BVerfG 1. Senat 1. Kammer, Stattgebender Kammerbeschluss vom 05.07.2022, AZ 1 BvR 832/21, 1 BvR 1258/21, ECLI:DE:BVerfG:2022:rk20220705.1bvr083221
Art 2 Abs 1 GG, Art 20 Abs 3 GG, § 93c Abs 1 S 1 BVerfGG, § 3 MietBegrG BE, § 522 Abs 2 S 1 Nr 2 ZPO
Verfahrensgang
vorgehend LG Berlin, 3. März 2021, Az: 66 S 256/20, Beschluss
vorgehend LG Berlin, 21. April 2021, Az: 66 S 291/20, Beschluss
vorgehend LG Berlin, 7. April 2021, Az: 66 S 291/20, Beschluss
Tenor
1. Die Beschlüsse des Landgerichts Berlin vom 3. März 2021 – 66 S 256/20 – und vom 7. April 2021 – 66 S 291/20 – verletzen die Beschwerdeführerin in ihrem Grundrecht aus Artikel 2 Absatz 1 des Grundgesetzes in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip (Artikel 20 Absatz 3 des Grundgesetzes). Die Beschlüsse werden aufgehoben und die Sachen an das Landgericht Berlin zurückverwiesen.
2. Damit wird der Beschluss des Landgerichts Berlin vom 21. April 2021 – 66 S 291/20 – gegenstandslos.
3. Das Land Berlin hat der Beschwerdeführerin ihre notwendigen Auslagen zu erstatten.
Gründe
I.
1
Die Verfassungsbeschwerden betreffen die Zurückweisung zweier Berufungen der Beschwerdeführerin durch Beschlüsse gemäß § 522 Abs. 2 Satz 1 ZPO in parallel gelagerten Verfahren über Mieterhöhungsverlangen nach § 558 Abs. 1 BGB.
2
1. Die Beschwerdeführerin ist Vermieterin von Wohnraum in Berlin. Mit Schreiben vom 14. Juni 2019 verlangte sie von zwei ihrer Mieter die Zustimmung zu einer Erhöhung der Miete bis zur ortsüblichen Vergleichsmiete. Die Erhöhungsverlangen, die bei Zustimmung der Mieter den jeweiligen Mietvertrag zum 1. September 2019 ändern sollten, gingen den Mietern jeweils vor dem 18. Juni 2019, dem gemäß § 3 Abs. 1 Satz 1 des Gesetzes zur Mietenbegrenzung im Wohnungswesen in Berlin (MietenWoG Bln) vom 11. Februar 2020 (GVBl <BE> S. 50) maßgeblichen Stichtag, zu. Eine freiwillige Zustimmung der Mieter zum jeweiligen Erhöhungsverlangen erfolgte nicht.
3
2. a) In den Ausgangsverfahren klagte die Beschwerdeführerin jeweils auf Zustimmung zur Erhöhung durch die Mieter. Das Amtsgericht gab den Klagen für den Zeitraum September 2019 bis Februar 2020 statt und wies sie im Übrigen ab. Es sah zwar Ansprüche der Beschwerdeführerin nach § 558 Abs. 1 BGB in der in den Schreiben vom 14. Juni 2019 benannten und im Prozess beantragten Höhe als berechtigt an. Die auf Mieterhöhung gerichtete Vertragsänderung sei aber ab März 2020 gemäß § 134 BGB in Verbindung mit § 3 Abs. 1 Satz 1 MietenWoG Bln nichtig. Danach sei ab diesem Zeitpunkt eine Miete verboten, die die am 18. Juni 2019 wirksam vereinbarte Miete überschreite.
4
b) Das Landgericht Berlin (Zivilkammer 66) wies die Berufungen der Beschwerdeführerin, mit denen diese ihre Zustimmungsverlangen für den Zeitraum ab März 2020 weiterverfolgte, mit den angegriffenen Beschlüssen unter Bezugnahme auf zuvor erlassene Hinweisbeschlüsse jeweils gemäß § 522 Abs. 2 Satz 1 ZPO zurück. Die Berufungen hätten offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg. § 3 MietenWoG Bln sei sowohl formell als auch materiell verfassungsgemäß und auch auf vor dem 18. Juni 2019 zugegangene Mieterhöhungsverlangen anwendbar, wenn sie den Mietvertrag erst nach dem 18. Juni 2019 ändern sollten. Das Landgericht teile daher den Rechtsstandpunkt des Amtsgerichts. Es bestehe auch keine Notwendigkeit für eine mündliche Verhandlung oder ein Bedürfnis nach Zulassung der Revision. Die abweichende Entscheidung der Zivilkammer 65 des Landgerichts Berlin zum Geltungsumfang des § 3 Abs. 1 Satz 1 MietenWoG Bln in einem Fall, in dem das Erhöhungsverlangen dem Mieter vor dem 18. Juni 2019 zugegangen sei, den Mietvertrag aber erst nach diesem Datum habe ändern sollen (LG Berlin, Urteil vom 10. Juni 2020 – 65 S 55/20 -), beruhe auf einer abweichenden verfassungsrechtlichen Bewertung des Gesetzes zur Mietenbegrenzung im Wohnungswesen in Berlin. Die Frage der Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes könne im Revisionsverfahren aber nicht geklärt werden.
