BAG 9. Senat, Urteil vom 05.07.2022, AZ 9 AZR 323/21, ECLI:DE:BAG:2022:050722.U.9AZR323.21.0
§ 1 Abs 1 AÜG, § 9 AÜG, § 10 Abs 1 S 1 AÜG, § 645 Abs 1 S 1 BGB
Verfahrensgang
vorgehend ArbG Darmstadt, 22. Oktober 2019, Az: 4 Ca 62/19, Teilurteil
vorgehend Hessisches Landesarbeitsgericht, 22. Dezember 2020, Az: 6 Sa 35/20, Urteil
Tenor
1. Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Hessischen Landesarbeitsgerichts vom 22. Dezember 2020 – 6 Sa 35/20 – aufgehoben.
2. Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung – auch über die Kosten der Revision – an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Tatbestand
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Die Parteien streiten – soweit für die Revision von Bedeutung – darüber, ob zwischen ihnen seit dem 1. Juli 2010 kraft Gesetzes ein Arbeitsverhältnis besteht.
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Der Kläger schloss mit der Rechtsvorgängerin der B GmbH mit Wirkung zum 1. Juli 2010 einen Arbeitsvertrag. Sie ist – wie ihre Rechtsvorgängerin – nicht im Besitz einer Erlaubnis zur Arbeitnehmerüberlassung.
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Der Kläger wurde seit dem 1. Juli 2010 ununterbrochen bis zum 30. April 2018 bei der Beklagten, einem Unternehmen der Automobilindustrie, in deren Betrieb in R eingesetzt. Dort war er innerhalb eines der Abteilung SPS zugeordneten Teams als Systemingenieur tätig. Den Teams gehören Mitarbeiter der Beklagten und Arbeitnehmer der B GmbH an. Der Kläger arbeitete ua. mit der Mitarbeiterin der Beklagten G in demselben Team. Die Kommunikation innerhalb der Abteilung SPS erfolgte größtenteils per E-Mails, die unmittelbar an alle dort eingesetzten Mitarbeiter gerichtet waren. Für die B GmbH nahm ein bei ihr angestellter Arbeitnehmer die Funktion eines sog. „Single Point of Contact“ gegenüber der Beklagten wahr.
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Der Kläger hat die Auffassung vertreten, zwischen den Parteien sei zum 1. Juli 2010 ein Arbeitsverhältnis zustande gekommen, weil er der Beklagten unerlaubt zur Arbeitsleistung überlassen worden sei. Er habe nach Arbeitsanweisungen der Beklagten mit den bei ihr angestellten Arbeitnehmern in demselben Team gearbeitet und sei in den Betrieb eingegliedert gewesen. Er hat behauptet, die Mitarbeiterin G habe ihn vertreten.
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Der Kläger hat – soweit für die Revision von Bedeutung – beantragt
- festzustellen, dass zwischen ihm und der Beklagten seit dem 1. Juli 2010 ein Arbeitsverhältnis besteht.
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Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat vorgetragen, der Kläger sei als Erfüllungsgehilfe der B GmbH im Rahmen eines Dienstleistungsvertrags tätig gewesen, der am 30. April 2018 geendet habe. Weisungen seien dem Kläger lediglich sach- und ergebnisbezogen erteilt worden. Soweit E-Mails an das Team gerichtet worden seien, habe jeder Adressat aufgrund klar definierter Verantwortlichkeiten erkennen können, ob und inwieweit er angesprochen sei.
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Das Arbeitsgericht hat dem Feststellungsantrag durch Teilurteil stattgegeben und den Rechtsstreit ausgesetzt, soweit die Parteien außerdem über Vergütung und Leistungen zur betrieblichen Altersversorgung streiten. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter.
Entscheidungsgründe
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Die Revision der Beklagten ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht.
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A. Die Feststellungsklage ist zulässig.
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I. Die Voraussetzungen des § 256 Abs. 1 ZPO sind erfüllt. Klage auf Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses kann erhoben werden, wenn der Kläger ein rechtliches Interesse daran hat, dass das Rechtsverhältnis durch richterliche Entscheidung alsbald festgestellt werde. Der danach erforderliche Gegenwartsbezug wird im vorliegenden Fall dadurch hergestellt, dass der Kläger mit der Feststellung, dass er zur Beklagten seit dem 1. Juli 2010 in einem Arbeitsverhältnis steht, die Erfüllung konkreter Vergütungsansprüche aus einem in der Vergangenheit liegenden Zeitraum und damit einen gegenwärtigen rechtlichen Vorteil erstrebt
(vgl. BAG 20. September 2016 – 9 AZR 735/15 – Rn. 23). Dies zeigt der auf Zahlung von Vergütung und Beiträgen zur betrieblichen Altersversorgung gerichtete Klageantrag, über den das Arbeitsgericht noch nicht entschieden hat.
