BGH 9. Zivilsenat, Urteil vom 28.04.2022, AZ IX ZR 48/21, ECLI:DE:BGH:2022:280422UIXZR48.21.0
§ 17 Abs 2 S 2 InsO, § 133 Abs 1 InsO
Leitsatz
1a. Ob das Zahlungsverhalten des zahlungsunfähigen Schuldners gegenüber einem Sozialversicherungsträger den Schluss rechtfertigt, dass der Schuldner wusste oder billigend in Kauf nahm, seine (übrigen) Gläubiger auch zu einem späteren Zeitpunkt nicht vollständig befriedigen zu können, richtet sich nach einer Gesamtwürdigung, insbesondere der Dauer des Rückstands für einzelne Beitragsmonate, des Zeitraums, in dem rückständige Beiträge auftreten, und der Entwicklung der rückständigen Beiträge.
1b. Fällige Verbindlichkeiten erheblichen Umfangs, die bereits zum Zeitpunkt der angefochtenen Rechtshandlung bestanden und bis zur Verfahrenseröffnung nicht mehr beglichen worden sind, sprechen für einen Benachteiligungsvorsatz, wenn sie nach Art, (Gesamt-)Höhe, Anzahl und Bedeutung den Schluss zulassen, dass der Schuldner bereits zum Zeitpunkt der Rechtshandlung erkannt oder billigend in Kauf genommen hat, diese Verbindlichkeiten nicht mehr vollständig befriedigen zu können.
2. Die Zahlungseinstellung kann aus einem einzigen Indiz gefolgert werden, wenn dieses Indiz eine hinreichende Aussagekraft hat. Fehlt es an einem hinreichend aussagekräftigen einzelnen Indiz, kommt der Schluss auf eine Zahlungseinstellung nur in Betracht, wenn die Gesamtheit der Indizien die volle richterliche Überzeugung einer Zahlungseinstellung rechtfertigt.
3. Zahlt der Schuldner Sozialversicherungsbeiträge stets vollständig, aber im Wesentlichen gleichbleibend durchgängig um einen bis weniger als zwei Monate verspätet, stellt dies für sich genommen kein ausreichendes Indiz dar, um eine Zahlungseinstellung zu begründen.
Verfahrensgang
vorgehend OLG Zweibrücken, 17. März 2021, Az: 7 U 20/19
vorgehend LG Kaiserslautern, 25. Januar 2019, Az: 3 O 425/17
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des 7. Zivilsenats des Pfälzischen Oberlandesgerichts Zweibrücken vom 17. März 2021 im Kostenpunkt und hinsichtlich der Entscheidung über die Klage aufgehoben. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
1
Die S. GmbH (fortan: Schuldnerin) war als Bauunternehmung fast ausschließlich für die öffentliche Hand tätig. Die Schuldnerin zahlte monatlich Sozialversicherungsbeiträge an die Beklagte. Die Beitragsforderungen der Beklagten seit Januar 2013 bewegten sich zwischen 8.767,13 € (Februar 2015) und 22.102,28 € (Mai 2013) und lagen überwiegend zwischen 15.000 € und 20.000 €. Die Forderungen waren jeweils am drittletzten Bankarbeitstag des laufenden Beitragsmonats fällig. Die Schuldnerin zahlte die Beiträge für die Monate Januar 2013 bis einschließlich November 2016 vollständig, einschließlich der angefallenen Mahngebühren und Zinsen, jedoch stets mit einer Verzögerung. Die Verzögerung schwankte und betrug überwiegend zwischen vier und sechs Wochen, mindestens 22 Tage und maximal 54 Tage. Die Gesamtsozialversicherungsbeiträge für die Monate September, Oktober und November 2016 zahlte die Schuldnerin am 11. November 2016, 20. Dezember 2016 und 11. Januar 2017.
2
Auf einen Eigenantrag der Schuldnerin vom 6. Februar 2017 eröffnete das Insolvenzgericht mit Beschluss vom 1. Mai 2017 das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Schuldnerin und bestellte den Kläger zum Insolvenzverwalter. Mit Schreiben vom 3. Mai 2017 machte der Kläger gegenüber der Beklagten die Anfechtung sämtlicher Zahlungen seit 1. Januar 2013, insgesamt 898.406,80 € geltend. Die Gläubigerversammlung vom 1. Juni 2017 beschloss einen Insolvenzplan, der den Kläger ermächtigte, rechtshängige Anfechtungsprozesse gemäß § 259 Abs. 3 InsO fortzuführen. Das Insolvenzgericht hob das Insolvenzverfahren nach rechtskräftiger Bestätigung des Insolvenzplans mit Beschluss vom 26. September 2017 zum 30. September 2017 auf.
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Der Kläger macht mit seiner seit 14. Juli 2017 rechtshängigen Klage Anfechtungsansprüche gegen die Beklagte wegen der seit Februar 2013 erhaltenen Zahlungen in Höhe von insgesamt 771.061,47 € geltend. Die Beklagte begehrt widerklagend Erstattung ihrer außergerichtlichen Anwaltskosten. Mit Beschluss vom 1. April 2020 eröffnete das Insolvenzgericht ein neuerliches Insolvenzverfahren über das Vermögen der Schuldnerin und bestellte wiederum den Kläger zum Insolvenzverwalter. Dieser hat vorsorglich die Aufnahme des Anfechtungsprozesses erklärt.
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Das Landgericht hat Klage und Widerklage abgewiesen. Auf die Berufung des Klägers hat das Oberlandesgericht die Beklagte antragsgemäß verurteilt und die Anschlussberufung der Beklagten hinsichtlich der Widerklage zurückgewiesen. Mit ihrer vom Senat hinsichtlich der Klage zugelassenen Revision erstrebt die Beklagte die Wiederherstellung des klageabweisenden erstinstanzlichen Urteils.
Entscheidungsgründe
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Die Revision führt im Umfang der Anfechtung zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
I.
