Beschluss des BPatG München 35. Senat vom 22.06.2022, AZ 35 W (pat) 401/21

BPatG München 35. Senat, Beschluss vom 22.06.2022, AZ 35 W (pat) 401/21, ECLI:DE:BPatG:2022:220622B35Wpat401.21.0

Tenor

In der Beschwerdesache

betreffend das Gebrauchsmuster 20 2009 019 160

hat der 35. Senat (Gebrauchsmuster-Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts auf die mündliche Verhandlung vom 22. Juni 2022 unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters Metternich sowie der Richter Dr.-Ing. Schwenke und Dr. Deibele

beschlossen:

1. Die Beschwerde der Antragsgegnerin wird zurückgewiesen, soweit die Gebrauchsmusterabteilung des DPMA im angefochtenen Beschluss v. 6. Oktober 2020 die Unwirksamkeit des Streitgebrauchsmusters 20 2009 019 160 in dem Umfang festgestellt hat, in welchem es über die Schutzansprüche 1-18 nach Neuem Hilfsantrag 1 v. 22. Juni 2022 hinausgegangen ist.

2. Im Übrigen wird der Beschluss der Gebrauchsmusterabteilung des DPMA v. 6. Oktober 2020 aufgehoben. Die Sache wird insoweit zur weiteren Prüfung und Entscheidung an das Deutsche Patent- und Markenamt zurückverwiesen.

3. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens werden gegeneinander aufgehoben.

Gründe

I.

1

Die Beteiligten streiten über die Wirksamkeit des Gebrauchsmusters 20 2009 019 160 (i. F.: Streitgebrauchsmuster).

2

Das am 31. März 2017 beantragte Streitgebrauchsmuster ist aus der Europäischen Anmeldung EP 09 74 5788 mit dem Anmeldetag 14. Mai 2009 abgezweigt worden (i. F.: Stammanmeldung) und beansprucht, abgeleitet aus der Stammanmeldung, die schwedische Priorität 16. Mai 2008, SE-0801136-3. Es ist am 2. Mai 2017 mit den Schutzansprüchen 1 – 18 und der Bezeichnung „Durch Zweikomponenten-Spritzgießen hergestellte äußere Schale eines Spenders“ eingetragen worden. Es ist nach Ablauf der Schutzdauer erloschen, aber auch Gegenstand eines am LG anhängigen Verletzungsprozesses, der mit Blick auf das vorliegende Verfahren derzeit ausgesetzt ist.

3

Die Stammanmeldung hat zur Erteilung eines europäischen Patents geführt. Die dagegen erhobene Nichtigkeitsklage ist, nachdem sie in der ersten Instanz erfolgreich war, in der Berufungsinstanz vom BGH abgewiesen worden.

4

Die dem Streitgebrauchsmuster zugrundeliegende Erfindung betrifft Spender, umfassend eine äußere Schale (bezeichnet als „Spenderteil“), die mindestens zwei Komponenten umfasst, welche aus einer Reihe von Kunststoffmaterialien ausgewählt sind und entlang einer Naht verbunden sind, die sich von einer ersten Seitenkante zu einer zweiten Seitenkante des Spenderteils erstreckt (vgl. Abs. 0001 der Gebrauchsmusterschrift, i. F.: GS.). Gemäß der Beschreibung wird bei der Herstellung von herkömmlichen Spenderteilen die erste Komponente in der Regel in einer ersten Form spritzgegossen und in eine zweite Form überführt, um dorthin von einer anschließend eingespritzten Komponente gefolgt zu werden. Dabei könnten Probleme mit einem Verzug mindestens der ersten Komponente sowie der Naht auftreten und es könne der Naht an ausreichender Festigkeit fehlen (vgl. Abs. 0002, 0003 GS.). Die Aufgabe der Erfindung sei daher die Bereitstellung eines verbesserten Spenderteils und eines Verfahrens zu seiner Herstellung, um die obigen Probleme hinsichtlich des Verzugs des Spenderteils und der Festigkeit der Naht zu lösen (Abs. 0004 GS.).

5

Der von der Antragstellerin mit Schriftsatz v. 4. September 2018 eingereichte ursprüngliche Löschungsantrag war gegen das Streitgebrauchsmuster in vollem gerichtet. Als Löschungsgründe hat die Antragstellerin fehlende Schutzfähigkeit und unzulässige Erweiterung geltend gemacht. Bezüglich der fehlenden Schutzfähigkeit beanstandet die Antragstellerin fehlende Neuheit und fehlenden erfinderischen Schritt sowie auch fehlende Ausführbarkeit. Zum Stand der Technik hat die Antragstellerin diverse Entgegenhaltungen, sowohl Druckschriften, als auch Fachveröffentlichungen in das erstinstanzliche Verfahren eingeführt. Zudem sei, ausgehend von der aus Sicht der Antragstellerin gebotenen Auslegung des Streitgebrauchsmusters, der Gegenstand des Schutzanspruchs 1 und weiterer Schutzansprüche nicht ursprungsoffenbart.

6

Der Löschungsantrag ist der Antragsgegnerin am 19. September 2018 zugestellt worden. Sie hat dem Antrag mit Schriftsatz v. 17. Oktober 2018, eingegangen am selben Tag, widersprochen und den Widerspruch mit Schriftsatz v. 21. Dezember 2018 begründet. Ausgehend von ihrem Verständnis der Ursprungsoffenbarung und einer daraus resultierenden Auslegung des Streitgebrauchsmusters sei der Gegenstand des Streitgebrauchsmusters ursprungsoffenbart und ausführbar. Er sei auch neu und vom Stand der Technik nicht nahegelegt.

7

Nach weiteren gewechselten Schriftsätzen und einem Hinweis der Gebrauchsmusterabteilung v. 3. Juni 2019 wegen des zwischenzeitlichen Erlöschens des Streitgebrauchsmusters hat die Antragstellerin mit Schriftsatz v. 25. Juni 2019 ihren Antrag von Löschung auf Feststellung der Unwirksamkeit des Streitgebrauchsmusters in vollem Umfang umgestellt, wobei sie zum erforderlichen Feststellungsinteresse auf den parallelen Verletzungsrechtsstreit vor dem LG verweist.

8

Nach weiteren gewechselten Schriftsätzen hat die Gebrauchsmusterabteilung den Beteiligten mit Zwischenbescheid v. 4. Mai 2020 als vorläufige Auffassung mitgeteilt, dass der Feststellungsantrag voraussichtlich Erfolg haben werde, da ein Merkmal des Schutzanspruchs 1 so, wie in der eingetragenen Fassung beansprucht, nicht ursprungsoffenbart gewesen sei und der Gegenstand des Streitgebrauchsmusters nicht ausführbar sei.

9

Die Beteiligten haben ihre gegensätzlichen Auffassungen mit weiteren Schriftsätzen weiter vertieft, bevor am 6. Oktober 2020 die mündliche Verhandlung vor der Gebrauchsmusterabteilung stattfand. Die Antragsgegnerin hat in der mündlichen Verhandlung geänderte Anspruchsfassungen als Hilfsanträge 1 – 4 eingereicht. Die Antragstellerin hat die Feststellung der Unwirksamkeit des Streitgebrauchsmusters in vollem Umfang beantragt. Die Antragsgegnerin hat als Hauptantrag das Streitgebrauchsmuster in der eingetragenen Fassung und hilfsweise im Umfang der vorgenannten Hilfsanträge 1 – 4 verteidigt.

10

Mit in der mündlichen Verhandlung v. 6. Oktober 2020 verkündetem Beschluss hat die Gebrauchsmusterabteilung festgestellt, dass das Streitgebrauchsmuster von Anfang an unwirksam gewesen sei, und die Kosten des Feststellungsverfahrens der Antragsgegnerin auferlegt.

11

Die Gebrauchsmusterabteilung hat diesen Beschluss im Wesentlichen wie folgt begründet:

12

Der Feststellungsantrag sei wegen des parallelen Verletzungsprozesses zulässig.

13

Der Gegenstand des Schutzanspruchs 1 nach Hauptantrag (eingetragene Fassung) sei nicht schutzfähig. Das dort beschriebene Teilmerkmal „
freie Kanten“ sei nicht ursprungsoffenbart und bei der Schutzfähigkeitsprüfung nicht zu berücksichtigen. Davon ausgehend sei die Entgegenhaltung D1 (WO 98/ 02 361 A1) neuheitsschädlich. Die Fassungen des Schutzanspruchs 1 nach den Hilfsanträgen 1 – 3 wiesen denselben Offenbarungsmangel auf, wobei ihr Gegenstand ebenfalls nicht neu sei bzw. nicht auf einem erfinderischen Schritt beruhe. Der Gegenstand des Schutzanspruchs 1 nach Hilfsantrag 4 sei unzulässig erweitert.

14

Der Beschluss ist der Antragstellerin am 10. November 2020 und der Antragsgegnerin am 13. November 2020 zugestellt worden.