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II. Der Feststellungsantrag genügt den Anforderungen von § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO. Die essentialia negotii des Arbeitsvertrags
(vgl. dazu BAG 27. April 2021 – 9 AZR 343/20 – Rn. 41 mwN) können dem Klageantrag unter Berücksichtigung der Klagebegründung, die – wie bei anderen auslegungsbedürftigen Klageanträgen – zur Ermittlung des Inhalts des erstrebten Arbeitsverhältnisses herangezogen werden kann
(vgl. BAG 18. September 2018 – 9 AZR 20/18 – Rn. 18), entnommen werden. Der Antrag bezeichnet die Arbeitsvertragsparteien und den Beschäftigungsbeginn. Die Art der Arbeitsleistung sowie deren zeitlicher Umfang ergeben sich aus der Klagebegründung. Danach bezieht sich der Klageantrag auf eine Tätigkeit als Systemingenieur mit einer sich aus den Tarifverträgen der Metall- und Elektroindustrie für das Land Hessen ergebenden wöchentlichen Arbeitszeit.
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B. Auf Grundlage der getroffenen Feststellungen kann der Senat nicht abschließend entscheiden, ob der Antrag begründet ist.
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I. Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, zwischen den Parteien gelte gemäß § 10 Abs. 1 Satz 1 AÜG mit dem Beginn des Einsatzes des Klägers im Betrieb der Beklagten am 1. Juli 2010 ein Arbeitsverhältnis als zustande gekommen. Der Arbeitsvertrag zwischen dem Kläger und der B GmbH sei unwirksam, weil der Kläger an die Beklagte ohne die erforderliche Erlaubnis zur Arbeitsleistung überlassen worden sei. Die vom Kläger vorgetragenen E-Mails indizierten das Vorliegen einer Arbeitnehmerüberlassung. Sie enthielten neben projektbezogenen Weisungen ganz klar arbeitsrechtliche Weisungen. Für die Eingliederung des Klägers in den Betrieb der Beklagten und deren arbeitsrechtliche Weisungsbefugnis spreche insbesondere, dass in den E-Mails generell nicht zwischen Arbeitnehmern der Beklagten und solchen von Fremdfirmen differenziert werde. Zudem habe der Kläger ausweislich der E-Mail vom 24. Juni 2016 die Mitarbeiterin der Beklagten G vertreten. Auch habe die Beklagte die – dem Arbeitgeber obliegende – Urlaubsplanung übernommen und den Urlaub unter Einbeziehung der Urlaubswünsche aller in der Abteilung SPS beschäftigten Arbeitnehmer zeitlich festgelegt. Dies bestätigten die E-Mail ihres Mitarbeiters M vom 21. Dezember 2011 sowie eine weitere im Parallelverfahren
(- 6 Sa 36/20 -) vorgelegte E-Mail. Die Beklagte habe dem nichts Substantielles entgegengesetzt. Sie habe insbesondere die mit der B GmbH geschlossenen Dienstleistungsverträge nicht vorgelegt.
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II. Mit der gegebenen Begründung durfte das Landesarbeitsgericht dem Feststellungsantrag nicht stattgeben.
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1. Dies folgt nicht bereits daraus, dass das Landesarbeitsgericht bei der Feststellung, zwischen den Parteien bestehe gemäß § 10 Abs. 1 Satz 1 AÜG seit dem 1. Juli 2010 ein Arbeitsverhältnis, auf das AÜG in der Fassung vom 21. Februar 2017
(Gesetz zur Änderung des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes und anderer Gesetze vom 21. Februar 2017; BGBl. I S. 258; im Folgenden AÜG 2017) abgestellt hat, obwohl die Neufassung des AÜG erst am 1. April 2017 in Kraft getreten ist. Das Landesarbeitsgericht hätte bei seiner Entscheidung zwar prüfen müssen, ob die Voraussetzungen von § 10 Abs. 1 Satz 1 AÜG nach Maßgabe der am 1. Juli 2010 geltenden Fassung (aF) des AÜG erfüllt waren. Der Rechtsfehler führt aber – für sich betrachtet – nicht schon zur Aufhebung des Berufungsurteils. Die in § 10 Abs. 1 Satz 1 AÜG angeordnete Rechtsfolge der Begründung eines Arbeitsverhältnisses zwischen Leiharbeitnehmer und Entleiher kraft Gesetzes tritt – unabhängig davon, ob man die am 1. Juli 2010 geltende oder später in Kraft getretene Fassung des AÜG zugrunde legt – nur dann ein, wenn ein Arbeitnehmer durch seinen Vertragsarbeitgeber (Verleiher) einem Dritten (Entleiher) zur Arbeitsleistung überlassen wird, ohne dass der Verleiher über die erforderliche Verleiherlaubnis verfügt.
