(Zur Frage der Höhe des gemäß § 6b Abs. 10 Satz 2 EStG abziehbaren Betrags) (Beschluss des BFH 4. Senat)

BFH 4. Senat, Beschluss vom 10.05.2022, AZ IV B 47/21, ECLI:DE:BFH:2022:B.100522.IVB47.21.0

§ 6b Abs 10 S 1 EStG 2009, § 6b Abs 10 S 2 EStG 2009, § 6b Abs 10 S 3 EStG 2009, EStG VZ 2017

Leitsatz

NV: Im Fall der Übertragung eines dem Teileinkünfteverfahren unterliegenden Gewinns aus der Veräußerung von Anteilen an Kapitalgesellschaften auf Gebäude oder abnutzbare bewegliche Wirtschaftsgüter ist der abziehbare Betrag gemäß § 6b Abs. 10 Satz 2 EStG auf 300.000 € begrenzt.

Verfahrensgang

vorgehend FG Münster, 8. Juli 2021, Az: 8 K 619/20 G,F, Urteil

Tenor

Die Beschwerde der Klägerin wegen Nichtzulassung der Revision gegen das Urteil des Finanzgerichts Münster vom 08.07.2021 – 8 K 619/20 G,F wird als unbegründet zurückgewiesen.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens hat die Klägerin zu tragen.

Gründe

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Die Beschwerde ist unbegründet. Es kann dahingestellt bleiben, ob in der Beschwerdebegründung die Voraussetzungen des § 115 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) in hinreichender Weise dargelegt wurden (§ 116 Abs. 3 Satz 3 FGO). Die geltend gemachten Gründe für die Zulassung der Revision liegen jedenfalls nicht vor.

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1. Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO. Sie erfordert auch keine Entscheidung des Bundesfinanzhofs (BFH) zur Fortbildung des Rechts (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 1 FGO).

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a) Eine Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung, wenn die für die Beurteilung des Streitfalls maßgebliche Rechtsfrage das abstrakte Interesse der Allgemeinheit an der einheitlichen Entwicklung und Handhabung des Rechts berührt. Die Rechtsfrage muss im konkreten Fall klärungsbedürftig und in einem künftigen Revisionsverfahren klärungsfähig sein. Klärungsbedürftig ist eine Rechtsfrage, wenn hinsichtlich ihrer Beantwortung Unsicherheit besteht. Eine klärungsbedürftige Rechtsfrage wird dagegen nicht aufgeworfen, wenn die streitige Rechtsfrage offensichtlich so zu beantworten ist, wie es das Finanzgericht (FG) getan hat, die Rechtslage also eindeutig ist (ständige Rechtsprechung, z.B. BFH-Beschluss vom 05.06.2019 – II B 21/18, Rz 3). Dieselben Grundsätze gelten für die Erforderlichkeit einer Entscheidung des BFH zur Fortbildung des Rechts nach § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 1 FGO als Unterfall der grundsätzlichen Bedeutung (BFH-Beschluss vom 05.06.2019 – II B 21/18, Rz 4).

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b) Nach diesen Maßstäben ist die von der Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) als grundsätzlich bedeutsam angesehene Frage nicht klärungsbedürftig, weil sie offensichtlich so zu beantworten ist, wie es das FG getan hat.

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aa) Die Klägerin formuliert sinngemäß die Rechtsfrage, ob gemäß § 6b Abs. 10 Satz 2 i.V.m. Satz 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) Gewinne aus der Veräußerung von Anteilen an Kapitalgesellschaften bis zu einem Betrag von 500.000 € auf ein im Jahr der Veräußerung als Ersatzwirtschaftsgut angeschafftes Gebäude übertragen werden können, oder eine Übertragung nur bis zu einem Betrag von 300.000 € (= 60 % von 500.000 €) möglich ist, weil der Veräußerungsgewinn gemäß § 3 Nr. 40 Satz 1 Buchst. a EStG dem Teileinkünfteverfahren unterliegt. Sie ist der Auffassung, § 6b Abs. 10 Satz 2 i.V.m. Satz 1 EStG erlaube ihr, von dem im Streitjahr 2017 erzielten Gewinn aus der Anteilsveräußerung in Höhe von 994.500 € einen Betrag von 500.000 € abzuziehen, so dass im Streitjahr –unter Berücksichtigung des steuerfreien Veräußerungsgewinns in Höhe von 397.800 € (= 40 % von 994.500 €)– lediglich ein Gewinn in Höhe von 96.700 € zu versteuern sei.