15

Gegen diesen Beschluss richtet sich die Beschwerde der Antragsgegnerin vom 30. November 2020, eingegangen am selben Tag, die sie mit Schriftsatz v. 20. Juni 2021, eingegangen am 20. Juli 2021, begründet hat. Sie verteidigt das Streitgebrauchsmuster an erster Stelle weiterhin in der eingetragenen Fassung und hilfsweise im Umfang der mit der Beschwerdebegründung eingereichten, auf den 20. Juli 2021 datierten Hilfsanträge 1 – 3. Aus ihrer Sicht ist das Teilmerkmal „freie Kanten“ ursprungsoffenbart, so dass die Anspruchsfassungen nach Hauptantrag und Hilfsanträgen zulässig seien. Ihr Gegenstand sei vom Stand der Technik zudem weder neuheitsschädlich vorweggenommen, noch nahegelegt.

16

Zu dem von der Antragstellerin als weiterer Stand der Technik in der Beschwerdeinstanz eingeführte „Hygenius-Spender“, zu welchem die Antragstellerin einen als GKS21/21a bezeichneten Katalog vorgelegt hat, beanstandet die Antragsgegnerin, dass die Vorveröffentlichung des Katalogs GKS 21 und eine relevante, insbesondere im Inland stattgefundene Vorbenutzung dieses Spenders nicht festgestellt werden könne. Insbesondere sei bei dem Katalog GKS21 eher von einem internen, nicht der Öffentlichkeit zugänglichen Dokument auszugehen, wobei die Antragstellerin die öffentliche Zugänglichkeit nachzuweisen habe. Der „Hygenius-Spender“ bzw. die Entgegenhaltung GKS21/21a legten auch in Kombination mit dem weiteren Stand der Technik, insbes. mit der D2, den Gegenstand des Streitgebrauchsmusters nicht nahe. Auch das Design gemäß der weiteren, im Beschwerdeverfahren als Stand der Technik von der Antragstellerin eingeführten GKS 27 stelle die Schutzfähigkeit des Gegenstands des Streitgebrauchsmusters gemäß Hauptantrag und Hilfsanträgen nicht in Frage. Unzulässige Erweiterung liege nicht vor, auch nicht in Bezug auf Schutzanspruch 11, dessen Zulässigkeit der Senat in einem vorbereitenden Hinweis vom 11. Mai 2022 in Zweifel gezogen hatte.

17

Zur Stellungnahme auf die weiteren, von der Antragstellerin mit Schriftsatz v. 15. Juni 2022 eingeführten Entgegenhaltungen hat die Antragsgegnerin die Einräumung einer Schriftsatzfrist beantragt. Ferner hat sie in der mündlichen Verhandlung v. 22. Juni 2022 eine nochmals geänderte Anspruchsfassung als Neuen Hilfsantrag 1 eingereicht, die sie als ebenfalls zulässig und deren Gegenstand sie ebenfalls als schutzfähig erachtet.

18

Die Antragsgegnerin stellt den Antrag,

19

den Beschluss der Gebrauchsmusterabteilung des DPMA v. 6. Oktober 2020 aufzuheben und den gegen das Streitgebrauchsmuster 20 2009 019 160 gerichteten Feststellungsantrag zurückzuweisen,

20

hilfsweise in der folgenden Reihenfolge: Neuer Hilfsantrag 1 v. 22. Juni 2022, Hilfsanträge 1, 2, 3 v. 20. Juni 2021, den Feststellungsantrag im Umfang der Schutzansprüche nach einem dieser Hilfsanträge zurückzuweisen.

21

Die Antragstellerin stellt den Antrag,

22

die Beschwerde der Antragsgegnerin zurückzuweisen.

23

Die Antragstellerin beanstandet weiterhin unzulässige Erweiterung bezüglich der eingetragenen Schutzansprüche und der Anspruchsfassungen nach den Hilfsanträgen. Der Gegenstand des eingetragenen Schutzanspruchs 1 sei zudem nicht neu gegenüber dem Stand der Technik, insbes. der D1 (WO 98/ 02 361 A1). Der Gegenstand des Hilfsantrags 1 sei ebenfalls nicht neu, und zwar gegenüber der D3 (WO 99/18 835 A1). Jedenfalls fehle es in Zusammenschau der D2 (WO 2006/ 054 965 A2) mit der D3 an einem erfinderischen Schritt. Auch die Gegenstände der Hilfsanträge 2 und 3 seien vom Stand der Technik nahegelegt.

24

Ferner stelle der mit Schriftsatz der Antragstellerin v. 25. Februar 2022 in das Verfahren eingeführte „Hygenius-Spender“ bzw. der dazu vorgelegte Katalog GKS21/21a einen relevanten Stand der Technik dar, dessen öffentliche Zugänglichkeit die Antragstellerin auch hinreichend substantiiert dargelegt habe. Der Gegenstand des Streitgebrauchsmusters sei insbesondere in einer Zusammenschau der D2 mit dem Produkt „Hygenius“ nahegelegt. Ferner lege das US-Design 390 396, in das Beschwerdeverfahren eingeführt als GKS 27, in Kombination mit der D2 den Gegenstand des Streitgebrauchsmusters ebenfalls nahe.

25

Ferner hat die Antragstellerin mit Schriftsatz v. 15. Juni 2022 weitere neue Entgegenhaltungen ins Verfahren eingeführt, und zwar zum einen das Spendergehäuse „BestPaper“ des Herstellers CWS, das lt. einer als GKS28 vorgelegten Preisliste aus den Jahren 2006 und 2007 von der Fa. A… in Italien vertrieben worden sei; da die Antragstellerin drei gebrauchte Exemplare eines „BestPaper“-Gehäuses über e-bay-kleinanzeigen.de von einer Privatperson in Deutschland erworben habe, sei dieses auch in Deutschland der Öffentlichkeit zugänglich gewesen. Dieses Spendergehäuse habe alle Merkmale des Streitgebrauchsmusters vorweggenommen. Zum anderen beruft sich die Antragstellerin auf das Spendergehäuse „BestDry“ des Herstellers CWS, auf welches sich eine Produktbeschreibung aus dem Jahr 2005 beziehe und welches die Eigenschaften von „BestPaper“ aufweise und daher ebenfalls der Schutzfähigkeit des Streitgebrauchsmusters entgegenstehe. Dass das „BestDry“-Spendergehäuse auch in Deutschland vertrieben worden sei, folge daraus, dass die Fa. CWS in Deutschland einen Vertriebspartner bzw. ein Tochterunternehmen habe. Des Weiteren hält die Antragstellerin auch das Spendergehäuse „BestPaperRoll“ des Herstellers CWS für relevant. Hierzu verweist die Antragstellerin auf eine Montageanleitung aus dem Jahr 2007 und ein Gebrauchtexemplar mit Herstellungsdatum Mai 2007, das ebenfalls sämtliche Merkmale des Streitgebrauchsmusters vorweggenommen habe. Schließlich beruft sich die Antragstellerin auch auf das Design DM 049/199, das Design US D449 475 S und die EP 1 181 884 A1 als der Schutzfähigkeit des Streitgebrauchsmusters aus ihrer Sicht entgegenstehenden Stand der Technik.

26

In das Verfahren sind die nachfolgend genannten Entgegenhaltungen bzw. Dokumente eingeführt worden:

27

D1: WO 98/ 02 361 A1

28

D2: WO 2006/ 054 965 A2

29

D3: WO 99/18 835 A1

30

D4: US 2007/0114246 A1

31

D5: JP 59-133029

32

D5-EN: Englische Übersetzung von D5

33

D5-DE: Deutsche Übersetzung von D5

34

D6: DE 203 00 378 U1

35

D7: WO 93/05945

36

GKS1: WO 2009/138456 A1

37

GKS2: Anspruch 1 der PCT-Anmeldung vom 15. März 2010

38

GKS3: Mitteilung vom 30. August 2010 zur „preliminary examination“

39

GKS4: EP 2 313 243 B1 (Patentschrift Stammpatent)

40

GKS5: Prüfungsbescheid vom 20. August 2015

41

GKS6: Klageerweiterung im parallelen Verletzungsprozess

42

GKS7: Schriftliche Stellungnahme des Europäischen Patentamtes im parallelen Patentverfahren

43

GKS8: Schriftliche Stellungnahme des Europäischen Patentamtes im parallelen Patentverfahren

44

GKS9: Auszug aus Saechtling, Kunststoff-Taschenbuch, 26. Ausgabe

45

GKS11: „Styrene-based polymers offer diversity for processors“ aus Modern Plastics World Encyclopedia 2005

46

GKS12: Auszug aus dem Lehrbuch „Die Kunststoffe und ihre Eigenschaften“ von H. Domininghaus, 5. Auflage, 1998

47

GKS13: US 7 275 672 B2

48

GKS14: Auszug aus der „Encyclopedia of Polymer Science and Technology“, Concise Third Edition, 2007, Seite 42

49

GKS15: Hilfsanträge 1 – 16 aus parallelem Patent-Nichtigkeitsverfahren

50

GKS16: Urteil des 5. Senats v. 15. Oktober 2019 im parallelem Patent-Nichtigkeitsverfahren

51

GKS17: Hinweis des 5. Senats v. 15. Oktober 2019 im parallelem Patent-Nichtigkeitsverfahren