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c) Mit Beschluss des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 25. März 2021 – 2 BvF 1/20 u.a. -, BVerfGE 157, 223 – Berliner Mietendeckel, wurde das Gesetz zur Mietenbegrenzung im Wohnungswesen in Berlin für nichtig erklärt.
6
d) Im Verfahren zu 2. wies das Landgericht mit Beschluss vom 21. April 2021 eine Anhörungsrüge der Beschwerdeführerin zurück, mit der diese geltend gemacht hatte, dass das Landgericht in diesem Verfahren ihren Vortrag zur Verfassungswidrigkeit von § 3 Abs. 1 Satz 1 MietenWoG Bln teils nicht berücksichtigt habe.
7
3. Mit ihrer Verfassungsbeschwerde rügt die Beschwerdeführerin eine Verletzung ihres Grundrechts auf Gewährung effektiven Rechtsschutzes durch die Beschlüsse des Landgerichts, Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG, sowie ihrer Grundrechte aus Art. 3 Abs. 1 und Art. 14 Abs. 1 GG. Zudem rügt sie eine Verletzung ihres durch Art. 103 Abs. 1 GG gewährleisteten Rechts auf rechtliches Gehör durch den im Verfahren zu 2. ergangenen Beschluss über die Zurückweisung der Berufung.
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4. Der Senat von Berlin, die Beklagten der Ausgangsverfahren und der Bundesgerichtshof hatten Gelegenheit zur Stellungnahme. Der Bundesgerichtshof weist darauf hin, dass – solange die Frage der Verfassungsmäßigkeit des MietenWoG Bln nicht geklärt war – die Zulassung der Revision wohl nicht mit der in den Beschlüssen genannten Begründung hätte abgelehnt werden dürfen.
9
5. Die Akten des Ausgangsverfahrens haben dem Bundesverfassungsgericht vorgelegen.
II.
10
Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an, soweit die Verletzung des Grundrechts auf Gewährung effektiven Rechtsschutzes durch die Zurückweisung der Berufungen im Beschlusswege sowie die damit einhergehende Nichtzulassung der Revision gerügt wird, und gibt ihr insoweit statt. Die Voraussetzungen für eine stattgebende Entscheidung durch die Kammer liegen vor (§ 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG).
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1. Die angegriffenen Beschlüsse des Landgerichts über die Zurückweisung der Berufung nach § 522 Abs. 2 Satz 1 ZPO verletzen die Beschwerdeführerin in ihrem Grundrecht auf Gewährung effektiven Rechtsschutzes, Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG.
12
a) Das Gebot effektiven Rechtsschutzes, das für bürgerlich-rechtliche Streitigkeiten aus dem allgemeinen Justizgewährungsanspruch gemäß Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG abzuleiten ist (vgl. BVerfGE 54, 277 <291>; 85, 337 <345>; BVerfGK 17, 196 <199>; stRspr), beeinflusst die Auslegung und Anwendung der Bestimmungen, die für die Eröffnung eines Rechtswegs und die Beschreitung eines Instanzenzugs von Bedeutung sind. Hat der Gesetzgeber sich für die Eröffnung einer weiteren Instanz entschieden und sieht die betreffende Prozessordnung dementsprechend ein Rechtsmittel vor, darf der Zugang dazu nicht in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise erschwert werden (vgl. BVerfGE 69, 381 <385>; 74, 228 <234>; 77, 275 <284>). Diese Grund-sätze finden auch auf den einstimmigen Beschluss des Berufungsgerichts über die Zurückweisung der Berufung nach § 522 Abs. 2 Satz 1 ZPO Anwendung, da er gemäß § 522 Abs. 3 ZPO nicht anfechtbar ist und damit den Weg zur Revision versperrt (BVerfGK 17, 196 <199 f.> mit Verweis auf BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 4. November 2008 – 1 BvR 2587/06 -, Rn. 17; vgl. auch BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 17. Juni 2013 – 1 BvR 2246/11 -, Rn. 11; Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 4. August 2020 – 1 BvR 2656/17 -, Rn. 6).
