Anordnung einer Außenprüfung bei Anfangsverdacht einer Steuerstraftat (Beschluss des BFH 8. Senat)

BFH 8. Senat, Beschluss vom 24.05.2022, AZ VIII B 53/21, ECLI:DE:BFH:2022:B.240522.VIIIB53.21.0

§ 5 AO, § 193 Abs 1 AO, § 76 Abs 1 S 1 FGO, § 102 FGO, § 115 Abs 2 Nr 2 Alt 1 FGO

Leitsatz

NV: Da sich für den Erlass einer Prüfungsanordnung keine konkreten und allgemeingültigen Maßstäbe zur Wahrung der Verhältnismäßigkeit und zur Beachtung des Willkür- und Schikaneverbots entwickeln lassen, wirft der Beschwerdeführer keine abstrakte Rechtsfrage i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 1 FGO auf, wenn er geklärt sehen will, ob aus bestimmten Umständen des Streitfalls abstrahierend erhöhte Begründungsanforderungen im Rahmen der Ermessensprüfung des FA abzuleiten sind.

Verfahrensgang

vorgehend Sächsisches Finanzgericht, 22. März 2021, Az: 6 K 1631/19, Urteil

Tenor

Die Beschwerde der Klägerin wegen Nichtzulassung der Revision gegen das Urteil des Sächsischen Finanzgerichts vom 22.03.2021 – 6 K 1631/19 wird als unbegründet zurückgewiesen.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens hat die Klägerin zu tragen.

Gründe

1

Die Beschwerde ist unbegründet.

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Die Revision ist nicht zur Fortbildung des Rechts gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zuzulassen (unter 1.). Die Vorentscheidung kann nicht auf dem gerügten Verfahrensfehler beruhen, das Sächsische Finanzgericht (FG) habe seine Sachaufklärungspflicht aus § 76 Abs. 1 Satz 1 FGO verletzt, indem es den in der mündlichen Verhandlung beantragten Zeugenbeweis nicht erhoben habe (unter 2.).

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1. Die Revision ist nicht zur Fortbildung des Rechts zuzulassen. Die erste von der Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) aufgeworfene Rechtsfrage ist bei Zweifeln an ihrer Abstraktheit im Streitfall jedenfalls nicht klärungsfähig (unter 1.b). Die zweite aufgeworfene Frage ist keine abstrakte Rechtsfrage (unter 1.c).

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a) Der Zulassungsgrund der Fortbildung des Rechts gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 1 FGO stellt einen Spezialfall des Zulassungsgrunds der grundsätzlichen Bedeutung gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO dar. Die Revision ist zur Fortbildung des Rechts zuzulassen, wenn davon auszugehen ist, dass im Einzelfall Veranlassung besteht, Grundsätze und Leitlinien für die Auslegung von Gesetzesbestimmungen des materiellen Rechts oder des Verfahrensrechts aufzustellen oder Gesetzeslücken rechtsschöpferisch auszufüllen (vgl. z.B. Beschlüsse des Bundesfinanzhofs –BFH– vom 24.06.2014 – XI B 45/13, BFH/NV 2014, 1584, Rz 35; vom 23.07.2019 – XI B 29/19, BFH/NV 2019, 1363, Rz 12). Auch dieser Zulassungsgrund setzt eine klärungsbedürftige und klärbare, abstrakte Rechtsfrage voraus (vgl. z.B. BFH-Beschlüsse vom 24.07.2017 – XI B 25/17, BFH/NV 2017, 1591, Rz 25; vom 02.01.2018 – XI B 81/17, BFH/NV 2018, 457, Rz 16, und vom 14.07.2020 – XI B 1/20, BFH/NV 2020, 1258, Rz 13).

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b) Auf dieser Grundlage ist die erste von der Klägerin aufgeworfene Rechtsfrage im Streitfall nicht klärungsfähig.

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aa) Die Klägerin geht nach ihrem Vorbringen in der Beschwerdebegründung selbst davon aus, dass

  • gemäß § 193 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO) Außenprüfungen bei Freiberuflern (Einzelunternehmen und Personengesellschaften) in den Grenzen des Verhältnismäßigkeitsprinzips und des Willkürverbots grundsätzlich unbeschränkt zulässig sind (vgl. dazu aus der ständigen Rechtsprechung des BFH die Beschlüsse vom 14.07.2014 – III B 8/14, BFH/NV 2014, 1880, m.w.N.; vom 11.01.2018 – VIII B 67/17, BFHE 260, 385, BStBl II 2020, 626, Rz 32, und zur freiberuflichen Personengesellschaft vom 13.12.2018 – VIII B 114/18, BFH/NV 2019, 385, Rz 5),
  • die Anordnung einer Außenprüfung nach den Vorgaben des Verhältnismäßigkeitsprinzips und des Willkürverbots nicht ermessensfehlerhaft ist, wenn hinsichtlich der betroffenen Steuerarten und Besteuerungszeiträume der Anfangsverdacht einer Steuerstraftat besteht (vgl. dazu z.B. BFH-Urteile vom 14.04.2020 – VI R 32/17, BFHE 268, 493, BStBl II 2020, 487, Rz 33; vom 15.06.2016 – III R 8/15, BFHE 254, 203, BStBl II 2017, 25, Rz 20).