52

GKS18: Auszug aus Johannaber Michaeli, Handbuch Spritzgießen, 2. Auflage

53

T1: US 3,543,338

54

T2: WO 01/28744 A1

55

T3: DE 34 46 020 A1

56

T4: US 4,874,645

57

T5: DE 2 024 082

58

T6: JP 2007-130914

59

T6-A: Engl. Abstract von T6

60

T7: WO 2005/0688152 A2

61

T8: JP 57-46811

62

T8-A: Engl. Abstract von T8

63

GKS19: Urteil des 5. Senats v. 11. November 2020

64

GKS20: Berufungsurteil des BGH v. 7. Dezember 2021 betr. das Stammpatent

65

GKS21: Katalog mit Abb. Papierspender Hygenius“ mit handschriftl. Anmerkungen

66

GKS21a: Katalog mit Abb. Papierspender Hygenius“ ohne handschriftl. Anmerkungen

67

GKS22: Aufnahmen eines Spendergehäuses „Hygenius“

68

GKS23: Garantieschein zu Spendergehäuse nach GKS 22

69

GKS24: Broschüre „Hygenius“-Spendergehäuse aus 2002

70

GKS25: Broschüre „Hygenius“-Spendergehäuse aus 2003

71

GKS26: Auszug aus Baur Brinkmann Osswald Schmachtenberg, Saechtling Kunststoff-Taschenbuch 30. Ausgabe

72

GKS27: US-Design 390 396

73

GKS28: Preisliste der Fa. A… betr. „Best Paper“-Spender

74

GKS29: Fotos des „BestPaper“-Spendergehäuses

75

GKS30: Fotos des „BestPaper“-Spendergehäuses(Querschnittsfläche)

76

GKS31: Produktbeschreibung „BestDry“-Spendergehäuse

77

GKS32: Montageanleitung „BestPaperRoll“-Spendergehäuse

78

GKS33: Fotos eines Gebrauchtexemplars eines „BestPaperRoll“-Spendergehäuses

79

GKS24: Design DM 049/199

80

GKS35: US-Design D449 475 S

81

GKS36: EP 1 181 884 A1

82

Der Senat hat den Beteiligten mit gerichtlichem Schreiben v. 11. Mai 2022 und v. 20. Juni 2022 Hinweise zu erörterungsbedürftigen Punkten und zur Möglichkeit einer Zurückverweisung der Sache an das DPMA gegeben.

83

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den angefochtenen Beschluss der Gebrauchsmusterabteilung, die Schriftsätze der Beteiligten und den weiteren Akteninhalt verwiesen.

II.

84

Die zulässige, insbesondere form- und fristgerecht unter Zahlung der Beschwerdegebühr erhobene Beschwerde der Antragsgegnerin ist teilweise unbegründet, nämlich insoweit, als sie das Streitgebrauchsmuster in der eingetragenen Fassung verteidigt. Im Übrigen ist der angefochtene Beschluss jedoch aufzuheben und die Sache ist zur weiteren Prüfung und Entscheidung an das Deutsche Patent- und Markenamt zurückzuverweisen.

85

1. Die Antragsgegnerin hat dem ursprünglichen Löschungsantrag wirksam, insbesondere fristgemäß widersprochen, so dass das Löschungsverfahren mit inhaltlicher Prüfung der von der Antragstellerin geltend gemachten Löschungsgründe durchzuführen war (§ 17 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 GebrMG).

86

2. Die Antragstellerin hat aufgrund des zwischen den Beteiligten vor dem LG anhängigen und das Streitgebrauchsmuster betreffenden Verletzungsprozesses das für die Fortführung des Löschungsverfahrens nach Erlöschen des Streitgebrauchsmusters als Feststellungsverfahren erforderliche Rechtsschutzinteresse.

87

3. Der Gegenstand des Schutzanspruchs 11 in der eingetragenen Fassung, in welcher die Antragsgegnerin das Streitgebrauchsmuster als Hauptantrag verteidigt, ist unzulässig erweitert (§ 15 Abs. 1 Nr. 3 GebrMG).

88

a. Für die Beurteilung, ob der Gegenstand eines abgezweigten Gebrauchsmusters unzulässig erweitert ist, ist der Offenbarungsgehalt der Stammanmeldung maßgebend, aus der das Streitgebrauchsmuster abgezweigt wurde.

89

Denn nach der Rechtsprechung des BGH, vgl. Urt. vom 13. Mai 2003, X ZR 226/00, GRUR 2003, 867 –; Momentanpol I, steht eine Erweiterung einer abgezweigten Gebrauchsmusteranmeldung gegenüber der ursprünglichen Patentanmeldung der Wirksamkeit der Abzweigung
nicht entgegen. Der BGH hat hierzu auch ausgeführt, dass er sich der Auffassung, dass eine solche Erweiterung die Abzweigung insgesamt unwirksam mache, nicht anschließen könne, sowie, dass sich § 4 Abs. 5 Satz 2 GebrMG nicht nur auf die Fälle einer Erweiterung eines Gebrauchsmusters gegenüber der ursprünglichen Gebrauchsmusteranmeldung beziehe, sondern auch für den Fall von Änderungen der abgezweigten Gebrauchsmusteranmeldung gegenüber der ursprünglichen Patentanmeldung die sachlich angemessene Regelung darstelle und der Gebrauchsmusterinhaber aus derartigen Erweiterungen keine Rechte herleiten könne. Gegenstand der vorgenannten Entscheidung war zwar ein Verletzungsrechtsstreit. Sie ist allerdings für das Gebrauchsmusterlöschungsverfahren dahingehend relevant, dass in solchen Fällen § 15 Abs. 1 Nr. 3 GebrMG als gleichsam „spiegelbildlicher“ Tatbestand für das Löschungsverfahren und damit als möglicher
Löschungsgrund für Erweiterungen eines abgezweigten Gebrauchsmusters gegenüber der Abzweigungsanmeldung heranzuziehen ist, zumal Abzweigung die Inanspruchnahme des Anmeldetags der Vor- bzw. Stammanmeldung (§ 5 Abs. 1 Satz 1 GebrMG) bedeutet; dann muss auch die Ursprungsoffenbarung der Stammanmeldung, die zu diesem Anmeldetag eingereicht wurde, die für das Gebrauchsmuster maßgebende sein. Ferner hat der BGH in der Entscheidung „Feuchtigkeitsabsorptionsbehälter“ (GRUR 2012, 1243, Tz. 17) – ohne weitere Begründung, sondern nahezu selbstverständlich – die Voranmeldung, aus der das dortige Gebrauchsmuster abgezweigt worden war, als maßgebliche Ursprungsoffenbarung erachtet. Für diese Auffassung spricht im Übrigen auch die Kommentierung bei Busse/Keukenschrijver, 9. Aufl., § 5 GebrMG, Rn 12 und § 15 GebrMG, Rn. 16.

90

b. Der auf den eingetragenen Schutzanspruch 1 rückbezogene Schutzanspruch 11 lautet wie folgt:

91

„11. Spender nach einem der vorstehenden Ansprüche, ferner umfassend ein hinteres Teil (96; 106; 116; 126), wobei die äußere Schale (20, 90, 100, 110, 120) und das hintere Teil (96; 106; 116; 126) lösbar miteinander verbunden sind.“

92

c. Diese Ausgestaltung ist lediglich für die in den Figuren 13 bis 15 dargestellten Ausführungsbeispiele der Stammanmeldung ursprünglich offenbart (GKS1, S. 29, Z. 21 – 23, S. 30, Z. 5 – 7, 20 – 22). Zu Figur 13 heißt es (GKS1, S. 29, Z. 21 – 23): „The dispenser part 90 is detachably joined to a rear dispenser section 96, in order to form a dispenser housing 97.“ Die in den Figuren 13 bis 15 dargestellten Spender sind für einen Stapel Papierhandtücher (GKS1, S. 29, Z. 24 – 27, S. 30, Z. 23 – 26) oder eine Rolle Papier (GKS1, S. 30, Z. 8 – 11) vorgesehen.

93

Der eingetragene Schutzanspruch 11 ist aber nicht auf Spender für einen Stapel Papierhandtücher oder eine Rolle Papier beschränkt.

94

Gemäß Stammanmeldung können die Spender für Rollen oder Stapel aus Papier oder anderen Wischmaterialien oder für Waschsubstanzen, wie etwa flüssige Handcreme, Seife oder andere Reinigungsmittel, vorgesehen sein (GKS1, S. 2, Z. 9 – 11).

95

Die Angabe zum in Figur 13 dargestellten Ausführungsbeispiel, dass die Spender für einen Stapel Papiertücher oder Ähnliches vorgesehen sind (GKS1, S. 29, Z. 24 – 27), lässt nicht den Schluss zu, dass der Spender auch für andere Wischmaterialien oder für Waschsubstanzen, wie etwa flüssige Handcreme, Seife oder andere Reinigungsmittel, geeignet ist. Gegen einen solchen Schluss sprechen die Angaben zu den in den Figuren 14 und 15 dargestellten Ausführungsbeispielen, dass diese Spender für eine Rolle Papier oder Ähnliches (GKS1, S. 30, Z. 8 – 11) bzw. für einen Stapel Papiertücher oder Ähnliches (GKS1, S. 30, Z. 23 – 26) vorgesehen sind.

96

Der Begriff „Ähnliches“ bezieht sich somit auf einen Stapel Papiertücher oder eine Rolle Papier und bedeutet damit ähnlich wie ein Stapel Papiertücher oder eine Rolle Papier. Vom Begriff „Ähnliches“ sind dagegen Wischmaterialien oder Waschsubstanzen, wie etwa flüssige Handcreme, Seife oder andere Reinigungsmittel, nicht umfasst.