6
Das Berufungsgericht hat gemeint, die Voraussetzungen der Vorsatzanfechtung seien erfüllt. Die Überweisungen hätten zu einer Gläubigerbenachteiligung geführt. Die Schuldnerin habe mit Benachteiligungsvorsatz gehandelt. Auch in Fällen kongruenter Deckung könne der Schluss von der Zahlungsunfähigkeit auf den Benachteiligungsvorsatz gezogen werden. Die Schuldnerin sei bei sämtlichen Zahlungen seit dem Jahr 2013 zahlungsunfähig gewesen. Der Kläger habe eine Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin substantiiert dargelegt. Aus den vom Kläger erstellten Anlagen ergebe sich, dass die Verbindlichkeiten der Schuldnerin ihre liquiden Mittel zum Stichtag 1. Januar 2013 um 721.170 € überstiegen hätten und im Zeitraum vom 1. Januar 2013 bis zum 22. Januar 2013 eine Liquiditätslücke zwischen 77 % und 97 % bestanden habe. Die Beklagte habe dies nur pauschal bestritten, weshalb der Inhalt der Anlagen als unstreitig gelte. Eine Wiederaufnahme der Zahlungen im Allgemeinen habe derjenige zu beweisen, der sich auf den nachträglichen Wegfall einer zuvor eingetretenen Zahlungseinstellung berufe. Hierfür sei nichts ersichtlich. In den Jahren 2013 bis 2016 sei es für jeden Monat zu einer verspäteten Beitragszahlung gekommen, teilweise seien die Beiträge erst im übernächsten Monat gezahlt worden. Mehrfach habe die Beklagte der Schuldnerin Säumniszuschläge und Mahngebühren in Rechnung gestellt, bereits im Jahr 2012 sei es zu neun Mahnungen mit Vollstreckungsankündigung gekommen. Teilweise habe die Schuldnerin nur Teilzahlungen erbracht. Schließlich hätten im Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens Forderungen der A. aus den Jahren 2013 und 2015 bestanden, welche die Schuldnerin nicht erfüllt habe.
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Die Beklagte habe den Benachteiligungsvorsatz der Schuldnerin gekannt. Dies ergebe sich aus § 133 Abs. 1 Satz 2 InsO. Die Beklagte habe Kenntnis von Umständen gehabt, die einen zwingenden Rückschluss auf eine bereits eingetretene Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin zuließen. Sie habe von der durchgehend schleppenden Zahlungsweise der Schuldnerin, von den in zwei Fällen erfolgten Teilzahlungen und den von ihr selbst ausgesprochenen Mahnungen gewusst. Zudem habe es seit 2013 ständig Telefongespräche gegeben, in denen die Beklagte auf Zahlung der Rückstände gedrängt und die Zwangsvollstreckung angedroht habe. Diese Indizien sprächen klar für die Erkennbarkeit der Zahlungsunfähigkeit für die Beklagte. Daher sei bei einer Gesamtwürdigung eine Kenntnis der Beklagten zu bejahen.
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Hinsichtlich der Zahlungen am 11. November 2016, 20. Dezember 2016 und 11. Januar 2017 sei zudem der Anfechtungsgrund des § 130 Abs. 1 InsO gegeben. Die Schuldnerin sei schon lange vor dem 11. November 2016 zahlungsunfähig gewesen. Die Beklagte habe Kenntnis von Umständen gehabt, die zwingend auf die Zahlungsunfähigkeit schließen ließen (§ 130 Abs. 2 InsO).
II.
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Dies hält rechtlicher Überprüfung nicht stand.
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1. Zutreffend nimmt das Berufungsgericht an, dass der Kläger die Anfechtungsansprüche aus dem ersten Insolvenzverfahren weiterverfolgen kann. Der Kläger hat den Anfechtungsanspruch nach der Bestätigung des Insolvenzplans und Aufhebung des ersten Insolvenzverfahrens gemäß § 259 Abs. 3 Satz 1 InsO wirksam geltend gemacht. Diese Anfechtungsmöglichkeit bleibt auch nach Eröffnung des zweiten Insolvenzverfahrens bestehen (BGH, Urteil vom 9. Januar 2014 – IX ZR 209/11, BGHZ 199, 344 Rn. 27 ff). Dabei sind die Vorschriften der §§ 130 ff InsO in der seit dem 5. April 2017 geltenden Fassung anzuwenden (Art. 103j Abs. 1 EGInsO), weil das für die Anfechtung maßgebliche erste Insolvenzverfahren (vgl. BGH, Urteil vom 9. Januar 2014 – IX ZR 209/11, WM 2014, 324 Rn. 36, insoweit in BGHZ 199, 344 nicht abgedruckt) am 1. Mai 2017 eröffnet worden ist.
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2. Die Annahme des Berufungsgerichts, die Schuldnerin habe mit Benachteiligungsvorsatz im Sinne des § 133 Abs. 1 Satz 1 InsO gehandelt, hält rechtlicher Überprüfung nicht stand.
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a) Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats genügt für den in § 133 Abs. 1 InsO vorausgesetzten Benachteiligungsvorsatz des Schuldners bedingter Vorsatz (BGH, Urteil vom 27. Mai 2003 – IX ZR 169/02, BGHZ 155, 75, 84; vom 12. Oktober 2017 – IX ZR 50/15, WM 2017, 2322 Rn. 9). Der Gläubigerbenachteiligungsvorsatz des Schuldners und die Kenntnis des Anfechtungsgegners vom Gläubigerbenachteiligungsvorsatz sind innere, dem Beweis nur eingeschränkt zugängliche Tatsachen. Die subjektiven Voraussetzungen der Vorsatzanfechtung können daher in aller Regel nur mittelbar aus objektiven (Hilfs-)Tatsachen hergeleitet werden (vgl. BGH, Urteil vom 14. Juli 2016 – IX ZR 188/15, ZIP 2016, 1686 Rn. 12; vom 6. Mai 2021 – IX ZR 72/20, BGHZ 230, 28 Rn. 11; st. Rspr.).
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b) Es ist Aufgabe des Tatrichters, die ihm unterbreiteten Hilfstatsachen auf der Grundlage des Gesamtergebnisses der mündlichen Verhandlung und einer etwaigen Beweisaufnahme umfassend und widerspruchsfrei zu würdigen (vgl. BGH, Urteil vom 13. August 2009 – IX ZR 159/06, WM 2009, 1943 Rn. 8; vom 14. Juli 2016, aaO; vom 6. Mai 2021, aaO Rn. 37). Dabei hat er die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu den für und gegen den Gläubigerbenachteiligungsvorsatz und die Kenntnis von diesem sprechenden Beweisanzeichen zu berücksichtigen (BGH, Urteil vom 6. Mai 2021, aaO Rn. 12).
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Bei der Anfechtung kongruenter Deckungen kann der Benachteiligungsvorsatz nach der neueren Rechtsprechung des Senats nicht allein darauf gestützt werden, dass der Schuldner im Zeitpunkt der angefochtenen Rechtshandlung erkanntermaßen zahlungsunfähig ist (BGH, Urteil vom 6. Mai 2021, aaO Rn. 30). In diesen Fällen ist für den Gläubigerbenachteiligungsvorsatz von entscheidender Bedeutung, dass der Schuldner weiß oder jedenfalls billigend in Kauf nimmt, dass er seine (übrigen) Gläubiger auch zu einem späteren Zeitpunkt nicht vollständig befriedigen können wird (BGH, Urteil vom 6. Mai 2021, aaO Rn. 36; vom 3. März 2022 – IX ZR 78/20, ZIP 2022, 589 Rn. 19, zVb in BGHZ). Dies kann aus der im Moment der Rechtshandlung gegebenen Liquiditätslage nicht in jedem Fall mit hinreichender Gewissheit abgeleitet werden (BGH, Urteil vom 6. Mai 2021, aaO; vom 3. März 2022, aaO).
