BGH 5. Strafsenat, Urteil vom 25.05.2022, AZ 5 StR 344/21, ECLI:DE:BGH:2022:250522U5STR344.21.0
Verfahrensgang
vorgehend LG Leipzig, 27. April 2021, Az: 8 KLs 851 Js 44256/19
Tenor
Auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft und der Nebenklägerin wird das Urteil des Landgerichts Leipzig vom 27. April 2021 aufgehoben, soweit der Angeklagte im Fall II.1 der Urteilsgründe freigesprochen worden ist.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
– Von Rechts wegen –
Gründe
1
Das Landgericht hat den Angeklagten von den Vorwürfen des Raubes in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung (Fall II.1) und der versuchten besonders schweren räuberischen Erpressung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung (Fall II.2) freigesprochen. Gegen den Freispruch im Fall II.1 der Urteilsgründe wenden sich die Staatsanwaltschaft und die Nebenklägerin mit ihren Revisionen. Die vom Generalbundesanwalt vertretenen Rechtsmittel haben Erfolg.
I.
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1. Dem Angeklagten liegt – soweit hier noch von Bedeutung – gemäß der unverändert zugelassenen Anklage der Staatsanwaltschaft Leipzig zur Last, am Mittag des 15. August 2019 in L. mit einem von ihm genutzten PKW Mazda der Zeugin F. in der Nähe der Haltestelle P. , an der die Nebenklägerin auf ihre Straßenbahn wartete, angehalten und sodann, für die Nebenklägerin überraschend, nach deren Rucksack gegriffen und versucht zu haben, ihr diesen zu entwenden, um ihn für sich zu behalten. Da sie den Rucksack festgehalten habe, sei es zu einem mehrere Minuten dauernden Gerangel gekommen, wobei der Angeklagte an dem Rucksack gezerrt und schließlich aus diesem eine Kiste mit Computerzubehör im Wert von circa 140 Euro herausgezogen habe. Mit der Beute sei er ins Auto gestiegen und habe den Tatort verlassen. Durch die Auseinandersetzung mit dem Angeklagten habe die Geschädigte, neben psychischen Folgen in Form von fortwährenden erheblichen Angstzuständen, Schmerzen und Prellungen sowie eine langwierige Verletzung des Ringfingers der rechten Hand erlitten, was der Angeklagte bei Tatbegehung wenigstens billigend in Kauf genommen habe.
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2. Das Landgericht hat den Angeklagten aus tatsächlichen Gründen freigesprochen, weil es sich nicht davon zu überzeugen vermocht hat, dass er Täter oder Teilnehmer der ihm angelasteten Taten war. Zur Begründung hat es ausgeführt:
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Auf die Zeugenaussage der Nebenklägerin könne eine „strafrechtliche Verantwortlichkeit des Angeklagten als dem mutmaßlichen Täter“ nicht gestützt werden, weil sie ihn nicht zweifelsfrei identifiziert habe. Ihre Täterbeschreibung passe nicht zu seinem Äußeren. Dem Wiedererkennen des Angeklagten durch die Nebenklägerin in der Hauptverhandlung hat das Landgericht im Ergebnis keinen Beweiswert beigemessen, weil es ihr nicht geglaubt hat. Denn ihre Aussage sei fremd- und autosuggestiven Einflüssen ausgesetzt gewesen. Sie habe aufgrund der durch die Tat erlittenen Verletzungen ein erhebliches Eigeninteresse gehabt, Gewissheit über die Person des Täters zu erlangen. Darüber hinaus sei sie anlässlich der Wahllichtbildvorlage bei der Polizei durch den vernehmenden Beamten durch dessen Äußerung, der Täter habe möglicherweise eine Perücke getragen, (fremd-)beeinflusst worden.
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Den indiziellen Beweiswert der Feststellung des DNA-Identifizierungsmusters des Angeklagten in einer am Griff des Rucksacks der Nebenklägerin gesicherten Mischspur mit Hauptkomponenten zweier Personen, die neben dem des Angeklagten das DNA-Profil der Nebenklägerin aufwies, hat das Landgericht als entkräftet angesehen. Weder diese DNA-Spur für sich genommen noch in der Zusammenschau mit dem Umstand, dass die Zeugin R. den mutmaßlichen Täter als Fahrer des in der Nähe des Tatorts haltenden dunkelblauen PKW Mazda mit dem amtlichen Kennzeichen des vom Angeklagten genutzten Fahrzeugs wahrgenommen habe, könnte Zweifel an der Täterschaft des Angeklagten ausräumen. Bei den DNA-Spuren sei eine Drittübertragung – gegebenenfalls durch einen unbekannten Nutzer des sonst vom Angeklagten geführten PKW – „nicht auszuschließen“. Außerdem weiche auch die Täterbeschreibung der Zeugin R. vom tatsächlichen Erscheinungsbild des Angeklagten ab.
II.
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Die Revisionen der Staatsanwaltschaft und der Nebenklägerin haben mit der Sachrüge Erfolg. Der Freispruch im Fall II.1 kann keinen Bestand haben.
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1. Das Urteil entspricht nicht den Anforderungen, die gemäß § 267 Abs. 5 StPO an ein freisprechendes Urteil zu stellen sind.
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a) Spricht das Tatgericht einen Angeklagten aus tatsächlichen Gründen frei, muss es regelmäßig in einer geschlossenen Darstellung die als erwiesen angesehenen Tatsachen feststellen, bevor es in der Beweiswürdigung darlegt, aus welchen Gründen die für einen Schuldspruch erforderlichen zusätzlichen Feststellungen nicht getroffen werden können. Denn es ist Aufgabe der Urteilsgründe, dem Revisionsgericht auf diese Weise eine umfassende Nachprüfung der freisprechenden Entscheidung zu ermöglichen (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteile vom 4. Februar 2021 – 4 StR 457/20; vom 27. Februar 2020 – 4 StR 568/19, NStZ 2021, 121, 122; vom 22. Mai 2019 ‒ 5 StR 36/19, NStZ-RR 2019, 254; vom 29. November 2011 – 1 StR 287/11).