97

Die Stammanmeldung offenbart auch ein Ausführungsbeispiel eines Seifenspenders, dem jedoch keine Hinweise auf ein hinteres Teil und eine lösbare Verbindung zu entnehmen sind (GKS1, S. 31, Z. 15 – 24).

98

Im Ergebnis ist festzustellen, dass eine lösbare Verbindung der äußere Schale und dem hinteren Teil für Spender für einen Stapel Papiertücher oder eine Rolle Papier, aber nicht für jedweden Spender gemäß Schutzanspruch 11 in der Stammanmeldung ursprünglich offenbart ist.

99

d. Da die Antragsgegnerin die eingetragene Fassung des Streitgebrauchsmusters als Ganzes im Sinne eines einheitlichen Schutzgegenstands verteidigt hat, fallen damit auch die weiteren, eingetragenen Schutzansprüche (vgl. BGH GRUR 2007, 862 – Informationsübermittlungsverfahren II).

100

4. Die Anspruchsfassung nach Neuem Hilfsantrag 1 v. 22. Juni 2022 ist hingegen zulässig; ihr Gegenstand ist auch in ausführbarer Weise offenbart. Zudem ist dieser Gegenstand durch den in das erstinstanzliche Löschungsverfahren eingeführten Stand der Technik weder neuheitsschädlich vorweggenommen, noch nahegelegt.

101

a. Die Anspruchsfassung nach Neuem Hilfsantrag 1 umfasst den unabhängigen Schutzanspruch 1 und die auf diesen unmittelbar oder mittelbar rückbezogenen Schutzansprüche 2 – 18.

102

Schutzanspruch 1, der mit dem eingetragenen Schutzanspruch 1 übereinstimmt, lautet – mit einer den Beteiligten übergebenen Merkmalsgliederung – wie folgt:

103

M1.1 „Spender, umfassend: eine äußere Schale (20, 90, 100, 110, 120),

104

M1.2 wobei die äußere Schale umfasst:

105

M1.2.1 ein erstes spritzgegossenes Komponententeil (18; 32; 42a; 42b; 42c; 42d; 92; 102; 112a, 112b; 121a) aus Kunststoff mit einer ersten Fügefläche;

106

M1.2.2 und ein zweites spritzgegossenes Komponententeil (17; 31; 41a; 41b; 41c; 41d; 51; 61; 71; 91; 101; 111; 121b) aus Kunststoff mit einer zweiten Fügefläche;

107

M1.3 wobei das erste Komponententeil und das zweite Komponententeil durch Fügen der ersten Fügefläche und der zweiten Fügefläche während des Spritzgießens entlang einer Naht (21; 43a; 43b; 43c; 43d; 93; 103; 113a, 113b; 123a, 123b) miteinander verbunden sind,

108

M1.4 wobei das erste und zweite Komponententeil jeweils eine Stirnfläche sowie eine erste und eine zweite Seitenfläche aufweisen,

109

M1.5 wobei die ersten und zweiten Seitenflächen jeweils eine von der Stirnfläche abgewandte freie Kante (22, 23; 81, 82; 94, 95; 104, 105; 114, 115; 124a, 124b; 125a, 125b) aufweisen,

110

M1.6 wobei sich die Naht (21; 43a; 43b; 43c; 43d; 93; 103; 113a, 113b; 123a, 123b) von den freien Kanten der ersten Seitenflächen zu den freien Kanten der zweiten Seitenflächen erstreckt.“

111

Es schließen sich die Unteransprüche 2 – 10 an, zu deren Wortlaut auf die GS. verwiesen wird.

112

Schutzanspruch 11 in der Fassung nach Neuem Hilfsantrag 1 lautet wie folgt (Änderungen gegenüber der eingetragenen Fassung optisch hervorgehoben):

113

„11. Spender nach einem der vorstehenden Ansprüche, ferner umfassend ein hinteres Teil (96; 106; 116; 126), wobei die äußere Schale (20, 90, 100, 110, 120) und das hintere Teil (96; 106; 116; 126) lösbar miteinander verbunden sind,
wobei der Spender für einen Stapel von Papiertüchern oder eine Papierrolle vorgesehen ist.“

114

Es schließen sich die weiteren Unteransprüche 12 – 18 an, zu deren Wortlaut ebenfalls auf die GS. verwiesen wird.

115

b. Als maßgeblicher Durchschnittsfachmann, auf dessen Wissen und Können es insbesondere für die Auslegung der Merkmale des Streitgebrauchsmusters und für die Interpretation des Standes der Technik ankommt, ist im vorliegenden Fall ein Hochschulabsolvent für Kunststofftechnik mit mehrjähriger Erfahrung auf dem Gebiet der Entwicklung und Herstellung spritzgegossener Erzeugnisse anzusehen.

116

c. Der Fachmann legt den Merkmalen des Schutzanspruchs 1, soweit sie der Auslegung bedürfen, folgendes Verständnis zu Grunde.

117

Bei einer äußeren Schale (Merkmal M1.1, M1.2), einer äußeren Abdeckung oder einem Teil davon handelt es sich um ein Strukturteil eines Spenders, auch als „Spenderteil“ bezeichnet (Abs. [0007], [0008] GS.).

118

Zur Bildung eines Spendergehäuses ist das Spenderteil mit einem hinteren Spenderabschnitt verbunden, der an einer vertikalen Fläche, wie etwa einer Wand, montiert wird (Abs. [0095] bis [0097], Fig. 13 bis 15 GS.).

119

Die äußere Schale umfasst zwei Komponententeile (Merkmale M1.2.1, M1.2.2), die entlang einer Naht beim Spritzgießen miteinander verbunden sind (Merkmal M1.3). Der Begriff „Komponententeil“ wird verwendet, um jede spritzgegossene Komponente zu bezeichnen, die mit einem oder mehreren zusätzlichen Komponententeilen unter Bildung eines Spenderteils verbunden ist (Abs. [0007], [0008] GS.). Die Begriffe „Komponententeil“ in Abs. [0008] und „Teil“ in den Abs. [0009], [0010] GS. werden synonym verwendet.

120

Die beiden Komponententeile weisen eine Stirnfläche und zwei Seitenflächen auf. Dass eine solche Stirnfläche an der Vorderseite des Spenders liegt, folgt aus Abs. [0003] GS. Die Seitenflächen stehen winklig von der Stirnfläche ab und weisen eine Kante auf, die von der Stirnfläche abgewandt ist.

121

Die Antragsgegnerin hat zur Veranschaulichung der Begrifflichkeiten die von ihr kolorierte und mit Bezeichnungen versehene Figur 13 des Streitgebrauchsmusters eingereicht.

122

Zum Begriff „Kante“:

123

Gemäß Abs. [0010] GS. werden eine erste Kante des ersten Teils und eine eingespritzte zweite Kante des zweiten Teils während des zweiten Spritzgießschritts unter Bildung der Naht verbunden. Jede erste Kante des ersten Teils wird so geformt, dass sie mindestens eine Stufe in einer Querrichtung zu der ersten Kante bildet. Die Stufe wird vorzugsweise entlang jeder ersten Kante von der ersten zur zweiten Seitenkante des ersten Komponententeils geformt. Eine solche erste Kante liegt folglich an der Fügefläche der Komponententeile (grün hervorgehoben), wie sie im Querschnitt in den Figuren 3, 4a bis 4d, 5 dargestellt sind.

124

Zum Begriff „Seitenkante“:

125

Seitenkanten beziehen sich auf die äußere Schale bzw. das Spenderteil (Abs. [0001], [0008], [0041] GS.) aber auch auf ein Komponententeil (Abs. [0010], [0041], [0091] GS.). Bei den Figuren 13 bis 15 sind zweifellos die Seitenkanten 94, 95, 104, 105, 114, 115 des Spenderteils gemeint (Abs. [0095] – [0097] GS.).

126

Bei der oben in Figur 13 dargestellten Ausführungsform sind das erste Komponententeil 91 und das zweite Komponententeil 92 durch eine Naht 93 verbunden, die sich von einer ersten Seitenkante 94 zu einer zweiten Seitenkante 95 des Spenderteils 90 erstreckt (Abs. [0095] GS.).

127

Bei der in Figur 14 dargestellten Ausführungsform sind das erste Komponententeil 101 und das zweite Komponententeil 102 durch eine Naht 103 verbunden, die sich von einer ersten Seitenkante 104 zu einer zweiten Seitenkante 105 erstreckt, welche sich entlang eines unteren Begrenzungsabschnitts des Spenderteils 100 befindet (Abs. [0096] GS.).

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128

Zum Begriff „freie Kante“:

129

Nach den Abs. [0015], [0018] und [0020] GS. sollen abgestufte Abschnitte bzw. mit Vorsprüngen oder Stegen versehenen Abschnitte mit nicht-planaren Abschnitten der Naht, wie etwa Ecken, übereinstimmen. Mit dem Begriff „nicht planare Abschnitte“ sind also Ecken gemeint, die sich auf Grund der sich von einer ersten Seitenkante an einer ersten Seitenwand des Spenderteils, über mindestens einen Teil der Stirnfläche und zu einer zweiten Seitenkante an einer zweiten Seitenwand des Spenderteils erstreckenden Naht ergeben (Abs. [0030] GS.).