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b) Das Landgericht hat § 522 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 und 3 ZPO in sachlich nicht zu rechtfertigender Weise angewendet und dadurch das Gebot effektiven Rechtsschutzes verletzt. Die Annahme des Landgerichts, die Sachen hätten keine grundsätzliche Bedeutung und erforderten zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung weder eine Entscheidung durch berufungsgerichtliches Urteil noch die Zulassung der Revision, ist aus Sachgründen nicht zu rechtfertigen.
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aa) Grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 522 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 ZPO kommt einer Sache zu, wenn sie eine klärungsbedürftige und klärungsfähige Rechtsfrage aufwirft, die sich in einer unbestimmten Vielzahl weiterer Fälle stellen kann und deshalb das abstrakte Interesse der Allgemeinheit an der einheitlichen Entwicklung und Handhabung des Rechts berührt. Die Klärungsfähigkeit einer Rechtsfrage setzt die Revisibilität des anzuwendenden Rechts nach § 545 Abs. 1 ZPO voraus. Klärungsbedürftig sind solche Rechtsfragen, deren Beantwortung zweifelhaft ist oder zu denen unterschiedliche Auffassungen vertreten werden und die noch nicht oder nicht hinreichend höchstrichterlich geklärt sind (BVerfGK 17, 196 <200> mit Verweis auf BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 4. November 2008 – 1 BvR 2587/06 -, Rn. 19).
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(1) Danach hatten die vorliegenden Sachen zur Zeit des Erlasses der landgerichtlichen Beschlüsse grundsätzliche Bedeutung, so dass der Zugang zur Revisionsinstanz hätte eröffnet werden müssen. Die Frage der Reichweite des § 3 Abs. 1 Satz 1 MietenWoG Bln in Bezug auf vor dem Stichtag dem Mieter zugegangene, aber erst für einen späteren Zeitpunkt erklärte Mieterhöhungsverlangen war für die Entscheidung des Landgerichts entscheidungserheblich und stellte auch eine klärungsbedürftige Rechtsfrage dar. Sie war höchstrichterlich nicht entschieden und bereits innerhalb der mit Mietsachen befassten Kammern desselben Landgerichts umstritten.
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Die von der Beschwerdeführerin angeführte Auffassung, dass § 3 Abs. 1 Satz 1 MietenWoG Bln einem vor dem Stichtag (18. Juni 2019) zugegangenen Erhöhungsverlangen auch dann nicht entgegenstehe, wenn das Verlangen erst nach dem Stichtag den bestehenden Mietvertrag ändern sollte, ist nicht vereinzelt geblieben, sondern wurde sowohl von dem Amtsgericht Pankow-Weißensee (Urteil vom 16. September 2020 – 2 C 371/19 -, Rn. 15) als auch von der Zivilkammer 65 des Landgerichts Berlin vertreten (vgl. Urteil vom 10. Juni 2020 – 65 S 55/20 -, Rn. 20).
17
Jedenfalls zur Zeit der Beschlussfassungen des Landgerichts konnte sich die Rechtsfrage im Hinblick auf weitere ähnliche Konstellationen aus dem erst kurz zurückliegenden Übergangszeitraum in einer Vielzahl weiterer Fälle stellen und daher ein Interesse der Allgemeinheit an der einheitlichen Entwicklung und Handhabung des Rechts nicht in vertretbarer Weise verneint werden. Da Landesrecht im Zivilprozess – anders als etwa im Verwaltungsgerichtsprozess, vgl. § 137 Abs. 1 VwGO – revisibel ist (vgl. § 545 Abs. 1, § 546 ZPO; siehe auch BTDrucks 16/9733, S. 301 f.; BGHZ 198, 14 <19 f. Rn. 20>), war die Rechtsfrage auch klärungsfähig.