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bb) Das FG hat die Frage in Übereinstimmung mit der fast einhelligen Auffassung in der Literatur im Ergebnis zutreffend dahin beantwortet, dass der Abzugsbetrag gemäß § 6b Abs. 10 Satz 2 i.V.m. Satz 1 EStG auf 300.000 € begrenzt ist. Die Klägerin kann von dem im Streitjahr 2017 erzielten steuerpflichtigen Gewinn aus der Anteilsveräußerung in Höhe von 596.700 € (= 60 % von 994.500 €) lediglich einen Betrag von 300.000 € abziehen. Sie hat somit im Streitjahr einen Veräußerungsgewinn von 296.700 € zu versteuern.

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cc) § 6b EStG gewährt unter verschiedenen Maßgaben die Möglichkeit, durch die Veräußerung bestimmter Wirtschaftsgüter aufgedeckte stille Reserven steuerfrei auf Reinvestitionsobjekte zu übertragen, so dass der Veräußerungsgewinn nicht sofort versteuert werden muss. Diese Möglichkeit besteht gemäß § 6b Abs. 10 EStG auch für Gewinne aus der Veräußerung von Anteilen an Kapitalgesellschaften. Durch die Einbeziehung von Anteilsveräußerungen sollte die für Investitionen zur Verfügung stehende Liquidität von Personenunternehmen gestärkt werden (BRDrucks 638/01, S. 37, 51; BTDrucks 14/6882, S. 33; vgl. z.B. auch Heger in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff –KSM–, EStG, § 6b Rz K 1).

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(1) § 6b Abs. 10 Satz 1 EStG sieht vor, dass Steuerpflichtige, die keine Körperschaften, Personenvereinigungen oder Vermögensmassen sind, Gewinne aus der Veräußerung von Anteilen an Kapitalgesellschaften bis zu einem Betrag von 500.000 € auf die im Wirtschaftsjahr der Veräußerung oder in den folgenden zwei Wirtschaftsjahren angeschafften Anteile an Kapitalgesellschaften oder angeschafften oder hergestellten abnutzbaren beweglichen Wirtschaftsgüter oder auf die im Wirtschaftsjahr der Veräußerung oder in den folgenden vier Wirtschaftsjahren angeschafften oder hergestellten Gebäude nach Maßgabe der Sätze 2 bis 10 übertragen können. Gewinn i.S. von § 6b Abs. 10 Satz 1 EStG ist der Betrag, um den der Veräußerungspreis nach Abzug der Veräußerungskosten den Buchwert übersteigt (§ 6b Abs. 10 Satz 4 i.V.m. Abs. 2 EStG).

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Demnach bezieht sich der übertragbare Höchstbetrag von 500.000 € in § 6b Abs. 10 Satz 1 EStG auf den Veräußerungsgewinn, der ohne Anwendung des Teileinkünfteverfahrens (§ 3 Nr. 40 Satz 1 Buchst. a und b EStG) ermittelt wird, und damit auf einen Gewinn einschließlich der steuerfreien Beträge (vgl. z.B. T. Carlé/Strahl in Korn, § 6b EStG Rz 70; Heger in KSM, EStG, § 6b Rz K 7; BeckOK EStG/Paetsch, 12. Ed. [01.03.2022], EStG § 6b Rz 320; Schmidt/Loschelder, EStG, 41. Aufl., § 6b Rz 98; Brandis/Heuermann/Schießl, § 6b EStG Rz 337; Marchal in Herrmann/Heuermann/Raupach –HHR–, § 6b EStG Rz 160; Eversloh in Bordewin/Brandt, § 6b EStG Rz 320). Von diesem Gewinn kann nach Maßgabe des § 6b Abs. 10 Sätze 2 bis 10 EStG ein Betrag bis zu 500.000 € auf ein Ersatzwirtschaftsgut übertragen werden.

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(2) § 6b Abs. 10 Satz 2 EStG beschränkt den abziehbaren Betrag, sofern der Steuerpflichtige in Gebäude oder abnutzbare bewegliche Wirtschaftsgüter reinvestiert. Er bestimmt, dass ein Betrag bis zur Höhe des bei der Veräußerung entstandenen und nicht nach § 3 Nr. 40 Satz 1 Buchst. a und b i.V.m. § 3c Abs. 2 EStG steuerbefreiten Betrags von Anschaffungs- oder Herstellungskosten für Gebäude oder abnutzbare bewegliche Wirtschaftsgüter abgezogen werden kann, wenn der Gewinn im Jahr der Veräußerung auf Gebäude oder abnutzbare bewegliche Wirtschaftsgüter übertragen wird. Abziehbar ist nach dem Wortlaut des Gesetzes ein Betrag bis zur Höhe des steuerpflichtigen Veräußerungsgewinns, nicht hingegen der steuerpflichtige Veräußerungsgewinn. Bei der Ermittlung des abziehbaren Betrags bleibt der infolge der Anwendung des Teileinkünfteverfahrens steuerfreie Teil des Veräußerungsgewinns unberücksichtigt.

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Damit ergibt sich im Anwendungsbereich des § 6b Abs. 10 Satz 2 EStG eine Beschränkung des in Satz 1 festgelegten Höchstbetrags von 500.000 €, der sich –wie dargelegt– auf einen Gewinn einschließlich der steuerfreien Beträge bezieht. Der Höchstbetrag ist um den „steuerbefreiten Teil“ und damit um 40 % zu kürzen. In Höhe des nicht steuerbefreiten Teils und damit in Höhe von 60 % (= 300.000 €) ist er abziehbar (vgl. z.B. T. Carlé/Strahl in Korn, § 6b EStG Rz 70, 71; Schmidt/Loschelder, a.a.O., § 6b Rz 99; BeckOK EStG/ Paetsch, a.a.O., § 6b EStG Rz 333; Brandis/Heuermann/Schießl, § 6b EStG Rz 337; HHR/Marchal, § 6b EStG Rz 160; Eversloh in Bordewin/Brandt, § 6b EStG Rz 320; Siewert in Frotscher/Geurts, EStG, § 6b Rz 158; Dürr/Rosarius in Fuhrmann/Kraeusel/Schiffers, eKomm Bis VZ 2017, § 6b EStG Rz 61 (Aktualisierung v. 06.11.2015); Heger in KSM, EStG, § 6b Rz K 16). Die Auffassung der Klägerin, die Kappung des Höchstbetrags auf 300.000 € in den Fällen des § 6b Abs. 10 Satz 2 EStG konterkariere den Sinn und Zweck der Regelung und bringe die Gesamtinvestition in Gefahr, teilt der Senat nicht.

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(3) Das dargelegte Normverständnis wird vielmehr durch § 6b Abs. 10 Satz 3 EStG, der den Fall der Reinvestition in Anteile an Kapitalgesellschaften regelt, bestätigt. Hier ist vorgesehen, dass sich die Anschaffungskosten in Höhe des Veräußerungsgewinns einschließlich des nach dem Teileinkünfteverfahren steuerbefreiten Betrags mindern, wenn es sich bei dem Reinvestitionsgut wiederum um Anteile an Kapitalgesellschaften handelt. Danach ist –anders als gemäß § 6b Abs. 10 Satz 2 EStG– ein Abzug bis zum Höchstbetrag von 500.000 € zulässig. Der Grund hierfür liegt darin, dass bei der späteren Aufdeckung der stillen Reserven im Rahmen einer Veräußerung der neu angeschafften Anteile an einer Kapitalgesellschaft –anders als beim Reinvestitionsgut Gebäude– erneut das Teileinkünfteverfahren gilt. So verhindert § 6b Abs. 10 Satz 3 EStG, dass bei der nachfolgenden Veräußerung der neuen Beteiligung insgesamt ein zu geringer steuerpflichtiger Gewinn erfasst wird (z.B. Brandis/Heuermann/Schießl, § 6b EStG Rz 334; HHR/Marchal, § 6b EStG Rz 162; Heger in KSM, EStG, § 6b Rz K 16).

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2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO.

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3. Von einer Darstellung des Sachverhalts sowie einer weiteren Begründung sieht der Senat gemäß § 116 Abs. 5 Satz 2 Halbsatz 2 FGO ab.