130

Das Spenderteil umfasst zwei oder mehr spritzgegossene Komponenten, die mittels einer durchgängigen Naht verbunden sind, welche sich von einer Seite des Spenderteils zu einer anderen erstreckt. Jedes Komponententeil weist eine Stirnfläche auf sowie eine erste und eine zweite Seitenfläche, die jeweils eine von der Stirnfläche abgewandte Kante aufweisen. Die resultierende Naht erstreckt sich von der Kante, die der ersten Seitenfläche zugeordnet ist, zu der Kante des Spenderteils, die der zweiten Seitenfläche zugeordnet ist. In diesem Fall sind die erste Fügefläche und die zweite Fügefläche im Allgemeinen nicht-planar (Abs. [0034] GS.). Figur 11 zeigt ein Komponententeil 41a mit einer abgestuften Kante 80 mit einer Reihe einzelner Stufen 44, 45, 46, die sich von einer Seitenkante 81 bis zu einer Seitenkante 82 erstreckt.

131

Eine Kante, die der ersten oder zweiten Seitenfläche zugeordnet ist, ist eine Seitenkante 81, 82 (Fig. 11 GS.). Davon unterscheidet sich die grün gekennzeichnete, abgestufte Kante 80 (Fig. 11 GS.), die an einer Fügefläche (Fig. 5 GS.) vorhanden ist und deren Herstellung in Abs. [0010] GS. beschrieben ist.

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132

In Abs. [0035] GS. ist ausgeführt, um eine nicht-planare Naht zu erzeugen, die zwei Komponenten von einer ersten freien Kante zu einer zweiten freien Kante verbindet, sollte das Spenderteil unter Verwendung von Materialien spritzgegossen werden, die für diesen Zweck geeignete Eigenschaften besitzen. Die Naht sollte nicht an ihren freien Kanten oder entlang nicht-planarer Bereiche zu reißen (Abs. [0037] GS.).

133

Der oben in Figur 10 blau eingekreiste Abschnitt B ist als Eckabschnitt (Abs. [0090], Fig. 10 GS.) bezeichnet und entspricht gemäß der Beschreibung in den Abs. [0015], [0018], [0020] einem nicht-planaren Bereich. An dem Eckabschnitt B und dem weiteren blau eingekreisten Eckabschnitt als nicht-planare Bereiche soll gemäß Abs. [0037] die Naht nicht reißen.

134

Gemäß Abs. [0090] ist ein freier Seitenkantenabschnitt C definiert. Der erstreckt sich lediglich innerhalb des rot eingekreisten Bereichs in Fig. 10, auf den die Bezugslinie für C zeigt. An der Seitenkante bzw. Kante der Seitenfläche endet beim fertigen Spenderteil auch die Naht, die gemäß Abs. [0037] nicht an ihren freien Kanten reißen soll. Frei ist aber nicht nur der Abschnitt C, sondern die Seitenkante insgesamt, da die Seitenkante dort ausläuft bzw. endet. Damit entspricht die gesamte Seitenkante bei Bezugszeichen C einer ersten freien Kante gemäß Abs. [0035], von der aus die Naht sich über den blau eingekreisten Eckabschnitt B und den weiteren blau eingekreisten Eckabschnitt bis zur zweiten freien Kante bzw. Seitenkante erstreckt.

135

Im Ergebnis ist festzustellen, dass die freien Kanten gemäß den Abs. [0035] und [0037] nicht die Kante des ersten Komponententeils und die Kante des zweiten Komponententeils darstellen, entlang der (vgl. grün gekennzeichnete, abgestufte Kante 80 in Figur 11) zusammengefügt wird, sondern eben die freien Kanten der Seitenflächen bzw. Seitenkanten. Dafür spricht auch der in Abs. [0003] GS. beschriebene Nachteil beim Stand der Technik, dass ein Verzug der Naht auftreten könne, insbesondere in oder nahe den Bereichen der Seitenkanten.

136

Die zeichnerische Darstellung in Figur 2 führt demgegenüber nicht zu einem anderen Ergebnis. Hierbei handelt es sich nur um eine schematische Darstellung eines Spenderteils 20. Das Spenderteil 20 besteht aus den beiden Komponententeilen 17, 18, die entlang einer Naht 21 verbunden sind, die von einer Seitenkante 22 zu einer zweiten Seitenkante 23 des Spenderteils 20 verläuft (Abs. [0072] GS.). Dies stimmt mit der Beschreibung der anderen Ausführungsbeispiele überein und deutet darauf hin, dass die Naht an den beiden Seitenkanten 22, 23 endet.

137

Das in Figur 14 gezeigte Beispiel eines Spenders umfasst ein von einem transparenten ersten Komponententeil 101 und einem opaken zweiten Komponententeil 102 gebildetes Spenderteil 100. Das erste Komponententeil 101 und das zweite Komponententeil 102 sind durch eine Naht 103 verbunden, die sich von einer ersten Seitenkante 104 zu einer zweiten Seitenkante 105 erstreckt, welche sich entlang eines unteren Begrenzungsabschnitts des Spenderteils 100 befindet (Abs. [0096] GS.).

138

d. Eine unzulässige Erweiterung gegenüber dem Offenbarungsgehalt der Stammanmeldung liegt nicht vor.

139

aa. Der Begriff „äußere Schale“ gemäß den Merkmalen M1.1 und M1.2 des Schutzanspruchs 1 lässt sich aus der Ursprungsoffenbarung „outer shell“ herleiten (GKS1, S. 2, Z. 27 – 29).

140

Bei der Verwendung des Plurals der Kanten der ersten Seitenflächen bzw. zweiten Seitenflächen im Merkmal M1.6 handelt es sich nicht um eine unzulässige Erweiterung bzw. Zwischenverallgemeinerung. Nachdem die äußere Schale (das Spenderteil) ein erstes und ein zweites Komponententeil umfasst (Merkmale M1.2, M1.2.1, M1.2.2), die jeweils eine erste und eine zweite Seitenfläche (Merkmal M1.4) mit jeweils einer freien Kante (M1.5) aufweisen, erstreckt sich die Naht von der freien Kante der ersten Seitenfläche des ersten Komponententeils und der freien Kante der ersten Seitenfläche des zweiten Komponententeils zu der freien Kante der zweiten Seitenfläche des ersten Komponententeils und der freien Kante der zweiten Seitenfläche des zweiten Komponententeils. Oder im Wortlaut des Merkmals M1.6 formuliert erstreckt sich die Naht von den freien Kanten der ersten Seitenflächen [der beiden Komponententeile] zu den freien Kanten der zweiten Seitenflächen [der beiden Komponententeile]. Dies ergibt sich bei Zusammenschau der Abs. [0010], [0072] und [0091] GS. ohne Weiteres.

141

Unter Berücksichtigung der obigen Ausführungen zum fachmännischen Verständnisses des Begriffs „freie Kante“ als freie Kante einer Seitenfläche bzw. freie Seitenkante liegt eine unzulässige Erweiterung bzgl. der in den Merkmalen M1.5 und M1.6 beanspruchten „freien Kante“ nicht vor.

142

bb. Der zulässige Schutzanspruch 2 in der Fassung nach Neuem Hilfsantrag 1, die der eingetragenen Fassung entspricht, lautet:

143

„2. Spender nach Anspruch 1, bei dem die Stirnflächen des ersten (18; 32; 42a; 42b; 42c; 42d; 92; 102; 112a, 112b; 121a) und zweiten Komponententeils (17; 31; 41a; 41b; 41c; 41d; 51; 61; 71; 91; 101; 111; 121b) entlang der Naht (21; 43a; 43b; 43c; 43d; 93; 103; 113a, 113b; 123a, 123b) fluchten.“

144

In der Stammanmeldung (GKS1, S. 21, Z. 12 – 14) ist dazu offenbart: „The front surfaces of the respective joined component parts are completely flush with each other along the seam.“). Im Streitgebrauchsmuster lautet die entsprechende Offenbarung (Abs. [0079], GS.): „Die Stirnflächen der jeweiligen verbundenen Komponententeile fluchten entlang der Naht vollständig miteinander.“

145

Der Begriff „vollständig“ („completely“) findet im Schutzanspruch 2 keinen Niederschlag und ist ohnehin redundant. Aus fachmännischer Sicht folgt aus Schutzanspruch 2, dass die Stirnflächen der Komponententeile jeweils als Ganzes entlang der Naht fluchten. Würde nur ein teilweises Fluchten vorliegen, wäre dies explizit erwähnt.

146

Die Naht muss dabei auch nicht einer geraden Linie folgen, es kann auch eine gekrümmte, gewellte oder unregelmäßig geformte Linie sein (GKS1, S. 35, Z. 26 – 28; GS. Abs. [0114]).

147

cc. Beim Schutzanspruch 11 in der Fassung nach Neuem Hilfsantrag 1 liegt gegenüber der eingetragenen Fassung infolge der Aufnahme des Merkmals „wobei der Spender für einen Stapel von Papiertüchern oder eine Papierrolle vorgesehen ist“ eine unzulässige Erweiterung nicht mehr vor.