18
Der Klärung dieser Frage stand zudem nicht die bereits für sich genommen das Gebot effektiven Rechtsschutzes verletzende Ansicht des Landgerichts entgegen, wonach die Frage der Verfassungswidrigkeit eines Gesetzes die Zulassung der Revision nicht begründen könne (vgl. dazu sogleich unter 2). Diese Ansicht zugrunde gelegt, wäre hier lediglich die einfachgesetzliche Reichweite der Norm zu klären und klärungsfähig gewesen, insbesondere vor dem Hintergrund des Willens des Gesetzgebers, Mieterhöhungen zwischen der Ankündigung und dem Inkrafttreten des Gesetzes zur Mietenbegrenzung im Wohnungswesen in Berlin zu verhindern (vgl. Abgeordnetenhaus Berlin Drucks 18/2347, S. 25). Die Rechtsfrage war nicht bereits geklärt, da zum Zeitpunkt des Erlasses der angegriffenen Beschlüsse höchstrichterlich nur entschieden war, dass § 3 Abs. 1 Satz 1 MietenWoG Bln Erhöhungsverlangen nicht entgegenstand, zu deren Zustimmung Mieter bereits vor dem 18. Juni 2019 verpflichtet waren (vgl. BGH, Urteil vom 29. April 2020 – VIII ZR 355/18 -, Rn. 70 ff.).
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(2) Unter diesen Umständen hat das Landgericht das Vorliegen der Voraussetzungen des § 522 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 ZPO in aus Sachgründen nicht zu rechtfertigender Weise angenommen. Das Landgericht hätte vielmehr durch Urteil unter Zulassung der Revision (§ 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO) entscheiden müssen.
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Soweit das Landgericht in beiden Verfahren der Ansicht gewesen ist, die Frage der Verfassungswidrigkeit des Gesetzes zur Mietenbegrenzung im Wohnungswesen in Berlin sei keine im Revisionsverfahren klärungsfähige Rechtsfrage, liegt darin schon für sich genommen eine verfassungsrechtlich unzulängliche Anwendung des einfachen Rechts. Anders als vom Landgericht vertreten, kann nicht allein der Umstand, dass dem Revisionsgericht insoweit keine Normverwerfungskompetenz zusteht, dazu führen, die Klärungsfähigkeit zu verneinen (vgl. BVerfGK 15, 156 <158>). Bereits aus diesem Grund hat das Landgericht den Zugang zur Revisionsinstanz unzumutbar erschwert.
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Das gilt auch insoweit, als es offenbar der Ansicht gewesen ist, die klärungsbedürftige Rechtsfrage beschränke sich vorliegend auf die Verfassungswidrigkeit des § 3 Abs. 1 Satz 1 MietenWoG Bln und erstrecke sich trotz der dazu vertretenen unterschiedlichen Ansichten nicht auch auf die Frage der einfachrechtlichen Reichweite der Vorschrift auf vor dem Stichtag zugegangene Mieterhöhungsverlangen. Soweit das Landgericht diese Ansicht damit begründet, dass der gesetzgeberische Wille zur Reichweite der streitentscheidenden Vorschrift aus seiner Sicht klar erkennbar sei, weshalb für eine verfassungskonforme Auslegung kein Raum verbleibe, ändert dies nichts an dem Umstand, dass insoweit zu einer für die Allgemeinheit bedeutsamen Rechtsfrage verschiedene Auffassungen vertreten wurden und eine höchstrichterliche Klärung noch ausstand.
22
bb) Zur Sicherung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung ist eine Entscheidung des Berufungs- beziehungsweise des Revisionsgerichts in den Fällen einer Divergenz zulässig und erforderlich, wenn die angefochtene Entscheidung von der Entscheidung eines höher- oder gleichrangigen Gerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht. Eine Abweichung in diesem Sinne liegt jedoch nur vor, wenn die angefochtene Entscheidung ein und dieselbe Rechtsfrage anders beantwortet als die Vergleichsentscheidung und dabei einen Rechtssatz aufstellt, der sich mit einem in der Vergleichsentscheidung aufgestellten und diese tragenden Rechtssatz nicht deckt (vgl. BGH, Beschluss vom 13. September 2011 – XI ZB 3/11 -, Rn. 13 mit Verweis auf BGHZ 152, 182 <186>; 154, 288 <292 f.>).