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Die gegenwärtige Zahlungsunfähigkeit allein spricht für den Gläubigerbenachteiligungsvorsatz, wenn sie ein Ausmaß angenommen hat, das eine vollständige Befriedigung der übrigen Gläubiger auch in Zukunft nicht erwarten lässt, etwa deshalb, weil ein Insolvenzverfahren unausweichlich erscheint (BGH, Urteil vom 6. Mai 2021, aaO Rn. 36; vom 3. März 2022, aaO Rn. 23). Ist die Krise noch nicht so weit fortgeschritten oder besteht aus anderen Gründen berechtigte Hoffnung auf Besserung, genügt der Blick auf die momentane Liquiditätslage nicht für eine im Sinne des § 286 ZPO sichere Überzeugung (BGH, Urteil vom 6. Mai 2021, aaO). Hatte die Deckungslücke ein Ausmaß erreicht, das selbst bei optimistischer Einschätzung der zukünftigen Entwicklung in absehbarer Zeit keine vollständige Befriedigung der bereits vorhandenen und der absehbar hinzutretenden Gläubiger erwarten ließ, musste dem Schuldner klar sein, dass er nicht einzelne Gläubiger befriedigen konnte, ohne andere zu benachteiligen. Befriedigt er in dieser Lage einzelne Gläubiger, handelt er deshalb mit Gläubigerbenachteiligungsvorsatz (BGH, Urteil vom 6. Mai 2021, aaO Rn. 46; vom 3. März 2022, aaO Rn. 23, 75). Besteht – abhängig vom Ausmaß der bestehenden Deckungslücke und der aus objektiver Sicht erwartbaren und vom Schuldner erkannten Entwicklung – Aussicht auf nachhaltige Beseitigung der gegenwärtigen Zahlungsunfähigkeit, darf der Schuldner davon ausgehen, dass ihm der hierfür erforderliche Zeitraum verbleibt. Der Schuldner handelt mit Gläubigerbenachteiligungsvorsatz, wenn er einen Zeitraum in seine Überlegungen einbezieht, der ihm unter Berücksichtigung des Verhaltens seiner übrigen Gläubiger ersichtlich nicht zur Verfügung steht (BGH, Urteil vom 6. Mai 2021, aaO Rn. 47; vom 3. März 2022, aaO Rn. 23).
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c) Nach diesen Maßstäben hält die Würdigung des Berufungsgerichts rechtlicher Überprüfung nicht stand.
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aa) Bereits die Annahme des Berufungsgerichts, die Schuldnerin sei seit 1. Januar 2013 zahlungsunfähig gewesen, beruht – wie die Revision mit Recht rügt – auf verfahrensfehlerhaft getroffenen Feststellungen. Der Vortrag des Klägers kann nicht als unstreitig behandelt werden.
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(1) Zutreffend geht das Berufungsgericht davon aus, dass die Zahlungsunfähigkeit auch durch einen Liquiditätsstatus festgestellt werden kann (vgl. BGH, Urteil vom 18. Juli 2013 – IX ZR 143/12, ZIP 2013, 2015 Rn. 7). Der Kläger hat sich hierzu auf einen von ihm selbst erstellten Finanzstatus berufen. Dieser enthält unter der Überschrift „Fällige Verbindlichkeiten zum 01.01.2013“ eine Aufstellung nur schlagwortartig bezeichneter Verbindlichkeiten und unter der Überschrift „Liquide Mittel“ eine schlagwortartig bezeichnete Zusammenstellung einzelner Beträge. Weiter hat der Kläger einen Finanzplan für die Zeit bis zum 21. Januar 2013 in Form einer Tabelle erstellt, die ohne nähere Erläuterung tagesgenau Einzahlungen und Auszahlungen gegenüberstellt, und hierzu ausgeführt, dass die Liquiditätslücke an keinem der einzelnen Tage in diesem Zeitraum geringer als 77 % gewesen sei.
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(2) Die Beklagte hat diesen Vortrag wirksam bestritten. Zu Unrecht und unter Verstoß gegen § 138 ZPO behandelt das Berufungsgericht das Bestreiten der Beklagten als unsubstantiiert.
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(a) Gemäß § 138 Abs. 2 ZPO hat sich eine Partei grundsätzlich über die von dem Gegner behaupteten Tatsachen zu erklären. Der Umfang der erforderlichen Substantiierung richtet sich dabei nach dem Vortrag der darlegungsbelasteten Partei. Je detaillierter dieser ist, desto höher ist die Erklärungslast gemäß § 138 Abs. 2 ZPO. Ob ein einfaches Bestreiten als Erklärung gemäß § 138 Abs. 2 ZPO ausreicht oder ob ein substantiiertes Bestreiten erforderlich ist, hängt somit von dem Vortrag der Gegenseite ab (BGH, Urteil vom 3. Februar 1999 – VIII ZR 14/98, NJW 1999, 1404 f; vom 19. März 2019 – XI ZR 9/18, NJW 2019, 2080 Rn. 22).
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(b) Nach diesen Maßstäben ist das Bestreiten der Beklagten ausreichend substantiiert. Die Beklagte hat ausdrücklich bestritten, dass die Schuldnerin zum 1. Januar 2013 zahlungsunfähig gewesen sei; sie hat weiterhin bestritten, dass der vom Kläger vorgelegte Finanzstatus richtig sei. Sie hat zudem vorgetragen, dass der Kläger in seinem Eröffnungsgutachten lediglich Zahlungsstockungen angenommen habe und dass es bei den zur Insolvenztabelle festgestellten Forderungen außer wenigen und betragsmäßig geringfügigen Forderungen keine Verbindlichkeiten gebe, die vor Ende 2016 fällig geworden seien.