148

dd. Der zulässige Schutzanspruch 14 in der Fassung nach Neuem Hilfsantrag 1, die der eingetragenen Fassung entspricht, lautet:

149

„14. Spender nach einem der vorstehenden Ansprüche, bei dem das erste (18; 32; 42a; 42b; 42c; 42d; 92; 102; 112a, 112b; 121a) und das zweite (17; 31; 41a; 41b; 41c; 41d; 51; 61; 71; 91; 101; 111; 121b) Komponententeil jeweils eine vordere Kante aufweisen, an die sich die Naht (21; 43a; 43b; 43c; 43d; 93; 103; 113a, 113b; 123a, 123b) anschließt, wobei die vorderen Kanten nicht linear sind.“

150

Die Merkmale des Schutzanspruchs 14 finden ihre Stütze in der Stammanmeldung (GKS1, S. 4, Z. 16 – 19): „In this context, the longitudinal direction of the seam is defined as the direction of the front edge of the respective component part where they are joined by the seam, or the general direction of the front edge should the edge be non-linear.“ Im Streitgebrauchsmuster (Abs. [0012] GS.) heißt es dazu: „In diesem Zusammenhang ist die Längsrichtung der Naht als die Richtung der vorderen Kante des jeweiligen Komponententeils definiert, an die sich die Naht anschließt, oder als die allgemeine Richtung der vorderen Kante, falls die Kante nichtlinear sein sollte.“

151

ee. Der zulässige Schutzanspruch 16 in der Fassung nach Neuem Hilfsantrag 1, die der eingetragenen Fassung entspricht, lautet:

152

„16. Spender nach einem der vorstehenden Ansprüche, bei dem die Naht (21; 43a; 43b; 43c; 43d; 93; 103; 113a, 113b; 123a, 123b) Stoßeinwirkung von mindestens 10 Joule, vorzugsweise jedoch 15 Joule, standhält ohne entlang der ersten und zweiten Fügefläche zu reißen.“

153

Zur Offenbarung der Merkmale des Schutzanspruchs 16 sind folgende Passagen der Stammanmeldung GKS1 heranzuziehen:

154

S. 10, Z. 7 – 10: „The first mating surface and said second mating surface are generally non-planar, in that the seam extends from a first side edge at a first side wall of the dispenser part, across at least part of the front surface, and to a second side edge at a second side wall of the dispenser part.“

155

S. 12, Z. 5 -10: „The seam should be able to withstand an impact of at least 10 joule, but preferable 15 Joule without cracking at its free edges or along non-planar areas.

156

Die entsprechenden Passagen lauten im Streitgebrauchsmuster GS.:

157

Abs. [0030]: „Die erste Fügefläche und die zweite Fügefläche sind im Allgemeinen nicht-planar, indem sich die Naht von einer ersten Seitenkante an einer ersten Seitenwand des Spenderteils, über mindestens einen Teil der Stirnfläche und zu einer zweiten Seitenkante an einer zweiten Seitenwand des Spenderteils erstreckt.“

158

Abs. [0037]: „Die Naht sollte imstande sein, einer Stoßeinwirkung von mindestens 10 Joule, vorzugsweise jedoch 15 Joule, standzuhalten, ohne an ihren freien Kanten oder entlang nicht-planarer Bereiche zu reißen.“

159

Die Merkmale des Schutzanspruchs 16 sind damit in der Stammanmeldung (GKS1, S. 12, Z. 5 – 10) offenbart, wobei die Formulierung „non-planar areas“ in zulässiger Weise durch „erste und zweite Fügefläche“ ersetzt wurde, da es sich dabei um nicht-planare Bereich handelt (GKS1, S. 10, Z. 7 – 10).

160

ff. Der zulässige Schutzanspruch 17 in der Fassung nach Neuem Hilfsantrag 1, die der eingetragenen Fassung entspricht, lautet:

161

„17. Spender nach Anspruch 15 oder 16, wobei die Stoßeinwirkung durch ein 13 kg schweres Gewicht erfolgt, das an einem Schwenkarm mit einer Länge von 0,75 m befestigt ist, wobei der Teil des Gewichts, der eingerichtet ist, um auf der Stirnfläche der äußeren Schale aufzutreffen, einer flachen rechteckigen Fläche von 63 cm² (7 × 9 cm) entspricht, wobei der Schwenkarm über einen Bogen aus einer vertikalen in eine horizontale Position geschwenkt und gelöst wird, um die Aufprallenergie bereitzustellen.“

162

Zur Offenbarung ist folgende Passage der Stammanmeldung (GKS1, S. 34, Z. 14 – 21) heranzuziehen: „According to one example, the test used a 13 kg weight attached to an arm having a length of 0,75 m. The part of the weight arranged to impact a front surface of the dispenser part had an area corresponding to the average area of an adult male human fist, corresponding to a flat rectangular area of about 63 cm
2 (7 x 9 cm). The arm to which the weight is attached was pivoted from a vertical to a horizontal position, through an arc of approximately 34°, and released. This angle can be selected and set to give a repeatable desired impact energy.“

163

Die entsprechende Passage lautet im Streitgebrauchsmuster (Abs. [0109] GS.): „Gemäß einem Beispiel verwendete der Versuch ein 13 kg schweres Gewicht, das an einem Arm mit einer Länge von 0,75 m befestigt war. Der Teil des Gewichts, der eingerichtet war, um auf einer Stirnfläche des Spenderteils aufzutreffen, besaß eine der durchschnittlichen Fläche einer Faust eines männlichen Erwachsenen entsprechende Fläche, welche einer flachen rechteckigen Fläche von etwa 63 cm
2 (7 × 9 cm) entspricht. Der Arm, an dem das Gewicht befestigt ist, wurde über einen Bogen von etwa 34° aus einer vertikalen in eine horizontale Position geschwenkt und gelöst. Dieser Winkel kann so gewählt und eingestellt werden, dass er eine wiederholbare gewünschte Aufprallenergie ergibt.“

164

Der Aufnahme des beispielhaft angegebenen Winkels von etwa 34° bedarf es nicht, da der Winkel so gewählt und eingestellt werden kann, dass er eine wiederholbare gewünschte Aufprallenergie ergibt.

165

e. Die Lehre der Schutzansprüche 1 und 18 ist ausführbar.

166

aa. Aus dem unter Abschnitt 4.c. zum Merkmal M1.6 beschriebenen Verständnis heraus, ist die Ausführbarkeit dieses Merkmals zu bejahen.

167

bb. Zur Bestimmung der Festigkeit der äußeren Schale gemäß Schutzanspruch 18 kennt der Fachmann verschiedene Tests, mit welchen die Festigkeit und Belastung messbar sind. Das Gebrauchsmuster offenbart in Abs. [0101] Biegeversuche nach ISO 178:2001, die der Fachmann nacharbeiten kann und durch welche der Fachmann direkt zu den in Tabelle 1 angegebenen Werten, wie der Spitzenbelastung, kommt.

168

f. Der Gegenstand des Schutzanspruchs 1 nach Neuem Hilfsantrag 1 ist gegenüber dem Stand der Technik im erstinstanzlichen Verfahren neu.

169

aa. Druckschrift D1 betrifft einen Spender mit einem ersten Komponententeil 50 und einem zweiten Komponententeil 54. Die Komponententeile sind spritzgegossen und an ihren jeweiligen Fügeflächen während des Spritzgießens miteinander verbunden worden (D1, S. 7, Z. 7 – 15, Fig. 1).

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170

D1, Ausschnitt der Fig. 1 D1, modifizierter Ausschnitt der Fig. 1

171

Die Kanten K1 und K2 sind keine freien Kanten im Sinne des Streitgebrauchsmusters, da sie umlaufend und nicht endend ausgebildet sind. Damit offenbart D1 zumindest Merkmal M1.6 nicht.

172

bb. Die Druckschrift D2 betrifft einen Spender für saugfähige Bögen in Rollenform, vorzugsweise Papiertücher (D2, S. 1, Z. 7 – 9).

173

Der Spender 1 umfasst ein Gehäuseteil 3 und eine opake Abdeckung 2 mit einem transparenten Fenster 4. Die Abdeckung 2 und das Fenster 4 bestehen aus Kunststoff und sind mittels eines zweistufigen Spritzgießens hergestellt (D2, S. 5, Z. 2, 3, 18, 19, S. 7, Z. 6 – 12, Anspr. 3 – 5). Die Abdeckung 2 ist damit ein erstes Komponententeil und das Fenster 4 ist ein zweites transparentes Komponententeil im Sinne des Streitgebrauchsmusters. Die Merkmale M1.1, M1.2, M1.2.1 und M1.2.2 sind damit offenbart. Die beim Spritzgießen an den Fügeflächen der beiden Komponententeile 2, 4 entstehende Naht liest der Fachmann ohne Weiteres mit (Merkmal M1.3).

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174

Das erste opake Komponententeil 2 weist eine Stirnfläche sowie eine erste rechte Seitenfläche mit einer von der Stirnfläche abgewandten freien Kante (Fig. 1) und eine zweite linke Seitenfläche mit einer von der Stirnfläche abgewandten freien Kante (Fig. 2) auf. Dagegen weist das zweite transparente Komponententeil 4 eine Stirnfläche und nur eine Seitenfläche auf, die sich von der Stirnfläche gebogen nach oben in Richtung Schloss 7 erstreckt und nicht über eine von der Stirnfläche abgewandte freie Kante verfügt (Fig. 1). Eine zweite Seitenfläche fehlt gänzlich (Merkmale M1.4 und M1.5), so dass sich die Naht auch nicht von (freien) Kanten der ersten Seitenflächen zu (freien) Kanten der zweiten Seitenflächen gemäß Merkmal 1.6 erstrecken kann.