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b) Diesen Mindestanforderungen wird das Urteil schon deshalb nicht gerecht, weil es keine geschlossene Darstellung von Feststellungen enthält. Der Wiedergabe des Anklagevorwurfs folgt die Beweiswürdigung. Es bleibt offen, von welchem als erwiesen angesehenen Sachverhalt das Landgericht ausgegangen ist. Das betrifft namentlich Feststellungen zum objektiven Tathergang, zu dem vom Angeklagten genutzten PKW und dessen möglichen Tatbezug oder zu seiner Benutzung durch dritte Personen und schließlich zum äußeren Erscheinungsbild des Angeklagten zur Tatzeit, von dem nach den Ausführungen in der Beweiswürdigung die Täterbeschreibungen der Nebenklägerin und einer weiteren Zeugin abweichen sollen. Auf dieser Basis ist es dem Senat verwehrt, den Freispruch anhand der Urteilsgründe umfassend rechtlich nachzuprüfen. Eine Fallgestaltung, in der Feststellungen zum eigentlichen Tatgeschehen in Gänze nicht möglich oder im Einzelfall nicht nötig gewesen wären (vgl. BGH, Urteile vom 22. März 2018 – 5 StR 566/17, BGHSt 63, 107, 109; vom 6. April 2005 ‒ 5 StR 441/04; vom 9. Juni 2005 – 3 StR 269/04, NJW 2005, 2322, 2325), liegt nicht vor.
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2. Zudem erweist sich die Beweiswürdigung – nicht allein, weil sie keinen Bezug zu den vermissten Feststellungen haben kann – auch eingedenk des nur eingeschränkten revisionsrechtlichen Überprüfungsumfangs (BGH, Urteil vom 10. November 2021 – 5 StR 127/21 Rn. 11 mwN) als rechtsfehlerhaft.
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a) Es fehlt an einer für das Revisionsgericht nachvollziehbaren Bewertung des am Henkel des Rucksacks der Nebenklägerin festgestellten, in 16 Allelen übereinstimmenden DNA-Teilprofils des Angeklagten in einer die Hauptkomponenten von zwei Personen aufweisenden Mischspur, die mit einer Wahrscheinlichkeit von 1 zu 30 Milliarden vom Angeklagten und der Nebenklägerin stammen. Das Urteil lässt insoweit nicht erkennen, ob das Landgericht bei der Bewertung der Aussagekraft dieser Spur deren Lage am Henkel, den der Täter nach der Aussage der Geschädigten berührt haben soll, berücksichtigt hat. Deshalb vermag der Senat auch nicht einzuschätzen, welche Bedeutung das Landgericht dem Umstand beigemessen hat, dass die Sachverständige am Rucksack ein weiteres, rudimentäres und deshalb nicht identifizierbares DNA-Profil einer dritten unbekannten Person festgestellt hat. Das Urteil teilt insoweit nicht mit, an welchem Teil des Rucksacks diese Spur gesichert wurde und ob sie eine Verbindung zu der vom Angeklagten stammenden DNA-Spur aufweist. Vor diesem Hintergrund ergeben die im Urteil geschilderten Beweisergebnisse keine Grundlage für die Erwägung des Landgerichts, dass DNA des Angeklagten von einem unbekannten Dritten angetragen worden sein könne, der bei einer unterstellten vorangegangenen Benutzung des ansonsten vom Angeklagten verwendeten PKW unmittelbar vor dem Tatgeschehen mit ausreichendem Zellmaterial (des Angeklagten) in Kontakt getreten sein könnte.
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b) Darüber hinaus findet die Annahme des Landgerichts, der „dem Angeklagten zur ständigen Nutzung durch die Halterin […] zur Verfügung“ gestellte PKW, dessen Kennzeichen die Zeugin R. am Tattag zutreffend notiert hatte, hätte von anderen Personen – „entgegen der Überlassungsvereinbarung“ – benutzt worden sein können, im Urteil keine Stütze. Auch mit Blick auf den Zweifelssatz gibt es keinen Grund, zugunsten des Angeklagten von Annahmen auszugehen, für die die Beweisaufnahme keine Anhaltspunkte erbracht hat (st. Rspr.; vgl. zuletzt etwa BGH, Urteil vom 2. Februar 2022 – 5 StR 282/21 Rn. 10 mwN). Solche ergeben sich insbesondere nicht aus der Beweiswürdigung im Zusammenhang mit dem Freispruch im Fall II.2. Hinsichtlich dieses hat das Landgericht nicht mit der erforderlichen Sicherheit festzustellen vermocht, dass der vom Angeklagten genutzte PKW zur Tatzeit in der Nähe des Tatorts war. Zu einer Identifizierung des Angeklagten als den auf einer Videoaufnahme zu erkennenden maskierten Täter hat sich das Landgericht trotz einiger dafür sprechender Indizien außerstande gesehen. Diese Erwägungen des Landgerichts stehen mithin einer Täterschaft des Angeklagten im Fall 1 nicht entgegen.
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3. Der Freispruch im Fall II.1 beruht auf den aufgezeigten Rechtsfehlern (§ 337 Abs.1 StPO); dies zieht die Aufhebung etwaiger Feststellungen insoweit nach sich. Auf die von der Nebenklägerin erhobenen Verfahrensrügen kommt es deshalb nicht mehr an.
- Cirener
- Mosbacher
- Resch
- von Häfen
- Werner