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(c) Dass das Berufungsgericht diesen Vortrag als unsubstantiiert behandelt, misst die Substantiierungslast der Parteien mit zweierlei Maß. Der Vortrag des Klägers zur Zahlungsunfähigkeit zum 1. Januar 2013 enthält keine Einzelheiten. Insbesondere hat der Kläger seinen Vortrag nicht näher – etwa durch Vorlage von Rechnungen, Kontoauszügen oder sonstigen Unterlagen – belegt. Ein solcher Vortrag kann – wie das Berufungsgericht richtig gesehen hat – für eine schlüssige Darlegung der Zahlungsunfähigkeit zum 1. Januar 2013 genügen. Jedoch dürfen an das Bestreiten der Beklagten, die außerhalb des Sachverhalts stand, keine höheren Anforderungen als an den schlüssigen Vortrag des Klägers gestellt werden (vgl. BGH, Urteil vom 20. September 2006 – VIII ZR 127/04, juris Rn. 17). Mangels näherer Darlegung von Einzelheiten bestand für die Beklagte weder Anlass noch Möglichkeit, ihr Bestreiten im Einzelnen näher zu erläutern. Dass die Beklagte besondere Kenntnisse von der Finanzlage der Schuldnerin hatte, hat das Berufungsgericht nicht festgestellt.
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bb) Ebenso wenig ergibt sich eine Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin – anders als das Berufungsgericht im Zusammenhang mit der Prüfung des § 133 Abs. 1 Satz 2 InsO meint – aus dem Zahlungsverhalten der Schuldnerin gegenüber der Beklagten.
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(1) Für die Darlegung der Zahlungsunfähigkeit bedarf es einer geordneten Gegenüberstellung der zu berücksichtigenden fälligen Verbindlichkeiten und liquiden Mittel des Schuldners, etwa in Form einer Liquiditätsbilanz. Von einer Zahlungsunfähigkeit ist danach regelmäßig auszugehen, wenn die Liquiditätslücke des Schuldners 10 % oder mehr beträgt, sofern nicht ausnahmsweise mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist, dass die Liquiditätslücke demnächst vollständig oder fast vollständig geschlossen wird und den Gläubigern ein Zuwarten nach den besonderen Umständen des Einzelfalles zuzumuten ist (vgl. BGH, Urteil vom 24. Mai 2005 – IX ZR 123/04, BGHZ 163, 134, 145; Beschluss vom 27. Juli 2006 – IX ZB 204/04, BGHZ 169, 17 Rn. 16; Urteil vom 12. Oktober 2006 – IX ZR 228/03, ZIP 2006, 2222 Rn. 27 f; vom 6. Dezember 2012 – IX ZR 3/12, ZIP 2013, 228 Rn. 19; vom 19. Dezember 2017 – II ZR 88/16, BGHZ 217, 129 Rn. 10).
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(2) Aus den Feststellungen des Berufungsgerichts ergibt sich nicht, dass aufgrund der Rückstände der Schuldnerin gegenüber der Beklagten die Liquiditätslücke zum Zeitpunkt einer der angefochtenen Rechtshandlungen 10 % oder mehr erreichte. Die Schuldnerin war teils mit einem, teils mit zwei Monatsbeiträgen mehr als drei Wochen im Rückstand. Dass diese Forderungen der Beklagten mindestens 10 % der fälligen Verbindlichkeiten ausmachten, ist nicht ersichtlich. Zudem fehlen Feststellungen des Berufungsgerichts zu den liquiden Mitteln.
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cc) Schließlich reichen die vom Berufungsgericht getroffenen Feststellungen zum Zahlungsverhalten der Schuldnerin gegenüber der Beklagten nicht aus, um – was das Berufungsgericht nicht geprüft hat – eine Zahlungseinstellung gemäß § 17 Abs. 2 Satz 2 InsO annehmen zu können.
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(1) Zahlungseinstellung ist dasjenige nach außen hervortretende Verhalten des Schuldners, in dem sich typischerweise ausdrückt, dass er nicht in der Lage ist, seine fälligen Zahlungspflichten zu erfüllen (BGH, Urteil vom 20. November 2001 – IX ZR 48/01, BGHZ 149, 178, 184 f; vom 6. Mai 2021 – IX ZR 72/20, BGHZ 230, 28 Rn. 15). Es muss sich mindestens für die beteiligten Verkehrskreise der berechtigte Eindruck aufdrängen, dass der Schuldner außerstande ist, seinen fälligen Zahlungsverpflichtungen zu genügen (BGH, Urteil vom 21. Juni 2007 – IX ZR 231/04, WM 2007, 1616 Rn. 28). Die tatsächliche Nichtzahlung eines erheblichen Teils der fälligen Verbindlichkeiten reicht für eine Zahlungseinstellung aus (BGH, Urteil vom 21. Juni 2007, aaO Rn. 29; vom 20. Dezember 2007 – IX ZR 93/06, WM 2008, 452 Rn. 21 jeweils mwN). Das gilt selbst dann, wenn tatsächlich noch geleistete Zahlungen beträchtlich sind, aber im Verhältnis zu den fälligen Gesamtschulden nicht den wesentlichen Teil ausmachen (BGH, Urteil vom 21. Juni 2007, aaO Rn. 29; vom 11. Februar 2010 – IX ZR 104/07, WM 2010, 711 Rn. 42). Die Nichtzahlung einer einzigen Verbindlichkeit kann eine Zahlungseinstellung begründen, wenn die Forderung von insgesamt nicht unbeträchtlicher Höhe ist (BGH, Urteil vom 20. November 2001, aaO S. 185; vom 12. Oktober 2017 – IX ZR 50/15, ZIP 2017, 2368 Rn. 12).
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Entscheidend ist die am Beweismaß des § 286 ZPO zu messende, in umfassender und widerspruchsfreier Würdigung des Prozessstoffs zu gewinnende Überzeugung, der Schuldner könne aus Mangel an liquiden Zahlungsmitteln nicht zahlen (BGH, Urteil vom 6. Mai 2021, aaO Rn. 41). Die Zahlungseinstellung kann aus einem einzigen Indiz gefolgert werden, wenn dieses Indiz eine hinreichende Aussagekraft hat. Fehlt es an einem hinreichend aussagekräftigen einzelnen Indiz, kommt der Schluss auf eine Zahlungseinstellung nur in Betracht, wenn die Gesamtheit der Indizien die nach dem Beweismaß des § 286 ZPO begründete Überzeugung rechtfertigt (vgl. BGH, Urteil vom 18. Juli 2013 – IX ZR 143/12, ZIP 2013, 2015 Rn. 10).