175

cc. Die Druckschrift D3 betrifft Spender (S. 1, Z. 8).

176

In der Ausführungsform nach den Figuren 1 bis 16 weist der Spender 40 eine Basis 44 und eine Abdeckung 62 auf (D3, S. 7, Z. 20 – S. 8, Z. 2, Fig. 1, 4). Die Abdeckung 62 aus Kunststoff entspricht der äußeren Schale (oder Abdeckung) gemäß Streitgebrauchsmuster (Abs. [0007], [0008] GS.), während die Basis 44 zur Befestigung an einer Wand dem hinteren Spenderabschnitt gemäß Streitgebrauchsmuster entspricht (Abs. [0095] – [0097], Fig. 13 – 15 GS.). Damit kann der Antragstellerin bereits dahingehend nicht gefolgt werden, dass es sich bei der Abdeckung 62 um ein erstes Komponententeil und bei der Basis 44 um ein zweites Komponententeil gemäß Streitgebrauchsmuster handelt, so dass es auf deren Verbindung im Ergebnis nicht mehr ankommt.

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177

D3, Ausschnitt aus Fig. 1 (links) und Fig. 4 (rechts)

178

In der Ausführungsform gemäß den Figuren 17 bis 26 umfasst der Spender 200 eine Abdeckung 230 und eine Basis 214 (D3, S. 13, Z. 28 – S. 14, Z. 8, Fig. 17). Die Abdeckung 230 und die Basis 214 entsprechen der Abdeckung 62 bzw. der Basis 44 der Ausführungsform nach den Figuren 1 bis 16. Figur 26 zeigt einen Spender mit alternativen Ausgestaltungen der Sicherungsmittel und der Tür (D3, S. 17, Z. 5).

179

Die Abdeckung 62, 230 besteht aus teilweise transparentem oder transluzentem Material. Alternativ kann sie aus opakem Material bestehen, das optional ein als Fenster dienendes transparentes Material umschließt (D3, S. 7. Z. 32 – S. 8, Z. 2, S. 14, Z. 4 – 8).

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180

D3, Ausschnitt aus Fig. 17 (links) und Ausschnitt aus Fig. 26 (rechts)

181

In der letztgenannten Ausgestaltung weist die Abdeckung zwar ein erstes Komponententeil (opakes Material) und ein zweites Komponententeil (Fenster aus transparentem Material) auf, aber es ist nicht offenbart, dass eine erste und eine zweite Seitenfläche mit von der Stirnfläche abgewandten freien Kanten vorhanden ist, und sich eine Naht von den freien Kanten der ersten Seitenflächen zu den freien Kanten der zweiten Seitenflächen erstreckt (Merkmale M1.5, M1.6).

182

dd. Druckschrift D5 betrifft ein aus Harz geformtes Erzeugnis mit integrierten aus Harz geformten Komponententeilen in unterschiedlichen Farben, etwa beispielsweise ein Außengehäuse eines Tastentelefons, und ein Verfahren zur Herstellung desselben (D5-DE, S. 2, Z. 8 – 10). Bei dem Erzeugnis, das auch als konventionelles Gehäuse bezeichnet ist (D5-DE, S. 2, Z. 11), handelt es sich nicht um einen Spender gemäß Merkmal M1.1.

183

ee. Die weiteren in das erstinstanzliche Löschungsverfahren eingeführten Druckschriften und Dokumente liegen weiter ab. Die Antragstellerin hat weder geltend gemacht, noch ist für den Senat ersichtlich, dass diese Druckschriften und Dokumente den Gegenstand des Schutzanspruchs 1 vorwegnehmen.

184

g. Der Gegenstand des Schutzanspruchs 1 nach Neuem Hilfsantrag 1 beruht gegenüber dem Stand der Technik im erstinstanzlichen Verfahren auch auf einem erfinderischen Schritt.

185

aa. Eine Zusammenschau von D2 und D3 führt nicht zum Gegenstand des Schutzanspruchs 1.

186

Das Gehäuseteil 3 gemäß D2 entspricht funktional der Basis 44, 214 gemäß D3, während die Abdeckung 2 gemäß D2 funktional der Abdeckung 62, 230 gemäß D3 entspricht.

187

Nachdem in D2 bereits die Abdeckung 2 opak und deren Fenster 4 transparent ausgebildet sind, besteht für den Fachmann kein Anlass aus der D3 die opake Abdeckung 62, 230 mit dem optionalen Fenster aus transparentem Material zu übernehmen.

188

Um die Überprüfung des Füllstands zu verbessern, hätte der Fachmann aber Anlass, die transluzente Abdeckung 62, 230 gemäß D3 auch bei D2 vorsehen. Im Ergebnis würde die äußere Schale entgegen den Merkmalen M1.2.2, M1.3 nur noch ein einziges Komponententeil umfassen, das transluzent ausgebildet ist.

189

Die Antragstellerin teilt diese Auffassung, zu der auch der BGH gekommen ist (GKS20), nicht. Damit würde sich aus ihrer Sicht der Fachmann von dem Prinzip in D2 und D3 lösen, einen Teil der äußeren Fläche opak zu halten, um so die Ausgabeöffnung und die innenliegende Mechanik des Papierspenders zu verbergen. Die Antragstellerin meint, der Fachmann würde die Abdeckung 62, 230 aus D3 mit der Abdeckung 4 aus D2 nicht gleichsetzen, sondern auch den unteren opaken Teil 324 (D3, Fig. 26) als Vorbild zu Gestaltung der äußeren Schale des Spenders aus D2 verwenden.

190

Dieser Auffassung kann nicht beigetreten werden, denn der opake Teil 324 ist Bestandteil der Basis 214 und nicht der Abdeckung 230.

191

Wenn der Fachmann die Ausgabeöffnung und die innenliegende Mechanik des Papierspenders verbergen möchte, greift er auf die opake Abdeckung 2 mit dem transparenten Fenster 4 gemäß D2 oder die opake Abdeckung 62, 230, die ein als Fenster dienendes transparentes Material umschließt, gemäß D3 zurück. Der Fachmann wird dann das transparente Fenster in der Größe variieren, um die Überprüfung des Füllstands zu verbessern. Nachdem aber in D2 das transparente Fenster 4 von der Abdeckung 2 umgeben ist und in D3 explizit erwähnt ist, dass die opake Abdeckung 62, 230 das optional als Fenster dienende transparente Material umschließt (D3, S. 8, Z. 1, 2, S. 14, Z. 6 – 8), liegt es dem Fachmann gerade nicht nahe, diese Umschließung aufzulösen, so dass das transparente Fenster eine Stirnfläche sowie eine erste und eine zweite Seitenfläche mit jeweils einer von der Stirnfläche abgewandten freien Kante aufweist (Merkmale M1.5, M1.6).

192

bb. In Druckschrift D5 ist beschrieben, die Verbindungsfläche eines Komponententeils 7 gestuft auszubilden und ein zweites Komponententeil 8 durch Spritzgießen an diese gestufte Verbindungsfläche anzubinden (D5-DE S. 5, Z. 1 – 5). Figur 7 zeigt ein Ausführungsbeispiel und Figur 8 eine Querschnittsansicht entlang der in Figur 7 eingezeichneten Linie 9.

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193

D5, Fig. 7 (links) und Ausschnitt der Fig. 8 (rechts)

194

Zwischen den beiden Komponententeilen 7, 8 verläuft eine beim Spritzgießen gebildete Naht von der Seitenkante einer Seitenfläche zur Seitenkante einer benachbarten Fläche.

195

Daraus folgt, dass die Möglichkeit, zwei Kunststoffteile mit einer solchen Naht zu verbinden, im Stand der Technik bekannt war und dass auch schon Ausgestaltungen zur Verfügung standen, die eine hinreichende Stabilität der Naht gewährleisten.

196

Ausgehend davon hat der Bundesgerichtshof im parallelen Nichtigkeitsverfahren (BGH, Urteil vom 7. Dezember 2021 – X ZR 111/19, Rn. 107, 108) ausgeführt, […] selbst unter der Annahme, dass entsprechende Möglichkeiten auch für das Gehäuse eines Papierspenders zur Verfügung standen, ergibt sich daraus entgegen der Auffassung der Klägerin nicht die Anregung, den in Ni3 offenbarten Papierspender entsprechend auszugestalten. Eine bestimmte technische Ausgestaltung ist nicht schon deshalb naheliegend, weil sie technisch möglich ist. Eine weitergehende Anregung, die in Ni9 offenbarte Möglichkeit für einen Papierspender nach dem Vorbild von Ni3 zu nutzen, ergibt sich weder aus Ni9 noch aus Ni3.

197

Die Ausführungen des BGH sind auf das Gebrauchsmusterlöschungsverfahren übertragbar, da die Druckschriften Ni3 und Ni9 im parallelen Nichtigkeitsverfahren den Druckschriften D2 bzw. D5 im hiesigen Verfahren entsprechen.

198

cc. Die weiteren Druckschriften im erstinstanzlichen Verfahren legen den Gegenstand des Schutzanspruchs 1 weder für sich noch in Zusammenschau nahe.