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bb) Anknüpfend daran geht es der Klägerin mit der aufgeworfenen Rechtsfrage um die Klärung, ob eine Prüfungsanordnung ohne eine besondere Begründung ermessensfehlerhaft ist, wenn bei ihrem Erlass schon gegen einen der Gesellschafter ermittelt wird und die Außenprüfung auf Ebene der Gesellschaft offensichtlich strafrechtlichen Ermittlungen gegen diesen Gesellschafter dient. Diese Rechtsfrage ist –bei Zweifeln an ihrer hinreichenden Abstraktheit (vgl. BFH-Beschluss vom 15.10.2021 – VIII B 130/20, BFH/NV 2022, 97, Rz 8 ff.)– im Streitfall jedenfalls nicht klärungsfähig.

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Nach den Feststellungen des FG, an die der Senat gemäß § 118 Abs. 2 FGO gebunden ist, hatte die Außenprüfung bei der Klägerin für die Zeiträume von 2014 bis 2017 nicht den Zweck, die strafrechtlichen Ermittlungen gegen den Gesellschafter K für Sachverhalte aus den Zeiträumen 2012 bis 2014 voranzutreiben und zu unterstützen. Das FG hat im Tatbestand des Urteils auf Seite 2 wiedergegeben, warum die Veranlagungsstelle die Klägerin für den Streitzeitraum für prüfungswürdig hielt. Zu den dort angesprochenen Sachverhalten, welche nur zum Teil Fahrzeuge im Betriebsvermögen der Klägerin betreffen, die vorher K gehörten, zählte nicht die Frage, ob diese Fahrzeuge in den Jahren 2012 bis 2014 zu Recht dem Betriebsvermögen der Einzelpraxis des K zugeordnet waren. Auf Seite 7 und 8 des Urteils hat das FG in den Entscheidungsgründen dargelegt, es seien hinsichtlich der in den Streitjahren 2014 bis 2017 im Betriebsvermögen der Klägerin befindlichen, früheren Fahrzeuge des K und zwischen den strafrechtlichen Ermittlungen gegen K sowie der Außenprüfung bei der Klägerin zwar Überschneidungen denkbar. Diese Bezüge seien jedoch –auf Grundlage der oben zitierten BFH-Rechtsprechung– für die Rechtmäßigkeit der Ermessensentscheidung des Beklagten und Beschwerdegegners (Finanzamt) unerheblich, da eine Außenprüfung ohne Ermessensfehler auch angeordnet werden dürfe, wenn hinsichtlich der betroffenen Steuerarten und Besteuerungszeiträume (hier von 2014 bis 2017) der Anfangsverdacht einer Steuerstraftat bestehe. Die Anordnung der Außenprüfung sei ferner auch dann ermessensgerecht, wenn sie ausschließlich erfolge, um für den Prüfungszeitraum 2014 bis 2017 Steuerhinterziehungstatbestände im Zusammenhang mit den von K auf die Klägerin übertragenen Fahrzeugen zu ermitteln.

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cc) Die Anordnung der Außenprüfung diente damit –entgegen der Begründung der Klägerin– nicht offensichtlich dazu, den strafrechtlichen Vorwürfen gegen K für die Veranlagungszeiträume 2012 bis 2014 nachzugehen. Es sollten Sachverhalte des Prüfungszeitraums 2014 bis 2017 auf Ebene der Klägerin aufgeklärt werden, die die Nutzung der früheren Fahrzeuge des K, aber nicht die Zuordnung der Fahrzeuge zur Einzelpraxis des K in den Vorjahren betrafen. Da die Prüfungsanordnung nicht den von der Klägerin behaupteten Zweck hatte, strafrechtliche Sachverhalte gegen K aus den Vorjahren weiter aufzuklären, stellt sich die aufgeworfene Frage, ob eine zu einem solchen Zweck erlassene Prüfungsanordnung ermessensfehlerhaft sein könnte, im Streitfall nicht.