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2. Das Landesarbeitsgericht ist von den rechtlichen Grundsätzen ausgegangen, anhand deren der Senat die Arbeitnehmerüberlassung von der Tätigkeit eines Arbeitnehmers bei einem Dritten aufgrund eines Werk- oder Dienstvertrags abgrenzt.
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a) Eine Überlassung zur Arbeitsleistung iSd. § 1 Abs. 1 AÜG liegt vor, wenn einem Entleiher Arbeitskräfte zur Verfügung gestellt werden, die in dessen Betrieb eingegliedert sind und ihre Arbeit nach Weisungen des Entleihers und in dessen Interesse ausführen
(st. Rspr. vgl. nur BAG 20. September 2016 – 9 AZR 735/15 – Rn. 29; vgl. den Gesetzentwurf der Bundesregierung vom 20. Juli 2016 (BT-Drs. 18/9232 S. 19) zu der sich daran orientierenden Legaldefinition in § 1 Abs. 1 Satz 2 AÜG 2017). Arbeitnehmerüberlassung iSd. AÜG ist durch eine spezifische Ausgestaltung der Vertragsbeziehungen zwischen Verleiher und Entleiher einerseits (dem Arbeitnehmerüberlassungsvertrag) und zwischen Verleiher und Arbeitnehmer andererseits (dem Leiharbeitsvertrag) sowie durch das Fehlen einer arbeitsvertraglichen Beziehung zwischen Arbeitnehmer und Entleiher gekennzeichnet. Notwendiger Inhalt eines Arbeitnehmerüberlassungsvertrags ist die Verpflichtung des Verleihers gegenüber dem Entleiher, diesem zur Förderung von dessen Betriebszwecken Arbeitnehmer zur Verfügung zu stellen. Die Vertragspflicht des Verleihers gegenüber dem Entleiher endet, wenn er den Arbeitnehmer ausgewählt und ihn dem Entleiher zur Verfügung gestellt hat
(BAG 27. Juni 2017 – 9 AZR 133/16 – Rn. 26; 20. September 2016 – 9 AZR 735/15 – Rn. 29).
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b) Von Arbeitnehmerüberlassung zu unterscheiden ist die Tätigkeit eines Arbeitnehmers bei einem Dritten aufgrund eines Werk- oder Dienstvertrags. In diesen Fällen wird der Unternehmer für einen anderen tätig. Er organisiert die zur Erreichung eines wirtschaftlichen Erfolgs notwendigen Handlungen nach eigenen betrieblichen Voraussetzungen und bleibt für die Erfüllung der in dem Vertrag vorgesehenen Dienste oder für die Herstellung des geschuldeten Werks gegenüber dem Drittunternehmen verantwortlich. Die zur Ausführung des Dienst- oder Werkvertrags eingesetzten Arbeitnehmer unterliegen den Weisungen des Unternehmers und sind dessen Erfüllungsgehilfen. Solche Dienst- oder Werkverträge werden vom AÜG nicht erfasst
(BAG 21. März 2017 – 7 AZR 207/15 – Rn. 71, BAGE 158, 266; 27. Juni 2017 – 9 AZR 133/16 – Rn. 26; 20. September 2016 – 9 AZR 735/15 – Rn. 30; 18. Januar 2012 – 7 AZR 723/10 – Rn. 27).
