der Beschwerdeführer nicht darauf zurückziehen, nach der Bekanntgabe des angegriffenen Beschlusses sogleich das Bundesverfassungsgericht anzurufen. Er hätte sich vielmehr zunächst an den Verwaltungsgerichtshof mit einem Antrag auf nachträgliche Anhörung und erneute Entscheidung wenden müssen, um eine Beseitigung der behaupteten Grundrechtsverletzungen (Art. 103 Abs. 1 GG und Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG) zu erreichen (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 10. August 1999 – 2 BvR 184/99 -, Rn. 10; Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 24. Februar 2011 – 2 BvR 45/11 -, Rn. 6). Anhaltspunkte dafür, dass dieser Antrag vorliegend offensichtlich unzulässig oder aussichtslos gewesen wäre, sind weder dargetan noch sonst ersichtlich.

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2. Unabhängig davon ist die Verfassungsbeschwerde auch deshalb unzulässig, weil der Beschwerdeführer die Darlegungsanforderungen der § 23 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 1, § 92 BVerfGG nicht hinreichend beachtet hat (vgl. hierzu BVerfGE 81, 208 <214>; 113, 29 <44>; 130, 1 <21>). Insbesondere hat er die Verfahrensgeschichte nicht in einer Weise aufbereitet, die eine verantwortbare verfassungsgerichtliche Prüfung zulässt. Der Beschwerdeführer hat es versäumt, die tragenden Gründe der angefochtenen Entscheidung mitzuteilen und sich inhaltlich damit auseinanderzusetzen. Das gilt insbesondere für die Erwägungen des Verwaltungsgerichtshofs zur Reichweite des dringenden Tatverdachts und zur Verhältnismäßigkeit der Anordnung. Der pauschale Verweis des Beschwerdeführers auf die vorgelegten Unterlagen kann ein substantiiertes Verfassungsbeschwerdevorbringen nicht ersetzen. Das Bundesverfassungsgericht hat nicht die Aufgabe, in Bezug genommene Dokumente und andere Anlagen auf verfassungsrechtlich relevante Tatsachen oder auf verfassungsrechtlich relevanten Vortrag hin zu durchsuchen (vgl. BVerfGE 80, 257 <263>; 83, 216 <228>; BVerfGK 19, 362 <363>).

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3. Von einer weiteren Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.

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Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

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