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c) Die zweite aufgeworfene Rechtsfrage,

ob eine Anordnung der Außenprüfung bei der GbR ohne weitere Begründung rechtmäßig ist, wenn für einen bei dem Gesellschafter (K) geprüften Zeitraum, der mit dem Prüfungszeitraum bei der Gesellschaft identisch ist (2014) und in dem die Finanzverwaltung von der Außenprüfung zur Steuerfahndung übergegangen ist, das Ermessen dahingehend ausgeübt wird, dass auch bei der GbR die Außenprüfung angeordnet wird, bzw. ob in diesem Fall ein besonderes Begründungserfordernis vorliegt,

betrifft keine abstrakte Rechtsfrage i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 1 FGO, sondern eine spezifische Frage des Streitfalls als Einzelfall.

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Ob und in welchem Umfang bei einem Steuerpflichtigen nach § 193 AO eine Außenprüfung angeordnet wird, ist eine Ermessensentscheidung, die vom Gericht nach § 102 FGO nur darauf zu überprüfen ist, ob die gesetzlichen Grenzen der Ermessensvorschrift eingehalten wurden und ob die Behörde das ihr eingeräumte Ermessen unter Beachtung des Gesetzeszweckes (§ 5 AO) fehlerfrei ausgeübt hat. Für den Erlass einer Prüfungsanordnung lassen sich daher keine konkreten und allgemeingültigen Maßstäbe zur Wahrung der Verhältnismäßigkeit und zur Beachtung des Willkür- und Schikaneverbots entwickeln (BFH-Beschluss in BFH/NV 2022, 97, Rz 10).

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Die Klägerin wirft mit ihrer zweiten Frage nach den Grenzen der fehlerfreien Ermessensausübung somit keine abstrakte und im Allgemeininteresse klärungsfähige Rechtsfrage auf. Sie kleidet Umstände des Streitfalls, die sie im Rahmen der Ermessensausübung für relevant hält, in eine abstrakt formulierte Frage.

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2. Die Revision ist ferner weder wegen des behaupteten Verstoßes des FG gegen die Sachaufklärungspflicht (§ 76 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO) zuzulassen, noch ist die Vorentscheidung deswegen aufzuheben und die Sache an das FG zurückzuverweisen (§ 116 Abs. 6 FGO).

14

a) Ein Verstoß gegen die Sachaufklärungspflicht liegt vor, wenn das FG einen entscheidungserheblichen Beweisantrag übergeht. Ein ordnungsgemäß gestellter Beweisantrag darf nur unberücksichtigt bleiben, wenn das Beweismittel für die zu treffende Entscheidung unerheblich, das Beweismittel unerreichbar bzw. unzulässig oder untauglich ist oder wenn die in Frage stehende Tatsache zugunsten des Beweisführenden als wahr unterstellt werden kann (ständige Rechtsprechung, z.B. BFH-Beschlüsse vom 29.06.2011 – X B 242/10, BFH/NV 2011, 1715, m.w.N., vom 12.02.2018 – X B 64/17, BFH/NV 2018, 538, Rz 11). Das angegriffene Urteil muss ausgehend vom materiell-rechtlichen Standpunkt des FG auf der unterbliebenen Zeugenvernehmung beruhen können (vgl. BFH-Beschluss vom 04.05.2021 – VIII B 121/20, BFH/NV 2021, 1329, Rz 17).

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b) Die Klägerin hatte in der mündlichen Verhandlung beantragt, zum Beweis der Tatsache, dass eine intensive Abstimmung zwischen der Steuerfahndung und den Beamten der Betriebsprüfung stattgefunden habe, die zuständige Fahndungsprüferin sowie den Außenprüfer als Zeugen zu vernehmen. Das FG lehnte die Beweiserhebung mit der Begründung ab, die Aufklärung dieser Tatsache sei unerheblich, weil eine wie auch immer geartete Kommunikation zwischen diesen beiden Stellen keine erhöhten Begründungsanforderungen für den ermessensgerechten Erlass der Prüfungsanordnung zur Folge habe. Die Anordnung einer Außenprüfung sei auch dann nicht ermessensfehlerhaft, wenn die Prüfung ausschließlich angeordnet werde, um festzustellen, ob im Prüfungszeitraum Steuerbeträge hinterzogen oder leichtfertig verkürzt worden seien.

16

c) Die Vorentscheidung kann danach nicht auf dem gerügten Verfahrensfehler beruhen. Die beantragten Zeugenvernehmungen waren für die Entscheidung des Streitfalls nach dem maßgeblichen Rechtsstandpunkt des FG nicht erheblich.

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3. Von einer Darstellung des Tatbestands und weiteren Begründung sieht der Senat ab (§ 116 Abs. 5 Satz 2 FGO).

18

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO.