Nichtannahmebeschluss: Zu den Substantiierungsanforderungen im Falle der Rüge einer Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art 103 Abs 1 GG) (Nichtannahmebeschluss des BVerfG 2. Senat 1. Kammer)

BVerfG 2. Senat 1. Kammer, Nichtannahmebeschluss vom 12.05.2022, AZ 2 BvR 354/21, ECLI:DE:BVerfG:2022:rk20220512.2bvr035421

Art 103 Abs 1 GG, § 23 Abs 1 S 2 BVerfGG, § 92 BVerfGG, § 253 Abs 2 BGB, § 823 Abs 1 BGB

Verfahrensgang

vorgehend BGH, 26. Januar 2021, Az: VIII ZR 374/19, Beschluss
vorgehend LG München II, 16. Juli 2019, Az: 12 S 3449/17, Urteil

vorgehend AG Miesbach, 10. August 2017, Az: (3) 1 C 169/16, Urteil

Tenor

Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung von Rechtsanwalt (…), wird abgelehnt, weil die beabsichtigte Rechtsverfolgung keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet.

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.

Gründe

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1. Die Voraussetzungen des § 93a Abs. 2 BVerfGG liegen nicht vor. Der Verfassungsbeschwerde kommt keine grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung zu. Die Annahme ist auch nicht zur Durchsetzung der in § 90 Abs. 1 BVerfGG genannten Rechte angezeigt. Die Verfassungsbeschwerde hat keine Aussicht auf Erfolg (vgl. BVerfGE 90, 22 <25 f.>). Sie ist unzulässig.

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a) Die Verfassungsbeschwerde wird schon zum Teil dem aus § 90 Abs. 2 BVerfGG abzuleitenden Grundsatz der materiellen Subsidiarität nicht gerecht. Dieser Grundsatz erfordert, dass ein Beschwerdeführer vor Erhebung der Verfassungsbeschwerde den Rechtsweg nicht nur formell, sondern auch in der gehörigen Weise unter Nutzung der gegebenen Möglichkeiten durchläuft, um auf die Vermeidung oder Korrektur des gerügten Grundrechtsverstoßes hinzuwirken (vgl. BVerfGE 112, 50 <60>). Daran fehlt es hier zum einen hinsichtlich der Rüge, das Landgericht München II habe die Frage der Vorhersehbarkeit der diagnostizierten Depression nicht ausreichend ermittelt. Die Beschwerdeführerin hat es unterlassen, selbst in der mündlichen Verhandlung entsprechende Fragen zu stellen oder die Einholung eines weiteren Sachverständigengutachtens zu beantragen. Gleiches gilt hinsichtlich der von der Beklagtenseite bestrittenen monatlichen Fahrtkosten. Auch hier hätte die Beschwerdeführerin die Möglichkeit gehabt, entsprechende Beweisanträge in der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht zu stellen.

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b) Die Begründung der Verfassungsbeschwerde genügt im Übrigen nicht den Anforderungen aus § 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 BVerfGG. Nach diesen Vorschriften ist der Sachverhalt, aus dem sich die Grundrechtsverletzung ergeben soll, substantiiert und schlüssig darzulegen. Ferner muss sich die Verfassungsbeschwerde mit dem zugrundeliegenden einfachen Recht sowie mit der verfassungsrechtlichen Beurteilung des vorgetragenen Sachverhalts auseinandersetzen. Aus dem Vortrag eines Beschwerdeführers muss sich mit hinreichender Deutlichkeit die Möglichkeit einer Grundrechtsverletzung ergeben (vgl. BVerfGE 78, 320 <329>).

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Soweit sich die Verfassungsbeschwerde gegen das Urteil des Amtsgerichts Miesbach vom 10. August 2017 und gegen den Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 26. Januar 2021 richtet, ist sie schon deshalb unzulässig, weil sich die Beschwerdeführerin in der Begründung der Verfassungsbeschwerde nicht mit diesen Entscheidungen auseinandersetzt. Aber auch mit Blick auf die Entscheidung des Landgerichts München II macht sie die Verletzung von Grundrechten nicht hinreichend substantiiert deutlich.

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aa) Dies betrifft zunächst die Rüge der Verletzung des rechtlichen Gehörs nach Art. 103 Abs. 1 GG.

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Der Anspruch auf rechtliches Gehör bedeutet, dass das entscheidende Gericht durch die mit dem Verfahren befassten Richter die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis nehmen und in Erwägung ziehen muss (vgl. BVerfGE 11, 218 <220>; 70, 215 <218>; 72, 119 <121>; 79, 51 <61>; 83, 24 <35>; 96, 205 <216>; stRspr). Ob das einfache Recht dabei in jeder Hinsicht richtig angewandt worden ist, hat das Bundesverfassungsgericht nicht nachzuprüfen; selbst wenn sich hier Bedenken ergäben, führte dies nicht zu einer Verletzung von Art. 103 Abs. 1 GG (vgl. BVerfGE 67, 90 <95>; 70, 288 <294>). Auch sind die Gerichte durch Art. 103 Abs. 1 GG nicht verpflichtet, jedes Vorbringen der Beteiligten in den Gründen der Entscheidung ausdrücklich zu bescheiden (BVerfGE 5, 22 <24>; 22, 267 <274>; 96, 205 <216 f.>; 134, 106 <117 Rn. 32>; stRspr). Die wesentlichen, der Rechtsverfolgung und Rechtsverteidigung dienenden Tatsachenbehauptungen und Rechtsausführungen müssen aber jedenfalls in den Entscheidungsgründen verarbeitet werden (vgl. BVerfGE 47, 182 <189>; 51, 126 <129>; 58, 353 <357>). Grundsätzlich ist deshalb davon auszugehen, dass ein Gericht das Vorbringen der Beteiligten zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen hat, da es nach Art. 103 Abs. 1 GG nicht verpflichtet ist, jedes Vorbringen in den Gründen seiner Entscheidung ausdrücklich zu verbescheiden (vgl. BVerfGE 5, 22 <24>). Nur dann, wenn sich im Einzelfall klar ergibt, dass ein Gericht seiner Pflicht, das Vorbringen der Parteien zur Kenntnis zu nehmen und zu erwägen, nicht nachgekommen ist, ist Art. 103 Abs. 1 GG verletzt (vgl. BVerfGE 25, 137 <140 f.>).

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Zutreffend weist die Beschwerdeführerin zwar darauf hin, dass das Landgericht einen wesentlichen Teil ihrer Argumentation nicht berücksichtigt hat. Das Amtsgericht Miesbach hatte sich bezüglich der Einheitlichkeit des Schmerzensgeldanspruchs ausschließlich an der Entscheidung des Oberlandesgerichts München orientiert (Urteil vom 15. März 2013 – 10 U 4171/12 -, juris, verweisend auf BGH, Urteil vom 14. Februar 2006 – VI ZR 322/04 -, juris). Die Beschwerdeführerin führt in der Berufungsbegründung aus, dass die vom Amtsgericht in Bezug genommene Rechtsprechung eine Fallkonstellation betreffe, in der – anders als in ihrem Verfahren – der Feststellungsantrag hinsichtlich zukünftiger materieller und immaterieller Schäden abgewiesen worden sei. Sie verweist wiederholt darauf, dass im Rahmen des Vergleichs der titulierte Anspruch auf Ersatz zukünftiger materieller und immaterieller Schäden (Ziffer II. des Tenors des Urteils vom 3. November 2006) ausdrücklich bestehen bleiben sollte. Auf diesen Aspekt geht das Landgericht München II in seinem Urteil vom 16. Juli 2019 nicht ein. Es stellt lediglich fest, dass der Beschwerdeführerin durch den Vergleich vom 8. Mai 2007 in Verbindung mit dem amtsgerichtlichen Urteil vom 3. November 2006 ein
„uneingeschränktes Schmerzensgeld“ zugesprochen worden sei, und zitiert – ebenso wie das Amtsgericht – aus der Entscheidung des Oberlandesgerichts München (Urteil vom 15. März 2013 – 10 U 4171/12 -, juris). Vor diesem Hintergrund spricht Vieles dafür, dass das Landgericht den diesbezüglichen Vortrag der Beschwerdeführerin nicht weiter zur Kenntnis genommen und erwogen hat.

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Die Rüge der Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör kann jedoch nur Erfolg haben, wenn die angefochtene gerichtliche Entscheidung auf einer Verletzung des Art. 103 Abs. 1 GG beruht, wenn also nicht ausgeschlossen werden kann, dass die Anhörung des Beschwerdeführers das Gericht zu einer anderen Beurteilung des Sachverhalts oder in einem wesentlichen Punkt zu einer anderen Würdigung veranlasst oder im Ganzen zu einer anderen, ihm günstigeren Entscheidung geführt hätte (vgl. BVerfGE 7, 239 <241>; 18, 147 <150>; 28, 17 <19 f.>; 62, 392 <396>; 89, 381 <392 f.>; 112, 185 <206>; BVerfGK 15, 116 <119>; 19, 377 <383>; stRspr). Aus diesem Grunde ist der Substantiierungspflicht aus § 92 BVerfGG bei der Rüge eines Verstoßes gegen Art. 103 Abs. 1 GG nur genügt, wenn der Beschwerdeführer darlegt, was er bei ausreichender Gewährung rechtlichen Gehörs vorgetragen hätte und welche Folgen sich daraus für die angegriffene Entscheidung ergeben hätten (vgl. BVerfGE 28, 17 <20>; 72, 122 <132>; 91, 1 <25 f.>; 112, 185 <206>).

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Die Beschwerdeführerin hat sich jedoch nicht damit auseinandergesetzt, welchen Ausgang das Verfahren gehabt hätte, wenn das Landgericht München II ihren Vortrag hinsichtlich der vom Amtsgericht zitierten Rechtsprechung berücksichtigt hätte. Zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht am 16. Juli 2019 war das Urteil des Bundesgerichtshofs, wonach auch bei einem Feststellungstenor hinsichtlich künftiger materieller und immaterieller Ansprüche von einem einheitlichen Schmerzensgeldanspruch auszugehen ist (BGH, Urteil vom 10. Juli 2018 – VI ZR 259/15 -, juris, Rn. 6), schon veröffentlicht. Danach kommt es entscheidend darauf an, ob (ursprünglich) eine Teilklage erhoben wurde. Soweit die Beschwerdeführerin in diesem Zusammenhang darauf hinweist, sie habe damals lediglich eine Teilklage erhoben, und rügt, das Landgericht habe ihren diesbezüglichen Vortrag unter Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG nicht zur Kenntnis genommen, verkennt sie, dass sie zum einen gegenüber dem Landgericht in der Berufungsbegründung die Erhebung einer Teilklage im Ausgangsverfahren nicht thematisiert hat und auch nicht auf die Entscheidung des Bundesgerichtshofs bezüglich der Teilklage (BGH, Urteil vom 10. Juli 2018 – VI ZR 259/15 -, juris) eingegangen ist. Zum anderen sind auch der Klageschrift vom 30. Dezember 2015 und der Replik vom 18. Mai 2016 keine Ausführungen dazu zu entnehmen, dass ursprünglich lediglich eine Teilklage erhoben worden sei. In den Passagen, auf die die Beschwerdeführerin diesbezüglich verweist, schildert sie lediglich, dass durch das Urteil des Amtsgerichts Miesbach vom 3. November 2006 nur über einen Teil des Schmerzensgeldes entschieden worden sei. Dass im Ausgangsverfahren ausdrücklich nur eine Teilklage erhoben wurde, ergibt sich daraus jedoch nicht. Die Klagebegründung des Ausgangsverfahrens hat die Beschwerdeführerin mit der Verfassungsbeschwerde nicht vorgelegt.

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bb) Auch die Verletzung des Willkürverbots nach Art. 3 Abs. 1 GG macht die Beschwerdeführerin nicht hinreichend substantiiert deutlich. Diesbezüglich fehlt es schon an einer Darstellung der verfassungsrechtlichen Maßstäbe. Darüber hinaus setzt sich die Beschwerdeführerin mit Blick auf die von ihr zitierte Entscheidung des Bundesgerichtshofs (BGH, Urteil vom 10. Juli 2018 – VI ZR 259/15 -, juris, Rn. 6) nicht damit auseinander, inwieweit die Entscheidung des Landgerichts München II als auf sachfremden Erwägungen beruhend anzusehen ist.

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2. Der Antrag der Beschwerdeführerin auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Verfahren der Verfassungsbeschwerde ist abzulehnen, weil die Voraussetzungen der entsprechend anzuwendenden §§ 114 ff. ZPO (vgl. BVerfGE 1, 109 <112>; stRspr) nicht vorliegen. Die von der Beschwerdeführerin beabsichtigte Rechtsverfolgung bietet aus den oben genannten Gründen keine hinreichende Aussicht auf Erfolg. Daher kommt auch die Beiordnung eines Rechtsanwalts gemäß § 121 Abs. 2 ZPO nicht in Betracht.

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Von einer weiteren Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.

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Diese Entscheidung ist unanfechtbar.