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(2) Zahlungsverzögerungen allein, auch wenn sie wiederholt auftreten, reichen für eine Zahlungseinstellung häufig nicht. Es müssen dann Umstände hinzutreten, die mit hinreichender Gewissheit dafürsprechen, dass die Zahlungsverzögerung auf fehlender Liquidität des Schuldners beruht (BGH, Urteil vom 6. Mai 2021, aaO; vom 10. Februar 2022 – IX ZR 148/19, WM 2022, 477 Rn. 22). Solche Umstände können darin zu sehen sein, dass der Schuldner Forderungen solcher Gläubiger nicht begleicht, auf deren (weitere) Leistungserbringung er zur weiteren Aufrechterhaltung seines Geschäftsbetriebs angewiesen ist. Ferner kann der Mahn- und/oder Vollstreckungsdruck des Gläubigers der Zahlungsverzögerung ein größeres Gewicht verleihen. Ein schematisches Vorgehen verbietet sich. Maßgebend ist, dass die zusätzlichen Umstände im konkreten Einzelfall ein Gewicht erreichen, das der Erklärung des Schuldners entspricht, aus Mangel an liquiden Mitteln nicht zahlen zu können (BGH, Urteil vom 6. Mai 2021, aaO Rn. 42 mwN; vom 10. Februar 2022, aaO Rn. 23).
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(3) Nach diesen Maßstäben kann aus dem Zahlungsverhalten der Schuldnerin gegenüber der Beklagten nach den bislang vom Berufungsgericht getroffenen Feststellungen nicht auf Zahlungseinstellung geschlossen werden. Dabei ist auf die einzelnen Zeitpunkte der jeweils angefochtenen Rechtshandlungen abzustellen.
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(a) Auch beim Zahlungsverhalten gegenüber Sozialversicherungsträgern kommt es darauf an, ob die gesamten Umstände ein Gewicht erreichen, das einer Erklärung des Schuldners gleichsteht, aus Mangel an liquiden Mitteln nicht zahlen zu können. Die mehr als halbjährige Nichtbegleichung von Sozialversicherungsbeiträgen bildet nach ständiger Rechtsprechung ein erhebliches Beweisanzeichen für eine Zahlungseinstellung (BGH, Urteil vom 18. Juli 2013 – IX ZR 143/12, ZIP 2013, 2015 Rn. 12 mwN), das den Schluss allein tragen kann. Eine mehrmonatige – nicht notwendig sechsmonatige – Nichtabführung von Sozialversicherungsbeiträgen ist geeignet, eine Zahlungseinstellung nahezulegen (BGH, Urteil vom 31. Oktober 2019 – IX ZR 170/18, ZIP 2020, 83 Rn. 13 mwN). Daher kann ein Rückstand von mehr als vier vollen Monatsbeiträgen bei einem einzigen Sozialversicherungsträger die Zahlungseinstellung begründen (vgl. BGH, Urteil vom 20. November 2001 – IX ZR 48/01, BGHZ 149, 178, 187).
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Entrichtet der Schuldner die Sozialversicherungsbeiträge fortlaufend mit einer Verzögerung von zwei bis drei Monaten, kommt es regelmäßig darauf an, ob weitere für eine Zahlungseinstellung sprechende Umstände vorliegen (vgl. BGH, Urteil vom 7. Mai 2015 – IX ZR 95/14, ZIP 2015, 1234 Rn. 20 f einerseits und BGH, Beschluss vom 5. Februar 2015 – IX ZR 79/13, juris Rn. 2 andererseits). Erst recht haben durchgängig um einen Monat verspätete Zahlungen, auch wenn es sich um ein Indiz für eine Zahlungseinstellung handelt (BGH, Urteil vom 9. Juni 2016 – IX ZR 174/15, ZIP 2016, 1348 Rn. 27), allein keine ausreichende Aussagekraft, um den Schluss auf eine Zahlungseinstellung ziehen zu können (vgl. BGH, Urteil vom 7. November 2013 – IX ZR 49/13, ZIP 2013, 2318 Rn. 12 ff). In diesen Fällen müssen zum Beitragsrückstand weitere auf eine Zahlungseinstellung deutende Indizien hinzutreten, so etwa wenn der Sozialversicherungsträger Beitragszahlungen des Schuldners nur unter Anwendung von Vollstreckungsdruck erwirken kann (vgl. BGH, Urteil vom 7. Mai 2015, aaO Rn. 21; vom 31. Oktober 2019 – IX ZR 170/18, ZIP 2020, 83 Rn. 13). Dabei hat die Würdigung Ausmaß und Entwicklung des Rückstandes im Verhältnis zum späteren Anfechtungsgegner mit in den Blick zu nehmen (vgl. BGH, Urteil vom 20. November 2001 – IX ZR 48/01, BGHZ 149, 178, 187; vom 17. Juni 2010 – IX ZR 134/09, ZInsO 2010, 1324 Rn. 9). Bezieht sich ein im Wesentlichen gleichbleibendes, dauerhaft schleppendes Zahlungsverhalten des späteren Schuldners auch auf einen Zeitraum, in dem der Schuldner seine Zahlungen unstreitig noch nicht eingestellt hatte, kann aus dem Zahlungsverhalten nicht auf eine später eingetretene Zahlungseinstellung geschlossen werden (BGH, Urteil vom 10. Februar 2022 – IX ZR 148/19, WM 2022, 477 Rn. 27).
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(b) Damit genügt allein die durchgehend schleppende Zahlungsweise der Schuldnerin gegenüber der Beklagten nicht, um eine Zahlungseinstellung annehmen zu können. Dies gilt auch, wenn man die nach den Feststellungen des Berufungsgerichts in zwei Fällen erfolgten Teilzahlungen und von der Beklagten regelmäßig ausgesprochenen Mahnungen einbezieht. Dass die Schuldnerin stets unter dem dauernden Druck einer unmittelbar bevorstehenden Zwangsvollstreckung gezahlt hat, hat der Kläger nicht ausreichend behauptet und das Berufungsgericht zudem nicht verfahrensfehlerfrei festgestellt. Danach habe die Beklagte jedenfalls dann, wenn ein Rückstand von mehr als einem Monat eingetreten sei, unter Androhung der Zwangsvollstreckung auf die Bezahlung der Rückstände gedrängt und die Schuldnerin in Besprechungen zur Rückführung des Rückstandes angegeben, es müsse erst der nächste Zahlungseingang abgewartet werden.
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Ein solcher Rückstand mit mehr als einem Monat trat erstmals mit dem Ende Juni 2013 fällig werdenden Beitrag ein, sodann erst wieder mit dem Ende Dezember 2013 fällig werdenden Beitrag. Vor diesem Hintergrund ist nicht ersichtlich, warum bereits bei der ersten angefochtenen Zahlung am 26. Februar 2013 über 14.194 € Zahlungseinstellung eingetreten sein könnte. Die Forderung war zu diesem Zeitpunkt seit 28 Tagen fällig; dies allein genügt nicht, um auf eine Zahlungseinstellung schließen zu können. Dass es zu diesem Zeitpunkt andere rückständige Forderungen der Beklagten gegeben hat, hat das Berufungsgericht nicht festgestellt.