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c) Der Werkbesteller kann, wie sich aus § 645 Abs. 1 Satz 1 BGB ergibt, dem Werkunternehmer selbst oder dessen Erfüllungsgehilfen Anweisungen für die Ausführung des Werks erteilen. Entsprechendes gilt für Dienstverträge. Die arbeitsrechtliche Weisungsbefugnis ist von der projektbezogenen werkvertraglichen Anweisung iSd. § 645 Abs. 1 Satz 1 BGB zu unterscheiden. Die werkvertragliche Anweisung ist sachbezogen und ergebnisorientiert. Sie ist gegenständlich auf die zu erbringende Werkleistung begrenzt. Das arbeitsrechtliche Weisungsrecht ist demgegenüber personenbezogen, ablauf- und verfahrensorientiert. Es beinhaltet Anleitungen zur Vorgehensweise und weiterhin die Motivation des Mitarbeiters, die nicht Inhalt des werkvertraglichen Anweisungsrechts sind
(BAG 27. Juni 2017 – 9 AZR 133/16 – Rn. 28; allg. zum arbeitsvertraglichen Weisungsrecht vgl. BAG 1. Dezember 2020 – 9 AZR 102/20 – Rn. 35 ff., BAGE 173, 111).
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d) Der Inhalt der Rechtsbeziehung zwischen dem Vertragsarbeitgeber und dem Dritten ist sowohl auf Grundlage der ausdrücklichen Vereinbarungen der Vertragsparteien als auch unter Berücksichtigung der praktischen Durchführung des Vertrags zu bestimmen
(BAG 20. September 2016 – 9 AZR 735/15 – Rn. 32). Widersprechen sich beide, ist die tatsächliche Durchführung des Vertrags maßgeblich, weil sich aus der praktischen Handhabung der Vertragsbeziehungen am ehesten Rückschlüsse darauf ziehen lassen, von welchen Rechten und Pflichten die Vertragsparteien ausgegangen sind, was sie also wirklich gewollt haben
(vgl. BAG 21. März 2017 – 7 AZR 207/15 – Rn. 72, BAGE 158, 266 und nunmehr § 12 Abs. 1 Satz 2 AÜG 2017). Der so ermittelte wirkliche Wille der Vertragsparteien bestimmt den Geschäftsinhalt und damit den Vertragstyp
(BAG 13. August 2008 – 7 AZR 269/07 – Rn. 15 mwN). Einzelne Vorgänge der Vertragsabwicklung sind zur Feststellung eines vom Vertragswortlaut abweichenden Geschäftsinhalts nur geeignet, wenn es sich dabei nicht um untypische Einzelfälle, sondern um beispielhafte Erscheinungsformen einer durchgehend geübten Vertragspraxis handelt. Dafür ist nicht die Häufigkeit, sondern sind Gewicht und Bedeutung der behaupteten Vertragsabweichung entscheidend
(st. Rspr., vgl. nur BAG 27. Juni 2017 – 9 AZR 133/16 – Rn. 29; 21. März 2017 – 7 AZR 207/15 – aaO).
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e) Der Arbeitnehmer hat die Tatsachen darzulegen und zu beweisen, aus denen sich ergeben soll, dass gemäß § 10 Abs. 1 Satz 1 AÜG aF ein Arbeitsverhältnis mit dem Entleiher als zustande gekommen gilt
(vgl. BAG 10. Oktober 2007 – 7 AZR 448/06 – Rn. 19). Die Grundsätze der sekundären Darlegungslast können jedoch eine Abstufung der Darlegungs- und Beweislast verlangen. Kann eine darlegungspflichtige Partei die erforderlichen Tatsachen nicht vortragen, weil sie außerhalb des für ihren Anspruch erheblichen Geschehensablaufs steht, genügt das einfache Bestreiten durch den Gegner nicht, wenn dieser die wesentlichen Umstände kennt und ihm nähere Angaben zuzumuten sind. Hier kann von ihm das substantiierte Bestreiten der behaupteten Tatsache unter Darlegung der für das Gegenteil sprechenden Tatsachen und Umstände verlangt werden. Die Erleichterungen der sekundären Darlegungslast greifen aber nur ein, wenn die darlegungspflichtige Partei alle ihr zur Verfügung stehenden Möglichkeiten ausgeschöpft hat und sie dennoch ihrer primären Darlegungslast nicht nachkommen kann
(vgl. BAG 3. Dezember 2019 – 9 AZR 78/19 – Rn. 17 mwN, BAGE 169, 26).
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f) Die Prüfung, ob ein Beschäftigter in einen bestimmten Betrieb eingegliedert ist und den Weisungen des Betriebsinhabers unterliegt, ist in erster Linie Sache der Tatsacheninstanzen. Dem Berufungsgericht kommt dabei ein gewisser Beurteilungsspielraum zu, der die revisionsrechtliche Überprüfung einschränkt. Dessen Würdigung ist in der Revisionsinstanz nur daraufhin überprüfbar, ob es den Rechtsbegriff selbst verkannt, gegen Denkgesetze, anerkannte Auslegungs- oder Erfahrungssätze verstoßen oder wesentliche Umstände außer Acht gelassen hat
(vgl. zur Eingliederung BAG 24. Mai 2018 – 2 AZR 54/18 – Rn. 17; 13. Dezember 2016 – 1 ABR 59/14 – Rn. 26; zur Abgrenzung von Werk-/Arbeitsvertrag BAG 21. März 2017 – 7 AZR 207/15 – Rn. 72 f., BAGE 158, 266; zum Arbeitnehmerstatus vgl. BAG 30. November 2021 – 9 AZR 145/21 – Rn. 41; 1. Dezember 2020 – 9 AZR 102/20 – Rn. 40, BAGE 173, 111), oder ob die Revision zulässige und begründete Verfahrensrügen erhoben hat
(§ 551 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b, § 557 Abs. 3 Satz 2 ZPO; BAG 26. Oktober 2016 – 7 AZR 535/14 – Rn. 26).
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3. Unter Zugrundelegung dieses Maßstabs hält das angefochtene Urteil einer revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand. Die Ausführungen des Landesarbeitsgerichts rechtfertigen nicht den Schluss, der Kläger habe ausgehend von einer abgestuften Darlegungs- und Beweislast mit von ihm vorgelegten bzw. in Schriftsätze eingescannten E-Mails ausreichend Indizien für das Vorliegen einer Arbeitnehmerüberlassung vorgetragen.
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a) Das Landesarbeitsgericht hat es versäumt, die Umstände, die es im Rahmen der erforderlichen Gesamtbetrachtung gewürdigt hat, in nachvollziehbarer Weise festzustellen und zu gewichten.
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aa) Sprechen einige Kriterien für die Annahme, der Kläger sei als Erfüllungsgehilfe der B GmbH im Rahmen eines Dienstleistungsvertrags tätig geworden und andere für das Vorliegen einer Arbeitnehmerüberlassung, hat das Tatsachengericht eine umfassende Abwägung aller in die Entscheidung einzustellenden Gesichtspunkte vorzunehmen. Dabei hat es die seiner Entscheidung zugrunde liegenden Aspekte zu benennen, diese zu gewichten und schließlich im Wege der Abwägung nachvollziehbar zu erläutern, aus welchen Gründen es in der Gesamtbetrachtung zu dem von ihm gefundenen Ergebnis gelangt
(zur Feststellung des Arbeitnehmerstatus vgl. BAG 30. November 2021 – 9 AZR 145/21 – Rn. 50; 1. Dezember 2020 – 9 AZR 102/20 – Rn. 38, BAGE 173, 111).
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bb) Das Landesarbeitsgericht hat einerseits angenommen, die E-Mails enthielten „ganz klar“ arbeitsrechtliche Weisungen und andererseits festgestellt, die E-Mails beinhalteten Weisungen, die als projektbezogen zu werten seien. Welches Gewicht das Landesarbeitsgericht den abwägungsrelevanten Gesichtspunkten beigemessen hat, lässt sich in der gebotenen Klarheit der Begründung ebenso wenig entnehmen wie die Gründe, die für ein Überwiegen der Indizien sprechen, aus denen auf eine Arbeitnehmerüberlassung geschlossen werden soll. Die pauschale Bezugnahme im Berufungsurteil auf die mit der Klageschrift und dem Schriftsatz vom 7. März 2018 (richtig 7. März 2019) vorgelegten E-Mails sowie „auf das Parteivorbringen“ und „auf den übrigen Akteninhalt“, ist nicht geeignet, diese in der Tatsacheninstanz vorzunehmende Bewertung zu ersetzen. Die getroffenen Feststellungen ermöglichen es dem Senat auch nicht zu bewerten, ob es sich um einzelne Vorgänge der Vertragsabwicklung oder um beispielhafte Erscheinungsformen einer durchgehend geübten Vertragspraxis handelt, die für eine Arbeitnehmerüberlassung sprechen
(vgl. BAG 27. Juni 2017 – 9 AZR 133/16 – Rn. 29). Das Landesarbeitsgericht hat bei seiner Entscheidung lediglich auf die E-Mails vom 24. Juni 2016, vom 21. Dezember 2011 und vom 20. März 2012, sowie auf die im Parallelverfahren – 6 Sa 36/20 – vorgelegte E-Mail vom 23. Februar 2012 abgestellt. Im Übrigen hat es sich darauf beschränkt festzustellen, die vom Kläger vorgelegten bzw. in Schriftsätze eingescannten E-Mails seien nach ihrem Inhalt, Ausstellungsdatum und Verteilerkreis konkret.
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b) Zudem hat das Landesarbeitsgericht den Vortrag der Parteien nicht vollständig gewürdigt.
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aa) Das Landesarbeitsgericht ist aufgrund der vom Kläger vorgelegten E-Mails davon ausgegangen, die Beklagte habe geprüft, ob Urlaubswünsche bei ihr angestellter Arbeitnehmer dem Urlaubswunsch des Klägers entgegenstünden. Darin liege ein Beleg für die Eingliederung des Klägers. Es hat dabei den Vortrag der Beklagten nicht berücksichtigt, Fremdfirmenmitarbeiter hätten ihren Urlaub bei ihren Vertragsarbeitgebern beantragen und von diesen genehmigen lassen müssen. Danach hätte es zunächst dem Kläger als primär darlegungspflichtiger Partei oblegen darzulegen, dass der Urlaub nicht durch die B GmbH, sondern durch die Beklagte bewilligt wurde. Dazu wäre er aus eigener Wahrnehmung ohne weiteres in der Lage gewesen.
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bb) Auch übersieht das Landesarbeitsgericht, dass es dem Kläger oblegen hätte, weiter vorzutragen, nachdem die Beklagte bereits erstinstanzlich den Vortrag des Klägers bestritten hat, die in der E-Mail vom 24. Juni 2016 genannte Arbeitnehmerin der Beklagten G sei von ihm vertreten worden.
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c) Da die aufgezeigten Rechtsfehler entscheidungserheblich sind, bedarf es keiner Entscheidung, ob das Landesarbeitsgericht darüber hinaus gegen den zivilprozessualen Beibringungsgrundsatz verstoßen und den Anspruch der Beklagten auf rechtliches Gehör
(Art. 103 Abs. 1 GG) verletzt hat.
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C. Auf der Grundlage der Feststellungen des Landesarbeitsgerichts kann der Senat nicht abschließend entscheiden, ob zwischen den Parteien seit dem 1. Juli 2010 ein Arbeitsverhältnis besteht. Es wird im fortgesetzten Berufungsverfahren die für die Entscheidung erforderlichen Tatsachen ergänzend festzustellen, zu gewichten und nachvollziehbar abzuwägen haben.
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I. Dabei ist zu berücksichtigen, dass für die Beklagte erst dann Anlass besteht, zum Inhalt ihrer vertraglichen Vereinbarungen mit der B GmbH weiter vorzutragen, wenn der Kläger Indizien dargelegt hat, die die Würdigung rechtfertigen, er sei der Beklagten zur Arbeitsleistung überlassen worden, und er seiner primären Darlegungslast – trotz Ausschöpfung bestehender Erkenntnismöglichkeiten – nicht (weiter) nachkommen kann, weil ihm der Inhalt der vertraglichen Vereinbarungen nicht bekannt ist. Nur dann ist es Sache der Beklagten, den Inhalt der vertraglichen Vereinbarungen konkret darzulegen und die Tatsachen vorzutragen, die gegen eine Arbeitnehmerüberlassung sprechen. Erforderlichenfalls ist den Parteien Gelegenheit zu weiterem Vortrag und Beweisantritt zu geben.
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II. Das Landesarbeitsgericht wird zudem zu beachten haben, dass es die im Parallelverfahren – 6 Sa 36/20 – vorgelegte E-Mail von Herrn Go vom 23. Februar 2012 im Rahmen seiner Gesamtwürdigung nicht als Beleg für die Eingliederung des Klägers in den Betrieb der Beklagten bzw. ihrer Rechtsvorgängerin heranziehen darf, ohne dass sie auch in den vorliegenden Rechtsstreit eingeführt worden ist. Das Gericht darf seine Entscheidung nur auf der Grundlage des von den Parteien in den Prozess eingebrachten Tatsachenvortrag treffen. Selbst offenkundige Tatsachen sind nicht zu berücksichtigen, wenn sie von den Parteien nicht aufgegriffen und im Verfahren vorgetragen worden sind
(vgl. Helml/Pessinger/Helml 5. Aufl. ArbGG § 46 Rn. 17).
- Kiel
- Bubach
- Suckow
- U. Leitner
- Stietzel