199

5. Es ist jedoch möglich, dass der von der Antragstellerin im Beschwerdeverfahren eingeführte Stand der Technik die Wirksamkeit des Streitgebrauchsmusters im Umfang der Anspruchsfassung nach Neuem Hilfsantrag 1 in Frage stellt.

200

a. Es erscheint nicht ausgeschlossen, dass die D2 (WO 2006/ 054 965 A2) – siehe dort S. 5 Z. 2 und Fig. 1 zu den Merkmalen M1.1, M1.2: S. 7 Z. 6-12 zu den Merkmalen M1.2.1, M1.2.2, 1.3: S. 7 Z. 6-12 – in Zusammenschau mit dem als GKS21/GKS21a vorgelegten Katalog – s. dort zu den Merkmalen M1.4, M1.5, M1.6: S. 3 und S. 5 -, der grundsätzlich geeignet sein kann, eine schriftliche Beschreibung i. S. d. § 3 Abs. 1 Satz 2 GebrMG darzustellen, den Gegenstand des Schutzanspruchs 1 nach Neuem Hilfsantrag 1 nahegelegt haben könnte.

201

b. Ebenso erscheint es nicht ausgeschlossen, dass das von der Antragstellerin mit Schriftsatz v. 15. Juni 2022 in das Beschwerdeverfahren eingeführte, über das deutsche Online-Verkaufsportal https://www.ebay-kleinanzeigen.de erworbene Gebrauchtexemplar eines CWS BestPaper Papierspendergehäuses (vgl. GKS29 S. 1, 2, 8, 9 zu den Merkmalen M1.1, M1.2, M1.4, M1.5, M1.6; GKS30, S. 3, 4, 5 zu den Merkmalen M1.2.1, M1.2.2, M1.3) den Gegenstand des Schutzanspruchs 1 nach Neuem Hilfsantrag 1 vorwegnehmen könnte.

202

c. Andererseits erscheint fraglich, ob die Antragstellerin die öffentliche Zugänglichkeit der erst in das Beschwerdeverfahren eingeführten Entgegenhaltungen (GKS21/GKS21a) und den in diesem Zusammenhang behaupteten Vorbenutzungen hinreichend substantiiert vorgetragen hat. So erscheint fraglich, ob der bloße Verweis auf ein Druckdatum bezüglich GKS21/GKS21a einen konkreten Vortrag, wann, wo und in welcher Weise dieser Katalog der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurde, ersetzt. Zwar ist anerkannt, dass ein Druck- oder Copyrightvermerk prima facie im Einzelfall als Nachweis für das Inverkehrbringen des betr. Druckwerks in engem zeitlichen Zusammenhang mit dem betr. Druckvermerk in Betracht kommen kann. Es geht aber dabei um Geeignetheit einer Tatsache als Prima-Facie-Beweis für eine Folgetatsache, was aber voraussetzen dürfte, dass die Folgetatsache (hier: Öffentliche Zugänglichkeit eines Katalogs) als solche erst einmal konkret vorgetragen ist, zumal es auch der Lebenserfahrung entspricht, dass Druckwerke vor ihrer Zugänglichmachung gegenüber der Öffentlichkeit im Entwurf dem Auftraggeber zuerst zur Freigabe vorgelegt werden und auch derartige Entwürfe bereits einen Druckvermerk aufweisen können, wenn der Auftragnehmer mit rascher Freigabe rechnet.

203

Auch hinsichtlich der weiteren, mit Schriftsatz v. 15. Juni 2022 von der Antragstellerin ins Verfahren eingeführten Entgegenhaltungen, sei es in Form schriftlicher Beschreibungen wie Broschüren, Produktbeschreibungen, Montageanleitungen, sei es in Form von in Deutschland erfolgten Vorbenutzungen (vgl. § 3 Abs. 1 Satz 2 GebrMG), erscheint fraglich, ob die Antragsgegnerin die öffentliche Zugänglichkeit bzw. die Offenkundigkeit der Benutzung im Geltungsbereich des GebrMG bereits hinreichend substantiiert vorgetragen hat.

204

6. Entscheidungsreif ist die Beschwerde daher nur insoweit, als die Antragsgegnerin das Streitgebrauchsmuster in der eingetragenen Fassung verteidigt, da hinsichtlich dieser Fassung der Löschungsgrund des § 15 Abs. 1 Nr. 3 GebrMG zu bejahen ist (s.o. Ziff. 3.). Im Übrigen ist es angesichts der o.g. Sachlage angemessen, den angefochtenen Beschluss aufzuheben und zur weiteren Prüfung und Entscheidung an das DPMA zurückzuverweisen (§§ 18 Abs. 2 Satz 1 GebrMG, 79 Abs. 3 Nr. 3 PatG).

205

Nach den o.g. Ausführungen sind die in der Beschwerdeinstanz neu ins Verfahren eingeführten Entgegenhaltungen zumindest potentiell entscheidungserheblich für die Wirksamkeit des Streitgebrauchsmusters im Umfang der Schutzansprüche nach Neuem Hilfsantrag 1 (vgl. Busse, PatG, 9. Aufl., § 19, Rn. 69). Es handelt sich zudem um völlig andersartige Entgegenhaltungen als die vornehmlich druckschriftlichen Entgegenhaltungen, die Gegenstand des erstinstanzlichen Löschungsverfahrens waren, so dass die Situation vergleichbar ist mit der Einreichung eines neuen Löschungs- bzw. Feststellungsantrags. Eine Zurückweisung dieses neuen Sachvortrags als verspätet kommt mit Blick auf das gebrauchsmusterrechtliche Löschungsverfahren, in welchem die Zulässigkeit und die Schutzfähigkeit von Anspruchsfassungen erstmals materiell geprüft werden, nicht in Betracht. Zudem sind in Zusammenhang mit den neu eingeführten Entgegenhaltungen komplexe, weitere Fragen zu klären, nämlich:

206

– Ist die öffentliche Zugänglichkeit bzw. die Offenkundigkeit einer Vorbenutzung von schriftlichen Beschreibungen substantiiert vorgetragen, wenn ja, ist sie unbestritten, falls bestritten, welche Beweismittel sind benannt?

207

– Ist – vorausgesetzt die öffentliche Zugänglichkeit ist substantiiert vorgetragen – ggf. welche neue Entgegenhaltung hinsichtlich des Gegenstands des Neuen Hilfsantrags 1 neuheitsschädlich?

208

– Ist keine der neuen Entgegenhaltungen neuheitsschädlich, welche stellt den ggf. nächstliegenden Stand der Technik dar?

209

– Welche der neuen Entgegenhaltungen ist in Zusammenschau mit welcher weiteren Entgegenhaltung geeignet, das Vorliegen eines erfinderischen Schritts beim Gegenstand des Streitgebrauchsmusters nach Neuem Hilfsantrag 1 in Frage zu stellen?

210

Sollte sich der Gegenstand des Streitgebrauchsmusters nach Neuem Hilfsantrag 1 nicht als schutzfähig erweisen, so stellen sich die vorgenannten Fragen auch zu den Anspruchsfassungen nach den weiteren Hilfsanträgen.

211

Es kommt hinzu, dass – wie bereits ausgeführt – zur Klärung dieser Fragen weiterer Sachvortag beider Beteiligter erforderlich erscheint. Zwar ist die Beschwerdeinstanz auch Tatsacheninstanz. Allerdings ist der Senat als Beschwerdeinstanz im Wesentlichen für die Überprüfung angefochtener Entscheidungen zuständig; es ist grundsätzlich nicht seine vorrangige Aufgabe, die erstmalige Prüfungspflicht der Gebrauchsmusterabteilung des DPMA im Rahmen des gebrauchsmusterrechtlichen Löschungsverfahrens an deren Stelle zu erfüllen. Um zu einer abschließenden Entscheidung zu kommen, sind weitere, aufwändige Prüfungen der Sach- und Rechtslage, wie sie sich nach Einführung der neuen Entgegenhaltungen in der Beschwerdeinstanz darstellt, erforderlich. In diesem Zusammenhang ist auch die Durchführung einer Beweisaufnahme möglich. Hiermit ist auch ein entsprechender Zeitaufwand verbunden. Eine abschließende Entscheidung des Senats würde andererseits zum Verlust einer Instanz führen. Belange der Öffentlichkeit sind hingegen weniger betroffen, da das Streitgebrauchsmuster erloschen ist. Auch unter Berücksichtigung des zwischen den Beteiligten derzeit anhängigen, aber ausgesetzten Verletzungsprozesses entspricht es unter Abwägung der vorgenannten Fallumstände dem bei der Frage der Zurückverweisung anzuwendenden pflichtgemäßen Ermessen (vgl. Schulte, PatG, 11. Aufl., § 79, Rn. 17, 18), die Sache hinsichtlich des noch nicht entscheidungsreifen Neuen Hilfsantrags 1, aber auch der weiteren Hilfsanträge der Antragsgegnerin, die sie auch zum Gegenstand ihres in der mündlichen Verhandlung v. 22. Juni 2022 gestellten Sachantrags gemacht hat, an das DPMA zur weiteren Prüfung und Entscheidung zurückzuverweisen.

212

7. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 18 Abs. 2 Satz 2 GebrMG, 84 Abs. 2 PatG, 92, 97 ZPO. Billigkeitsgründe, die eine andere Kostenentscheidung erfordern würden, sind nicht gegeben.