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Dies gilt in ähnlicher Weise für die weiteren Zahlungen im Jahr 2013. Die Beitragsforderungen waren gemäß § 23 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 1 SGB IV am drittletzten Bankarbeitstag des laufenden Monats fällig. Das Berufungsgericht stellt selbst fest, dass es zwar für jeden Monat zu einer verspäteten Beitragszahlung, jedoch nur teilweise zu einer Zahlung erst im übernächsten Monat, also mit einer Verzögerung von mehr als einem, aber weniger als zwei Monaten kam. Die Verzögerung erreichte nie zwei Monate. Ob die Beitragszahlungen für Oktober 2013 über 16.353,70 € und 465,59 € tatsächlich Teilzahlungen einer einheitlichen Beitragsforderung darstellen, lässt sich den Feststellungen des Berufungsgerichts nicht entnehmen; es kann sich beim Betrag von 465,59 € auch um einen Restbeitrag gemäß § 23 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 2 SGB IV handeln. Die Beitragsforderung für Oktober 2014 beglich die Schuldnerin mit zwei Zahlungen am 10. und 11. Dezember 2014. Soweit das Berufungsgericht schließlich den Vortrag der Beklagten, dass es bei der Schuldnerin zwar immer wieder zu Zahlungsstockungen gekommen sei, es ihr jedoch gelungen sei, den Geschäftsbetrieb aufrecht zu erhalten und die für den Geschäftsbetrieb erforderliche Liquidität aufzubringen, insbesondere mit Gläubigern (wie Sozialversicherungsträgern und Finanzverwaltung) wirksame Stundungsvereinbarungen zu schließen, dahin würdigt, es sei zu keiner vollständigen Zahlungseinstellung gekommen, nimmt es nicht ausreichend in den Blick, dass die Schuldnerin unstreitig fast ausschließlich für die öffentliche Hand tätig gewesen ist, deren schleppende Zahlungsweise nach den Feststellungen des Landgerichts branchen- und gerichtsbekannt ist.
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(c) Sonstige Umstände hat das Berufungsgericht nicht festgestellt; insbesondere ist nicht hinreichend festgestellt, dass die Schuldnerin unter dem dauernden Druck einer unmittelbar bevorstehenden Zwangsvollstreckung gezahlt hat. Verfahrensfehlerhaft meint das Berufungsgericht, die Beklagte habe das Vorbringen des Klägers zum Inhalt der Telefonate nicht ausreichend bestritten. Gemäß § 138 Abs. 3 ZPO sind Tatsachen, die nicht ausdrücklich bestritten werden, als zugestanden anzusehen, wenn nicht die Absicht, sie bestreiten zu wollen, aus den übrigen Erklärungen der Partei hervorgeht. Mit diesen Vorgaben steht das Berufungsurteil nicht im Einklang. Der Kläger hat den von ihm behaupteten Inhalt der Telefonate ohne nähere Einzelheiten, allerdings ausreichend substantiiert geschildert. Ein Bestreiten der Beklagten ergibt sich vor diesem Hintergrund – was das Berufungsgericht verkennt – aus ihren übrigen Erklärungen. So hat die Beklagte – was das Berufungsgericht rechtsfehlerhaft für unerheblich hält – selbst geltend gemacht, den Vortrag des Klägers bestritten zu haben. Die Beklagte hat weiter nicht nur wiederholt vorgetragen, der Kläger selbst habe in seinem Eröffnungsgutachten ausgeführt, es habe bei der Schuldnerin lediglich Zahlungsstockungen gegeben. Sie hat ausdrücklich behauptet, die Schuldnerin habe zu keinem Zeitpunkt damit rechnen müssen, dass die Beklagte Zwangsvollstreckungsmaßnahmen einleite. Schließlich hat sie als Antwort auf das Vorbringen des Klägers geltend gemacht, ihr sei nie erklärt worden, dass die Schuldnerin zahlungsunfähig sei. Einer Beweisaufnahme über die Behauptungen des Klägers ist sie entgegengetreten, weil das Vorbringen vage und eine Beweiserhebung darüber Ausforschung sei. Diese Ausführungen und diese Einlassung ergeben nur Sinn, wenn die Beklagte das Vorbringen des Klägers zum Inhalt der Telefonate bestreiten wollte. Insoweit hätte das Berufungsgericht – was die Revision zutreffend rügt – jedenfalls darauf hinweisen müssen, dass es davon ausgeht, dass die Beklagte das Vorbringen des Klägers nicht bestreiten wolle (§ 139 ZPO). Daraufhin hätte die Beklagte – wie die Revision darlegt – ausdrücklich behauptet, dass die Schuldnerin in Telefonaten nie angegeben habe, Mittel zur Zahlung rückständiger Beiträge seien nicht vorhanden und es müsse erst der nächste Zahlungseingang abgewartet werden, und sich hierzu auf das Zeugnis des M. berufen.
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dd) Die Entscheidung ist weiter deshalb rechtsfehlerhaft, weil das Berufungsgericht allein aus der von ihm angenommenen Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin auf den Benachteiligungsvorsatz schließt. Dies steht mit der – erst nach der Verkündung des Berufungsurteils ergangenen – neueren Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nicht im Einklang.
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(1) Auch bei Zahlungen an einen Sozialversicherungsträger ist für den Gläubigerbenachteiligungsvorsatz von entscheidender Bedeutung, ob der erkannt zahlungsunfähige Schuldner im Zeitpunkt der Rechtshandlung weiß oder billigend in Kauf nimmt, dass er seine (übrigen) Gläubiger auch zu einem späteren Zeitpunkt nicht vollständig befriedigen können wird. Das Berufungsgericht trifft hierzu keine näheren Feststellungen. Dass nach der Rechtsprechung des Senats im Allgemeinen Sozialversicherungsträger – wie die Beklagte – von Unternehmern, die sich in finanzieller Bedrängnis befinden, vor anderen Gläubigern bedient werden (vgl. BGH, Urteil vom 14. Oktober 1999 – IX ZR 142/98, ZIP 1999, 1977, 1978; vom 20. November 2001 – IX ZR 48/01, BGHZ 149, 178, 191; vom 27. Mai 2003 – IX ZR 169/02, BGHZ 155, 75, 86; vom 1. Juli 2010 – IX ZR 70/08, WM 2010, 1756 Rn. 10), genügt nicht, um stets auf ein entsprechendes Bewusstsein des Schuldners schließen zu können.