23
Vorliegend hatte das Landgericht Berlin (Zivilkammer 66) zu § 3 Abs. 1 Satz 1 MietenWoG Bln einen abweichenden abstrakten Rechtssatz aufgestellt, indem es – anders als die Zivilkammer 65 desselben Landgerichts (vgl. LG Berlin, Urteil vom 10. Juni 2020 – 65 S 55/20 -, Rn. 20) – auf Mieterhöhung gerichtete Vertragsänderungen, die erst nach dem 18. Juni 2019 Wirksamkeit erlangen konnten, als nach § 134 BGB nichtig ansah, obgleich die Mieterhöhungsverlangen den Mietern vor diesem Stichtag zugegangen waren. Seine Entscheidungen beruhten auch auf dieser Annahme. Ebenso wich das Landgericht entscheidungserheblich von einer anderen Entscheidung der Zivilkammer 65 ab (vgl. LG Berlin, Urteil vom 15. Juli 2020 – 65 S 76/20 -, Rn. 19 ff.), als es davon ausging, dass § 3 Abs. 1 Satz 1 MietenWoG Bln über § 134 BGB bereits der Vereinbarung einer Mieterhöhung entgegenstehe und nicht lediglich die Durchsetzbarkeit eines aus einer wirksamen Vereinbarung folgenden Zahlungsanspruchs betreffe. Obwohl das Landgericht die Divergenz zu diesen Entscheidungen erkannte, sah es keinen Grund für eine Entscheidung durch Urteil und die Zulassung der Revision, da sein eigenes Verständnis der streitentscheidenden Vorschrift zwingend sei. Dadurch wendete das Landgericht § 522 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 ZPO in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise an und versperrte sich in gleichem Maße den Zugang zur Prüfung der Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 ZPO. Diese Regelungen bezwecken gerade die Klärung umstrittener Rechtsfragen, weshalb es nicht zu rechtfertigen ist, ein Bedürfnis nach Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung abzulehnen, indem die eigene Ansicht als absolut gesetzt wird.
24
c) Der Annahme der Verfassungsbeschwerden zur Entscheidung steht nicht entgegen, dass die Nichtigerklärung des Gesetzes zur Mietenbegrenzung im Wohnungswesen in Berlin durch das Bundesverfassungsgericht die Klärungsbedürftigkeit der im fachgerichtlichen Verfahren streitentscheidenden Frage zur Reichweite des § 3 Abs. 1 Satz 1 MietenWoG Bln und das Bedürfnis nach Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zwischenzeitlich hat entfallen lassen. Es kann beim derzeitigen Verfahrensstand nicht ausgeschlossen werden, dass bei Aufhebung der angegriffenen Entscheidungen und Zurückverweisung der Sachen an das Berufungsgericht ein anderes, für die Beschwerdeführerin günstigeres Ergebnis in Betracht käme (vgl. auch BVerfGE 90, 22 <25 f.>; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 2. Juli 2018 – 2 BvR 1550/17 -, Rn. 32 m.w.N.; Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 21. Januar 2022 – 2 BvR 946/19 -, Rn. 36 ff. m.w.N.).
25
Zwar dürften die für die Zurückweisung der Berufung notwendigen Voraussetzungen des § 522 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 und 3 ZPO nunmehr vorliegen, weil die Nichtigerklärung des Gesetzes zur Mietenbegrenzung im Wohnungswesen in Berlin die Klärungsbedürftigkeit der im fachgerichtlichen Verfahren streitentscheidenden Frage zur Reichweite des § 3 Abs. 1 Satz 1 MietenWoG Bln und das Bedürfnis nach Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung entfallen ließ. Es erscheint aber nicht ausgeschlossen, dass die für die Zurückweisung der Berufung durch Beschluss notwendigen Voraussetzungen des § 522 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO nunmehr nicht mehr vorliegen und die Klagen erfolgreich sein könnten. Amts- und Landgericht hielten die Klagen der Beschwerdeführerin nur deshalb für teilweise unbegründet, weil ihnen insoweit der für nichtig erklärte § 3 Abs. 1 Satz 1 MietenWoG Bln entgegengestanden habe.
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2. Nachdem die Verfassungsbeschwerden im Hinblick auf Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG erfolgreich sind, bedarf es keiner Entscheidung, ob auch ein Verstoß gegen weitere von der Beschwerdeführerin als verletzt gerügte Grundrechte oder grundrechtsgleiche Rechte vorliegt.
III.
27
Die Beschlüsse des Landgerichts vom 3. März 2021 – 66 S 256/20 – und vom 7. April 2021 – 66 S 291/20 – werden aufgehoben; die Sachen werden an das Landgericht zurückverwiesen (§ 93c Abs. 2 i.V.m. § 95 Abs. 2, § 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG). Der Beschluss des Landgerichts Berlin vom 21. April 2021 – 66 S 291/20 – ist damit gegenstandslos.
IV.
28
Die Entscheidung über die Erstattung der notwendigen Auslagen der Beschwerdeführerin beruht auf § 34a Abs. 2 BVerfGG.