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(2) Ob die vom Berufungsgericht zur Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin getroffenen Feststellungen für einen Schluss auf einen Benachteiligungsvorsatz genügen, lässt sich nicht beurteilen. Zwar betrug die Deckungslücke nach diesen Feststellungen in den ersten drei Wochen des Jahres 2013 durchgehend mindestens 77 % und war die Höhe des am 1. Januar 2013 bestehenden Fehlbetrags mit 721.170 € erheblich. Das Berufungsgericht beschränkt seine Betrachtung jedoch ausschließlich auf den Zeitraum der ersten drei Wochen des Jahres 2013, ohne zu prüfen, ob und ab welchem Zeitpunkt die Schuldnerin wusste oder jedenfalls billigend in Kauf nahm, dass sie ihre (übrigen) Gläubiger auch zu einem späteren Zeitpunkt nicht vollständig befriedigen können wird.
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Maßgeblich sind die Verhältnisse im Zeitpunkt der jeweils angefochtenen Rechtshandlung. Weder die vom Berufungsgericht als Indiz für die Kenntnis der Schuldnerin von ihrer Zahlungsunfähigkeit gewürdigte Liquiditätsbeschaffung durch eine Sale-and-lease-back-Vereinbarung noch die bis zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht befriedigten Forderungen der A. aus den Jahren 2013 und 2015 lassen einen sicheren Schluss darauf zu, dass die Schuldnerin bereits bei der ersten Zahlung am 26. Februar 2013 – oder bei den späteren Zahlungen – wusste oder billigend in Kauf nahm, dass sie ihre (übrigen) Gläubiger auch zu einem späteren Zeitpunkt nicht vollständig befriedigen können wird. Insbesondere unterlässt es das Berufungsgericht rechtsfehlerhaft, sich mit dem – unstreitigen – Einwand der Beklagten auseinander zu setzen, dass die Schuldnerin fast ausschließlich für die öffentliche Hand tätig gewesen ist, deren schleppende Zahlungsweise nach den Feststellungen des Landgerichts branchen- und gerichtsbekannt ist. Auf objektiver Grundlage berechtigte Aussichten eines Schuldners, seine Verbindlichkeiten wegen verzögerter Zahlungen seiner zahlungsfähigen Auftraggeber nur später, aber vollständig befriedigen zu können, sprechen gegen einen Benachteiligungsvorsatz.
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Die spätere Entwicklung nach der angefochtenen Rechtshandlung darf nur in die Würdigung einbezogen werden, soweit die Tatsachen ihrer Art nach ohne Rückschaufehler einen verlässlichen Schluss auf die Verhältnisse zum Zeitpunkt der Rechtshandlung erlauben. So stellt es nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ein deutliches Indiz für eine Zahlungseinstellung dar, wenn im fraglichen Zeitpunkt fällige Verbindlichkeiten erheblichen Umfangs bestanden haben, die bis zur Verfahrenseröffnung nicht mehr beglichen worden sind (vgl. BGH, Urteil vom 12. Oktober 2006 – IX ZR 228/03, ZIP 2006, 2222 Rn. 20 ff, 28; Beschluss vom 26. Februar 2013 – II ZR 54/12, GmbHR 2013, 482 Rn. 6 mwN; Urteil vom 18. Juli 2013 – IX ZR 143/12, ZIP 2013, 2015 Rn. 9; vom 8. Januar 2015 – IX ZR 203/12, ZIP 2015, 437 Rn. 15). Wenn solche Verbindlichkeiten nach Art, (Gesamt-)Höhe, Anzahl und Bedeutung den Schluss zulassen, dass der Schuldner bereits zum Zeitpunkt der Rechtshandlung erkannt oder billigend in Kauf genommen hat, sie nicht mehr vollständig befriedigen zu können, spricht dies für einen Benachteiligungsvorsatz. Diese Voraussetzungen erfüllen die vom Berufungsgericht festgestellten Forderungen der A. nicht. Die Forderungen hatten für die Verhältnisse der Schuldnerin keinen erheblichen Umfang und stellten keinen erheblichen Teil der Verbindlichkeiten dar. Die erste Forderung beruhte auf einer Rechnung vom 9. September 2013, von der ein restlicher Betrag von 2.139,58 € offen stand. Die weiteren Forderungen aus den Rechnungen vom 27. Dezember 2013 und 19. Mai 2015 bewegten sich in der gleichen Größenordnung.
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(3) Ebenso wenig lässt sich aus den vom Berufungsgericht getroffenen Feststellungen zum Zahlungsverhalten der Schuldnerin gegenüber der Beklagten auf einen Benachteiligungsvorsatz der Schuldnerin schließen. Zwar kann das Zahlungsverhalten des zahlungsunfähigen Schuldners gegenüber einem Sozialversicherungsträger den Schluss rechtfertigen, dass er wusste oder billigend in Kauf nahm, seine (übrigen) Gläubiger auch zu einem späteren Zeitpunkt nicht vollständig befriedigen zu können. Dies beruht darauf, dass Gesamtsozialversicherungsbeiträge regelmäßig wiederkehrende Zahlungen zu von vornherein feststehenden Fälligkeitsterminen darstellen und dass ihre Vorenthaltung gemäß § 266a StGB strafbewehrt ist. Dabei kommt es für den Benachteiligungsvorsatz entscheidend auf das Gewicht der rückständigen Sozialversicherungsbeiträge an. Besondere Bedeutung hat zunächst die Dauer des Rückstands für einen jeweiligen Beitragsmonat. Erheblich ist zweitens der Zeitraum, innerhalb dessen der Schuldner regelmäßig oder wiederholt mit einzelnen oder allen Beitragsforderungen für einzelne Monate in Rückstand gerät. Drittens muss die Entwicklung der rückständigen Beiträge einbezogen werden, insbesondere ob und inwieweit sich die Rückstände in zeitlicher Hinsicht und in Bezug auf die betroffenen Beitragsmonate erhöhen oder ob es dem Schuldner gelingt, die offenen Rückstände zurückzuführen.
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Nach diesen Maßstäben genügen die Rückstände der Schuldnerin bei der Beklagten nicht, um auf einen Benachteiligungsvorsatz der Schuldnerin schließen zu können. Zwar geriet die Schuldnerin im Anfechtungszeitraum ständig und durchgehend mit ihren Beitragszahlungen in Rückstand. Sie zahlte die Sozialversicherungsbeiträge jedoch stets vollständig mit einer Verzögerung zwischen vier bis höchstens acht Wochen. Dabei blieb das Zahlungsverhalten der Schuldnerin gegenüber der Beklagten im Anfechtungszeitraum im Wesentlichen gleich. Die Höhe der Rückstände stieg nicht an, teilweise – vor allem in den Jahren 2013 und 2015 – führte die Schuldnerin die Beitragsforderungen wiederholt vollständig zurück. Sofern Beiträge für mehr als einen Monat offen waren, galt dies bis August 2016 stets nur für wenige Tage, vor allem in den Jahren 2013 und 2015 trat überwiegend nur ein Rückstand für den jeweiligen laufenden Beitragsmonat ein. Zum Zeitpunkt des Insolvenzantrags bestanden keine offenen Forderungen der Beklagten aus der Zeit vor Dezember 2016.
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3. Rechtsfehlerhaft nimmt das Berufungsgericht weiter an, dass die Beklagte den Benachteiligungsvorsatz der Schuldnerin gekannt habe. Hierzu können nur Umstände herangezogen werden, welche die Beklagte kannte. Aus den dargelegten Gründen tragen die Feststellungen des Berufungsgerichts nicht den Schluss, dass die Voraussetzungen des § 133 Abs. 1 Satz 2 InsO erfüllt sind. Für einen Vollbeweis der Kenntnis der Beklagten ist nichts ersichtlich.
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4. Rechtsfehlerhaft meint das Berufungsgericht schließlich, die Zahlungen vom 11. November 2016, 20. Dezember 2016 und 11. Januar 2017 seien nach § 130 Abs. 1 InsO anfechtbar. Dass die Schuldnerin zu diesen Zeitpunkten zahlungsunfähig gewesen ist und die Beklagte die Zahlungsunfähigkeit gekannt hat, hat das Berufungsgericht aus den dargelegten Gründen nicht rechtsfehlerfrei festgestellt.
III.
46
Die Sache ist nicht zur Endentscheidung reif. Für das weitere Verfahren weist der Senat auf folgende Gesichtspunkte hin:
47
1. Soweit das Berufungsgericht zur Überzeugung gelangen sollte, dass zu einem bestimmten Zeitpunkt Zahlungsunfähigkeit eintrat oder Zahlungseinstellung vorlag, wirkt eine einmal eingetretene Zahlungsunfähigkeit ebenso wie eine Zahlungseinstellung fort (vgl. BGH, Urteil vom 31. Oktober 2019 – IX ZR 170/18, ZIP 2020, 83 Rn. 23). Stärke und Dauer der Vermutung hängen davon ab, in welchem Ausmaß die Zahlungsunfähigkeit zutage getreten ist (BGH, Urteil vom 6. Mai 2021 – IX ZR 72/20, BGHZ 230, 28 Rn. 44 f). Die Zahlungsunfähigkeit oder -einstellung entfällt nur dann wieder, wenn der Schuldner seine Zahlungen allgemein – nicht nur dem Anfechtungsgegner gegenüber – wiederaufgenommen hat. Die Wiederaufnahme der Zahlungen gegenüber allen Gläubigern hat der Anfechtungsgegner als derjenige darzulegen und zu beweisen, der sich hierauf beruft (BGH, Urteil vom 17. November 2016 – IX ZR 65/15, ZIP 2016, 2423 Rn. 25 mwN; vom 31. Oktober 2019 – IX ZR 170/18, ZIP 2020, 83 Rn. 23). Sofern die Verbindlichkeit, welche die Annahme einer Zahlungseinstellung des Schuldners trägt, erfüllt oder gestundet wird, kann den Insolvenzverwalter für den Zeitraum, in dem die Wiederaufnahme der Zahlungen erfolgt sein soll, eine sekundäre Darlegungslast zum Zahlungsverhalten des Schuldners im Übrigen, insbesondere zu weiterhin nicht bedienten Verbindlichkeiten des Schuldners treffen (BGH, Urteil vom 10. Februar 2022 – IX ZR 148/19, WM 2022, 477 Rn. 19).
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2. Im Hinblick auf die Zahlungen am 11. November 2016, 20. Dezember 2016 und 11. Januar 2017 kommt eine Anfechtung nach § 131 Abs. 1 InsO in Betracht. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist eine innerhalb des Zeitraums der Deckungsanfechtung (§§ 130, 131 InsO) im Wege der Zwangsvollstreckung erlangte Sicherheit oder Befriedigung als inkongruent anzusehen (BGH, Urteil vom 23. März 2006 – IX ZR 116/03, BGHZ 167, 11 Rn. 9 mwN). Dies gilt auch, wenn der Schuldner in der Krise zur Vermeidung einer unmittelbar bevorstehenden Zwangsvollstreckung geleistet hat (BGH, Urteil vom 9. September 1997 – IX ZR 14/97, BGHZ 136, 309, 311 ff; vom 20. Januar 2011 – IX ZR 8/10, ZIP 2011, 385 Rn. 6 mwN; vom 9. Januar 2014 – IX ZR 209/11, WM 2014, 324 Rn. 37, insoweit in BGHZ 199, 344 nicht abgedruckt). Der Schuldner leistet unter dem Druck einer unmittelbar drohenden Zwangsvollstreckung nur dann, wenn der Gläubiger zum Ausdruck gebracht hat, dass er alsbald die Mittel der Zwangsvollstreckung einsetzen werde, sofern der Schuldner die Forderung nicht erfülle. Dies beurteilt sich aus der objektivierten Sicht des Schuldners (BGH, Urteil vom 7. Dezember 2006 – IX ZR 157/05, ZIP 2007, 136 Rn. 8). Die Schuldnerin hätte deshalb zur Zeit ihrer Leistung damit rechnen müssen, dass ohne sie die Beklagte nach dem kurz bevorstehenden Ablauf einer letzten Zahlungsfrist mit der ohne weiteres zulässigen Zwangsvollstreckung sofort beginne (vgl. BGH, Urteil vom 17. Juni 2010 – IX ZR 134/09, ZInsO 2010, 1324 Rn. 8 mwN).
49
3. Im Hinblick auf die Voraussetzungen des § 133 Abs. 1 InsO wird das Berufungsgericht den Parteien Gelegenheit zu ergänzendem Sachvortrag geben müssen. Das Berufungsgericht wird sodann zu prüfen haben, welche weiteren Umstände gegebenenfalls neben der Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin bestehen, die einen Schluss auf einen Benachteiligungsvorsatz zulassen. Sollte das Berufungsgericht eine Zahlungseinstellung feststellen, wird es zu beachten haben, dass der Tatrichter für den Benachteiligungsvorsatz zu prüfen hat, welchen Schluss die die Zahlungseinstellung tragenden Tatsachen hinsichtlich der weiteren Entwicklung der Deckungslücke und der Erwartungen des Schuldners zulassen (BGH, Urteil vom 3. März 2022 – IX ZR 78/20, ZIP 2022, 589 Rn. 25, zVb in BGHZ).
- Grupp
- Schoppmeyer
- Röhl
- Selbmann
- Harms